Heft 
(1898) 18
Seite
290
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Arber Land und Meer.

M 18

Die Kungersteine.

Roman

Herlrud Zsranke-Schieveköem.

(Fortsetzung.)

ach acht Tagen kamen Berghauers wieder zurück von Berlin. Die Wohnung war ein­gerichtet, alles Notwendige besprochen. Jetzt war auch die Frage endgültig entschieden, wo die Hochzeit stattfinden solle.

Aus naheliegenden Gründen hatte Hubert ge­wünscht, daß nicht Dresden der Schauplatz der Feier sein möge. Lieber irgend ein kleines Nest in der Nachbarschaft, wo niemand sie kannte. Denn der Neugier und dem Klatsch, die sich schon bei der Verlobung teils verblümt, teils in unverhülller Nacktheit hervorgewagt hatten, wollte man nicht neue Nahrung geben.

Aber Tante Sophie in ihrer Schwerfälligkeit wäre nicht zu einer Reise zu bewegen gewesen. Und ohne sie, die sich als die Hauptperson im Hause fühlte und auch wirklich ihre großen Verdienste um die mutterlosen Mädchen hatte, war der feierliche Akt nicht denkbar.

Auch auf Professor Tappert und seine Frau, die als die einzigen Verwandten am Ort nicht um­gangen werden konnten, glaubte der gutherzige Berg­hauer Rücksicht nehmen zu müssen. So einigten sie sich also dahin, daß Hubert am Tage vor dem Fest kommen und daß dieses im Hause in tiefster Stille gefeiert werden solle.

Und Berghauer, der immer ehrliche und frei­mütige, machte sich gar kein Gewissen daraus, sämt­liche neugierige Bekannte aufs großartigste zu mysti­fizieren. Er gab einen viel spätern Termin an und stellte ein wahres Völkerfest in Aussicht. Auf diesen Köder bissen alle an. Und so konnten die beiden Menschen den Bund schließen, ohne durch zudringliche Neugierde, Lärm und zerstreuenden Trubel um alle Stimmung gebracht zu werden.

Als Hubert, eben von der Bahn gekommen, vor der Villa Berghauer ans dem Wagen sprang und in den Garten einbog, wurde ihm allerlei, was er auf diesem Wege und in diesem Hause erlebt hatte, mit schmerzlicher Gewalt lebendig.

Die ganze Fahrt durch die wohlbekannten Straßen hatte es schon an ihm gerüttelt. Wieder in einer Stadt mit Johanna! Und doch nicht zu ihr gehen. . . sein kleines Mädchen, das er noch nicht einmal kannte, nicht sehen ... alles, alles begraben sein lassen, was auch mal warmes, lebendiges Glück gewesen! Fort, fort damit! Ein neues Leben, neues Glück hatte er sich errungen. Und jetzt wollte er's an sich fesseln lassen unter Beihilfe von Staat, Kirche, Familie so fest als möglich.

Wie alle phantasiebegabten, dichterischen Naturen neigte er in kritischen Fällen zum Aberglauben.

Ein dumpfes Bangen, ein Schauder, der ihm trotz der Hitze des Tages wie ein eisiger Guß über den Rücken lief ein Zurückschrecken wie vor einem Unrecht... Was? Vergeltung? ... Hatte er nicht ruhig und gewissenhaft diesen Schritt erwogen? Wollte er sich von albernen Spukgestalten und schlau erklügelten pädagogischen Zuchtmitteln ins Bockshorn jagen lassen?

Da sah er Lottes Gesicht am Fenster. Sie grüßte nicht, sah ihn nur an, so tief, so ganz ver­sunken und ungläubig: ja, ist's denn nun wirklich kein Traum?

Und alles war vergessen.

Und nun waren sie durch alle menschlichen Ge­walten und Bürgschaften fürs Leben zusammen­gegeben.

Das Standesamt, die kurze, würdige Feier in dem durch immergrüne Bäume, blühende Blumen und einen improvisierten Altar zur Kapelle um­gewandelten Eßsaal, das kleine erlesene äejsuuer äinatoirs war vorüber. Hubert hatte sich in sein Hotel zurückbegeben, um sich für die Reise umzu- kleiden, und Lotte war mit Kläre zum letztenmal allein in dem gemeinsamen, heitern Bereich der beiden Mädchen.

Kläre half ihrer Schwester den Brautstaat ab­

legen. Sie that's mit einer seltsamen Scheu. Denn diese Lotte war nun nicht mehr ihre Lotte, sondern eine junge Frau, eine Art Respektsperson, fremd und feierlich. Nicht mehr die nächste, liebste, vertrauteste Freundin, sondern das Besitztum eines fremden Mannes, der sie ihr nach einer Viertelstunde ent­führen würde.

Und Lotte sah auch so sonderbar aus. Schon, als wäre sie weit weg, so ernst, so, als wenn ihre Seele erfüllt und bedrückt wäre von der Verant­wortung, die sie übernommen hatte. Und seltsam! Sie hatte nicht geweint bei der Trauung. Ganz still und aufmerksam, wie mit einer gewissen Neu­gierde, hatte sie die Rede und die heilige Handlung über sich ergehen lassen, die die Macht Hatte, eine so ungeheure Wandlung in ihrem Leben zu vollziehen.

Die lustige Kläre schlüpfte von Zeit zu Zeit unter irgend einem Vorwand in ihr Zimmer hinüber. Bald fehlten Haarnadeln, bald ein Handschuhknopf, bald Parfüm. Und sie mußte wohl sehr zerstreut sein, sie fand nichts, das Suchen dauerte immer entsetzlich lange.

Aber Lotte trieb nicht. Sie saß ganz geduldig und lauschte nur nach der Thür, hinter der Kläre verschwunden war. Erstickte Laute drangen von dort herein, mal ein lautes Aufschluchzen, dann wieder ein leises Geflüster:Jip, Jip! Wir beide bleiben nun allein!" Und dann ein seines Quietschen des empfindlichen Tierchens, das sie im stürmischen Schmerz wohl Zu fest an ihre Brust gedrückt hatte.

Im Salon waren da Verghauer noch allerlei anzuordnen hatte Tante Sophie und Herr und Frau Professor Tappert zurückgeblieben. Alle drei sprachen halblaut und sehr eifrig das eben Mit­erlebte durch.

Der gute Professor befand sich in versöhnlichster und menschenfreundlichster Stimmung. Sein gelb­liches Gesicht war von den Geistern des Weines rot durchglüht, und die kleinen schwarzen Aeugelchen funkelten selig aus ihren dicken Hautwulsten heraus. Nicht länger vermochte er die frohe Enttäuschung, die er an Hubert Schwarz erlebt hatte, in seinem Busen zu verschließen.

Herrgott, das war ja einallerliebster Mensch"! Geistreich, liebenswürdig, bescheiden. Und dabei so ruhig und sicher in seinem Wesen, daß niemand ihm seine Herkunft anmerkte. Und er hatte entschieden distinguiert ausgesehen.Wie ein junger Gelehrter," wiederholte der Professor ein paarmal emphatisch. Es war das höchste Lob, das er zu vergeben hatte.

Ich habe Charlotte aufrichtig bewundert," sagte Frau Professor Tappert, eine kleine, süßlich-freund­liche, altjüngferlich aussehende Dame in brauner Seide, mit einem großen altmodischen Goldschmuck, Weinblätter und Trauben darstellend.Ich hätte ihren Heldenmut nicht gehabt, Tappert," wandte sie sich an ihren Gatten.Und wenn ich nicht, wie von meiner eignen Seligkeit, davon überzeugt gewesen wäre, daß du wirklich, wie unser guter Pastor auch betonte, als Junggeselle vor Gottes heiligen Altar tratest"

Lassen wir die Vergangenheit, Rosalie," unter­brach der Professor sie etwas hastig.Ich bekenne, daß es mir innig wohlgethan hat, einen Menschen, den ich schon an der Schwelle des Verderbens an­gelangt glaubte, gereinigt wie einen Phönix aus der Asche seiner äh Jrrtümer sich erheben zu sehen. Welch ein Geist! Welche Tiefe in dem nun­mehrigen Mann unsrer lieben Nichte Charlotte! Wahrlich, die Familie braucht sich dieses neuen Gliedes nicht zu schämen! Und wenn er einmal emporsteigt zu den höchsten Ehrenstellen, so wollen wir uns daran erinnern, daß die Toleranz es war, unsre Toleranz, und vor allem die unsers lieben Berghauer, die ihm die Rückkehr in den Schoß der Gesellschaft, in geordnete, reine Verhältnisse ermög­licht hat!"

Ein erhebendes Gefühl," stimmte Frau Rosalie Tappert in ihren gerührtesten Tönen zu, einen Tag wie diesen erlebt zu haben!"

Frau von Nienstedt, die in einem kostbaren vio­letten Sammetkleid, mit all ihren Diamanten ge­schmückt, auf dem Sofa saß, blickte mit vielsagendem Lächeln auf das begeisterte Ehepaar. In diesem Lächeln lag das Mitleid eines Menschen, der nie einen Schritt von seiner Ueberzeugung abgewichen ist, mit armen Renegaten. Es lag aber außerdem

noch so viel Heimliches, klüglich Verschwiegenes darin, daß die neugierige Professorin, aufs höchste gespannt, herausplatzte:Was meinst du, Sophie- chen? Weißt du etwas?"

Frau von Nienstedt aber machte nur dunkle An­deutungen von einemSkelett im Hause".Und in einer jungen Ehe, eh' die Leutchen noch Vertrauen zu einander fassen können das ist immerhin bedenklich."

Eine Viertelstunde später war der Abschied über­standen, das junge Paar auf dem Wege zur Bahn.

Als Lotte an einer Straßenecke zufällig einen Blick aus dem Wagen warf, bemerkte sie wieder die junge Frau in Schwarz, die hier in der Gegend wohnen oder häufig zu thun haben mußte.

Aber fast schien's, als habe sie heut jemand erwartet. Als sie den Wagen erblickte, weiteten sich ihre Augen, als wolle sie das Bild der beiden Insassen mit einem gierigen Blick in sich ein­saugen. Und auf einmal kam Lotte eine Ver­mutung, daß sie, erblassend, sich in die Kissen znrücklegen mußte.

Mein Gott, was war denn?" rief Hubert be­troffen.Hast du etwa am helllichten Tage die weiße Frau gesehen?" fügte er scherzend hinzu.

Nein, Hubert aber die schwarze. Die schon öfter hier herumgespukt hat. Hast du denn nichts bemerkt?"

Nein, gar nichts," lächelte er.Das kannst du übrigens auch nicht verlangen." Und er nahm ihre Hand und bedeckte sie mit Küssen.

Hubert," sagte sie leise,sieh mich doch nicht so an."

Warum denn nicht?"

Weil ich bange bin um unser Glück. Es ist zu groß."

Sie fuhren nun ein Weilchen in der Welt herum; aber nicht in der Richtung, die der große Zug aller Hochzeitsreisenden nimmt. Denn für den Süden war's jetzt, Anfang Juli, nicht mehr die rechte Jahres­zeit. Auch wollte Hubert, der noch kaum über Berlin und Güttingen hinausgekommen war, lieber ein größeres Stück von Deutschland sehen.

Sie gingen also zunächst nach Thüringen und verlebten ihren ersten Ehetag in Weimar.

Ein echter Sommertag, heiß und sonnig, mit goldener Lindenblüte und fleißig schaffenden Bienen, mit reifendem Korn, das sich unter der Last der Aehren beugte, mit leuchtenden Mohnblüten an den Rainen, bunten Wiesen und einem tiefblauen Himmel.

Wunschlos und stillselig, wie die ersten Menschen im Paradiese, gingen sie zu allen Gedenkstätten des alten kleinen Jlmstädtchens, das mit Erinnerungen an die beiden Großen förmlich gepflastert ist. Und es war, als stiegen diese zu ihnen herab aus ihrer kühlen Höhe und würden ihnen menschlich vertranter, liebenswerter.

Sie besuchten auch Goethes Gartenhaus im Park draußen und wandelten zwischen den geradlinigen Beeten hin, in denen noch immer die altmodischen Blumen gezogen wurden, die der alte Herr geliebt hatte.

Im Park blieben sie vor einem Felsen stehen, in den eine eiserne Tafel mit einer Inschrift ein­gefügt war. Sie lasen zusammen:

Hier im Stillen gedachte der Liebende seiner Geliebten."

Hubert sah seine junge Frau lächelnd an.Du weißt, wie sie hieß?"

Lotte nickte.

Wie du. Und wie alle oder doch die meisten Frauen, die in dem Leben der beiden Dichter eine Rolle gespielt haben."

Wie galant! Daran habe ich noch gar nicht gedacht."

Aber ich. Gleich als ich zum erstenmal deinen Namen hörte: Lotte. Und da dachte ich an Werthers Lotte und an Lotte von Stein"

Sie lachte glücklich.Du machst mich ja ordent­lich eitel auf meinen altmodischen Namen. Und ich habe mich so oft über ihn geärgert."

Es ist der schönste Name, Lotte. Und vielleicht eine gute Vorbedeutung für mich."

Ich glaube, heut bist du nicht kompetent, Schatz. Heut gefiele dir mein Name, und wenn ich Urselblandine hieße."