Heft 
(1898) 14
Seite
226
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Ueber Land und Neer.

M 14

Weisheit predigt. Nicht bloß unsre Vernunft, auch unser Gewissen unterwirft sich unserm stärksten Triebe, dem Tyrannen in uns! Ich hätt' es nicht geglaubt. An meinem Freunde muß ich's erleben!"

Er sah finster und gequält vor sich hin, als suche er die Last, die Hubert ihm aus die Seele gepackt, von sich abzuwälzen. Ein paarmal hatte er mit den Achseln gezuckt, als könne er sich dadurch der Macht von Huberts Dialektik entziehn. Dieser aber, als wolle er ihn nicht sreigeben, legte auch noch seine Linke fest auf Karls runde Schulter.

Du guter Mensch," sagte er leise und weich, ich versteh' ja alles. . . deinen Zorn auf mich, dein Mitgefühl für Johanna"

Laß das!" rief Karl heftig und versuchte aufzustehn.

Wie wär' das alles anders gekommen," fuhr Hubert trotzdem fort,wenn sie damals dich statt meiner"

Hier sprang Karl auf. Sein gutes Gesicht glühte. Zorn und Bewegung kämpften wunderlich in seinen Zügen.Das ist nun nicht ... das hilft jetzt nichts," sagte er mit knappem Atem.Du hast sie nun mal hineingerissen in dein Schicksal. Du wirst sie nicht am Wege liegen und umkommen lassen wie einen räudigen Hund..."

Er griff mit beiden Händen nach Huberts hagern Fingern.

Es ist ja nicht möglich!" rief er, wie um sich selber etwas Tröstliches zu sagen,daß du jemals vergessen könntest.. . nein, nein"

Er ließ Huberts Hände los und lief ein paar­mal im engen Zimmer auf und nieder.Es ist ja natürlich," murmelte er dabei,du willst heraus, sehnst dich nach Arbeit, nach Erfolg..."

Ja," sagte Hubert.Nichts mehr von Liebe. Die hat mir schon zu viel gestohlen von meinem Leben. Jetzt kommt die Arbeit. Nur die Arbeit."

Aber später, wenn du's zu was gebracht hast, wenn's dir gut geht ..." lind Karls blaue Augen er hatte Kinderaugen, der Mann hefteten sich sprechend auf Huberts ernstes Gesicht.

Ich bin ein Mensch, der aus einem Messerrücken balanciert," antwortete der.Lauter Fragezeichen, wohin ich blicke. Vor mir. Hinter mir. Bloß eins deutlich. Ein Weg. Unfehlbar. Und den gehe ich. Vielleicht führt er irre. Dann brech' ich mir den Hals. Dann ist's noch so. Du weinst mir eine Thräne nach..."

Er starrte mit visionärem Blick ins Leere.

Oder ich komme ans Ziel. . . ein dunkles, un­bekanntes. Ich werde was. Dann denke: er hat recht gehabt. ,Jn seinem dunkeln Drange' das ist ein wunderbares Wort. Ich thue, was ich nicht lassen kann. Nicht bloß um Ruhm. Auch Johannas wegen. Wie einen ,räudigen Hund', sagst du? Karl Wedekind, schämst du dich nicht? Die Mutter meines Kindes, das treue, opfervolle Weib, ver­gessen? Immer wird sie mir teuer sein. Daß ich für sie sorge, mit ihr teile, das ist doch ganz einfach . . . Darüber braucht man nicht erst ..."

Er machte eine Pause. Dann in ganz ver­ändertem Ton:Na, adieu, Karl Wedekind! Leb wohl, alter Mensch, . . . leb . . ."

Er wandte sich nach einem kurzen, kernigen Händedruck schnell ab, trat ans Fenster und trommelte kräftig gegen die Scheiben.

Karl Wedekind ging still hinaus.

Gegen Abend, als alles gepackt, alles Geschäft­liche besorgt war, eine Karte p. n- e. in die Villa Berghauer geschickt und alle Fäden gelockert waren, so daß Hubert mit einem Willensakt sich von Elb­florenz loslösen konnte blieb ihm noch der schwerste Gang zu thun: der Abschied von Johanna.

Es war sieben Uhr und noch ganz hell, als er sich auf den Weg machte. Die Luft in den Straßen war, nachdem den Tag über Menschen und Tiere sie verbraucht und mit ihren Ausdünstungen ver­dorben hatten, zum Ersticken schwer, schwül, giftig. Hubert, der die ungewohnte körperliche Anstrengung in allen Gliedern spürte, schleppte sich mühsam vor­wärts. Er hatte die letzten Nächte nicht geschlafen vor Erregung. Die übermäßig angespannte Nerven- und Willenskraft begann zu versagen. Wie werd' ich's ertragen? dachte er mit leisem Grauen vor dem, was ihm bevorstand. Aber das half nichts. Das mußte noch sein. Dann war er frei.

Er ging durch den kleinen Laden, der leer war, ins Zimmer. Als er die Thür aufkliukte, kam Johanna ihm entgegen. Haltlos. In Thränen ausgelöst.

Sie war sehr verändert. Das schwarze Kleid machte sie noch magerer, verblühter, ließ ihr Gesicht grau und fahl erscheinen. Dazu die geröteten Augen. Ein Ausdruck des Verfalls lag über ihr. Sonst war sie immer peinlich sauber und nett in ihrem Aeußern gewesen, das schlichte Blondhaar so glatt gestrichen, kein Fehl und Tadel an der ganzen Er­scheinung. Es ging ihm gegen den stark entwickelten Schönheits- und Ordnungssinn, sie so zu sehn. Aber das Mitleid überwog. Warm und gut wie in den ersten Zeiten drückte er sie an seine Brust.

Also ist's wirklich wirklich ernst?" schluchzte sie laut.Du kannst von mir gehn, Hubert?"

Ich muß, Johanna. Sei ruhig. Mach mir's nicht schwer!"

Mich verlassen Und ich habe niemand niemand!"

Er führte sie schweigend an ihren Sofaplatz und setzte sich neben sie in die behagliche Ecke. So saßen sie zum letztenmal beisammen und fühlten, wie ihr Leben verknüpft war durch tausend Erinnerungen, frohe und traurige, ja durch das festeste Band, das Menschen binden kann: Elternglück, Elternschmerz.

Neben dem Sofa, in der Fensterecke, stand das Kindertischchen mit dem kleinen Stuhl davor. Das Lieblingsspielzeug des Kleinen war sorgsam aus­gebreitet und der ganze Winkel über und über mit Blumen geschmückt. Rosen und wieder Rosen, und Reseda und Levkojen, auch schon die ersten Herbst­blumen, große, einfache Georginen und Zierliche Astern.

Dafür lebte Johanna. Den Winkel und das kleine Grab draußen zu schmücken, darum stand sie aus, darum ertrug sie den übrigen Tag und die langen, schlaflosen Nächte.

Hubert konnte nicht atmen in dem Duft, der ihm die Brust bedrückte. Neben ihm saß das junge Weib, steif und mühsam gefaßt. Und er ertrug, um sie uicht zu kränken, diese betäubende Luft, ohne ein Wort darüber zu äußern. Sie hatte seine Hand ergriffen und hielt sie fest. Nur heut noch. Morgen war er weit fort.

Sie sprachen allerlei trockene, geschäftliche Dinge. Sie hatte wie eine gute Hausfrau immer für seine Wäsche gesorgt und seine Garderobe im stände ge­halten. Nun fragte sie mit halbem Interesse, wie er dies und jenes gepackt habe, und ob auch der neue Nock glatt in den Koffer gekommen sei. Er antwortete ihr freundlich. Aber dabei ging seine Seele ihren eignen Weg.

Immer das Kind! Sein Felix! Ihm war's, als hörte er noch sein Lallen, sein herziges Lachen, den unsicher tappenden Schritt der kleinen Füße ans der Diele.

Er suchte sich zu beherrschen. Keine Sentimen­talität! Diese Phase war vorüber, eine neue kam. Das Menschenleben besteht aus solchen Phasen. Wenn die innere Wandlung sich vollzogen hat. Altes abgethan ist. Neues hervor will wär's natur­widrig, das Ueberlebte sesthalten Zu wollen.

Er dachte an das Wort Berghauers: ,Licht schaffen, Luft machen!' Der Mann hätte ihm recht gegeben.

Aber allmählich schien es ihm doch wohlthuend und friedsam wie nichts aus der Welt, hier zu sitzen mit der Frau, die ihn liebte. Nur heute noch und wann käme wieder eine solche Stunde?

Johanna war weich und voll verhaltener Zärt­lichkeit. Sie hielt jeden Augenblick gleichsam fest mit ihrer Seele, sog seine Süßigkeit heraus, lebte dies letzte Glück so intensiv, als solle es sie für all die armen Jahre entschädigen, die vor ihr lagen.

Es schlug acht, und sie stand ans, um den Laden zu schließen. Als sie zurückkam, saß er noch sinnend in seiner Ecke.

Wie ist denn das, Johanna? Sonst ging das immer wie in einem Taubenschlag. Heut ist in der ganzen Stunde kein einziger dagewesen."

Johanna blieb ganz gleichgültig.Es geht jetzt nicht besonders, das Geschäft," sagte sie ruhig und setzte sich wieder zu ihm.

Wie kommt das?" fragte Hubert.

Sie hob mit einer müden Gebärde die Schultern.

Gott! Die Menschen! Wenn sie einem was abkaufen, soll man ihnen womöglich die Hände

küssen. Und immer ein freundliches Gesicht. Und immer ein bißchen schwatzen. Und das..."

Er begriff, daß sie das nicht gekonnt habe.Ja, aber liebes Kind," sagte er gütig,du lebst doch davon."

Mein Gott," murmelte sie, düster vor sich hin­starrend,ich Hab' ja das Menschenmögliche gethan. Ich Hab' hinterm Ladentisch gestanden und Diariums und Schreibpapier und Federhalter verkauft. Und hatte kaum meine fünf Sinne beisammen. . . Aber es muß ihnen Wohl nicht gepaßt haben, mein Gesicht... Und dann war vielleicht noch etwas andres"

Sie überlegte eine Weile.

Es muß auch wohl geredet worden sein," sagte sie dann mit einem bitteren Lächeln, als das Kind starb. Vorher hat ja kaum einer gemerkt, daß es auf der Welt war. Die Mädchen aus der Töchterschule, die ineine besten Kunden waren . .. Na, das ist ja aber ganz egal," schloß sie mit der müden Gleichgültigkeit, die sie für ihr eignes Schicksal hatte.Was kommt's denn auf mich an!"

Johanna!" rief er eindringlich,sprich nicht so!"

Nein, heut nicht! Heut wollen wir von deiner Zukunft reden," sagte sie mit einem selbstvergessenen Lächeln.

Der Abend sank immer tiefer herab während ihres friedvollen, innigen Gesprächs. Welche Fülle von Liebe in diesem schlichten Geschöpf, welch feines, intuitives Verständnis für seine Natur, seine Be­dürfnisse! Sie hatte sich ganz hineingelebt in ihn, war mit tausend Wurzeln mit seinem Wesen ver­wachsen. Es hals ihm nichts, daß er sich jahrelang von ihr loszulösen versucht hatte.

Es wurde grau und schattenhaft in dem kleinen Zimmer. Dann drang allmählich ein breiter gelber Strahl von draußen herein und erhellte an der Hinteren Wand ein paar Möbel und Bilder. Aber Johannas Gesicht blieb in einem geheimnisvoll reizenden Helldunkel. Es war so weiß und schmal und jung. Nur ihre Augen schimmerten groß, dunkel, feucht.

Sie war ihm ganz fremd und neu und seltsam anziehend. Dazu ihre weiche, wohlbekannte, von Zärtlichkeit überquellende Stimme.

Und die Nosendüfte, die aus dem Spielwinkel neben dem Sofa betäubend heraufdrangen!

Er sah sein Kind vor sich, das verlangend die Arme ausstreckte und um einen Blick, ein Wort ver­geblich bettelte. Und dann dachte er an Johannas stille Qual, wenn er es um ein kleines Vergehen hart gestraft hatte. Brennende Neue, peinigende Selbstvorwürfe durchschütterten ihn und nagten und gruben in seiner Brust.

Er fühlte nichts als eine große Sehnsucht, den Schatz von Liebe, um den er sein Kind betrogen, in vollen Fluten auszuströmen.

Aber sein Kind war tot!

Tot! Das packte ihn wie Entsetzen. Und da saß das arme beraubte Weib, das er morgen ver­lassen wollte!

Ihn schauderte vor der großen Einsamkeit, der er entgegenging. Die ganze trauliche Süße ihres Zusammenlebens überkam ihn. Die alte Liebe mit all ihrem wonnigen Zauber stahl sich in die Ab­schiedsstunde und band die beiden Menschen von neuem aneinander. (Fortsetzung folgt.)

's Kamm er l.

Und a Tischl steht drin