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Ueöer Land und Meer.
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Augen und die fchnellverblüheilde Frauenschönheit — es ist der poetische Schmutz Italiens auf den bunten Alltagsgewändern, die düstere Ruinenhaftigkeit in den engen Ortschaften, die Bettelei, die Armut: die italienische Eigenart, die uns anzieht und zugleich abstößt. Von Mori schlängelt sich eine Dampftram durch die Bergwildnis. Denn nur wenige Kilometer vom behäbig-städtischen Orte beginnt eine Felsöde von wilder Majestät und Einsamkeit. Vor geraumer Vorzeit soll hier ein Bergsturz herniedergegangen sein, der das enge Thal mit riesenhaften Trümmern bedeckte. Da liegen sie noch heute, die grauen, verwaschenen, bemoosten Porphyrblöcke, in wunderlicher Form und Lage, wahllos hingestreut, der Schwerkraft spottend. Wenn der Mondschein über die Dolomitenwände sein totes Licht in dies
gießt, daun liegt eine Todesstimmung über dem Ruinenfeld, das dem großen Dante so verloren, so schrecklichschön vorkam, daß ihm hier der Eingang zur Unterwelt deuchte.
Zwischen haushohen Blöcken keucht die kleine Lokomotive ewig heulend aufwärts an Lop- pio vorbei, das im Kessel an einem kleinen, toten Bergsee sich hinstreckt.
Und dann hat man das unbehagliche Gefühl, die Tram müßte sich in diesen Felshöhen verlieren, die das Thal hier einschnüren und kaum den Rebenlauben Platz lassen, zwischen denen sie sich in kühnen Spiralen bergauf und
bergab durchwindet.
„Nago!" avertiert der Schaffner.
Aber wo ist der See? Wir steigen
aus, wie's das Reisehandbuch vorschreibt, weil wir nach Torbole hinunter wandeln wollen. Der Schwarz
lockige sieht sich um, als weun die ganze Reise ein dummer Witz wäre. Sonne liegt aus den Höhen des Monte Baldo; der breite Bergbnckel blitzt im Schneeglanz. Und Nago, ein kleines italienisches Nest, begraben in Weinbergen, Oliven-
Luft ist klar und rein und warm, die Leute sind geschmückt, aus einem alten Park lugt immergrünes Gebüsch über die rissige Mauer. Man denkt an hellgrüne Maien und Pfingsten in Deutschland. Aber der Ort selbst, den wir durchqueren, zerstört wieder die Illusion. Das sind die engen, kühlen, alten italienischen Gassen mit einem unbeschreiblichen > Hauche von Verlassenheit. Auch hier in Südtirol noch scheint alles Vergangenheit, Geschichte — die Kirche, die Heiligenbilder, die steinernen Häuser mit den geschlossenen Lüden. Immer möchte man fragen: wer hat da gewohnt? — niemals: wer wohnt da? Auf steilem Hügel über dem Ort ragt ein verfallenes Kastell. Die Straße verläßt Nago. Ein österreichisches Sperrfort liegt vor uns — ein Thor. Der schwarzlockige Jüngling sieht mich fragend an, der littera- rische Chef zieht nachdenklich an seiner Zigarette, der Maler schaut nach dem alten Nest zurück, aus dem sich die uralte Kirche so malerisch hebt. Ich atme auf. Drei Schritte noch. . .
Vor uns liegt der Garda — tief unten, eingeriffen
wenigst bereiste — und er ist der schönste Alpensee. Wer ihn von Fort Nago zum erstenmal schaut, wie ihn die Sonne küßt und die Bora die Azurflnt kräuselt, der vergißt ihn nie. Schmal nur scheint die Wasserzunge, in die der blaue
Linken heben sich gewaltige Alpengipfel, jäh aufsteigend, aus der Flut, nackt, wild, ungezähmt bis zu dem schneeglänzenden Scheitel. Und als Bindeglied scheint das Felshaupt des viel niedrigeren Monte Brione zwischen sie geschmettert, damit er das Thal der Sarea vor den Seefluten schütze. Nur zwei schmale Thalstreifen führen an ihm vorüber — hart unter uns die Mündung der Sarea, des größten Gardaflusses, und weiter drüben ans der andern Seite, an der Bucht von Riva weiter, eine Ebene, die bis Arco geht. Das berühmte Bad mit seiner Kastellruine im herrlichen Felskessel schützt der Monte Brione vor den Seewinden, aber er entzieht ihm auch den wunderbaren Anblick der blauen Flut.
straße zun: See hinunter. Schier endlos, breiter und breiter ausladend, scheint sich das Wasser zu dehnen, bis zur lombardischen Ebene, mit der
am Fuß des Monte Baldo fast versteckt liegt. Die Künstler lieben alle das völlig italienische Nest. Der eilige Tourist ahnt kaum den Reichtum von pittoresker Architektur, Ver- fallenheit, abwechselnd mit wilden Felsschluchten, in deren Steinboden der Oelbanm doch die zähe Wurzel zwängt, an deren Steilwänden sich doch die Rebenterraffen empor-
hotel ließen wir müden Wanderer es uns wohl sein. An der Seeterrasse vor dem Speisesaal wiegten sich düstere Cypreffen im Wind, und die Lichtreflexe vom See selbst spielten — ein unruhiges Gewimmel auf den Wänden. Die Lachsforelle, der edelste Gardafisch, ward uns vorgesetzt. Dort in der echt-deutschgemütlichen Behausung, die eine reizende Boznerin mit schlanken Gliedern und dunkeln Augen noch anziehender machte, entschied der Maler, daß das
Leben doch Wert habe, und dnrchstöberte die Weinkarte nach einem feurigen Tiroler; der litterarische Chef klopfte mir auf die Schulter: „Wenn's so weiter geht, dann alle Achtung!" Der fchwarzlockige Jüngling aber, der alle
Wissenschaft in seinem Reisehandbuch mitschleppte, belehrte uns wie folgt:
„Der Gardasee steht an Schönheit keinem der oberitalienischen Seen nach, übertrifft sie aber an herrlichen Farbenwirkungen und meerähnlicher Flut. Er ist der größte dieser Alpenseen, 55 Kilometer lang, 5 bis 18 Kilometer breit und an vielen Stellen über 300 Nieter tief. Nur die Nordspitze mit der Bucht von Riva ge-
übrige zu^ Italien.
Er hat sehr regel- mäßig wehende Winde,
erleichtern, doch vermag er bei Sturm . aufzubrausen wie die
Fluten des Meeres.
Völlig unbewegt erglänzt er in reinster Azurbläue. Er war schon von den Römern hochgeehrt, die viele Landhäuser au seinem
fischreich, warm und hat noch viele Tugenden mehr."
Wir gingen früh zu Bett. Für mich war es ein fast wehmütiges Gefühl, als nach zehn Jahren die Cypreffe wieder an mein Fenster rauschte, und die italienischen Zollkntter ihre Scheinwerfer in breiter, dunstiger Lichtwoge über den See spielen ließen, der silbergrau, murmelnd zwischen den scharf umrisfenen Bergkuppen lag.
Schon mit dem frühesten dnrchstöberte der Maler Torbole nach Motiven. Es