Heft 
(1898) 14
Seite
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Weber Land und Meer.

gesellschaftlichen Pflichten entziehst, auch heute nicht, trotz des Ernstes der Stunde. Gesellschaftlichkeiten sind auch Pflichten. Und die Barbyschen Damen ich erinnere mich der Familie werden gerade wegen der Trauer, in der wir stehn, in deinem Er­scheinen eine besondre Freundlichkeit sehn. Und das ist genau das, was ich wünsche. Denn die Comtesse wird über kurz oder lang unsre nächste Nachbarin sein." Aber Katzler war fest geblieben und hatte betont, daß es Höheres gäbe als Gesellschaftlichkeiten, und daß er durchaus wünsche, daß dies gezeigt werde. Der Prinzessin Auge hatte während dieser Worte hoheitsvoll auf Katzler geruht, mit einem Aus­druck, der sagen zu wollen schien:Ich weiß, daß ich meine Hand keinem Unwürdigen gereicht habe."

Katzler also fehlte. Doch auch Kofeleger, trotz seiner Zusage, war noch nicht da, so daß Dubslav in die sonderbare Lage kam, sich den Quaden- Hennersdorfer, aus dem er sich eigentlich nichts machte, herbeizuwünschen. Endlich aber fuhr Kose­leger vor, sein etwas - verspätetes Kommen mit Dienstlichkeiten entschuldigend. Unmittelbar danach ging man zu Tisch, und ein Gespräch leitete sich ein. Zunächst wurde von der Nordbahn gesprochen, die, seit der neuen Kopenhagener Linie, den ihr von früher her anhaftenden Schreckensnamen siegreich über­wunden habe. Jetzt heiße sie dieApselsinenbahn", was doch kaum noch übertroffen werden könne. Dann lenkte man auf den alten Grasen und seine Be­sitzungen im Graubündischen über, endlich aber auf den langen Aufenthalt der Familie drüben in Eng­land, wo beide Töchter geboren seien.

Dies Gespräch war noch lange nicht erledigt, als man sich von Tisch erhob, und so kam es, daß sich das Plaudern über eben dasselbe Thema beim Kaffee, der im Gartensalon und zwar in einem Halbzirkel um den Kamin herum eingenommen wurde, fortsetzte. Dubslav sprach sein Bedauern aus, daß ihn in seiner Jugend der Dienst und später die Verhältnisse daran gehindert hätten, England kennen zu lernen; es sei nun doch mal das vorbildliche Land, eigentlich für alle Parteien, auch für die Konservativen, die dort ihr Ideal mindestens ebenso gut verwirklicht fänden wie die Liberalen. Lorenzen stimmte lebhaft zu, während andrerseits die Domina ziemlich deutliche Zeichen von Ungeduld gab. Eng­land war ihr kein erfreuliches Gesprächsthema, was selbstverständlich ihren Bruder nicht hinderte, dabei zu verharren.

Ich möchte mich," fuhr Dubslav fort,in dieser Angelegenheit an unsern Herrn Superinten­denten wenden dürfen. Waren Sie drüben?"

Leider nein, Herr von Stechlin, ich war nicht drüben, sehr zu meinem Bedauern. Und ich hätt' es so leicht haben können. Aber es ist immer wieder die alte Geschichte: was man in ein paar

Stunden und mitunter in ein paar Minuten er­reichen kann, das verschiebt man, eben weil es so nah' ist, und mit einemmal ist es zu spät. Ich war Jahr und Tag im Haag, und von da nach Dover hinüber war nicht viel mehr als von Trep­tow nach Stralau. Trotzdem unterblieb es, oder richtiger gerade deshalb. Daß ich den Tunnel oder den Tower nicht gesehn, das könnt' ich mir verzeihn. Aber das Leben drüben! Wenn irgendwo das

vielcitierte Wort von demin einem Tage Mehr­gewinnen, als in des Jahres Einerlei" hinpaßt, so da drüben. Alles modern und zugleich alles alt, eingewurzelt, stabilisiert. Es steht einzig da; mehr als irgend ein andres Land ist es ein Produkt der Zivilisation, so sehr, daß die Neigungen der Menschen kaum noch dem Gesetze der Natur folgen, sondern nur noch dem einer verfeinerten Sitte."

Die Domina fühlte sich von dem allem mehr und mehr unangenehm berührt, besonders als sie sah, daß Melusine, zu dem was Koseleger ausführte, beständig zustimmend nickte. Schließlich wurd' es ihr zuviel.Alles, was ich da so höre," sagte sie, kann mich für dieses Volk nicht einnehmen, und weil sie auf allen Seiten von Wasser umgeben sind, ist alles so kalt und feucht, und die Frauen, bis in die höchsten Stände hinauf, sind beinah' immer in einem Zustand, den ich hier nicht bei Namen nennen mag. So wenigstens hat man mir erzählt. Und wenn es dann neblig ist, dann kriegen sie das, was sie den Spleen nennen, und fallen zu Hunderten ins Wasser, und keiner weiß, wo sie geblieben sind.

Denn, wie mir unser Rentmeister Fix, der drüben war, aufs Wort versichert hat, sie stehen in keinem Bnch und haben auch nicht einmal das, was wir Einwohnermelde-Amt nennen, so daß man beinah' sagen kann, sie sind so gut wie gar nicht da. Und wie sie kochen und braten! Alles fast noch blutig, besonders das, was wir hier , englische Beefsteaks' nennen. Und kann auch nicht anders sein, weil sie so viel mit Wilden umgehn und gar keine Gelegen­heit haben, sich einer feineren Gesittung anzuschließen."

Koseleger und Melusine wechselten beständig Blicke. Die Domina aber sah nichts davon und fuhr unentwegt fort:Fix ist ein guter Beobachter, auch von Sittenzuständen, und einer ihrer Könige, worüber ich auch schon als Mädchen einen Aufsatz machen mußte, hat fünf Frauen gehabt, meist Hof­damen. Und eine hat er köpfen lassen und eine hat er wieder nach Hanse geschickt. Und war noch dazu eine Deutsche. Und sie sollen auch keinen eigentlichen Adel mehr haben, weil mal ein Krieg war, drin sie sich umschichtig enthaupteten, und als alle weg waren, haben sie gewöhnliche Leute 'rangezogen und ihnen die alten Namen gegeben, und wenn man denkt, es ist ein Gras, so ist es ein Bäcker oder höchstens ein Bierbrauer. Aber viel Geld sollen sie haben, und ihre Schiffe sollen gut sein und dauer­haft und auch sehr sauber, fast schon wie holländisch; aber in ihrem Glauben sind sie Zersplittert und sangen auch schon wieder an katholisch zu werden."

Der alte Dubslav, als die Schwester mit ihrem Vortrag über England einsetzte, hatte sich mit einem Schicksal, nimm deinen Lauf" sofort resigniert. Woldemar aber war immer wieder und wieder be­müht gewesen, einen Themawechsel eintreten zu lassen, worin er vielleicht auch reüssiert hätte, wenn nicht Koseleger gewesen wäre. Dieser entweder weil er als ästhetischer Feinschmecker an Adelheids Auslassungen ein aufrichtiges Gefallen fand oder aber weil er die von ihm selbst angeregte Frage hinsichtlich Natur und Sitte" (die sein Steckenpferd war) gern weiter spinnen wollte hielt an England fest und sagte:Die Frau Domina scheint mir davon aus- zngehn, daß gerade der natürliche, mitunter schon an den Wilden grenzende Mensch drüben in vollster Blüte steht. Und ich will das auch uicht in jedem Punkte bestreiten. Aber daneben begegnen wir einem Lebens- und Gesellschafts-Raffinement, das ich, trotz manchem Anfechtbaren, als einen höchsten Kulturausdruck bezeichnen muß. Ich erinnere mich unter anderm eines gerade damals geführten Pro­zesses, über den ich, als ich im Haag lebte, meiner kaiserlichen Hoheit täglich Bericht erstatten mußte (Higll Ute-Prozesse gingen ihr über alles), und der Gegenstand, um den sich's dabei handelte, war so recht der Ausdruck eines verfeinerten oder meinet­wegen auch überfeinerten Kulturlebens. So recht das Gegenteil von bloßem Naturburschentum. Es ist freilich eine ziemlich lange Geschichte..."

Schade," sagte Dubslav.Aber trotzdem, wenn überhaupt erzählbar..."

O, gewiß, gewiß; das denkbar Harmloseste..."

Nun denn, lieber Superintendent, wenn wirklich harmlos, so mach' ich mich ohne weiteres zum Anwalt unsrer gewiß neugierigen Damen, meine Schwester, die Domina, mit eingeschloffen. Wie war es? Wie verlief die Geschichte, für die sich eine Kaiserliche Hoheit interessieren konnte?"

Wenn es denn sein soll," nahm Koseleger lang­sam und wie bloß einer Pression nachgebend, das Wortes war da also zu jener Zeit eine schöne Her­zogin in London, die's nicht ertragen konnte, daß die Jahre nicht spurlos an ihr vorübergehen wollten. Fältchen und Krähenfüße zeigten sich. In dieser Be­drängnis hörte sie von ungefähr von einer .plastischen Künstlerin', die durch Auftrag einer Wachspaste die Jugend wieder herzustellen wisse. Diese Künstlerin wurde gerufen, und die Wiederherstellung gelang auch. Aber nun traf eines Tages die Rechnung ein, ,die Bill', wie sie da drüben sagen. Es war eine Summe, vor der selbst eine Herzogin erschrecken durfte. Und da die Künstlerin auf ihrer Forderung beharrte, so kam es zu dem angedeuteten Prozeß, der sich alsbald zu einer cmuss eelobre gestaltete."

Sehr begreiflich," versicherte Dubslav, und Melusine stimmte Zu.

Zahlreiche Personen traten in der Verhandlung auf, und als Sachverständige wurden zuletzt auch

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Konkurrentinnen auf diesem Spezialgebiete der .plastischen Kunst' vernommen. Alle fanden die Forderung erheblich zu hoch, und der Sieg schien sich rasch der Herzogin zuneigen zu wollen. Aber in eben diesem Augenblicke trat die sich arg bedrängt sehende Künstlerin an den Vorsitzenden des Gerichts­hofes heran und bat ihn, an die erschienenen Fach­genossinnen einfach die Frage nach der Dauer der durch ihre Kunst wiederhergestellten Jugend und Schönheit richten zu wollen, eine Bitte, der der Oberrichter auch sofort nachkam. Was darauf ge­antwortet wurde, lautete hinsichtlich der Dauer sehr verschieden. Als aber, so verschieden die Zeitangaben waren, keine der Konkurrentinnen mehr als ein Vierteljahr zu garantieren wagte, wandte sich die Verklagte ruhig an den hohen Gerichtshof und sagte nicht ohne Würde: Meine Herren Richter, meine Mitküustlerinnen, wie Sie soeben vernommen, helfen auf Zeit; was ich leiste, nennt sich tor

6V6r'. Alles war von diesem Worte hingerissen, der hohe Gerichtshof mit, und die Herzogin hatte die Niesensumme zu zahlen."

Und wäre dergleichen Hierlandes möglich?" fragte Melusine.

Ganz unmöglich," entgegnete der für alles Fremde schwärmende Koseleger.Es kann hier ein­fach deshalb nicht Vorkommen, weil uns der dazu nötige Kulturzustand und die dem entsprechende An­schauung fehlt. In unserm guten Preußen, und nun gar in der Mark, sieht man in einem derartigen Hergange nur das Karikierte, günstigsten Falls das Groteske, nicht aber jenes Hochmaß gesellschaftlicher Verfeinerung, aus dem allein sich solche Dinge, daran man im übrigen das Raffinement belächeln oder verurteilen mag, entwickeln können."

Die meisten waren einverstanden, allen vorauf Dubslav, dem dergleichen immer einleuchtete, wäh­rend die Domina vonHorreur" sprach und sichtlich unmutig den Kopf hin und her bewegte. Woldemar erneute natürlich feine Versuche, die der Tante so mißfällige Konversation auf andres überzulenken, bei welcher Gelegenheit er nach dem Berühren ver­schiedenster Themata zuletzt auch auf den Covent- gardenmarkt und den englischen Gemüsebau zu sprechen kam. Das paßte der Domina.

Ja, Gemüsebau," sagte sie,dasist eine wunder­bare Sache, daran hat man eine wirkliche Freude. Kloster Wutz ist eigentlich eine Gartengegend; unser Spargel ist denn auch weit und breit der beste, und meine gute Schmargendorfs hat Artischocken gezogen, so groß wie 'ne Sonnenblume. Freilich, es will sie keiner so recht, und alle sagen immer: ,es dauert so lange, wenn man so jedes Blatt nehmen muß, und eigentlich hat man nichts davon, auch wenn die Sauce noch so dick ist.' Viel mehr Glück hat unsre alte Schimonski mit ihren großen Erdbeeren ich meine natürlich nicht sie selber, sie selber kann gar nichts, aber sie hat eine sehr geschickte Person um sich und ein Berliner Händler kauft ihr alles ab, bloß daß die Schnecken oft die Hälfte der Erdbeere weg- fressen. Man sollte nicht glauben, daß solche Tiere solchen feinen Geschmack haben. Aber wenn es wegen der Schnecken auch unsicher ist, Dubslav, du solltest solche Zucht doch auch versuchen. Wenn es einschlägt, ist es sehr vorteilhaft. Die Schimonski wenigstens hat mehr davon als von ihren Hühnern, trotzdem sie gut legen. Denn mal sind sie billig, die Eier, und dann wieder verderben sie, und die schlechten werden einem berechnet und abgezogen, und die Streiterei nimmt kein Ende."

Kurz vor elf brach das Gespräch ab, und man zog sich zurück. Der alte Dubslav ließ es sich nicht nehmen, die Damen persönlich treppauf bis an ihre Zimmer zu führen und sich da unter Handkuß von ihnen zu verabschieden. Es waren dieselben zwei Räume, die vor gerad' einem Vierteljahr Rex und Czako bewohnt hatten, das größere Zimmer jetzt für Melusine, das kleinere für Armgard bestimmt. Aber als nun beide vor ihren Reise­taschen standen und sich oberflächlich daran zu thun machten, sagte Melusine:Dies Himmelbett ist also für mich. Wenn es dir gleich ist, beziehe du lieber dies Ehrenlager und lasse mir das kleine Schlafzimmer. Zusammen sind wir ja doch; die Thür steht auf."

Ja Melusine, wenn du's durchaus wünscht, dann natürlich. Aber ich verstehe dich nicht recht. Man will dich auszeichnen, und wenn du das ablehnst, so