7y. Band, vierzigster Jahrgang. Oktober M7—)M.
Preis vierteljährlich 3 M. 50. Mit Postausschlag 3 M. 78.
S 1 e tH L i n.
Meodor Montane.
xer Gras begnügte sich mit einer gemessenen Verbeugung gegen den Musikdoktor und zog, ans einer nebenstehenden Causeuse Platz nehmend, die gute Frau von Berchtesgaden ins Gespräch, von der er wußte, daß ihre Munterkeiten nie den Charakter „goldener Rücksichtslosigkeiten" annahmem
Wrschowitz seinerseits war an dem aufgeklappten Flügel stehen geblieben, ohne jede Spur von Verlegenheit, so daß ein Sichkümmern um ihn eigentlich nicht nötig gewesen wäre. Trotzdem hielt es Czako für angezeigt, sich seiner anzunehmen und dabei die herkömmliche Frage zu thuu „ob er, der Herr I)r. Wrschowitz, sich schon in Berlin eingelebt habe?"
„Hab' ich." sagte Wrschowitz kurz.
„Und beklagen es nicht, Ihr Zelt unter uns aufgeschlagen zu haben?"
„Vu eontraire. Berlin eine schöne Stadt, eine serr gutte Stadt. Eine serr gutte Stadt pour moi en xavtä- eulier et xour les etranZei'8 en general. Eine serr gutte Stadt, weil es hat Musik und weil es hat Krittikk."
„Ich bin beglückt, Nr. Wrschowitz, speziell ans Ihrem Munde so viel Gutes über unsre Stadt zu hören.
Im allgemeinen ist die slavische, besonders die tschechische Welt..."
„O, die tschechische Welt. Vanitas vanitatum."
„Es ist sehr selten, in nationalen Fragen einem so freien Drüberstehn zu begegnen... Aber wenn es Ihnen recht ist, Nr. Wrschowitz, wir stehen hier wie zwei Schildhalter neben diesem aufgeklappten Klavier, — vielleicht daß wir uns setzen könnten. Gräfin Melusine lugt ohnehin schon nach uns aus." Und als Wrschowitz seine Zustimmung zu diesem Vorschläge Czakos ausgedrückt hatte, schritten beide Herren vom Klavier her aus den Kamin zu, vor dem sich die Gräfin aus einem Fauteuil niedergelassen hatte. Neben ihr stand ein Marmortischchen, draus sie den linken Arm stützte.
„Nun endlich, Herr von Czako.
Vor allem aber rücken Sie Stühle heran. Ich sah die beiden Herren-
I898lBd. 79).
^ Abbildungen: Blldha ll er Professo r Nikola u s Geige r . gest. 27. November 1897. -- Neli.es für das Giebelfeld der St. Hed-
in einem anscheinend intimen Gespräche. Wenn es sich um etwas handelte, dran ich teilnehmen darf, so gönnen Sie mir diesen Vorzug. Papa hat sich, wie Sie sehn, mit der Baronin engagiert, ich denke mir, über berechtigte bajuvarische Eigentümlichkeiten, und Armgard denkt über ihr Spiel nach und all die falschen Griffe. Was müssen Sie gelitten haben, Wrschowitz. Und nun noch einmal, Hauptmann Czako, worüber plauderten Sie?"
„Berlin."
„Ein unerschöpfliches Thema für die Medisance."
„Worauf I)r. Wrschowitz zu meinem Staunen verzichtete. Denken Sie sich, gnädigste Gräfin, er schien alles loben zu wollen. Allerdings waren wir erst bei Musik und Kritik. Ueber die Menschen noch kein Wort."
Bildhauer Professor Nikolaus Geiger,
„O, Wrschowitz, das müssen Sie nachholen. Ein Fremder sieht mehr als ein Einheimischer. Also frei weg und ohne Scheu. Wie sind die Vornehmen? Wie sind die kleinen Leute?"
Wrschowitz wiegte den Kops hin und her, als ob er überlege, wie weit er in seiner Antwort gehen könne. Dann mit einem Male schien er einen Entschluß gefaßt zu haben und sagte: „ Oberklasse gutt, Unterklasse serr gutt; Mittelklasse nicht serr gutt."
„Kann ich zustimmen," lachte Melusine. „Fehlen nur noch ein paar Details. Wie wär' es damit?"
„Mittelklassberliner findet gutt, was er sagt, und findet schlecht, was sagt ein andrer."
Czako, trotzdem er sich getroffen fühlte, nickte.
„Wenn spricht ein andrer, fällt Mittelklassberliner, auch wenu er nicht will, in Krampf. In versteckten Krampf oder in nicht versteckten Krampf. In verstecktem ist er ein Bild des Jammers, in nicht verstecktem ist er ein Affront."
„Brav, Wrschowitz. Aber mehr. Ich bitte."
„Berliner immer an der Tete; so wenigstens glaubt er. Berliner weiß alles, Berliner erfindet alles, Berliner entdeckt alles. Erst Borsig, dann Stephenson, erst Rudolf Hertzog, dann Herzog Rudolf, erst Pfefferküchler Hildebrand, dann Papst Hildebrand."
„Nicht geschmeichelt, aber ähnlich. Und nun, Wrschowitz, noch eins, dann sind Sie wieder frei... Wie sind die Damen?"
„Ach, gnädigste Gräfin..." „Nichts, nichts. Die Damen." „Die Damen. O, die Damen serr gutt. Aber nicht spezifsisch. Spezifsisch in Berlin bloß die Madamm."
„Da bin ich aber doch neugierig." „Spezifsisch bloß die Madamm. Ich war in Petersburg und ich war in Noseoü. War auch in Budapest. Und war auch in Saloniki. Ah, Saloniki! Schöne Damen von Helikon und schöne Damen von Libanon. Aber leine Madamm. Madamm nirgendwo; Madamm bloß in Berlin."
„Aber Wrschowitz, es müssen doch schließlich Ähnlichkeiten da sein. Eine Madamm ist doch immerhin auch eine Dame, wenigstens eine Art Dame. Schon das Wort spricht es aus."
„Nein, gnädigste Gräfin; rien du tont. Dame! Dame denkt an ihren Galan oder an ihren Putz oder an ein Parfüm. Oder vielleicht auch an vivoryons. Aber Madamm denkt bloß