Heft 
(1898) 18
Seite
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Ueöer Land und Meer.

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Sie lachten beide so herzlich, so aus tieser, inniger Glückseligkeit herans, wie die Kinder lachen.

Das beste habe ich uns bis zuletzt anfgespart," sagte Hubert, als schon die Sonne dieses einzigen Tages im Sinken war und sie müde vom Genießen in die Stadt zurückkehrten.

Er führte sie durch ein paar Gäßchen mit großen Namen auf einen Platz, den ein unscheinbares Ge­bäude im Hintergrund abschloß. Sie standen vor dem Denkmal der beiden Dichterfürsten sie wußten nicht wie lange. Aber das Abendrot überzog all­mählich den Himmel wie der Wiederschein einer Feuersbrunst.

Endlich seufzte Charlotte und suchte Huberts Auge. Und zum erstenmal sah sie es feucht.

Ich habe mir erst den Segen holen wollen von den beiden," sagte er.Sieh mal, das war gestern alles sehr schön. Aber diese Zehn Minuten hier die vergesst ich nie im Leben."

Wie sie ihn verstand! Sie nickte nur und schmiegte sich fester an ihn.

Daß man hier nicht niederknieen darf wie in einem Tempel," sagte er und riß sich endlich los. Es ist doch auch heiliges Land. Und ich habe ein Gelübde gethan."

Siehst du, das habe ich dir angesehen. Und ich weiß sogar, was du gelobt hast."

Das mußt du auch wissen: jeder Gedanke, jeder Atemzug für die Kunst!"

Sie schwieg darauf eine lange Weile, während er sich seinem Sinnen überließ. Endlich fragte sie leise und zaghaft:Und ich?"

Du?" ries er mit stolz aufleuchtenden Augen. Du bist Glück, Schmuck, Unverdientes Unver- dienbares. Das andre aber ist Lebensbedingung, harte, eiserne Notwendigkeit."

Wieder gingen sie langsam weiter, in der toten Straße einen lauten Wiederhall ihrer Schritte er­weckend. Lotten war's wie ein seltsamer, süß­beklemmender Traum: diese stille, abenddunkle, fremde Stadt und sie an Huberts Seite. . .

Endlich fiel ihm ihr beharrliches Schweigen aus. Lotti, was hast du?" fragte er zärtlich. Er sah ihr ins Gesicht aber war's die dämmernde Be­leuchtung? Es schien ihm etwas von dem Glanz sortgewischt, der ihr den ganzen Tag aus den Augen gestrahlt hatte.

Hubert," fragte sie mit leiser, zitternder Span­nung,sag mir, kannst du dir das Leben noch vorstellen ohne mich?"

Lotti!" rief er fast entsetzt,wie kannst du so fragen!"

Nein, nein, keine Ausflüchte! Sei ganz ehr­lich! Nicht wahr, du kannst's?"

Er ging mit sich zu Rate, lange und gewissen­haft. Sie wußte es sie würde die volle Wahr­heit hören. Und das Herz schlug ihr in einer thörichten Unruhe.

Ich müßte es ja doch," sagte er endlich.Es wäre das Furchtbarste, was mich treffen könnte aber, Geliebte, tragen müßt ich's, als Mann."

Ach, Hubert, siehst du, das ist der Unterschied: nein, ich könnte es nicht! Du und das Leben ihr seid eins für mich. Ich kann euch nicht mehr trennen."

Er redete scherzend auf sie ein, was ihr einfiele, heute so tragische Töne anzuschlagen, und ihm zu­liebe zeigte sie auch bald wieder ihr heiteres Gesicht, aber ein leichter Druck blieb in ihr zurück.

Gestern hatte sie noch gesagt: wie werde ich mein Glück tragen? Heute dachte sie: es ist schon dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen.

Eine Woche noch streiften sie wie die Zugvögel, die sich jeden Abend ans einem andern Zweig nieder­lassen, durch das schöne Thüringer Land und steuerten dann weiter westwärts. In Wiesbaden, das Lotte schon oft berührt hatte auf den aus­gedehnten Reisen mit ihrem Vater, wollten sie längere Station machen.

Daß die Saison vorüber war und die prächtigen Wege des Kurparks nicht mehr so belebt, sagte ihnen beiden zu. Sie hatten sich nun miteinander schon ein wenig eingewöhnt. Aber sie waren doch am liebsten allein.

Hubert war dies Leben aus dem Vollen manch­mal bedrückend. Seine karge Vergangenheit spukte

^ noch nach. Ueberall, wo sie in den Hotels vor- ! sprachen, gab man ihnen die besten Zimmer jedenfalls auf Lottes distinguiertes Aeußere hin und er lächelte oft ironisch, wenn er sah, wie sich Kellner und Stubenmädchen in Zuvorkommenheit erschöpften. Seine frühere Wirtin fiel ihm wohl ein das waren so Gegensätze!

Und Lotte fand das alles ganz in der Ordnung. Ja, manchmal war sie nicht einmal zufrieden und verlangte diese oder jene Bequemlichkeit, die er kaum dem Namen nach kannte.

Doch ließ er ihr vollkommen freie Hand. Sie machten Halbpart bei allem, was sie gemeinsam verbrauchten, und fanden diese Methode vortrefflich. In seinen persönlichen Bedürfnissen aber blieb er so bescheiden, daß Lotte ihn öfter ganz erstaunt fragte, warum er sich kasteie.

Aber Kind," sagte er dann,so fürstlich wie jetzt habe ich in meinem ganzen Leben nicht ge­schwelgt."

Sie drang dann nicht weiter in ihn. Sein früheres Leben" berührte sie nicht gern, und sie hatte immer ein bißchen Angst, daß etwas Peinliches zur Sprache kommen könnte. Aber sie schmuggelte ihm allerlei Gutes unter und war glücklich wie ein Kind, wenn er sich's gefallen ließ. Nur forderte er sehr entschieden, daß dieseVerwöhnung" nicht zur Regel werde.

Weißt du, Schatz, ich habe dich im Verdacht, ein heimlicher Geizhals zu sein," sagte sie eines Tages, als er sich trotz ihrer Bitten nicht bewegen lassen wollte, eine Wagenfahrt nach demChaussee- Haus" zu machen.

Geizhals?" lachte er gutgelaunt.Weil ich die Fahrt mit der Bahn vorziehe, die nicht den zehnten Teil kostet und uns in kürzester Zeit ans Ziel bringt!"

Nein, weil du Schätze sammelst, wie's scheint, aus bloßer Liebe zum Mammon," sagte sie un­überlegt.

Hubert wurde ein wenig rot. Und Lotte fuhr neckend fort:Gesteh's nur, du sparst schon zu Weihnachten! Gewiß zu einem Kleide für mich. Ich bin ja auch so abgerissen. Oder zu einer Brosche. Mir fehlt gerade noch eine am Viertelhundert"

Aber sie verstummte mitten in ihrem unbedachten Scherz. Sie sah, daß sie einen wunden Punkt be­rührt hatte. Er war plötzlich ganz verändert, finster und streng, so daß ein leises Gefühl der Furcht sie beschlich.

Du weißt doch, daß ich Verpflichtungen habe," sagte er kurz, beinahe schroff.

Da war's ihr aus einmal, als wenn die Helle Sonne aus der heiteren Landschaft verschwände und alles um einen Schein trüber und farbloser würde.

Schweigend gingen sie weiter, immer bergauf, einen herrlichen, breiten Waldweg, der sie zu einem Aussichtspunkt, dem Speierskops, führte. Aber ihre Füße wollten Lottes schweres, mutloses Herz gar nicht mehr tragen. Zum erstenmal meldete sich's, das Dunkle, vor dem sie sich als Braut gefürchtet und das seine Gegenwart verscheucht hatte. Sie empfand es als etwas, das nicht sein sollte, das sie nicht wecken durfte, und das eigentlich immer aus der Lauer lag und ihr bange machte.

Jetzt hatten sie die Höhe erreicht. Uralte riesige Eichen standen da zwischen schlanken jungen Buchen. Der Blick ging hinab auf waldige Berge und verlor sich links in der sonnigen, duftverschleierten Ebene, als tauche er in die Unendlichkeit. Da glitzerte ein breites, weißes Band der Rhein. Da ragten die fernen Türme desgoldenen Mainz" Städtchen und Dörfer reihten sich aneinander unabsehbar, kleiner und kleiner Menschen, Arbeit, froher Lebenstrieb, der Felder und Weinberge bebaute, den Rauch aus hohen Fabrikschornsteinen in den Himmel sandte und sich in den mannigfaltigsten Formen bethätigte.

Im Vordergrund kletterten die Villenstraßen Wiesbadens bis an den Wald empor, während die eigentliche Stadt mit ihren roten und grauen Dächern, ihren schlanken Kirchtürmen, halb in eine golddurch- wirkte Dunstwolke gehüllt, tief im Kessel lag.

Nachdem Lotte eine Weile aus dies lebensvolle Bild geblickt hatte, wurde ihr das Herz wieder weit.

Nur nicht kleinlich sein! rief sie sich tapfer zu. Du hast's einmal übernommen, den Mann mitsamt

^ der Vergangenheit. Und so drückte sie seinen Arm ^ und sagte:Sieh mich an, Hubert."

Da versenkte er sich in ihr junges, zartes, liebe­volles Gesicht, als sähe er es zum erstenmal.

Du weißt noch gar nicht, was für einen schreck­lichen Menschenfresser du geheiratet hast, Liebste," sagte er mit einem traurigen Lächeln.

Ich merk' es eben, Schatz."

Ich habe noch so vieles zu verwinden, Lolo. Eine solche Jugend die schüttelt man nicht ab, wenn plötzlich das Glück kommt. Wirst du's auch nie vergessen?"

Es ist nicht leicht, Hubert. Manchmal Hab' ich ein bißchen bange. Ich weiß so wenig, und gerade deshalb denke ich mir zu viel..."

Du mußt alles wissen, Lotte. Es war ein Unrecht, daß ich daraus einging, dir's damals zu verschweigen. Aber jetzt, wo wir Mann und Frau sind"

Sie war ganz blaß geworden. Und wie damals streckte sie abwehrend die Hände aus und rief angst­voll:Nein, nein!"

Aber Kind, diese Vogel-Strauß-Politik kannst du doch nicht lebenslang treiben."

Ich Hab' noch nicht den Mut, vielleicht später!"

Fürchtest du, daß deine Liebe nicht standhält?" fragte er mit leiser Bitterkeit.

Sie war sich selber nicht klar, was alles in ihr gärte und brodelte und Blasen schlug. Sie sagte aber fest und entschieden:Frage nicht, Hubert. Laß mich. Wenn ich so weit bin, komm' ich dir selber."

Er drückte ihr kräftig die Hand.Gut, Lotte. Und je eher, je lieber. Ich werde nicht versuchen, mich weißzuwaschen. Und doch hoffe ich, daß du mich sreisprechen wirst."

Nun hüteten sie sich beide, den heiklen Punkt von neuem zu berühren. Was Vergangenheit! Die Gegenwart war reich genug, um ihre Seelen bis zum letzten Winkel auszufüllen!

Ein paar Tage später standen sie zusammen zu Füßen der Germania auf dem Niederwald. Und als sie sich an dem herrlichen Denkmal und an dem Panorama zu ihren Füßen sattgesehen, das vielleicht nirgends in Deutschland seinesgleichen hat, kaufte Lotte ein paar Postkarten, um den Ihrigen Grüße zu senden.

Dann setzten sie sich auf der Veranda des Häuschens, in dem das Modell des Denkmals auf­bewahrt wird, an einen Tisch, und Charlotte kritzelte eine Weile eifrig mit Huberts Bleifeder. Als sie fertig war, reichte sie ihm die Karte, damit er sie Zensur passieren" lasse.

Er las halblaut.Hier sitzen wir also wieder wie damals, weißt Du noch, Kläre? Du warst zwar noch ein Schulmädel und trugst kurze Kleider. Aber die Germania wirst Du so wenig vergessen haben wie das famose Abenteuer mit Lebensrettung und so weiter. Was macht übrigens der Bewußte? Habt ihr lange nichts von ihm gehört ? Mit tausend Grüßen

Lotte."

Ich möchte mir doch erst einige Fragen er­lauben," meinte Hubert mit scherzhafter Wichtigkeit. Wer ist der ,Bewußte'? Und aus was für ein ,Abenteuer mit Lebensrettung' spielst du an? Von der Beantwortung dieser beiden Fragen hängt es ab, ob du diese Karte fortschicken darfst oder nicht."

O du Gestrenger!" lachte sie, glücklich, ihn so heiter zu sehn, dann gefiel er ihr doch gar zu gut.Also muß ich wirklich beichten?"

Unbedingt!"

Also der ,Bewußte' ist Doktor Wedekind."

Hubert zuckte ein wenig zurück. Er faßte sich aber schnell.Ach ja, hier habt ihr euch ja kennen gelernt."

Jawohl. Und waren gleich ein Herz und eine Seele mit dem guten Kerl. Besonders die Kläre hatte ihn glühend in ihr Herz geschlossen..."

Hat er ihr das Leben gerettet?"

Nein, aber dem Jip. Das Tierchen fiel, als wir das Dampfschiff nach Bingerbrück besteigen wollten, von der Brücke ins Wasser. Und Karl Wedekind setzte aus Kläres verzweifeltes Geschrei gleich ein paar Leute in Bewegung, die es mit ihrem Kahn einholten, worauf er es mit einem kühnen Griff dem nassen Tode entriß. So, nun schreib deinen Gruß hier in die Ecke." (Fortsetzung folgt.)