Heft 
(1898) 18
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Melier Land und Meer.

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Auch auf Helgoland bestand noch in den fünfziger Jahren eine solche Kelpbrennerei, als aber später das chilenische Jod dem in Europa gewonnenen mehr und mehr Kon­kurrenz machte, mußten viele der kleineren Fabriken ihren Betrieb einstellen, und die einzige Tangindustrie, wenn man es so nennen soll, die wir gegenwärtig in Deutschland haben, beschränkt sich auf die Herstellung von Wundstiften, den sogenanntenLtixites Oamlnariae" der Pharmakopöe, die aus den getrockneten und geschälten Stämmen einer bei Helgoland häufigen Laminaria-Art, der O. gedrechselt werden, und die, vermöge ihrer großen Quellungs­fähigkeit, zur Erweiterung von Wundkanälen und ähnlichen Zwecken verwendet werden. Oauiinaria ge­

hört übrigens zu den wenigen ausdauernden Algen, die jährlich ihr Laub wechseln, und es liegt ein eigner Reiz darin, im Frühling, bei stillem Wetter, im Boote über diese submarinen Wälder dahinzugleiten, wenn das alte Laub abgeworfen ist und die gigantischen fächer- oder bandförmigen Laubmassen der Laminarien im frischesten, bei auffallendem Sonnenlichte blau opalisierendem Gelbbraun erglänzen. Sind es doch, abgesehen von den oft abenteuerlichen Formen, gerade die Farben der Tange, die jeden überraschen, der zum erstenmal an der Meeresküste weilt, und nicht selten begegnet man einem ungläubigen Lächeln, wenn beim Vor­zeigen getrockneter Algen das satte Karminrot und das leuchtende Braun als die natürliche Färbung der Meeres­algen erklärt wird.

Sehr erhöht wird der Reiz dieser unterseeischen Wiesen, Gebüsche und Wälder durch die mannigfaltigen Tierformen, von denen sie belebt werden. Hier flüchtet sich in behender und durch die seitliche Fortbewegung komischer Grandezza ein Taschenkrebs unter ein Tangbüschel, dort gleitet ein Seestichling, besorgt und zur Verteidigung entschlossen, um das aus dem Laube der Meereiche gebaute Nest; an einer andern Stelle sehen wir den von den Eingeborenen Happot genannten Seehasen (O^elopterus lunixus) träge am Boden liegen, einen durch seine ungestalten Formen und großen Dimensionen auffälligen Fisch, der sich mit einem saug­scheibenförmigen, am Bauche sitzenden Organe am Boden festsaugt und von den Fischern vermittelst einer kurzen, mit eisernem Haken versehenen Harpune heraufgeholt wird. Er gilt als einer der trägsten Fische, dem es so sehr an In­telligenz fehlt, daß er nicht einmal sein eignes Element kennt und bei Ebbe oft aufs Trockene gerät. Zur Zeit der Paarung ist das Männchen rot, das Weibchen blau gefärbt, aber nur das Fleisch des Männchens gilt bei der Bevölkerung als Leckerbissen. Schieben wir auf einigen Felsplatten den Seetang beiseite, so werden wir hie und da durch den Anblick prachtvoller, rot- und blaustrahliger Rosetten überrascht, den Lentakelkränzen der meist in Ver­tiefungen des Gesteins fitzenden Seerose (^etinia er3.88i- eorni8). Eine Verwandte derselben, die Lucernarie, wohnt auf den braunen Zweigen der Meereiche, die sie mit ihrem Fuß umklammert, während die in vier von Tentakelknöpfchen gekrönten Zipfel ausgezogenen Glocken nach unten herab­hängen. Zuweilen glückt es uns wohl auch, eine der schönen Nacktschnecken (vorl8) zu erbeuten.

Sind unsre Augen vom Spähen ermüdet, so lassen wir den Blick über die grotesken Felsbildungen gleiten, an denen die zerklüftete Westseite so reich ist. In der

Nähe der Nordspitze fällt uns eine etwas vorspringende Felswand durch ihre weiße Färbung auf, und näher kom­mend sehen wir dort Tausende von Vögeln auf den galerie­förmigen Felsgesimsen dicht aneinandergedrängt sitzen oder unter betäubendem Geschrei bald sich in ganzen Scharen von der Klippe ins Meer stürzen bald wieder zu ihr emporflattern. Es sind Lummen, eine nordische, zu den Alken gehörige Vogelart, die hier einen ihrer südlichsten, in jedem Frühjahr wieder aufs neue von ihnen bevölkerten Brutplätze haben. Auf dem flachen Lande sehr unbehilf­lich, ist die Lumme ein ziemlich gewandter Flieger und ein ausgezeichneter Schwimmer und Taucher; wer daher Gelegenheit hat, das Berliner Aquarium zu besuchen, der versäume nicht, die Schwimmkünste der dortigen Helgo­länder Lummen zu bewundern- Die kurzen Flügel wie große Schwimmflossen benutzend, schießen, rudern und flattern sie pfeilschnell durch das Wasser, während ihr ganzer Kör­per infolge der anhängenden Luft in goldenem Glanze schimmert. Nur kurz mag noch erwähnt sein, daß Helgo­land durch Feine Vogelwelt einen Weltruf genießt, da zur Zeit des Vogelzuges im Frühjahr und Herbst alle Arten von Vögeln, vom Fluge erschöpft oder mit widrigen Winden kämpfend, den einsamen Fels als Ruhepunkt zu be­nutzen pflegen. Zahllose Vogelarten, darunter auch einige sibirische und nordamerikanische Gäste, wurden hier beobachtet, und dem berühmten Ornithologen Gätke, dessen Vogelsammlung, wie oben erwähnt, jetzt im Nordseemuseuni aufgestellt ist, gelang es auch, einige Exemplare der äußerst seltenen Rosenmöwe (I^ru8 U.088Ü) zu erbeuten, die im äußersten Norden brütet, und von der größere Scharen Nansen zum erstenmal bei seiner Nordpolfahrt auf 86 Grad nördlicher Breite beobachtet hat.

Wer an warmen Augustabenden zur Zeit des Neu­mondes bei Helgoland eine Fahrt im Ruderboot unternimmt, wird auch die oft beschriebene Erscheinung des Meerleuchtens hier ganz besonders schön beobachten können. Ein kleines, iufusorienartiges Tier, Noetilueu miliaris das, mit dem

feinen Netz herausgefischt, wie feinkörniger Sago an der Oberfläche des Wassers schwimmt, ist die Ursache dieses Leuchtens, Flimmerns und Glühens in den uns umgeben­den, von den Ruderschlägen aufgewirbelten Fluten.

Auf der Reede hat die Biologische Anstalt einige Hummer­kasten liegen, gefüllt mit Hummern, die wissenschaftlichen Beobachtungen über Wachstum, Häutung, Ei-Ablage und so weiter dienen. Helgoland ist bekanntlich der einzige Fischereiplatz Deutschlands, wo der Hummerfang betrieben wird; zum Fangen dienen die sogenannten Tiners, glocken­förmige, mit Ballast beschwerte Körbe, die einen reusen­förmigen Eingang besitzen und, mit Köder, meist toten Fischen, beschickt, zwischen die Klippen gesetzt werden. Nach Angabe von vr. Ehrenbaum werden jährlich etwa 60 bis 70 000 Stück Hummern im Wert von 50 bis 60 000 Mark gefangen, und um diese Erwerbsquelle auf ihrer Höhe zu halten, das heißt einer Ueberfischung vorzubeugen, sind von der Biologischen Anstalt eingehende Untersuchungen angestellt worden, die, abgesehen von andern Maßregeln, auch zu der Festsetzung eines Minimalmaßes von 9 Centi- meter Brustpanzerlänge für den Verkauf von Hummern geführt haben.

Wollen wir uns die praktische Fischerei ansehen, für die die Anstalt mit den mannigfaltigsten Fischereigeräten ausgerüstet ist, so müssen wir den Motor auf einer seiner Ausfahrten begleiten, freilich ein Vergnügen, bei dem es für den Binnenbewohner nicht ohne den üblichen Tribut an Neptun abzugehen pflegt. Bei solchen Fahrten pflegt näm­lich die Kurre gesetzt zu werden, ein großes, am sogenannten Kurrenbaum befestigtes Netz, das auf dem Boden entlang geschleppt wird und in dem sich die grundbewohnenden Fische wie Schollen, Steinbutt, Seezungen, Kabeljau und Schellfische fangen. Während der Motor zwei bis drei Stunden in langsamer Fahrt das schwere Netz nachschleppt, sind, besonders bei etwas krauser See, seine Bewegungen äußerst unruhig; um so größer ist dann aber die Freude, wenn das Netz endlich aufgewunden wird und außer einer reichen Ausbeute an Nutzfischen auch zahlreiche See-Igel, Seesterne, Schlangensterne, Schwämme, Einsiedlerkrebse, einige Tintenfische und andres Getier heraufbringt.

Der heimlichste Weruf.

Hrnst Wuellenöach.

^Einem vielgerühmten und also auch vielbeneideten Dichter W ist kürzlich ein wunderliches Mißgeschick begegnet. Er hatte beim Abschied von der Sommerfrische seinen Namen in das Fremdenbuch des Gasthofs eingetragen und dabei auch seinen Beruf angegeben:N. N., Dichter, aus Berlin". Ein späterer Gast vielleicht ein Kollege empfand diese Form der Einzeichnung als unfreiwilligen Witz und teilte sie einer großen Zeitung mit. Die gewandte Redaktion erweiterte die Einsendung zu einem acht Zeilen langen Ge- schichtchen, welches den Namen des Dichters sicher erraten ließ, ohne ihn zu nennen, und auf dem Wege des Nach­drucks erstaunlich schnell von Blatt zu Blatt wanderte, so weit die deutsche Zunge klingt.

In jener Zeit saß ich einmal in einem öffentlichen Lese­zimmer, um die größeren Zeitungen nach einer gewissen litterarischen Notiz zu durchsuchen. Die Notiz fand ich nicht, aber ungefähr zehnmal sprang mir die Geschichte von dem Dichter entgegen, der sich öffentlich einen Dichter nannte. Das erste Mal hatte ich über die Geschichte gelacht; bei jedem Wiedersehen wurde sie mir unleidiger, und als ich zufällig hörte, wie mein Nebenmann einen Dritten auf sie aufmerksam machte und beide darüber lachten, empfand ich das schon beinahe wie eine Beleidigung. Auf der Heim­fahrt traf ich im Pferdebahnwagen einen guten Bekannten, der mir sogleich die Geschichte erzählte und die teilnehmende Frage daran schloß, ob ich denn noch immer nicht von meinem Rheumatismus befreit sei? Vermutlich hatte ich es beim Zuhören an der erwarteten lustigen Miene fehlen lassen. Aber als ich nach Hause kam, reichte mir meine Frau mit dem heitersten Lächeln unsre Ortszeitung, aus der sie jeden Mittag zuerst die Verlobungs- und Todes­anzeigen und dann das übrige Vermischte herausnascht. Da sieh einmal, wie komisch!" sagte sie und deutete mit dem Finger aus eine Notiz. Natürlich war es die Geschichte von dem Dichter, der sich einen Dichter nannte. Ich las sie noch einmal und erheuchelte einen Heiterkeitsausbruch; denn wenn man es sogar als klug empfiehlt, mit den Wölfen zu heulen, so halte ich es geradezu für unmoralisch, feiner lachenden Frau nicht lachen zu helfen. Und erst nach Tisch, als ich allein in meinem Arbeitszimmer saß, that ich Buße für meine Heuchelei, indem ich mir klar zu machen suchte, was denn überhaupt an jener Inschrift lächerlich sei.

Diese Frage möchte ich an alle Leser weitergeben, die das Geschichtchen feiner Zeit mitgelesen und mitbelacht haben.

Die Antwort wäre leicht, wenn jene Inschrift der An­maßung eines eiteln Menschen entsprungen wäre, der sich um einiger nachempfundener Verse willen für einen Dichter hält. Derartigen Leuten gegenüber, die sich mit einem Wir Dichter" von der übrigen Menschheit stolz aus­nehmen, ist das Lachen sehr begreiflich und berechtigt. Aber

so liegt die Sache nicht. Es handelt sich um einen Mann, der getrost mit Heine von sich sagen könnte:

Ich bin ein deutscher Dichter,

Nennt man die besten Namen,

Auch wo er uns nicht zu seinen Ansichten bekehrt, über­zeugt er uns doch von seinem dichterischen Berufe. Oben­drein war es den meisten oder doch vielen von uns bekannt, daß jener Mann auch imgewerblichen" Sinne keinen andern Beruf ausübt; er ist lediglich als Dichter thätig und hat keineErwerbsquelle" außer seinen Dichtungen. Seine Antwort auf die neugierige Frage des Fremdenbuches nachStand oder Beruf" entsprach demnach vollkommen der Wahrheit. Aber sie widersprach dem Herkommen, und ausschließlich in diesem Widerspruch lag der komische Reiz, der sie allen kundigen Redakteuren als Beitrag zur Er­heiterung ihrer Leser willkommen machte. Wäre der Mann Maler, Bildhauer oder Architekt, so würde niemand in der Angabe der künstlerischen Berufsthätigkeit etwas Lächerliches gefunden haben. Für den Dichter aber ist das amtliche Inkognito vorgeschrieben. Man fetzt voraus, daß er seinen Beruf selbst dann, wenn es auch sein einziger Erwerb ist, ebenso wenig ausspreche, wie mau ihn auf diesen Beruf anspricht. Vor einigen Jahren brachte ein amtliches Blatt zwei Ordensverleihungen für künstlerische Verdienste, an einen berühmten norddeutschen Dichter und einen berühmten Maler; der erstere wurde einfach alsProfessor X." bezeichnet, der andre alsHistorienmaler P., Professor an der Akademie in."

Es wäre thöricht, wenn jemand in dieser Unterscheidung eine Zurücksetzung der Dichtkunst hinter den darstellenden Künsten sehen wollte. Andrerseits wäre es ebenso irrig, hier im Sprachgebrauch eine bewußte Huldigung des Volks­empfindens für die ideale Stellung des Dichters zu wittern, der auf der Menschheit Höhen wandelt und die Güter dieser Erde gern entbehrt, weil er bei Vater Zeus offenen Zutritt hat. Für das Empfinden der Menge hängt der Wert jedes ehrlichen Berufes auch des dichterischen ganz gleich­mäßig von dem Grade materieller Vorteile ab, den er seinen begabten Anhängern gewährt. Einer der gemütvollsten und weltkundigsten Dichter unsrer Zeit, Hans Hoffmann, hat das in einem heitern Gedicht sehr hübsch ausgeführt. Er schildert seinen Besuch bei einem millionschweren Stecknadel­fabrikanten, der ihm mit einer gewissen herablassenden Freundlichkeit guten Tischwein und immerhin rauchbare Zigarren vorsetzt und schließlich auch so beiläufig mal fragt, was denn das Dichten wohl einbringe?Ach, nicht viel," sagt der Dichter, der seinen Mann kennt,zehntausend Thaler bringt so ein Bändchen, und ich dichte im Durchschnitt nur zwei Bändchen jährlich!" Da macht der Hausherr große Augen; sein Benehmen wird ordentlich achtungsvoll, Johann muß Sekt und Importierte bringen, und

Einen ehrfurchtsvollen Bewunderer mehr!"

Es hat also nichts mit eineridealen" Abschätzung der Künste untereinander zu thun, wenn wir die künstlerischen BerufsbezeichnungenMaler",Bildhauer",Architekt" unbedenklich hören und gebrauchen, denDichter" aber als ungehörig bis zum Komischen empfinden. Ganz deutlich bestätigt uns dies ein weiterer Blick auf die Lieblingskunst unsrer Zeit, die Musik. Der Musiker ist heutzutage ohne Zweifel der meistbegehrte und überall willkommene unter den Künstlern. Auch erfreut sich das WortMusiker" als Berufsname ebensogut der amtlichen Anerkennung wie Maler",Bildhauer" und so weiter. Diejenigen aber, denen es in allen Ehren zukommt, bedienen sich seiner nur als eines Notbehelfs, den sie sobald als möglich mit etwas Besserem zu vertauschen streben; und dies Bessere finden sie durchweg in irgend einem Titel, der auf den wirklichen oder nominellen Besitz eines gewissenfesten Postens" hin­deutet, womöglich in Diensten eines Hofes, einer Stadt­gemeinde oder einer großen Anstalt:Kapellmeister", Musikdirektor",Hofpianist",Königlicher Kammervirtuos" und so weiter. Es ist gewiß eine seltsame Erscheinung selbst innerhalb unsrer titelfrohen Nation, daß die Ver­treter einer freien Kunst und gerade die freiesten unter ihnen, die reisenden Virtuosen, die Anerkennung ihrer Meisterschaft in irgend einer Bezeichnung suchen, die sie in: Grunde wieder zu gebundenen Leuten macht. Ja, selbst das BerufswortMusiker" wird für den, der es in Ermanglung eines Titels führt, nur eben dadurch er­träglich, daß es doch wieder einen gewissen Hinweis auf eine feste bürgerliche Stellung durchhören läßt; wer diese Stellung nicht hat, ist einMusikant", aber kein Musiker".

Gerade von diesem Punkte aus eröffnet sich uns der Weg, der von den bisher berührten scheinbaren Launen des heutigen Sprachgebrauchs in die Vergangenheit zurückführt. Die heutige Praxis der Musiker im Punkte der Berufs­angabe ist nicht etwa ein Ausfluß der allgemeinen Titelsucht, sondern sie entspricht ganz genau einer Auffassung, die das deutsche Bürgertum bis tief in die Neuzeit hinein völlig beherrschte und auch jetzt noch nachwirkt: der Auffassung von der zünftigen Ehrbarkeit. Unter dem unbewußten Banne dieser rechtlich längst beseitigten Anschauung gilt uns noch