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Ueöer Land und Meer.
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Hallesches Thor, — ich weiß. Uebermorgen lass' ich die Mappe mit dem Bilde wieder abholem Name: ,SirJsnmbras'. Merkwürdige Schöpfung. Schade, daß er, der Vater des Präraffaelitentums, dabei nicht aushielt. Aber nicht zu verwundern. Nichts hält jetzt aus, und mit nächstem werden wir die Berühmtheiten nach Tagen zählen. Tizian entzückte noch mit hundert; wer jetzt fünf Jahre gemalt hat, ist altes Eisen. Gnädigste Gräfin, Comtesse Armgard... Darf ich bitten, mich meinem Gönner, Ihrem Herrn Vater, dem Grafen, angelegentlichst empfehlen zu wollen."
Woldemar, die Honneurs des Hauses machend, was er bei seiner intimen Stellung durfte, hatte den Professor bis auf den Korridor geleitet und ihm hier den Künstlermantel umgegeben, den er, in unverändertem Schritt, seit seinen Romtagen trug. Es war ein Radmantel. Dazu ein Kalabreser von Seideufilz.
„Er ist doch auf seine Weise nicht übel," sagte Woldemar, als er bei den Damen wieder eintrat. „An einem starken Selbstbewußtsein, dran er wohl leidet, darf man heutzutage nicht Anstoß nehmen, vorausgesetzt, daß die Thatsachen es einigermaßen rechtfertigen."
„Ein starkes Selbstbewußtsein ist nie gerechtfertigt," sagte Armgard, „Bismarck vielleicht ausgenommen. Das heißt also in jedem Jahrhundert einer."
„Wonach Cujacius günstigstenfalls der zweite wäre," lachte Woldemar. „Wie steht es eigentlich mit ihm? Ich habe nie von ihm gehört, was aber nicht viel besagen will, namentlich nachdem ich Millais und Millet glücklich verwechselt habe. Nun geht alles so in einem hin. Ist er ein Mann, den ich eigentlich kennen müßte?"
„Das hängt ganz davon ab," sagte Melusine, „wie Sie sich einschätzen. Haben Sie den Ehrgeiz, nicht bloß den eigentlichen alten Giotto von Florenz zu kennen, sondern auch all die Giottinos, die neuerdings in Ostelbien von Rittergut zu Rittergut ziehn, um für Kunst und Christentum ein übriges zu leisten, so müssen Sie Cujacius freilich kennen. Er hat da die große Lieferung; ist übrigens lange nicht der Schlimmste. Selbst seine Gegner, und er hat deren ein gerüttelt und geschüttelt Maß, gestehen ihm ein hübsches Talent zu, nur verdirbt er alles durch seinen Dünkel. Und so hat er denn keine Freunde, trotzdem er beständig von Nichtungsgenossen spricht und auch heute wieder sprach. Gerade diese Nichtungsgenossen aber hat er aufs entschiedenste gegen sich, was übrigens nicht bloß an ihm, sondern auch an den Genossen liegt. Gerade die, die dasselbe Ziel verfolgen, bekämpfen sich immer an: heftigsten untereinander, vor allem auf christlichen: Gebiet, auch wenn es sich bloß um christliche Kunst handelt. Zu des Professors Lieblingswendungen zählt die, daß er ,in der Tradition stehe', was ihm indessen nur Spott und Achselzucken einträgt. Einer seiner Nichtungsgenossen, als ob er mich persönlich dafür hätte verantwortlich machen wollen, fragte mich erst neulich voll ironischer Teilnahme: ,Steht denn Ihr Cujacius immer noch in der Tradition?- Und als ich ihn: antwortete: ,Sie spötteln darüber, hat er denn aber keine?' bemerkte dieser Spezialkollege:
,Gewiß hat er eine Tradition, und das ist seine eigne. Seit fünfundvierzig Jahren malt er immer denselben Christus und bereist als Kunst-, aber fast auch schon als Kirchen-Fanatiker, die ihm unterstellten Provinzen, so daß man betreffs seiner beinah' sagen kann: ,Es predigt sein Christus allerorten, ist aber drum nicht schöner geworden'."
„Melusine, du darfst so nicht weiter sprechen," unterbrach hier Armgard, dann wie Zur Entschuldigung ihrer selbst hinzusetzend: „Sie wissen, Herr von Stechlin, wie's hier steht, und daß ich meine ältere Schwester, die mich erzogen hat, hoffentlich gut, jetzt nachträglich mitunter meinerseits erziehen muß." Dabei reichte sie Melusine die Hand. „Eben erst ist er fort, der arme Professor, und jetzt schon so schlechte Nachrede. Welchen Trost soll sich nnser Freund Stechlin daraus schöpfen? Er wird denken: heute dir, morgen mir."
„Du sollst in allem recht haben, Armgard, nur nicht in diesem letzten. Schließlich weiß doch jeder, was er gilt, ob er geliebt wird oder nicht, vorausgesetzt,
daß er ein Gentleman und nicht ein Gigerl ist. Aber Gentleman. Da Hab' ich wieder die Einhake- Oese für England. Das Schönheitskapitel ist erledigt, war ohnehin nur Caprice. Von all dem andern aber, das schließlich doch wichtiger ist, wissen wir noch immer so gut wie gar nichts. Wie war es im Tower? Und Hab' ich recht behalten mit Traitors Gate?"
„Nur in einem Punkt, Gräfin, in Ihrem Mißtrauen gegen meine Phantasie. Die versagte da total, wenn es nicht doch vielleicht an der Sache selbst, also an Traitors Gate, gelegen hat. Denn an einer andern Stelle könnt' ich mich meiner Phantasie beinah' berühmen und am meisten da, wo, wie mir übrigens nur zu begreiflich, auch Sie mit so viel Vorliebe verweilt haben."
„Und welche Stelle war das?"
„Waltham-Abbey."
„Waltham-Abbey? Aber davon weiß ich ja gar nichts. Waltham-Abbey kenn' ich nicht, kaum dem Namen nach."
„Und doch weiß ich bestimmt, daß mir Ihr Herr Papa gerade an: Abend vor meiner Abreise sagte: das muß Melusine wissen; die weiß ja dort überall Bescheid und kennt, glaub' ich, Waltham-Abbey besser, als Treptow oder Stralau."
„So bilden sich Renommees," lachte Melusine. „Der Papa hat das auf gut Glück hin gesagt, hat bloß ein beliebiges Beispiel herausgegriffen. Und nun diese Tragweite! Lassen wir das aber und sagen Sie mir lieber: was ist Waltham-Abbey? Und wo liegt es?"
„Es liegt ganz in der Nähe von London und ist eine Nachmittagsfahrt, etwa wie wenn man das Mausoleum in Charlottenburg besucht oder das in der Potsdamer Friedenskirche."
„Hat es denn etwas von einem Mausoleum?"
„Ja und nein. Der Denkstein fehlt, aber die ganze Kirche kann als ein Denkmal gelten."
„Als ein Denkmal für wen?"
„Für König Harald."
„Für den, den Editha Schwanenhals auf dem Schlachtfelde von Hastings suchte?"
„Für denselben."
„Ich habe während meiner Londoner Tage das Bild von Horace Vernet gesehn, das den Moment darstellt, wo die schöne Col de Cygne zwischen den Toten umherirrt. Und ich erinnre mich auch, daß zwei Mönche neben ihr herschritten. Aber weiter- weiß ich nichts. Und am wenigsten weiß ich, was daraus wurde."
„Was daraus wurde, — das ist eben der Schlußakt des Dramas. Und dieser Schlußakt heißt Waltham-Abbey. Die Mönche, deren Sie sich erinnern, und die da neben Editha herschritten, das waren Waltham-Abbeymönche, und als sie schließlich gefunden hatten, was sie suchten, legten sie den König auf dichtes Baumgezweig und trugen ihn den weiten Weg bis nach Waltham-Abbey zurück. Und da begruben sie ihn."
„Und die Stätte, wo sie ihn begruben, die haben Sie besucht?"
„Nein, nicht sein Grab; das existiert nicht. Man weiß nur, daß man ihn dort überhaupt begrub. Und als ich da, die Sonne ging eben unter, in einem uralten Lindengange stand, zwischen Grabsteinen links und rechts und das Abendläuten von der Kirche her begann, da war es mir, als käme wieder der Zug mit den Mönchen den Lindengang herauf, und ich sah Editha und sah auch den König, trotzdem ihn die Zweige halb verdeckten. Und dabei (wenn auch eigentlich der Papa schuld ist und nicht Sie, Gräfin) gedacht' ich Ihrer in alter und neuer Dankbarkeit."
„Und daß Sie mich besiegt haben. Aber das sage nur ich. Sie sagen es natürlich nicht, denn Sie sind nicht der Mann, sich eines Sieges zu rühmen, noch dazu über eine Frau. Waltham-Abbey kenn' ich nun, und an Ihre Phantasie glaub' ich von heut an, trotzdem Sie mich mit Traitors Gate im Stiche gelassen. Daß Sie nebenher noch, und zwar Armgard zu Ehren, in Martins le Grand waren, dessen bin ich sicher und ebenso, daß Sie Papas einzige Forderung erfüllt und der Kapelle Heinrichs des Siebenten Ihren Besuch gemacht haben, diesem Wunderwerk der Tudors. Welchen Eindruck hatten Sie von der Kapelle?"
„Den denkbar großartigsten. Ich weiß, daß man die herabhängenden Trichter, die sie,Tromben'nennen, unschön gefunden hat, aber ästhetische Vorschriften existieren für mich nicht. Was aus mich wirkt, wirkt. Ich konnte mich nicht satt sehen daran. Trotzdem, das Eigentlichste war doch noch wieder ein andres und kam erst, als ich da zwischen den Sarkophagen der beiden feindlichen Königinnen stand. Ich wüßte nicht, daß etwas je so beweglich und eindringlich zu mir gepredigt Hätte, wie gerade diese Stelle."
„Und was war es, was Sie da so bewegte?"
„Das Gefühl: zwischen diesen beiden Gegensätzen pendelt die Weltgeschichte. Zunächst freilich scheinen wir da nur den Gegensatz zwischen Katholizismus und Protestantismus zu haben, aber weit darüber hinaus (weil nicht an Ort und Zeit gebunden) haben wir bei tiesergehender Betrachtung den Gegensatz von Leidenschaft und Berechnung, von Schönheit und Klugheit. Und das ist der Grund, warum das Interesse daran nicht ausstirbt. Es sind große Typen, diese feindlichen Königinnen."
Beide Schwestern schwiegen. Dann sagte Melusine, der daran lag, wieder ins Heitere hinüber zu lenken: „Und nun, Armgard, sage, für wen von den beiden bist du?"
„Nicht für die eine und nicht für die andre. Nicht einmal für beide. Gewiß sind es Typen. Aber es giebt andre, die mir mehr bedeuten, und, um es kurz zu sagen, Elisabeth von Thüringen ist mir lieber als Elisabeth von England. Andern leben und der Armut das Brot geben — darin allein ruht das Glück. Ich möchte, daß ich mir das erringen könnte. Aber man erringt sich nichts. Alles ist Gnade."
„Du bist ein Kind," sagte Melusine, während sie sich mühte, ihrer Bewegung Herr zu werden. „Du wirst noch Unter den Linden für Geld gezeigt werden. Auf der einen Seite ,die Mädchen von Dahomey', auf der andern du."
Stechlin ging. Armgard gab ihm das Geleit bis auf den Korridor. Es war eine Verlegenheit zwischen beiden, und Woldemar fühlte, daß er etwas sagen müsse. „Welche liebenswürdige Schwester Sie haben."
Armgard errötete. „Sie werden mich eifersüchtig machen."
„Wirklich, Comtesse?"
„Vielleicht. . . Gute Nacht."
Eine halbe Stunde später saß Melusine neben dem Bett der Schwester und beide plauderten noch. Aber Armgard war einsylbig, und Melusine bemerkte wohl, daß die Schwester etwas auf dem Herzen habe.
„Was hast du, Armgard? Du bist so zerstreut, so wie abwesend."
„Ich weiß es nicht. Aber ich glaube fast..."
„Nun was?"
„Ich glaube fast, ich bin verlobt."
XXVI.
Und was die jüngere Schwester der älteren zugeflüstert hatte, das wurde wahr und schon wenige Tage nach diesem ersten Wiedersehn waren Armgard und Woldemar Verlobte. Der alte Graf sah einen Wunsch erfüllt, den er seit lange gehegt, und Melusine küßte die Schwester mit einer Herzlichkeit, als ob sie selber die Glückliche wäre."
„Du gönnst ihn mir doch?"
„Ach, meine liebe Armgard," sagte Melusine, „wenn du wüßtest! Ich habe nur die Freude, du hast auch die Last."
An demselben Abende noch, wo die Verlobung stattgefunden hatte, schrieb Woldemar nach Stechlin und nach Wutz; der eine Brief war so wichtig, wie der andre, denn die Tante-Domina, deren Mißstimmung so gut wie gewiß war, mußte nach Möglichkeit versöhnlich gestimmt werden. Freilich blieb es fraglich, ob es glücken würde.
Zwei Tage später waren die Antwortbriefe da, von denen diesmal der Wutzer Brief über den Stechliner siegte, was einfach daran lag, daß Woldemar von Wutz her nur Ausstellungen, von Stechlin her nur Entzücken erwartet hatte. Das traf aber nun Beides nicht zu. Was die Tante schrieb, war durchaus nicht so schlimm (sie beschränkte sich auf Wiederholung der schon mündlich von ihr ausgesprochenen Bedenken), und was der Alte schrieb, war