Heft 
(1898) 18
Seite
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Aeber Land und Meer.

Proviant. Das ging so durch Tage. Da nahm Lieutenant Greeley wahr, daß der Proviant schneller hinschmolz als berechnet, und nahm auch wahr, daß der Proviantträger selbst, wenn er sich nicht beobachtet glaubte, heimlich von den Rationen nahm. Das war eine schreckliche Wahrnehmung. Denn ging es so fort, so waren sie samt und sonders verloren. Da nahm Greeley die drei andern beiseite und beriet mit ihnen. Eine Möglichkeit gewöhnlicher Bestrafung gab es nicht, und auf einen Kampf sich einzulassen, ging auch nicht. Sie hatten dazu die Kräfte nicht mehr. Und so schloß denn das Kriegsgericht damit, daß Greeley sagte: Mir müssen ihn hinterrücks er­schießen? Und als sie, der so heimlich Verurteilte , die Tete nehmend, gleich danach wieder aufbrachen, trat Greeley von hintenher an ihn heran und schoß ihn nieder. Und die That war nicht umsonst ge- ! than; ihre Rationen reichten aus, und an dem Tage, wo sie den letzten Bissen verzehrten, kamen sie bis an eine Station."

Und was wurde weiter?"

Ich weiß nicht mehr, ob Greeley selbst als Ankläger gegen sich auftrat oder einer von den Dreien, die mit ihm waren; aber das weiß ich, daß es zu einer großen Verhandlung kam."

Und in dieser..."

. . . In dieser wurd' er sreigesprochen und im Triumph nach Hause getragen."

Und Sie sind einverstanden damit?"

Vollkommen. Und zugleich auch voll Bewunde­rung. Greeley, statt zu thnn, was er that, hätte ja zu den Gefährten sagen können: ,Unser Exempel wird falsch, und wir gehen an des einen Schuld zu Grunde; töten mag ich ihn nicht, sterben wir also alle? Für seine Person hätte er so sprechen und handeln können. Aber es handelte sich nicht bloß um seine Person; er hatte die Führer-, die Besehlshaber- und zugleich die Richter-Pflicht und hatte die Majori­tät von drei gegen die Minorität von einem zu schützen. Was dieser eine gethan, an und für sich ein Nichts, war unter den Umständen, unter denen i es geschah, ein fluchwürdiges Verbrechen. Und so ! nahm er denn gegen die geschehene That die ! Gegenthat aus sich. In solchem Augenblick richtig i fühlen und in der Ueberzeugung eines richtigen ^ Fühlens fest und unbeirrt ein furchtbares Etwas thun, i ein Etwas, das, aus seinem Zusammenhänge gerissen, z allem göttlichen Gebot, allem Gesetz und aller Ehre z widerspricht, das imponiert mir ganz ungeheuer und ! ist in meinen Augen der wirkliche, der wahre Mut. ! Schmach und Schimpf haben sich von jeher an alles Höchste geknüpft, im Leiden gewiß, aber oft auch in unserm Thun. Der Mut im Bataillon, in der Masse (bei allem Respekt davor), ist nur ein Herdenmut."

Dubslav sah vor sich hin. Er war augen­scheinlich in einem Schwankezustand, ob er znstimmen oder ablehnen sollte. Dann aber nahm er die Hand Lorenzens und sagte:Sie sollen recht haben."

XXXIX.

Dubslav hatte nach Lorenzens Besuch eine gute Nacht.Wenn man mal so was andres hört, wird einem gleich besser." Aber auch der Katzenpfötchen- thee fuhr fort, seine Wirkung zu thun, und was dem Kranken am meisten half, war, daß er die grünen Tropfen sortließ.

Hör, Engelke, am Ende wird es noch mal was. Wie gefallen dir meine Beine? Wenn ich drücke, keine Kute mehr."

Gewiß, gnäd'ger Herr, es wird nu wieder, un das macht alles der Thee. Ja, die Buschen ver­steht es, das Hab' ich immer gesagt. Und gestern abend, als Lorenzen hier war, war auch lütt Agnes hier un hat unten in der Küche gefragt, ,wie's denn eigentlich mit dem gnädigen Herrn stimm? Und die Mamsell hat ihr gesagt, ,es stünde gut?

Na, das is recht, daß die Alte, wie 'n richtiger Doktor, sich um einen kümmert und von allem wissen will. Und daß sie nicht selber kommt, ist noch besser. So 'n bißchen schlecht Gewissen hat sie doch woll. Ich glaube, daß sie viel auf 'm Kerbholz hat, und daß die Karline so is, wie sie is, daran is doch auch bloß die Alte schuld. Und das Kind wird am Ende auch noch so; sie dreht sich schon wie 'ne Puppe, und dazu das lange blonde Zoddelhaar. Ich muß dabei immer an Bellchen denken, weißt du noch, als die gnäd'ge Frau noch lebte. Bellchen

hatte auch solche Haare. Und war auch der Lieb­ling. Solche sind immer Liebling. Krippenstapel, hör' ich, soll sie auch in der Schule verwöhnen. Wenn die andern ihn noch anglotzen, dann schießt sie schon los. Es ist ein kluges Ding."

Engelke bestätigte, was Dubslav sagte, und ging dann nach unten, um dem gnäd'gen Herrn sein zweites Frühstück zu holen: ein weiches Ei und eine Tasse Fleischbrühe. Als er aber aus dem Gartenzimmer auf den großen Hausflur hinaustrat, sah er, daß ein Wagen vorgesahren war, und statt in die Küche zu gehen, ging er doch lieber gleich zu seinen: Herrn zurück, um mit verlegenem Gesicht zu melden, daß das gnäd'ge Fräulein da sei.

Wie? Meine Schwester?"

Ja, das gnäd'ge Frölen."

I, da soll doch gleich 'ne alte Wand wackeln," sagte Dubslav, der einen ehrlichen Schreck gekriegt hatte, weil er sicher war, daß es jetzt mit Ruh' und Frieden auf Tage, vielleicht auf Wochen, vorbei sei. Denn Adelheid mit ihren sechsundsiebzig setzte sich nicht gern auf eine Kleinigkeit hin in Bewegung, und wenn sie die beinahe vier Meilen von Kloster Wutz her herüberkam, so war das kein Nachmittags­besuch, sondern Einquartierung. Er fühlte, daß sich sein ganzer Zustand mit einem Male wieder ver­schlechterte, und daß eine halbe Atemnot im Nu wieder da war.

Er hatte aber nicht lange Zeit, sich damit zu beschäftigen, denn Engelke öffnete bereits die Thür, und Adelheid kam auf ihn zu.Tag, Dubslav. Ich muß doch mal sehn. Unser Rentmeister Fix ist vor­gestern hier in Stechlin gewesen und hat dabei von deinem letzten Unwohlsein gehört. Und daher weiß ich es. Eh' du persönlich deine Schwester so was wissen läßt oder einen Boten schickst..."

Da muß ich schon tot sein," ergänzte der alte Stechlin und lachte.Nun, laß es gut sein, Adel­heid, mach dir's bequem und rücke den Stuhl da heran."

Den Stuhl da? Aber, Dubslav, was du dir nur denkst! Das ist ja ein Großvaterstuhl oder doch beinah'." Und dabei nahm sie statt dessen einen kleinen, leichten Rohrsessel und ließ sich draus nieder. Ich komme doch nicht Zn dir, um mich hier in einen großen Polsterstuhl mit Backen zu setzen. Ich will meinen lieben Kranken pflegen, aber ich will nicht selber eine Kranke sein. Wenn es so mit mir stünde, wär' ich zu Hause geblieben. Du rechnest immer, daß ich zehn Jahre älter bin als du. Nun ja, ich bin zehn Jahre älter. Aber was sind die Jahre? Die Wutzer Luft ist gesund, und wenn ich die Grabsteine bei uns lese, unter achtzig ist da beinah' keine von uns abgegangen. Du wirst erst siebenundsechzig. Aber ich glaube, du hast dein Leben nicht richtig angelegt, ich meine deine Jugend, als du noch in Brandenburg warst. Und von Brandenburg immer 'rüber nach Berlin. Na, das kennt man. Ich habe neulich was Statistisches gelesen."

Damen dürfen nie Statistisches lesen," sagte ! Dubslav,es ist entweder zu langweilig oder zu interessant, und das ist dann noch schlimmer. Aber nun klingle (verzeih, mir wird das Ausstehn so schwer), daß uns Engelke das Frühstück bringt; du kommst a 1a kortune äu xot und mußt sürlieb nehmen. Mein Trost ist, daß du drei Stunden unterwegs gewesen. Hunger ist der beste Koch."

Beim Frühstück, das bald danach aufgetragen wurde die Jahreszeit gestattete, daß auch eine Schale mit Kiebitzeiern aufgesetzt werden konnte verbesserte sich die Stimmung ein wenig; Dubslav ergab sich in sein Schicksal, und Adelheid wurde weniger herbe.

Wo hast du nur die Kiebitzeier her?" sagte sie. Das ist was Neues. Als ich noch hier lebte, hatten wir keine."

Ja, die Kiebitze haben sich seit kurzem hier eingefunden, an unserm Stechlin, da, wo die Binsen stehn; aber bloß aus der Globsower Seite. Nach der andern Seite hin wollen sie nicht. Ich habe mir gedacht, es sei vielleicht ein Fingerzeig, daß ich nun auch welche nach Friedrichsruh schicken soll. Aber das geht nicht; dann gelt' ich am Ende gleich für eingeschworen, und Uncke notiert mich. Wer dreimal Kiebitzeier schickt, kommt ins schwarze Buch. Und das kann ich schon Woldemars wegen nicht."

M 18

Is auch recht gut so. Was zu viel ist, ist zu viel. Er soll sich ja mit der Lucca zusammen haben photographieren lassen. Und während sie da oben in der Regierung und mitunter auch bei Hofe so was thun, fordern sie Tugend und Sitte. Das geht nicht. Bei sich selber muß man ansangen. Und dann ist er doch schließlich auch bloß ein Mensch, und alle Menschenanbetung ist Götzendienst. Menschen­anbetung ist noch schlimmer als das goldene Kalb. Aber ich weiß Wohl, Götzendienst kommt jetzt Wieder­aus, und Hexendienst auch, und du sollst ja auch so wenigstens hat mir Fix erzählt nach der Buschen geschickt haben."

Ja, es ging mir schlecht."

Gerade, wenn's einem schlecht geht, dann soll man Gott und Jesum Christum erkennen lernen, aber nicht die Buschen. Und sie soll dir Katzen- pfötchenthee gebracht haben und soll auch gesagt haben: ,Wasser treibt das Wasser? Das mußt du doch heraushören, daß das ein nnchristlicher Spruch ist. Das is, was sie »besprechen' nennen oder auch ,böten'. Und wo das alles herstammt, ... Dubs­lav, Dubslav . . . Warum bist du nicht bei den grünen Tropfen geblieben und bei Sponholz? Seine Frau war eine Pfarrerstochter aus Kuhdorf."

Hat ihr auch nichts geholfen. Und nu sitzt sie mit ihm in Pfäffers, einem Schweizerbadeort, und da schmoren sie gemeinschaftlich in einem Backofen. Er hat es mir selbst erzählt, daß es ein Back­ofen is."

*

Der erste Tag war immerhin ganz leidlich ver­lausen. Adelheid erzählte von Fix, von der Schmar­gendorfs und der Schimonski und zuletzt auch von Maurermeister Lebenius in Berlin, der in Wutz eine Ferienkolonie gründen wolle.Gott, wir kriegen dann so viel armes Volk in unfern Ort und noch dazu lauter Berliner Bälge mit Plieraugen. Aber die grünen Wiesen sollen ja gut dafür sein und unser See soll Jod haben, freilich wenig, aber doch so, daß man's noch gerade finden kann." Adelheid ! sprach in einem fort, derart, daß Dubslav kaum zu ! Wort kommen konnte. Fing er aber an, so fuhr sie rasch dazwischen, trotzdem sie beständig versicherte, daß sie gekommen sei, ihn zu pflegen, und nur, wenn er auf Woldemar das Gespräch brachte, hörte sie mit einiger Aufmerksamkeit zu. Freilich, die italienischen ! Reisemitteilungen als solche waren ihr langweilig, und nur bei Nennung bestimmter Namen, unter denen Tintoretto" undSanta Maria Novella" obenan standen, erheiterte sie sich sichtlich. Ja, sie kicherte dabei fast so vergnügt wie die Schmargendorfs. Ein wirkliches, nicht ganz flüchtiges Interesse (wenn auch freilich kein freundliches) zeigte sie nur,' wenn Dubslav von der jungen Frau sprach und hinzu­setzte:Sie hat so was Unberührtes."

Nu ja, nu ja. Das liegt aber doch zurück."

Wer keusch ist, bleibt keusch."

Meinst du das ernsthaft?"

Natürlich mein' ich es ernsthaft. Ueber solche Dinge spaß' ich überhaupt nicht."

Und nun lachte Adelheid herzlich und sagte: Dubslav, was hast du nur wieder für Bücher ! gelesen? Denn aus dir selbst kannst du doch so was ^ nicht haben. Und von deinem Pastor Lorenzen auch ^ nicht. Der wird ja wohl nächstens 'ne Freie Ge- ; meinde' gründen."

So war der erste Tag dahingegangen. Alles in allem, trotz kleiner Aergerlichkeiten, unterhaltlich genug für den Alten, der, unter seiner Einsamkeit , leidend, meist froh war, irgend einen Plauderer zu ! finden, auch wenn dieser im übrigen nicht gerade der richtige war. Aber das alles dauerte nicht lange. Die Schwester wurde von Tag zu Tag recht­haberischer und herrischer und griff unter der Vor­gabe,daß ihr Bruder anders verpflegt werden müsse", in alles ein, auch in Dinge, die mit der Verpflegung gar nichts Zu thun hatten. Vor allem wollte sie ihm den Katzenpfötchenthee wegdisputieren, und wenn abends die kleine Meißener Kanne kam, gab es jedesmal einen erregten Disput über die Buschen und ihre Hexenkünste.

So waren denn noch keine acht Tage um, als es für Dubslav seststand, daß Adelheid wieder fort müsse. Zugleich sann er nach, wie das wohl am besten zu machen sei. Das war aber keine ganz leichte Sache, da dieKündigung" notwendig von ihr aus-