Heft 
(1898) 13
Seite
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Aeber Land und Meer.

M 13

an Nike draußen und mitunter auch an Paul, der ihr Jüngster und ihr Vertrauter ist und ein Nüpell dazu. Und wenn sie zu Paul spricht, sagt sie: ,Jott, dein Vater'. Das ist die Madamm. Einige sagen, sie stürbe aus, andre sagen, sie stürbe nie."

Wrschowitz," sagte Melusine,wie schade, daß die Baronin und Papa nicht zugehört haben, und daß unser Freund Stechlin, der solche Themata liebt, nicht hier ist. Uebrigens hatten wir heut ein Telegramm von ihm. Haben Sie vielleicht auch Nachricht, Herr Hauptmann?"

Heute, gnädigste Gräfin. Und auch ein Tele­gramm. Ich Hab' es mitgebracht, weil ich an die Möglichkeit dachte..."

Bitte, lesen."

Und Czako las:London. Charing Croß-Hotel. Alles über Erwarten groß. Sieben unvergeßliche Tage. Nichmond schön. Windsor schöner. Und die Nelsonsänle vor mir. Ihr v. St."

Melusine lachte.Das hat er uns auch tele­graphiert."

Ich fand es wenig," stotterte Czako verlegen und als Doublette find' ich es noch weniger. Und ein Mann wie Stechlin, ein Mann in Mission! Und jetzt sogar unter den Augen Ihrer Majestät von Großbritannien und Indien."

Alles stimmte zu. Nur der alte Gras wollte davon nichts wissen.

Was verlangt ihr? Es ist umgekehrt ein sehr gutes Telegramm, weil ein richtiges Telegramm; Nichmond, Windsor, Nelsonsäule. Soll er etwa telegraphieren, daß er sich sehnt, uns wieder zu sehn? Und das wird er nicht einmal können, so riesig verwöhnt er jetzt ist. Ihr werdet euch alle sehr zusammennehmen müssen. Auch du, Melusine."

Natürlich; ich am meisten."

XXV.

Drei Tage, später war Woldemar Zurück und meldete sich für den nächsten Abend am Kronprinzen­ufer an. Er traf nur die beiden Damen, die, Melusine voran, kein Hehl aus ihrer Freude machten. Papa läßt Ihnen sein Bedauern aussprechen, Sie nicht gleich heute mitbegrüßen zu können. Er ist bei den Berchtesgadens zur Spielpartie, bei der er natürlich nicht fehlen durste. Das istDienst", weit strenger als der Ihrige. Wir haben Sie nun ganz allein, und das ist auch etwas Gutes. An Besuch ist kaum zu denken; Nex war erst gestern auf eine kurze Visite hier, etwas steif und formell wie gewöhnlich, und mit Ihrem Freunde Czako haben wir letzten Sonnabend eine Stunde verplaudern können. Wrschowitz war an demselben Abend auch da; beide treffen sich jetzt öfter und vertragen sich besser als Ich bei Beginn der Bekanntschaft dachte. Wer also sollte noch kommen? .. . Und nun setzen Sie sich, um Ihr Reisesüllhorn über uns anszu- schütten; die Füllhörner, die jetzt Mode sind, sind meist Bonbontüten, und genau so was erwart' ich auch von Ihnen. Sie sollten mir in einem Briefe von den Engländerinnen schreiben. Aber wer darüber nicht schrieb, das waren Sie, wenn wir uns auch entschließen wollen, Ihr Telegramm für voll anzusehn." Und dabei lachte Melusine.Viel­leicht haben Sie uns in unsrer Eitelkeit nicht kränken wollen. Aber offen Spiel ist immer das beste. Wo­von Sie nicht geschrieben, davon müssen Sie jetzt sprechen. Wie war es drüben? Ich meine mit der Schönheit."

Ich habe nichts Einzelnes gesehn, was mich frappiert oder gar hingerissen hätte."

Nichts Einzelnes. Soll das heißen, daß Sie dafür das Ganze beinah' bewundert haben, will also sagen, die weibliche Totalität?"

Fast könnt' ich dem zustimmen. Ich erinnere mich, daß mir vor Jahr und Tag schon ein Freund einmal sagte, sin der ganzen Welt fände man, Gott sei Dank, schöne Frauen, aber nur in England seien die Frauen überhaupt schön'."

Und das haben Sie geglaubt?"

Es liegt eigentlich schlimmer, gnädigste Gräfin. Ich Hab' es nicht geglaubt; aber ich Hab' es, meinem Nichtglauben zum Trotz, nachträglich bestätigt ge­funden."

Und Sie schaudern nicht vor solcher Ueber- treibung?"

Ich kann es nicht, so sehr ich gerade hier eine Verpflichtung dazu fühle..."

Keine Bestechungen."

Ich soll schaudern vor einer Uebertreibung," fuhr Woldemar fort.Aber Sie werden mir, Frau Gräfin, dies Schaudern vielleicht erlassen, wenn ich Erklärungen abgegeben haben werde. Der England­schwärmer, den ich da vorhin citierte, war ein Freund von zugespitzten Sätzen, und zugespitzte Sätze darf man nie wörtlich nehmen. Und am wenigsten ans diesem disficilen Gebiete. Nirgends in der Welt blühen Schönheiten, als müßt' es nur so sein, wie die gelben Butterblumen übers Feld hin; wirkliche Schönheiten find schließlich immer Seltenheiten. Wären sie nicht selten, so wären sie nicht schön, oder wir fänden es nicht, weil wir einen andern Maß­stab hätten. All das steht fest. Aber es giebt doch Durchschnittsvorzüge, die den Typus des Ganzen bestimmen, und diesem Maße nicht geradezu frappierender, aber doch immer noch sehr gefälliger Durchschnittsschönheit, dem bin ich drüben begegnet."

Ich lass' es mit dieser Einschränkung gelten, und Sie werden in Papa, mit dem wir oft darüber streiten, einen Anwalt für Ihre Meinung finden. Durchschnittsvorzüge. Zugegeben. Aber was sich darin ausspricht, das beinah' Unpersönliche, das Typische..."

Melusine schrak in diesem Augenblick leise zu­sammen, weil sie draußen die Klingel gehört zu haben glaubte. Wirklich, Jeserich trat ein und meldete: Professor Cujacius.Um Gottes willen," entfuhr es der Gräfin, und die kleine Pause benutzend, die noch blieb, flüsterte sie Woldemar Zu:Cujacius... Malerprofessor. Er wird über Kunst sprechen; bitte, widersprechen Sie ihm nicht, er gerät dabei so leicht in Feuer oder in mehr als das." Und kaum, daß Melusine so weit gekommen war, erschien auch schon Cujacius und schritt unter rascher Verbeugung gegen Armgard aus die Gräfin zu, dieser die Hand zu küssen. Sie hatte sich inzwischen gesammelt und stellte vor:Professor Cujacius, ... Rittmeister von Stechlin." Beide verneigten sich gegeneinander, Woldemar ruhig, Cujacius mit dem ihm eignen superioren Apostelausdruck, der, wenn auch ungewollt, immer was Provozierendes hatte.Bin," so ließ er sich mit einer gewissen Kondescenz vernehmen,durch Gräfin Melusine ganz auf dem Laufenden. Abord­nung, England, Windsor. Ich habe Sie beneidet, Herr Rittmeister. Eine so schöne Reise."

Ja, das war sie, nur leider zu kurz, so daß ich intimeren Dingen, beispielsweise der englischen Kunst, nicht das richtige Maß von Aufmerksamkeit widmen konnte."

Worüber Sie sich getrösten dürfen. Was ich persönlich an solcher Reise jedem beneiden möchte, das sind ausschließlich die großen Gesamteindrücke, der Hof und die Lords, die die Geschichte des Landes bedeuten."

All das war auch mir die Hauptsache, mußt' es sein. Aber ich hätte mich dem ohnerachlet auch gern um Künstlerisches gekümmert, speziell um Malerisches. So zum Beispiel um die Schule der Präraffaeliten."

Ein überwundener Standpunkt. Einige waren da, deren Auftreten auch hier (ich spreche von den Künstlern meiner Richtung) mit, Aufmerksamkeit und selbst mit Achtung verfolgt wurde. So beispiels­weise Millais..."

Ah, der. Sehr wahr. Ich erinnere mich seines bedeutendsten Bildes, das leider nach Amerika hin verkauft wurde. Wenn ich nicht irre, zu einem enormen Preise."

Cujacius nickte.Mutmaßlich das vielgeseierte ,Angelusbild', was Ihnen vorschwebt, Herr Rittmeister, eine von Händlern heraufgepuffte Marktware, für die Sie glücklicherweise den englischen Millairs, will also sagen den ,a, i, s' Millais nicht verantwortlich machen dürfen. Der .Millet, der für eine, wie Sie schon bemerkten, lächerlich hohe Summe nach Amerika hin verkauft wurde, war ein ,e, t' Millet, Vollblutpariser oder wenigstens Franzose."

Woldemar geriet über diese Verwechslung in eine kleine Verlegenheit, die Damen mit ihm, alles sehr Zur Erbauung des Professors, dessen rasch wachsendes Ueberlegenheitsgefühl unter dem Eindruck dieses Fauxpas immer neue Blüten übermütiger Laune trieb.Im übrigen sei mir's verziehen," fuhr er fort,wenn ich mein Urteil über beide kurz dahin zusammenfasse: ,sie sind einander wert' und

die zwei großen westlichen Kulturvölker mögen sich darüber streiten, wer von ihnen am meisten genas- sührt wurde. Der französische Millet ist eine Null, ein Zwerg, neben dem der englische vergleichsweise zum Niesen anwächst. Wohlverstanden vergleichsweise. Trotzdem, wie mir gestattet sein mag zu wiederholen, war er zu Beginn seiner Laufbahn ein Gegenstand unsrer hiesigen Aufmerksamkeit. Und mit Recht. Denn das Präraffaelitentum, als dessen Begründer und Vertreter ich ihn ansehe, trug damals einen Zukunftskeim in sich; eine große Revolution schien sich anbahnen zu wollen, jene große Revolution, die Rückkehr heißt. Oder wenn Sie wollen,Reaktion'. Man hat vor solchen Wörtern nicht zu erschrecken. Wörter sind Kinderklappern."

Und dieser englische Millais, den mit dem französischen verwechselt zu haben ich aufrichtig be- daure, dieser ,a, i, s' ^ Millais, dieser große Reformer, ist, wenn ich Sie recht verstehe, sich selber untreu geworden."

Man wird dies sagen dürfen. Er und seine Schule verfielen in Excentricitäten. Die Zucht ging verloren, und das straft sich auf jedem Gebiet. Was da neuerdings in der Welt zusammengekleckst wird, zu­mal in der schottischen und amerikanischen Schule, die sich jetzt auch bei uns breit zu machen sucht, das ist der Ueberschwang einer an sich beachtenswerten Richtung. Der Zug, der unter Mitteldampf gut und erfreulich fuhr, unter Doppeldampf (und das reicht noch nicht einmal aus) ist er entgleist; erliegt jetzt neben den Schienen und prustet und keucht. Und ein Jammer nur, daß seine Heizer nicht mit auf dem Platze geblieben sind. Das ist der Fluch der bösen That... ich verzichte darauf, in Gegen­wart der Damen das Citat zu Ende zu führen."

Eine kleine Pause trat ein, bis Woldemar, der einsah, daß irgend was gesagt werden müsse, sich zu der Bemerkung aufraffte:Von Neueren Hab' ich eigentlich nur die Seestücke kennen gelernt und dazu die Phantastika des Malers William Turner, natürlich flüchtig. Er hat die ,drei Männer in: feurigen Ofen' gemalt. Stupend. Etwas Großartiges schien mir aus seinen Schöpfungen zu sprechen," wenigstens in allem, was das Kolorit angeht."

Eine gewisse Großartigkeit," nahm Cujacius mit lächelnd überlegener Miene wieder das Wort, ist ihm nicht abzusprechen. Aber aller Wahnsinn wächst sich leicht ins Großartige hinein und düpiert dann regelmäßig die Menge. Nunäus vult äeetpi. Allem vorauf in England. Es giebt nur ein Heil: Umkehr, Rückkehr zur keuschen Linie. Die Koloristen sind das Unglück in der Kunst. Einige wenige waren hervorragend, aber nicht xareegue, sondern guoigue. Noch heute wird es mir obliegen, in unserm Verein über eben dieses Thema zu sprechen. Gewiß unter Widerspruch, vielleicht auch unter Lärm und Gepolter; denn mit den richtigen Linien in der Kunst sind auch die richtigen Formen in der Gesellschaft verloren gegangen. Aber viel Feind', viel Ehr', und jede Stelle verlangt heutzutage ihren Mann von Worms, ihren Luther. ,Hier stehe ich'. Am elendesten aber sind die paktierenwollenden Halben. Zwischen schön und häßlich ist nicht zu paktieren."

Und schön und häßlich," unterbrach hier Melu­sine, froh überhaupt unterbrechen zu können,war auch die große Frage, die wir, als wir Sie begrüßen durften, eben unter Diskussion stellten. Herr von Stechlin sollte beichten über die Schönheit der Eng­länderinnen. Und nun frag' ich Sie, Herr Professor, finden Sie sie so schön, wie einem Hierlandes immer versichert wird?"

Ich spreche nicht gern über Engländerinnen," fuhr Cujacius fort.Etwas von Idiosynkrasie beherrscht mich da. Diese Töchter Albions, sie singen so viel und musizieren so viel und malen so viel. Und haben eigentlich kein Talent."

Vielleicht. Aber davon dürfen Sie jetzt nicht sprechen. Bloß das eine: schön oder nicht schön?

Schön? Nun denn mein'. Alles wirkt wie tot. Und was wie tot wirkt, wenn es nicht der Tod selbst ist, ist nicht schön. Im übrigen, ich sehe, daß ich nur noch zehn Minuten habe. Wie gerne wär' ich an einer Stelle geblieben, wo man so vielem Verständnis und Entgegenkommen begegnet. Herr von Stechlin, ich erlaube mir, Ihnen morgen eine Radierung nach einem Bilde des richtigen englischen Millais zu schicken. Dragonerkaserne,