Heft 
(1898) 14
Seite
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Ueber Land und Meer.

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kann es auffallen. Man muß doch in einem Hause, wo man noch halb fremd ist, alles so thun, wie's ge­wünscht wird."

Melusine ging auf die Schwester zu, sah sie halb verlegen, halb schelmisch an und sagte:Natür­lich hast du recht. Aber ich bitte dich trotzdem darum. Und es braucht es ja auch keiner zu merken. Direkte Kontrolle wird ja wohl ausgeschlossen sein, und ich mache keine tiefere Kute wie du."

Gut, gut," lachte Armgard.Aber sage, was soll das alles? Du bist doch sonst so leichtlebig. Und wenn es dir hier in dem ersten Zimmer, weil es so nah' an der scharfen Flurecke liegt, wirk­lich etwas ängstlich zu Mute sein sollte, nun so können wir ja zuriegeln."

Das hilft nichts, Armgard. In solchen alten Schlössern giebt es immer Tapetenthüren. Und was das hier angeht," und sie wies auf das Bett,alle Spukgeschichten sind immer gerad' in Himmelbetten passiert; ich habe noch nie gehört, daß Gespenster an eine Birkenmaserbettstelle herangetreten wären. Und hast du nicht unten den mwtw-toe gesehn? Mistel­busch ist auch noch so Ueberbleibsel aus heidnischer Zeit her, bei den alten Deutschen gewiß und bei den Wenden wohl auch, für den Fall, daß die Stechlins wirkliche Wenden sind. Wenn ich Tante Adelheid an­sehe, glaub' ich es beinah'. Und wie sie von den Hühnern sprach und den Eiern. Alles so wendisch. Ich glaube ja nicht eigentlich an Gespenster, wiewohl ich auch nicht ganz dagegen bin, aber wie dem auch sein möge, wenn ich mir denke, Tante Adelheid er­schiene mir hier und brächte mir eine Erdbeere, die die Schnecken schon angeknabbert haben, so wäre das mein Tod."

Armgard lachte.

Ja, du lachst, aber hast du denn die Augen von ihr gesehn? Und hast du ihre Stimme gehört? Und die Stimme, wie du weißt, ist doch die Seele."

Gewiß. Aber, Seele oder nicht, sie kann dir doch nichts thun mit ihrer Stimme und dir auch nicht erscheinen. Und wenn sie doch kommt, so kannst du mich ja rufen."

Am liebsten wär' es mir, du bliebst gleich bei mir."

Aber Melusine..."

Nun gut, nun gut. Ich sehe wohl ein, daß das nicht gut geht. Aber was andres! Ich habe da vorhin eine Bibel oder vielleicht auch bloß ein Ge­sangbuch liegen sehn, da auf dem Brettchen, wo die kleine Puppe steht. Beiläufig auch was Sonder­bares, diese Puppe. Bitte, nimm die Bibel von der Etagere fort und lege sie mir hier auf den Nachttisch. Und das Licht laß brennen. Und wenn du im Bett liegst, sprich immer zu, bis ich einschlafe."

XXVIII.

Am andern Morgen traf man sich beim Früh­stück. Es war ziemlich spät geworden, ohne daß Dubslav, wie das sonst wohl auf dem Lande Gewohnheit ist, ungeduldig geworden wäre. Nicht dasselbe ließ sich von Tante Adelheid sagen.Ich finde das lange Wartenlassen nicht gerade passend, am wenigsten Personen gegenüber, denen man Re­spekt bezeigen will. Oder geh' ich vielleicht zu weit, wenn ich hier von Nespektbezeigung spreche?" So hatte sich Adelheid zu Dubslav geäußert. Als nun aber die Barbyschen Damen wirklich erschienen, bezwang sich die Domina und stellte all die Fragen, die man an solchem Begrüßungsmorgen zu stellen pflegt. In aller Unbefangenheit antworteten die Schwestern, am unbefangensten Melusine, die bei der Gelegen­heit dem alten Dubslav denn auch erzählte, daß sie nicht umhin gekonnt hätte, sich die Bibel an ihr Bett zu legen."

Und mit der Absicht, drin zu lesen?"

Beinah'. Aber es wurde nichts daraus. Arm­gard plauderte so viel, freilich auf meinen Wunsch. Ich hörte von der Treppe her immer die Uhr schlagen und las dabei .Museum'. Aber das war natürlich schon im Traum. Ich schlief schon ganz fest. Und heute früh bin ich wie der Fisch im Wasser."

Dubslav hätte dies gern bestätigt, dabei nach einem Spezialfisch suchend, der so recht zum Vergleich für Melusine gepaßt hätte. Die Blicke seiner Schwester aber, die zu fragen schienenhast du gehört?" ließen ihn wieder davon abstehn, und nachdem noch einiges über den großen Oberflur und seine Bilder und Schränke

gesprochen worden war, wurde, genau wie vor einem Vierteljahr, wo Rep und Ezako zu Besuch da waren, ein Programm verabredet, das dem damaligen sehr ähnlich sah: Aussichtsturm, See, Globsow; daun auf dem Rückwege die Kirche, vielleicht auch Krippen­stapel. Und zuletzt dasMuseum". Aber manches davon war unsicher und hing vom Wetter ab. Engelke wurde beauftragt, mit Plaids und Decken voraus­zugehn und ein paar Leute zum Wegschauseln des Schnees mitzunehmen, lediglich für den Fall, daß die Damen vielleicht Lust bezeigen sollten, die Sprudel- und Trichterstelle genauer zu studieren.Und wenn wir auf unserm Hofe keine Leute haben, so geh ins Schulzenamt und bitte Rolf Krake, daß er aushilft."

Melusine, die dieser Befehlserteilung zugehört hatte, war überrascht, in einem märkischen Dorfe dem NamenRolf Krake" zu begegnen, und erfuhr denn auch alsbald den Zusammenhang der Dinge. Sie war ganz enchantiert davon und sagte:Das ist hübsch. Aller ausgesteister Patriotismus ist mir ein Greuel, aber wenn er diese Formen annimmt und sich in Humor und selbst in Ironie kleidet, dann ist er das beste, was man haben kann. Ein Mann, der solchen Beinamen hat, der lebt, der ist in sich eine Geschichte." Dubslav küßte ihr die Hand, Adelheid aber wandte sich demonstrativ ab; sie wollte nicht Zeuge dieser ewigen Huldigungen sein. Wenn man ein alter Major ist, ist man eben ein alter Major und nicht ein junger Lieutenant. Dubs­lav ist zwanzig, aber zwanzig Jahr a. D."

Es war gegen zehn, als man aufbrach, uni zu­nächst auf den Aussichtsturm zu steigen, und nachdem man da von der obersten Etage her die Waldland­schaft, die sich auch in ihrem Schneeschmuck wundervoll ausnahm, gebührend bewundert und dann den Ab­stieg glücklich bewerkstelligt hatte, passierte man den Schloßhof mit der Glaskugel, um über den Dorfplatz fort in die nach dem See hinuntersührende große Straße einzubiegen. Aus dem Dorsplatze war alles winterlich still, nur vor dem Kruge standen drei Menschen: Engelke, der die Schneeschipper voraus- geschickt hatte, mit seinen Plaids über dem Arm, neben ihm Schulze Kluckhuhn und neben diesem Gendarm Uncke, das Karabinergewehr über die Schulter gehängt.

Da treffen wir ja die ganze hohe Obrigkeit," sagte Dubslav.Engelke kann ich auch mitrechnen, der regiert mich, is also eigentlich die Feudalitäts- spitze."

Während dieser Worte waren die Herrschaften an die Gruppe herangetreten.

Freut mich, daß ich Sie treffe, Kluckhuhn. Ich denke, Sie begleiten uns. . . Frau Gräfin, darf ich Ihnen hier unfern Dorsherrscher vorstellen? Schulze Kluckhuhn, alter Vierundsechziger."

Und nun ordnete sich der Zug. Dubslav und Uncke schlossen ab, Woldemar, Armgard und Tante Adelheid hielten die Mitte; Melusine schritt voran, Rolf Krake neben ihr.

Ich bin froh," sagte Melusine,Sie bei dieser Partie mit dabei zu sehn. Der alte Herr von Stechlin hat mir schon von Ihnen erzählt und daß Sie vierund- sechzig mit dabei gewesen. Und ich weiß auch Ihren Namen; das heißt den zweiten. Und ich darf sagen, ich freue mich immer, wenn ich so was Hübsches höre."

Ach, Rolf Krake," lachte Kluckhuhn.Ja, Frau Gräfin, wer den Schaden hat, darf für den Spott nicht sorgen. Das heißt, von ,Schaden' darf ich eigentlich nicht reden, den Hab' ich nicht so recht davon gehabt; ich bin nicht mal angeschossen worden. Und doch is so was billig, wenn's erst losgeht."

Ja, 'nem armen Frauenzimmer ich mag mich Ihnen, Schulze Kluckhuhn, hier nicht als Dame vor­stellen, als armem Frauenzimmer ist einem so was verschlossen oder, wie die Leute hier sagen, verpurrt. Und doch ist das das eigentliche Leben. So immer bloß einsitzen und ein bißchen Lharpie zupfen, das ist gar nichts. Mit dabei sein, das macht glücklich. Es war aber doch wohl ein eignes Gefühl, als Sie da so nach Alsen 'rüberfuhren und der Rolf Krake dicht daneben lag."

Ja, das war es, Frau Gräfin, ein ganz eignes Gefühl. Und mitunter erscheint mir der Rolf Krake noch im Traum. Un is auch nicht zu verwundern. Denn Rots Krake war wie ein richtiges Gespenst. Und wenn solch Gespenst einen packt, ja, da ist man weg.

Und dabei bleib' ich, sechsundsechzig war nicht viel und siebzig war auch nicht viel."

Aber die großen Verluste..."

Ja, die Verluste waren groß, das ist richtig. Aber Verluste, Frau Gräfin, das is eigentlich gar nichts. Natürlich wen es trifft, für den is es was. Aber ich meine jetzt das, was man dabei so das Mora­lische nennt; und darauf kommt es an, nicht auf die Verluste, nicht aus viel oder wenig. Wenn einer eine Böschung 'raus klettert und nu steht er oben und schleicht sich 'ran, immer mit 'nem Pulversack und 'nem Zünder in der Hand und nu legt er an und nu fliegt alleA in die Luft und er mit. Und nu ist die Festung oder die Schanze offen. Ja, Frau Gräfin, das ist was. Und das hat unser Pionier Klinke gethan. Der war moralisch. Ich weiß

nicht, ob Frau Gräfin mal von ihm gehört haben, aber dafür leb' ich und sterb' ich: immer bloß das Kleine, da zeigt sich's, was einer kann. Wenn ein Bataillon 'ran muß un ich stecke mitten drin, ja, was will ich da machen? Da muß ich mit. Und baff, da lieg' ich. Und nu bin ich ein Held. Aber eigentlich bin ich keiner. Es ist alles bloß Muß' und solche Mußhelden giebt es viele. Das is, was ich die großen Kriege nenne. Klinke mit seinem Pulversack, ja, der war bloß was Kleines, aber er war doch groß. Und ebenso (wenn er auch unser Feind war) dieser Rolf Krake."

So ging historisch-retrospektiv das Gespräch an der Tete, während Dubslav und Uncke, die den Zug abschlossen, mit ihrem Thema mehr in der Gegenwart standen.

Is mir lieb, Uncke, Sie mal wieder zu treffen. Seit Nheinsberg Hab' ich Sie nicht mehr gesehn. Ich denke mir, Torgelow is nu wohl schon im besten Gange. So wie Bebel. Ich kriege natürlich jeden Tag meine Zeitung, aber es is mir immer zu viel und das große Format und das dünne Papier. Da kuck' ich denn nich immer ganz genau zu. Hat er denn schon gesprochen?"

Ja, Herr Major, gesprochen hat er schon. Aber nich viel. Un war auch kein rechter Beifall. Auch nich mal bei seinen eignen Leuten."

Er wird wohl die Sache noch nicht recht weg haben. Ich meine das, was sie jetzt das Parla­mentarische nennen. Das schadt aber nichts und ist eigentlich egal. Wichtiger is, wie sie hier in unserm Nuppiner Winkel, in unserm Rheinsberg-Wutz über ihn denken. Sind sie denn da mit ihm Zufrieden?"

Auch nicht, Herr Major. Sie sagen, er sei zweideutig."

Ja, Uncke, so heißt es überall. Das is nu mal so, das is nicht zu ändern. In Frankreich heißt es immer gleich ,Verrat' und hier sagen sie .zweideutig'. Da war auch einer von uns, den ich nich nennen will, von dem hieß es auch so . . ."

Von dem hieß es auch so. Ja, Herr Major. Und Ppterke, der immer gut Bescheid weiß, der sagte mir schon damals in Rheinsberg: ,Uncke, glauben Sie mir, da hat sich der Herr Major eine Schlange an seinem Busen groß gezogen.'"

Kann ich mir denken; klingt ganz nach Pyterke. Der spricht immer so gebildet. Aber is es auch richtig?"

Is schon richtig, Herr Major. Herr Major denken immer das Gute von 'nem Menschen, weil Sie so viel zu Hause sitzen und selber so sind. Aber wer so 'rum kommt wie ich. Alle lügen sie. Was sie meinen, das sagen sie nich und was sie sagen, das meinen sie nich. Is kein Verlaß mehr; alles .zweideutig'."

Ja, so rund 'raus, Uncke, das war früher, aber das geht jetzt nicht mehr. Man darf keinem so alles aus die Nase binden. Das is eben, was sie jetzt .politisches Leben' nennen."

Ach, Herr Major, das mein' ich ja gar nicht. Das Politische. . . Jott, wenn einer sich ins Politische zweideutig macht, na, denn muß ich ihn anzeigen, das is Dienst. Darum gräm' ich mich aber nich. Aber was nich Dienst is, was man so bloß noch nebenbei sieht, das kann einen mitunter leid thun. So bloß als Mensch."

Aber, lieber Uncke, was is denn eigentlich los? Wenn man Sie so hört, da sollte man ja wahr­haftig glauben, es ginge zu Ende... Nn ja, in der Welt draußen da klappt nich immer alles. Aber so im Schoß der Familie..."