Heft 
(1898) 18
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Ueber Land und Meer.

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heute eine Kunst um so eher als Beruf, je länger und inniger ihre gewerbsmäßige Ausübung dem zünftigen Handwerk gleichgestellt war, ihre Vertreter den ehrsamen Handwerks­meistern gleich geachtet waren.

Für Architekten, Bildhauer und Maler ist diese Gleich­stellung ja auch sprachlich noch ganz deutlich vorhanden. In vielen Gegenden Deutschlands bestellt man den neuen Oelanstrich eines Hauses nicht beim Meister Anstreicher, sondern beim Malermeister, was dann neuerdings in denselben Gegenden die Herren von der Palette, zumal die jüngeren, verleitet hat, sich mit dem seltsamen NamenKunstmaler" zu bezeichnen. Auch die Namen Bildhauer, Architekt oder Baumeister und so weiter sind noch ganz geläufig für Hand­werker, deren Können und Wollen keineswegs auf das Schaffen plastischer und architektonischer Kunstwerke zielt. Trotzdem haben die Schöpfer unsrer modernen Denkmäler und Prachtbauten bis jetzt nicht daran gedacht, sich nach dem Vorgang derKunstmaler" etwa als Kunstbaumeister, Kunstbildhauer oder Kunstgießer vorzustellen, und daran thun sie sehr wohl. Indem sie es ihren Werken überlassen, von ihrer Künstlerschaft zu zeugen, bleiben sie in einer Linie mit ihren großen Vorgängern, welche den Dom zu Köln und das Sebaldusgrab zu Nürnberg schufen und dabei doch ehr­same Zunftmeister blieben so gut wie der Meister Stephan Lochner und der Meister Albrecht Dürer. Wenigstens dem Buchstaben des Gesetzes nach hat diese Anschauung, welche den bürgerlichen selbständigen Künstler genau auf dieselbe soziale Stufe rückte und derselben Gewerbeordnung unter­ordnete wie den Meister Bäcker und Schumacher, noch ziem­lich weit in die neue Zeit hinein geherrscht. Keineswegs drückte sich in dieser Anschauung eine mißachtende und nieder­ziehende Meinung von der Kunst aus, vielmehr entsprach sie einfach den Grundthatsachen; denn die Kunst war ja erst allmählich aus dem Handwerk heraus erwachsen, und so ver­stand es sich für die bürgerliche Vorstellungsart auch später­hin ganz von selbst, daß znm Beispiel der Meister Maler auf jeden Fall vor allem sein ursprüngliches Handwerk zu betreiben wußte. Dabei blieb es ihm unbenommen, die allerschönsten Heiligen zu malen und die begabtesten unter seinen Gesellen und Lehrjungen zu gleicher Höhe heraus­zubilden, aber einMeister seiner Zunft" war er von Hans aus dadurch, daß er auch die handwerksmäßigen Lei­stungen auf nendeutsch: die Anstreicherarbeiten fein und zunftgerecht, mit fröhlicher Hingabe auszuführen und zu lehren vermochte. Es gehört nicht hierher, zu bedenken, wie diese Forderung der handwerksmäßigen Fertigkeit auf die Entwicklung der Kunst selber im Guten und Bösen ge­wirkt haben mag. Auf die seelische Entwicklung und Zu­friedenheit der einzelnen Künstler wird sie vermutlich zumal in der späteren Zeit, wo der Zunftgeist in den deutschen Städten greisenhaft, mürrisch und neidisch geworden war, oftmals sehr störend gewirkt haben. Aber selbst in solchen Fällen mußte sich der Künstler bei ruhiger Ueberlegung Vorhalten, daß doch eben in diesen engen steifen Formen der Zunft auch seine und seiner Bernfsgenosfen ganze rechtliche Stellung, ihr willig anerkannter Anspruch auf alle Ehren und Rechte einesehrsamen Bürgers" beschlossen war. Das zünftige Bürgerrecht einer deutschen Stadt am Ausgange des Mittelalters war ungefähr wie die Stadt selber, sehr sorgsam befestigt, manchmal eng und winkelig, aber bei alle­dem sicher und im ganzen sehr behaglich. Baukunst, Malerei und Bildnerei mit all ihren kleinen Seitenverwandten saßen von alters her drinnen; der Musik gelang es ab und zu,

machte, der mußte draußen bleiben.

Um das zu verstehen, müssen wir mit unsrer Erinnerung noch eine Strecke weiter zurückgreifen, zu den Spielleuten

des eigentlichen Mittelalters war bekanntlich Dichter nnd Musiker zugleich; er erfand znm Text auch die Weise des Liedes, das er selber vortrug und mit einer vermutlich nur sehr dürftigen Instrumentalbegleitung auf seiner Geige oder Laute ausschmückte. Damit verdiente er, von Ort zu Ort ziehend, sein tägliches Brot. Es war in alledem noch nichts Ehrenrühriges; aber der Geschmack der Zeit verlangte von dem fahrenden Manne auch noch andre Künste, die heutzutage der Cirkusclown zu treiben pflegt, und indem er sich auch hierzu hergab, wurde der Spielmann ein un­ehrlicher Mann, da nach dem strengen altdeutschen Ehrbegriff jeder seine Ehre verscherzt, der sich auf solche Weise für Geld zur Schau stellt. Wie das zu gehen pflegt, übertrug sich der Makel auch auf die minder anstößigen Leistungen des Spielmanns, und schließlich erschien jeder unehrlich, der umherzog, um für Geld zu musizieren und zu singen, auch wenn er keine Purzelbäume dazwischen schlug und keinen Schabernack mit sich treiben ließ. Eine ganz andre Wür­digung verlangten und fanden natürlich die ritterlichen Dichter und Sänger. Zwar waren auch sie zum Teil für klingenden Lohn nicht unempfänglich, und zum Beispiel der berühmteste unter ihnen, Herr Walther von der Vogelweide, weiß es seinen fürstlichen Gönnern mit großem Nachdruck nahezulegen, daß es weise sei, sich die Gunst eines einfluß­reichen Dichters mit milden Gaben zu erhalten. Immer aber empfand jene Zeit einen starken Unterschied zwischen einer solchen Hindentung aus ritterlichem Munde und dein

berufsmäßigen Trinkgeldsammeln des niedriggeborenen fah­renden Spielmanns, und im ganzen gestaltete sich für die öffentliche Meinung das Verhältnis der ritterlichen Kunst zu der des Fahrenden ungefähr so, wie für unser Empfinden der vornehmeHerrenreiter" zum Kunstreiter. Als dann das Rittertum von seiner gesellschaftlichen Herrscherstellung herabgesunken war und das demokratische Bürgertum zur Blüte kam, trat gleichsam an die Stelle des ritterlichen Künstlers der bürgerliche Meistersinger auch dieser noch Dichter, Tonsetzer und Sänger in einer Person und ebenso geachtet wie jener. Der fahrende Spielmann aber, der die Kunst nicht alsAmateur", sondern als Broterwerb trieb, wurde womöglich immer unehrlicher, da das behäbige Bürgertum sich zu allen Zeiten noch viel scheuer von der Berührung mit allen solchen unsichern Zigeunern der Ge­sellschaft zurückhielt als die feudale Geburtsaristokratie. Mehr und mehr jedoch drängte sich das Bedürfnis aus, wenigstens eine von jenen Kunstleistungen, die in dem weiten Kreise der Spielmannsthätigkeit beschlossen lagen, auch vonehr­lichen" und seßhaften Leuten vertreten zu sehen: nämlich die Instrumentalmusik. So gelang es manchen tüchtigen Musikanten, in den Verband des ehrlichen Bürgertums ein- zuschlüpsen, indem sie von städtischen Magistraten, auch wohl von fürstlichen Höfen zur Ausübung ihrer Kunst privilegiert

Lugen Russy,

Sie durften Gesellen und Lehrjungen annehmen und paßten sich überhaupt der üblichen zunftmüßigen Art des Betriebes nach Kräften an. Immerhin blieben sie in den Augen des gewerblichen Bürgertums etwas Fremdes, da sie nicht wie die Maler und Tüncher, die Bauleute und so weiter von Haus aus ein gemeinnütziges Handwerk trieben, sondern nur angestellt waren, um bei Hochzeiten, Aufzügen und so weiternach der Kunst zu pfeifen". Daher nannte man sieKnnstpfeifer", was also gerade kein glänzendes Vorbild für unsreKunstmaler" ist.

Ungleich zahlreicher als diese ehrlichen Musiker blieb natürlich die Menge der fahrenden Spielleute, zu denen das Vorurteil des ehrsamen Bürgertums alles rechnete, was irgendwo für Geldauftritt"; unter andern auch die Schau­spieler. Alle diese Leute galten alsunehrlich" und blieben es bis tief ins 18. Jahrhundert; ganz besonders hart aber traf die Mißachtung die Berufserben des Spielmanns im engern Sinne, die sogenannten Singer und Reimsprecher, welche fortfnhren, teils fremde, teils eigne Gedichte auf Märkten und Gassen zusingen und sagen". In einer Reichspolizei-Ordnnng des 16. Jahrhunderts werden diese unglücklichen Bernfsdichter und -sänger, denen wir vielleicht eine Menge unsrer schönsten sogenannten Volkslieder ver­danken, geradezu denSchalksnarren" gleichgestellt. Für sie gab es gar keine Aussicht, ein ehrliches Pöstchen in ihrem Fach zu bekommen; denn wenn sich auch das deutsche Bürgertum von andern Leuten etwas pfeifen und Heimgeigen ließ, feinen Bedarf an Poesie deckte es auf dem Wege des dilettantischen Nebenbetriebs selber. Zwar die Handwerks­meister , verlernten das Dichten und Singen ' allmählich. Dafür aber nahm das bürgerliche Gelehrtentum, wenn auch nicht das Singen, doch das Dichten ans sich nnd hat es im Grunde bis zu Anfang unsers Jahrhunderts fast aus­schließlich gepflegt. Gelehrte waren die elendesten Verse- macher, die in der Zeit unsrer tiefsten nationalen Er­schöpfung, zwischen dem dreißigjährigen und dem ersten schlesischen Kriege, den deutschen Parnaß mit Pappeln be­

pflanzten, lind zu dengelehrten Ständen" gehörten wiederum auch die großen Dichter, die von der Mitte des vorigen Jahrhunderts an unsre klassische Litteratur schufen. Wenn irgendwo, so dürfen wir bei den letztem vondichterischem Beruf" sprechen; für einige unter ihnen, so für Schiller in seiner letzten fruchtbarsten Zeit, war es auch im wirtschaft­lichen Sinne der einzigeBeruf"; aber weder sie noch ihre begeistertsten Verehrer im deutschell Bürgertum ihrer Zeit würden es begriffen haben, daß einer auf die Polizeifrage: Was sind Sie?" ernsthaft und ehrlich antwortete:Dichter".

Längst überwundene Kulturzustände beeinflussen, wenn sie unsrer Vorstellungswell entrückt sind, noch immer un­bewußterweise unsre Sprache. Daß ein hervorragender Maler ebenso wie ein Anstreicher seinen Beruf eben als Maler" angiebt, erscheint uns ganz selbstverständlich, ob­gleich es immer schon zwei Jahrhunderte und darüber her ist, daß sich die Kunst auch formell vom Handwerk ab­löste. Der Musiker stellt sich am liebsten unter irgend einem Titel vor, der ihm das Ansehen einesAngestellten" oder gar eines fürstlichen Hosbediensteten giebt ganz als ob wir noch in jenen Zeiten lebten, wo eben eine solche wirk­liche oder tituläre Anstellung denehrlichen" Musikus aus der Menge der unehrlichen Spielleute heraushob. Daß aber ein Dichter, der keinerlei Amt noch Stelle bekleidet und völlig von seinem Dichten wie für sein Dichten lebt, auf die Frage nach seinem Berufe antwortet:Ich bin Dichter", das geht uns wider die Haare, weil sich unsre Vorfahren von den Zeiten der Meistersinger bis vor ungefähr hundert Jahren unter einen: anständigen Dichter eben nur einen Mann aus der guten Gesellschaft denken konnten, der in den freien Stunden seineseigentlichen" Berufes zu seinem Vergnügen dichtet.

Und nun kommt allerdings, wenigstens für das Em­pfinden der minder Gebildeten, noch etwas hinzu, was die Vorstellung eines dichterischen Berufs überhaupt so erschwert: das Dichten ist der heimlichste Beruf. Den Maler sieht

wo sieht man so einen Dichter einmal dichten? Man sieht ihn vielleicht spazierengehen, man sieht ihn auf dem Sofa sitzen, man sieht ihn vielleicht sogar einmal schreiben: was hat das aber alles mit dem Dichten zu thun? Für die Vorstellung der kleinen Leute liegt da ein unlösbares Rätsel, und die Lösnngsversnche, die man gelegentlich belauscht, sind sehr lehrreich. Durchgehends aber liegt ihnen eine Ansicht zu Grunde: wer dichten kann, der muß schrecklich vielstudiert" haben. Oder wie mir einmal ein junger Bauer sagte, der in meinem Zimmer den Namen Goethe unter einem Porträt las:Das ist der berühmteste Dichter, nicht wahr? Ach, wenn ich dem seine Kenntnisse hätte!" Ich weiß nicht, ob er vorhatte, in diesem Falle auch so zu dichten wie Goethe; aber jedenfalls war er überzeugt, daß mit dem Besitze derKenntnisse" die Hauptsache gewonnen sei. Wahrscheinlich klingt auch in dieser volkstümlichen An­schauung wieder eine unbewußte kulturgeschichtliche Erinne­rung nach an jene Zeiten des vorvorigen und selbst noch des vorigen Jahrhunderts, wo der Dichter wirklich vor allemgelehrt" schreiben mußte und an den deutschen Uni­versitäten der TitelProfessor der Poesie und Eloquenz", der jetzt noch einigen ordentlichen Professoren der klassischen Philologie von Amts wegen anhaftet, ganz wörtlich gemeint war. Pflegen doch auch die gebildeten Leute, besonders die Damen, jeden Dichter, dersonst nichts ist", alsHerr Doktor" anzureden. Alsowissenschaftliche Bildung" muß man haben das Dichten geht dann nachher von selber, ohne daß die andern es merken. Es ist eben der heimlichste Beruf und auch darum finden wir eskomisch", sich in einem Fremdenbuch oder an andern öffentlichen Orten ohne Scheu zu ihm zu bekennen.

Zu unfern Mildern.

-Augen Ruffy, der neue schweizerische Bundespräsident, W ist am 2. August 1854 zu Banerette bei Lutry im Kanton Waadt geboren. Durch gründliche Studien in Lausanne, Heidelberg, Leipzig und Paris vorgebildet, trat er schon in jungen Jahren in die Öffentlichkeit; bereits 1885, also erst 31 Jahre alt, präsidierte er den: waadt­ländischen Großen Rat, 1889 dem schweizerischen National­rat. Im Dezember 1893 in den Bundesrat . gewählt, leitete er zunächst das Justizdepartement, sodann dasjenige

zenden Mehrheit zum Bundespräsidenten ernannt, ist er zugleich mit der Leitung der äußeren Angelegenheiten betraut.

Die Farandole, ein munterer proven^alischer Rund­tanz, leitet nach der Legende ihre Entstehung von keinem Geringeren als Theseus her, dem heldenhaften Bezwinger des Minotauros. Die Windungen, in denen er, dem Ariadne­faden folgend, sich durch das sonst unentwirrbare Labyrinth bewegte, sollen das ursprüngliche Vorbild des Tanzes ge­wesen sein. Wenn man auch der Sage keinen Glauben schenkt, so ist jedenfalls die Farandole, mit den: nötigen Geschick und Feuer von den flinken, jungen Paaren aus­geführt, ein sehr anmutiger Tanz, in dem das heitere proven^alische Temperament zu fröhlichen: Ausdruck gelangt. Das Gemälde, ein Werk des spanischen Malers E. Garrido, war eine Zierde des Pariser Salons von 1897.