M 18
283
Weber Land und Weer.
gehen mußte. So wenig er sich aus ihr machte, so war er doch zu sehr Mann der Form und einer- feineren Gastlichkeit, als daß er's zuwege gebracht hätte, seinerseits auf Abreise zu dringen.
Es war um die vierte Stunde, das Wetter schön, aber frisch. Adelheid hing sich ihren Pelzkragen um, ein altes Familienerbstück, und ging zu Krippenstapel, um sich seine Bienenstöcke zeigen zu lassen. Sie hoffte bei der Gelegenheit auch was über den Pastor zu hören, weil sie davon ausging, daß ein Lehrer immer über den Prediger und der Prediger immer über den Lehrer zu klagen hat. Jedes Landfräulein denkt so. Die Bienen nahm sie so mit in den Kauf.
Es begann zu dunkeln, und als die Domina schließlich aus dem Herrenhause fort war, war das eine freie Stunde für Dubslav, der nun nicht länger säumen mochte, seine Mine zu legen.
„Engelke," sagte er, „du könntest in die Küche gehn und die Marie zur Buschen schicken. Die Marie weiß ja Bescheid da. Und da kann sie denn der alten Hexe sagen, lütt Agnes solle heut abend mit heraufkommen und hier schlafen und immer da sein, wenn ich was brauche."
Engelke stand verlegen da.
„Nu, was hast du? Bist du dagegen?"
„Nein, gnäd'ger Herr, dagegen bin ich wohl eigentlich nich. Aber ich schlafe doch auch nebenan, und dann is es ja, wie wenn ich für gar nichts mehr da wär' und fast so gut wie schon abgesetzt. Und das Kind kann doch auch nich all das, was nötig is; Agnes is ja doch noch 'ne lütte Krabb'."
„Ja, das is sie. Und du sollst auch in der andern Stube bleiben und alles thun wie vorher. Aber trotzdem, die Agnes soll kommen. Ich brauche das Kind. Und du wirst auch bald sehn, warum."
Und so kam denn auch Agnes, aber erst sehr spät, als sich Adelheid schon zurückgezogen hatte, nicht ahnend, welche Ränke mittlerweile gegen sie gesponnen waren. Auf diese Verheimlichung kam es aber gerade an. Dubslav hatte sich nämlich wie Franz Moor — an den er sonst wenig erinnerte — herausgeklügelt, daß Überraschung und Schreck bei seinem Plane Mitwirken müßten.
Agnes schlief in einer nebenan aufgestellten eisernen Bettstelle. Dubslav, gerade so wie seine Schwester, hatte das etwas auffällig herausgeputzte Kind bei seinem Erscheinen im Herrenhause gar nicht mehr gesehen; es trug ein langes himmelblaues Wollkleid ohne Taille, dazu Knöpfstiefel und lange rote Strümpfe, — lauter Dinge, die Karline fchon zu letzten Weihnachten geschenkt hatte. Tags darauf, am ersten Feiertag also, hatte das Kind den Staat auch angezogen, indessen bloß so still für sich, weil sie sich genierte, sich im Dorfe damit Zu zeigen; jetzt aber, wo sie bei dem gnäd'gen Herrn in Krankenpflege gehen sollte, jetzt war die richtige Zeit dafür da.
Die Nacht verging still; niemand war gestört worden. Um sieben erst kam Engelke und sagte: „Nu, lütt Deern, steih upp, is all seben." Agnes war auch wirklich wie der Wind aus dem Bett, fuhr mit einem mitgebrachten Hornkamm, dem ein Paar- Zähne fehlten, durck ihr krauses, langes Blondhaar, putzte sich wie ein Kätzchen und zog dann den himmelblauen Hänger, die roten Strümpfe und zuletzt auch die Knöpfstiefel an. Gleich danach brachte ihr Engelke einen Topf mit Milchkaffee, und als sie damit fertig war, nahm sie ihr Strickzeug und ging in das große Zimmer nebenan, wo Dubslav bereits in seinem Lehnstuhl saß und auf seine Schwester wartete. Denn um acht nahmen sie das erste Frühstück gemeinschaftlich.
„So, Agnes, das is recht, daß du da bist. Hast du denn fchon deinen Kaffee gehabt?"
Agnes knickste.
„Nu setz dich da mal ans Fenster, daß du bei deiner Arbeit besser sehn kannst; du hast ja schon dein Strickzeug in der Hand. Solch junges Ding wie du muß immer was zu thun haben, sonst k-'wmt sie auf dumme Gedanken. Nicht wahr?"
Agnes knickste wieder, und da sie sah, daß ihr der Alte weiter nichts zu sagen hatte, ging sie bis an das ihr bezeichnte Fenster, dran ein länglicher Eichentisch stand, und fing an zu stricken. Es war ein sehr langer Strumpf, brandrot und, nach seiner Schmalheit zu schließen, für sie selbst bestimmt.
Sie war noch nicht lange bei der Arbeit, als Adelheid eintrat und auf ihren im Lehnstuhl sitzenden Bruder znschritt. Bei der geringen Helle, die herrschte, traf sich's, daß sie von dem Gast am Fenster nicht recht was wahrnahm. Erst als Engelke mit dem Frühstück kam und die plötzlich geöffnete Thür mehr Licht einfallen ließ, bemerkte sie das Kind und sagte: „Da sitzt ja wer. Wer ist denn das?"
„Das ist Agnes, das Enkelkind von der Buschen."
Adelheid bewahrte mit Mühe Haltung. Als sie sich wieder zurechtgefunden, sagte sie: „So, Agnes. Das Kind von der Karline?"
Dubslav nickte.
„Das ist mir ja 'ne Ueberraschung. Und wo hast du sie denn, seit ich hier bin, versteckt gehalten? Ich habe sie ja die ganze Woche über noch nicht gesehn."
„Konntest du auch nicht, Adelheid; sie ist erst seit gestern abend hier. Mit Engelke ging das nicht mehr, wenigstens nicht aus die Dauer. Er ist ja so alt wie ich. Und immer 'raus in der Nacht und 'rauf und 'runter und mich umdrehn und heben. Das könnt' ich nich mehr mit ansehn."
„Und da hast du dir die Agnes kommen lassen? Die soll dich nun 'rumdrehn und heben? Das Kind, das Wurm. Haha. Was du dir doch alles für Geschichten machst."
„Agnes," sagte hier Dubslav, „du könntest mal zu Mamsell Pritzbur in die Küche gehn und ihr sagen, ich möchte heute mittag 'ne gefüllte Taube haben. Aber nich so mager und auch nich so wenig Füllung, und daß es nich nach alter Semmel schmeckt. Und dann kannst du gleich bei der Mamsell unten bleiben und dir 'ne Geschichte von ihr erzählen lassen, vom »Schäfer und der Prinzessin' oder vom »Fischer un sine Frn'; Rotkäppchen wirst du wohl schon kennen."
Agnes stand ans, trat unbefangen an den Tisch, wo Bruder und Schwester saßen, und machte wiederholt ihren Knicks. Dabei hielt sie das Strickzeug und den langen Strumpf in der Hand.
„Für wen strickst du denn den?" fragte die Domina.
„Für mich."
Dubslav lachte. Adelheid auch. Aber es war ein Unterschied in ihrem Lachen. Agnes nahm übrigens nichts von diesem Unterschied wahr, sah vielmehr ohne Furcht um sich und ging aus dem Zimmer, um unten in der Küche die Bestellung auszurichten.
Als ffie hinaus war, wiederholte sich Adelheids krampfhaftes Lachen. Dann aber sagte sie: „Dubslav, ich weiß nicht, warum du dir, so lang ich hier bin, gerade diese Hilfskraft angenommen hast. Ich bin deine Schwester und eine Märkische von Adel. Und bin.auch die Domina von Kloster Wutz. Und meine Mutter war eine Radegast. Und die Stech- line, die drüben in der Gruft unterm Altar stehn, die haben, soviel ich weiß, auf ihren Namen gehalten und sich untereinander die Ehre gegeben, die jeder beanspruchen durste. Du nimmst hier das Kind der Karline in dein Zimmer und setzt es ans Fenster, fast als ob's da jeder so recht sehn sollte. Wie kommst du zu dem Kind? Da kann sich Woldemar freuen und seine Frau auch, die so was »Unberührtes' hat. Und Gräfin Melusine! Na, die tvird sich wohl auch freun. Und die darf auch. Aber ich wiederhole meine Frage, wie kommst du zu dem Kind?"
„Ich Hab' es kommen lassen."
„Haha. Sehr gut; »kommen lassen'. Der Klapperstorch hat es dir wohl von der grünen Wiese gebracht und natürlich auch gleich für die roten Beine gesorgt. Aber ich kenne dich besser. Die Leute hier thun immer so, wie wenn du dem alten Kortfchädel sittlich überlegen gewesen wärst. Ich für meine Person kann's nicht finden und sagte dir gern meine Meinung darüber. Aber ich nehme häßliche Worte nicht gern in den Mund."
„Adelheid, du regst dich auf. Und ich frage mich, warum? Du bist ein bißchen gegen die Buschen, — nun gut, gegen die Buschen kann man sein; und du bist ein bißchen gegen die Karline, — nun gut, gegen die Karline kann man auch sein. Aber ich sehe dir's an, das eigentliche, was dich aufregt, das ist nicht die Buschen und ist auch nicht die Karline, das sind bloß die roten Strümpfe. Warum bist du so sehr gegen die roten Strümpfe?"
„Weil sie ein Zeichen sind."
„Das sagt gar nichts, Adelheid. Ein Zeichen ist alles. Wovon sind sie ein Zeichen? Darauf kommt es an."
„Sie sind ein Zeichen von Ungehörigkeit und Verkehrtheit. Und ob du nun lachen magst oder nicht, — denn an einem Strohhalm sieht man eben am besten, woher der Wind weht — sie sind ein Zeichen davon, daß alle Vernunft aus der Welt ist und alle gesellschaftliche Scheidung immer mehr aufhört. Und das alles unterstützt du. Du denkst Wunder, wie fest du bist; aber du bist nicht fest und kannst es auch nicht sein, denn du steckst in allerlei Schrullen und Eitelkeiten. Und wenn sie dir um den Bart gehn oder dich bei deinen Liebhabereien fassen, dann läßt du das, worauf es ankommt, ohne weiteres im Stich. Es soll jetzt viele solche geben, denen ihr Humor und ihre Rechthaberei viel wichtiger ist als Gläubigkeit und Apostolikum. Denn sie sind sich selber ihr Glaubensbekenntnis. Aber, glaube mir, dahinter steckt der Versucher, und wohin der am Ende führt, das weißt du, — so viel wird dir ja wohl noch geblieben sein."
„Ich hoffe," sagte Dubslav.
„Und weil du bist, wie du bist, freust du dich, daß diese Zierpuppe (schon ganz wie die Karline) rote Strümpfe trägt und sich neue dazu strickt. Ich aber wiederhole dir, diese roten Strümpfe, die sind ein Zeichen, eine hochgehaltene Fahne."
„Strümpfe werden nicht hochgehalten."
„Noch nicht. Aber das kann auch noch kommen. Und das ist dann die richtige Revolution, die Revolution in der Sitte, — das, was sie jetzt das »Letzte' nennen. Und ich begreife dich nicht, daß du davon kein Einsehn hast, du, ein Mann von Familie, von Zugehörigkeit zu Thron und Reich. Oder der sich's wenigstens einbildet."
„Nun gut, nun gut."
„Und da reist du herum, wenn sie den Torgelow oder den Katzenstein wählen wollen, und hältst deine Reden, wiewohl du eigentlich nicht reden kannst..."
„Das is richtig. Aber ich Hab' auch keine gehalten ..."
„Und hältst deine Reden für König und Vaterland und für die alten Güter und sprichst gegen die Freiheit. Ich versteh' dich nicht mit deinem ewigen »gegen die Freiheit'. Laß sie doch mit ihrer ganzen dummen Freiheit machen, was sie wollen. Was heißt Freiheit? Freiheit ist gar nichts; Freiheit ist, wenn sie sich versammeln und Bier trinken und ein Blatt gründen. Du hast bei den Kürassieren gestanden und mußt doch wissen, daß Torgelow und Katzenstein (was keinen Unterschied macht) uns nicht erschüttern werden, uns nicht und unfern Glauben nicht und Stechlin nicht und Wutz nicht. Die Glob- sower, so lange sie bloß Globsower sind, können gar nichts erschüttern. Aber wenn erst der Buschen ihre Enkelkinder, denn die Karline wird doch wohl schon mehrere haben, ihre Knöpfstiefel und ihre roten Strümpfe tragen, als müßt' es nur fo sein, ja, Dubslav, dann ist es vorbei. Mit der Freiheit, das ist gar nichts; aber die roten Strümpfe, das ist was. Und dir trau' ich ganz und gar nicht, und der Karline natürlich erst recht nicht, wenn es auch vielleicht schon eine Weile her ist."
„Sagen wir »vielleicht'."
„O, ich kenne das. Du willst das wegwitzeln, das ist so deine Art. Aber unser Kloster ist nicht so aus der Welt, daß wir nicht auch Bescheid wüßten."
„Wozu hättet ihr sonst euern Fix?"
„Kein Wort gegen den."
Und in großer Erregung brach das Gespräch ab. Noch am selben Nachmittage aber verabschiedete sich Adelheid von ihrem Bruder und fuhr nach Wutz zurück.
XI..
Agnes, während oben die gereizte Scene zwischen Bruder und Schwester spielte, war unten in der Küche bei Mamsell Pritzbur und erzählte von Berlin, wo sie vorigen Sommer bei ihrer Mutter auf Besuch gewesen war. „Eins war da," sagte sie, „das hieß das Aquarium. Da lag eine Schlange, die war so dick wie 'n richtiges Bein."
„Aber hast du denn schon Beine gesehn?" fragte die Pritzbur.
„Aber, Mamsell Pritzbur, ich werde doch wohl