Heft 
(1898) 13
Seite
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Na ja. Aber was hat das mit dem Hubertus zu schaffend"

Kläre bemerkte, daß ihr die Seide ausgegangen sei. Sie ging hinaus, um neue zu holen. Draußen auf der Treppe trillerte sie wie eine Lerche, die der Gefangenschaft glücklich entschlüpft ist.

Gott sei Dank!" sagte Tante Sophie und hob die Angen gen Himmel.Das war nichts für das Kind."

Zum Kuckuck, was habt ihr deund" fragte Berghauer mißtrauisch.Was soll die ganze feier­liche Vorrede?"

Ich habe dir Dinge von dem jungen Herrn mitzuteilen" Der Professor warf einen Blick auf Lotte.

Wollt ihr etwa die Lolo auch 'rausschickeu? Lolo, bist du feig?"

Nein, Papa," sagte Lotte ruhig. Aber er be­merkte, daß ein nervöses Zittern ihren Körper durchflog.

So blieb es ihr also doch nicht erspart. Auf Tante Sophies Gesicht lag die innigste Genug- thuung, daß Lotten endlich die Augen geöffnet werden sollten überihren Dichter". Das gab dieser die Kraft, ruhig auf ihrem Platz zu bleiben, obgleich sie am liebsten davongelaufen wäre.

Ihr kennt die ,Buße'," sagte der Professor feierlich,die Geschichte eines sündigen Paares, das seinen Fehltritt durch eine Heirat kurz vor Thores- schluß noch zu vertuschen sucht, aber aber! Die beleidigte Sitte! Sie rächt sich fürchterlich an ihnen. So oft sie auch versuchen, sich wieder unter die anständigen Leute zu mischen es gelingt ihnen nicht. Der Fleck ist nicht auszulöschen. Und so bleibt ihnen nichts als der Tod."

Ja," murmelte Berghauer,so machen wir's! Wenn eins ausgeglitten ist und sich im Staube wälzt und nicht wieder empor kann ohne eine reine helfende Hand wir lassen ihn liegen. Vielleicht stoßen wir ihn noch mit einem Fußtritt zur Seite, wenn er uns im Wege liegt. Das ist unsre viel­gerühmte Sittlichkeit "

Das Stück," sagte der Professor mit erhobener Stimme,ist eine Art Beichte."

Was? Er hat doch nicht irgendwo eine Frau fitzen, der Schwarz?"

So weit geht die Aehnlichkeit allerdings nicht. Aber bis zu einem gewissen Punkt, es ist auch Nachwuchs da"

Berghauer blieb ganz ruhig.Hab' mir längst so was gedacht. Das Pathos in dem Stück! Die wilde Empörung das ist erlebt, das saugt sich einer nicht aus den Fingern. Wer ist denn die Person?"

Der Professor wurde ganz eifrig.

Ja, das schlimmste ist: sie hat in der Marien­straße einen kleinen Papierkram dicht neben der Seibtschen höheren Töchterschule. Unsre Kinder, die Heranwachsenden jungen Mädchen aus den besten Familien kaufen von diesem äh Frauen­zimmer. Unterstützen also ein solches Geschöpf auf Kosten unsrer anständigen Frauen und Mädchen."

^ Berghauer lächelte grimmig. Er murmelte etwas,

Aber ich kenne meine Pflicht," fuhr der Pro­fessor unerschütterlich fort.Ich werde nicht ver­fehlen, Herrn Direktor Seibt, der mir befreundet ist, auf diesen Umstand aufmerksam zu machen."

In Berghauers breiter Brust arbeitete es, als wollte ein Sturm losbrechen. Er ruckte ein paar­mal vom Stuhle aus, blieb aber ruhig sitzen und brachte es nach einiger Zeit fertig, zu lächeln.Na, entschuldige, Professor, da hätt' ich mir bald 'ne Grobheit zu schulden kommen lassen. Sieh mal, sein sänd' ich's nicht, wenn du das Weib, das für sein Kind arbeitet, um sein Brot bringen wolltest. Aber thu's, wenn dir's dein Sittengesetz befiehlt. Ich Hab' mich in meinem langen Leben schon an alle möglichen ,sittlichen Forderungen' gewöhnen müssen. Kurios, die Leute. . . Also gut. Du hast mir die Geschichte gewiß in bester Absicht beigebracht?"

Lieber Wilhelm deine Töchter!" sagte der Professor tief durchdrungen.

Ganz meine Meinung," fügte Tante Sophie mit eiserner Ruhe hinzu.Ich würde nicht den Mut haben, einem Manne mit diesen moralischen Quali­täten fernerhin mein Haus"

Ueber Land und Meer.

Lolo!" ries Berghauer, den Arm um die Schulter seiner Tochter schlingend,sag du unsern guten Leutchen, daß sie sich unnütze Bedenken machen! Was, so ein Kerl! Ein ganzer Kerl voll Kraft und Mark! Schand' und Sünde wür's, ihn laufen zu lassen, weil er mal eine na! Unregel­mäßigkeit"

Aber Lotte richtete sich heftig aus seinen Armen aus. Jetzt glühte ihr ganzes Gesicht. Ihre Augen waren weit geöffnet in Qual, Stolz, Scham und jungfräulicher Abwehr.Nein, Papa, laß ihn nicht wiederkommen!" sagte sie hart.

Berghauer sah sie voll tiefster Bestürzung an. Aber Mädel! Ist denn das mein Mädel? Groß sein, Kind! Dem Gestrauchelten aufhelfen. Kannst du's nicht?"

Nein!" sagte Charlotte leise, aber unerschütterlich.

Die Tante strich ihr sanft übers Haar.Lottchens weiblicher Takt," sagte sie,hat entschieden."

Der Professor lächelte zufrieden.Die Majorität, lieber Wilhelm! Die Majorität erdrückt dich!"

Er verabschiedete sich und ging mit den Schritten eines Siegers hinaus. Tante Sophie begleitete ihn.

Berghauer sah schmerzvoll enttäuscht aus seine Tochter und schüttelte langsam den Kops.

Da blickte Lotte, die still und steinern dagestanden hatte, zu ihm aus, so verwirrt, arm, betrogen, so beraubt und glücklos, daß er sie in überwallendem Mitleiden an seine Brust drückte.Mein armes Kind!" murmelte er.

Es war im Hochsommer um die Mitte des August.

In Huberts niedrigem Zimmer, das dicht unterm Dache lag, brütete eine wahrhaft tropische Hitze. Die Wände, die Decke, der Fußboden, alles schien in diesem mit Menschen vollgepfropften Hause Glut auszustrahlen. Das Fenster war geöffnet. Aber was von draußen hereinkam aus der engen Gasse, war weder Frische noch Bewegung. In schwülen Stößen, staubgesättigt, dunstig, fuhr es manchmal über den Schreibtisch hin und wühlte in dem Durch­einander, das dort herrschte, oder strich über das aus Kästen und Schränken herausgeriffene bewegliche Eigentum Huberts.

Ein paar bescheidene Koffer standen schon halb gefüllt. Hubert hatte die Joppe abgeworfen und schuftete" in Hemdärmeln wie ein Handwerker. Das Packen war ihm eine saure Arbeit.

Er war trotz der körperlichen Bewegung, trotz des Schweißes, der ihm von der Stirn perlte, fahl von Farbe. Das dunkle Haar klebte in schweren Strähnen zusammen und hing ihm schlangengleich bis über die Brauen. Er sah schlecht aus, herab­gekommen, wenigstens körperlich aber wie einer, der zu allem fähig ist.

Aus dem Nachbarzimmer erscholl ein regelmäßiges Klopfen und Hämmern. Er hörte nicht darauf. Nur manchmal fiel es ihm aus. Dann segnete er den braven Schuster, der so fleißig seine Flickarbeit that. Der hatte ihn herausgeklopft aus der langen Lethargie, der er zuletzt verfallen war.

Schlimme Zeiten hatte er hinter sich.

Die Sommerglut schien auch sein Gehirn aus­zudörren. Er hatte brach gelegen, Wochen- und monatelang und in vergeblichen Anläufen seine Kraft zersplittert. Es war immer weiter bergab gegangen mit ihm. Aber er hatte es zwingen wollen und ausgehalten und immer von neuem versucht. Bis eines Morgeus dasKlopf, Klopf" nebenan erscholl.

Das war der Tropfen gewesen, der das rand­volle Gefäß überlaufen ließ. Eine Scene mit seiner Wirtin, in der ihm der Ekel vor diesem Weibe, vor diesen Verhältnissen bis an den Hals stieg und der große Entschluß war geboren. Hubert Schwarz brach mit allem, was nicht seinTalent" war.

Er ging fort.

Das bißchen Wäsche war bald untergebracht, die Bücher auch. Jetzt war er über den Inhalt des Schreibtisches gekommen, und nun wurde die Sache interessanter, bedenklicher. Was steckte alles in dem großen altmodischen Möbel! Seine Entwürfe, un­geborene Werke . . . eine Fülle von Gedanken, Hoff­nungen, von Bitterkeit und Enttäuschung. Ein Auto­dafe mitten im Sommer, bei dem der kleine Ofen, der im Winter so karg gehalten war, lustig knisterte und rauchte Hubert Schwarz hatte die Spreu

vom Weizen geschieden mit wahrhaft drakonischer Härte gegen sich selbst.

Dann kamen die Briefe meist Geschäftliches. Aber auch Berghauers letzte Zeilen kamen ihm in die Hände. Trotz der drängenden Zeit nahm er doch das Schreiben aus dem Couvert und überlas es noch einmal. Und wieder traf ihn der väterlich herzliche Ton des Mannes.

Der Brief war im April verfaßt, kurz vor einer Reise, die der Konsul mit seinen beiden Töchtern zu unternehmen gedachte. Charlotte habe große Lust geäußert, noch eine Weile bei den Spaniern und Franzosen in die Schule zu gehn. Er selber, der die größte Freude an ihrem Eifer und an ihren Fortschritten habe, gönne ihr von Herzen eine Auf­frischung und sich dazu. Leider sei es ihm nicht mehr möglich, da die Sache ein bißchen schnell ge­kommen, seinem jungen Freunde persönlich Lebewohl zu sagen. Er thäte es deshalb hierdurch und bäte Hubert, wenn er irgend den Rat eines Freundes bedürfe, sich an ihn zu wenden, und so weiter.

Während Hubert den Brief langsam znsammen- saltete, überkam ihn mit frischer Gewalt das Gefühl, das ihn beim Empfang der Nachricht überfallen hatte. Eine Bitterkeit ohnegleichen. Aha! Sie laufen davon! Die bequemste und sashionabelste Art, unliebsame Leute abzuschütteln, voreilig gegebene Versprechen und Freundschaftsversicherungen un­geschehen zu machen.

Nun, er brauchte sie nicht. Er würde sie nie bemüht haben, diese vornehmen Leute. Warum hatte er sich auch eingebildet selbst noch eine Weile nach der letzten Begegnung mit Charlotte! Er war ein Thor gewesen. Diese Antwort ließ an Deutlich­keit nichts zu wünschen übrig. Er konnte ihnen noch dankbar sein, daß sie eine so schnelle Entscheidung herbeigeführt hatten.

Indem er den Brief in ein Päckchen einordnete, wurde draußen an der Klinke gerüttelt, und die un­verschlossene Thür prallte so plötzlich auf, daß der Besucher auf einmal mitten im Zimmer stand. Jedenfalls zu seiner eignen größten Ueberraschung.

Es war Karl Wedekind, der ein sehr verlegenes Gesicht machte, dann aber laut zu lachen anfing und ungläubig den Kopf schüttelte.

Immer noch bei offenen Thüren, Mensch?"

Nun aber stutzte er von neuem, sah umher auf die Unordnung, die halbgepackten Koffer, die Glut im Ofen und sank fassungslos in den nächsten Stuhl.

Was geht denn hier vor?" fragte er nach einer Weile. Die vier Treppen hatten ihn atemlos gemacht. Die furchtbare Hitze färbte sein behagliches Gesicht so dunkelrot, daß es fast einen, beängstigenden Ein­druck machte.

Ich wäre heut nachmittag noch zu dir gekommen, .Kindlein," sagte Hubert kühl gelassen.Abschieds­visite. Ich reise morgen."

Na, Gott sei Dank, daß du dich mal heraus- reißst," rief Karl in seinem herzlichsten Ton. Er sah Hubert lange aufmerksam an.Wird dir gut- thun, Hubertus. Hast's, weiß Gott, nötig."

Ein finsteres Lächeln flog um Huberts Mund. Hast dich ja lange nicht blicken lassen."

Nein, wahrhaftig, 's sind, glaub' ich, drei Monate her," brummte Karl, dessen Farbe jetzt ins Violette hinüberspielte. Er wirtschaftete mit dem Taschentuche aus seinem Gesicht herum, tupfte, wischte, fächelte sich, als käme er gar nicht wieder zu sich vor Hitze.Weißt du," stieß er dabei abgebrochen hervor,es macht sich jetzt nämlich. Sie kommen mir schon. Geschäft nimmt riesigen Aufschwung, haha, wie man so sagt. Na, ich Han' sie ja auch nicht übers Ohr als junger Anfänger. . . Gott ja, man giebt sich Mühe..."

Ich weiß die Ehre auch gebührend zu schätzen."

Welche Ehre?" Karl ließ die Hand mit dem Taschentuch ruhen und sah unbefangen auf.

Herrgott, daß du dich zu mir bemühst, vier Treppen hoch . . . uud bei der infernalischen Hitze

(Fortsetzung folgt.)

Spruch.

Viel Sorgen Hab' ich schweigend getragen, Viel Schmerzen Hab' ich schweigend verlacht, Am schwersten aber trug ich die Sorgen,