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Stadiums der „Galoppierenden". Das ist keineswegs erbliche Belastung, denn die Finanzen meines in Gott ruhenden Herrn Vaters prädestinierten mich gewissermaßen für die diplomatische Carriere. Schuld daran, daß ich jetzt etwa so gut situiert bin, wie mein dralles Thurgauer Stubenmädchen — ist nicht das Spiel, nicht der Wein, nicht die wahre Liebe — sondern die Thatsache, daß ich über ein Jahr von der gesamten Lebewelt einer europäischen Hauptstadt um ein selten köstliches Juwel beneidet wurde, dessen Edelsteinsassung auf dem matten Grunde Mechelner Spitzen mich so fabelhafte Summen kostete, daß ich sogar zur Veräußerung meines väterlichen Gutes schreiten mußte. Kurz daraus verlor ich das Juwel. Mein Geldbeutel bekam schwindsüchtige Anwandlungen. Zur Stärkung wurde mir erst Petersburg, Zuletzt die Riviera verordnet — und ob die Komödie nun mit einem kurzen Knalleffekt in Monte Carlo endet oder mit einen: langen Siechtum in irgend einem Nest, das ist mir vorläufig ziemlich gleichgültig. Denn ein Rettungsstern blinkt mir noch: das ist meine Tante. Stern? ... Na, wenn ich ganz genau wüßte, daß sie diese Charakteristik niemals liest, würde ich ungefähr folgendes sagen:
Sie ist eine ekelhafte, zweiundsiebzigjährige alte Jungfer, die nie etwas auf Erden geliebt hat, ausgenommen ihren Kanarienvogel. Sie ist fromm und giebt keinem Bettler einen Sou; sie ist edel, und sie könnte mich auf dem Schaffst enden sehen. — ,Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!' — Jawohl, liebe Tante Jeannette, das bist du nach deiner unmaßgeblichen Meinung in der Potenz. Ich aber sage: Wenn du hinüberschwebst und Petrus nicht sofort die Himmelsthür vor dir verriegelt, so bitte ich um ein bescheidenes Plätzchen am Höllenfeuer. Denn mit dir im Paradiese? Dank' unterthänigst.
Für den einzigen Sohn ihres Bruders hat Tante Jeannette ungefähr so viel Interesse, wie eine Schildkröte für einen russischen Windhund. Wenn man eben Pech hat! Als dreijähriger Bengel soll ich mal in großer Gesellschaft bewundernd gesagt haben: „Tante, du siehst ganz aus wie eine Schildkröte." Das raubte mir endgültig ihre Sympathie. Habe ich das große Wort wirklich gesprochen, so zeugt das für eine seltene Beobachtungsgabe. Denn wenn sie durch das Zimmer schiebt auf Plüschschuhen mit settgewölbtem Rücken, hat sie entschieden etwas von dem großen Kriechtier. Ich habe noch nie von fetten alten Jungfern gehört — sie aber hat's fertig gebracht! Und so was wohnt in Berlin — im Tiergartenviertel — in einer entzückenden Villa mit Riesengarten. So was besitzt Millionen und sieht nie einen Menschen bei sich. Der Hofstaat ist: Obermarschall und Tyrann ein rheumatischer Kanarienvogel — Kammerherr vom Dienst ein alter, dicker, scheinheiliger Betbruder mit blauer Nase und einem langen, schwarzen Nock, den er beim Anmelden wie einen Talar schwenkt — Palastdame eine spindeldürre Mamsell, der ich wärmere Gefühle für den Dicken zutraue. Geliebt bin ich von allen nicht. Die Kanariendame — meine Tante würde es für lasterhaft halten, ihr Herz an einen Kanarienmann zu hängen — sträubt empört die Federn, sobald sie mich erblickt. Die gelbe Bestie empfindet richtig: ich bin ihr Todfeind. Das feiste Gesicht des Dieners wird steinern, sobald er dem etwas leichtfertigen Grafen Louis — das bin ich — die Flügelthüren zum Salon öffnen muß. Und das ist keine Maske. Denn er vergiebt es mir nie, daß ich seine blaue Nase langer und zarter Beziehungen zu der Chartreuseflasche auf dem Büffett beschuldigte. Die Mamsell ist äußerst devot, aber sie macht mich stets darauf aufmerksam, daß die gnädige Comtesse sehr schlecht geschlafen habe und um Gottes willen nicht aufgeregt werden dürfe. Einmal verbat ich mir das scharf. Die Folge war, daß am nächsten Tage der Dicke diesmal freundlich lächelnd erklärte, daß meine Tante mich wegen heftiger Migräne nicht annehmen könne.
Und uni dieses verwunschene Schloß samt Königin und Kanarienvogel zu erobern, bin ich sechsmal im tiefsten Winter von Petersburg uach Berlin gereist. Es gehörte wahrhaft gräflicher Mut zu diesem Unterfangen. Denn erstens mal meiner Tante zu beichten — von einem „kleinen Mädchen", großartiger Verschwendung, komplettem Ruin. Sie ertrug's übrigens. Nur bei dem „kleinen Mädchen" klingelte sie erschöpft nack Riechsalz. Dann Reue, Zerknirschung
Aeöer <Tand und Meer.
heucheln — dann nicht vorhandene Verwandtschaftsgefühle wecken — dann, als Meisterstück der Verstellung, der zweiundsiebzigjährigen Schildkröte um den Hals fallen und gottergeben zu sagen: „Jetzt Hab' ich nichts, als den Himmel und dich, Tantchen!" Metternich würde sicherlich in dem Moment wie ein Waisenknabe neben diesem jungen Novizen erschienen sein, der sogar eine ganz echte Schauspielerthräne aus der Augenecke wischte. Wenn's mir die alte Dame nun abgeschlagen hätte, weil sie mich doch durchschaute, so könnte ich ihr's nicht mal übelnehmen. Aber sie that etwas ganz andres. Sie seufzte, sah gen Himmel — der fette Rücken zitterte gerührt — und sprach wie folgt:
„Lieber Neffe, die Vorsehung ist weise, und wir dürfen ihr planvolles Wirken nie zu unterbrechen versuchen. Das wäre frivol! Sieh mal, ich habe außer den beiden Guten draußen niemand, als diesen Vogel," — dabei zeigte sie auf ein vergoldetes Bauer, wo sich die Kanariendame kampfbereit plusterte. „Und in einer schlaflosen Nacht kam ich aus den Gedanken: für dieses liebe Tierchen muß gesorgt werden, wenn ich nicht mehr bin." Das Untier piepste darauf wehmütig. „So habe ich denn mein Vermögen außer Zwei Legaten einer frommen Stiftung vermacht, der ich das Wohl dieses gefiederten Lieblings auch nach meinen: Tode anvertrauen kann. Stirbt Lola vor mir" — sie
hauchte nur noch vor Rührung —, „dann ist die Vorsehung mit meinem Thun nicht zufrieden. Ich nehme es als Zeichen und vernichte das Testament. Und dann bist du ja der Erbe. Bei Lebzeiten gebe ich nichts . .. Louis, Louis, du bist ein Verschwender!" — Das weiß ich nun zwar allein, aber es hilft mir nichts. Bei der Gelegenheit muß ich übrigens erst ein Schafs- und dann ein Verbrechergesicht gemacht haben, denn plötzlich schrie Tante Jeannette auf: „Louis, du willst Lola morden! Ich seh's deinen Augen an." Der Gelbe flatterte verzweifelt in seinem Käsig, als wenn er bereits mein Messer an der ewig heiseren Kehle fühlte. Nach einigen Augenverdrehungen beruhigte sich die Tante, ward ganz Majestät und schloß die Philippika: „Versuch es nie, Louis, denn ich müßte dich unbedingt enterben! Und jetzt laß mich mit Lola allein. Ich habe in einen Abgrund gesehen, vor dem mir schaudert."
Seit der Unterredung bin ich wie verhext: ich kann die Mordgedanken nicht los werden. Und dabei ist's eine ganz aussichtslose Sache. Mit Lola läßt man mich nie mehr allein. Die Tante steht hinter mir, den Diener zur Rechten, die Mamsell zur Linken, wenn ich die Kanariendame trotzdem zu sehen wünsche. Und ich bemühe mich schäm- und würdelos um ihre Gunst, flöte sie an, verdrehe liebevoll die Augen. Sobald ich aber den Finger zwischen die Stäbe stecke, hüpft der Gelbe verzweifelt, und die Tante sagt würdevoll zu mir: „Er traut dir nicht." Dann himmelt sie den Gelben an: „Lola, Lola . . . mein Liebling — man plant Böses gegen dich," — bis das Ungeheuer, dem die Schildkröte unbegreifliche Liebesgefühle einflößt, ganz gerührt auf seiner Stange von einem Bein zum andern torkelt und so ersterbend piepst, daß mich köstliche Todeshoffnungen durchbeben. Jawohl, Kuchen! Er lebt und frißt und tyrannisiert die Tante heute noch und ist vollständig immun gegen die Petersilie in meiner Rocktasche, die in seinem Schnabel ihm ein so sanftes Ende bereiten würde. Alles vergebens! — Ob ich mit dem Dicken Brüderschaft trinke — oder der Dürren eine Liebeserklärung mache? Gedacht habe ich schon daran, doch es ist hoffnungslos. Sie nimmt mich nicht, und der Dicke würde meinen Anschlag sofort verraten.
SnxieMi sat. Jetzt habe ich noch rund fünftausend Mark, sitze weltverloren in Nagaz, weil ich in St. Moritz zu bekannt bin und die Riviera vermögenslosen Grafen nur ein Fortkommen als Croupier ermöglicht. — Nagaz? Warum ging ich eigentlich nach Nagaz? — Es war so 'ne Kateridee, wie das Tagebuch auch. Eooä nigllt.
Als ob ich in diesem verödeten Hotel nicht gerade Strandgut genug wäre! Seit drei Tagen ist ein Lieutenant mein Zimmernachbar: klein, schwarz, frisch. Ich bin sehr rotire. Du täuschest mich nicht,
mein Jungchen, mit der nervösen Lebhaftigkeit, die du zwei schwindsüchtigen Rumäninnen, den einzigen zweifelhaften Zierden unsrer tadle ä'dote a guatre, gönnst.
Selbstverständlich auch um die Ecke gegangen! Und ich habe nicht die mindeste Lust, von einen: Kollegen von der andern Fakultät vielleicht noch um zwanzig Mark angepumpt zu werden. Vorläufig haben wir uns vorsichtig beschnüffelt, das heißt, er mich. Kann nicht recht aus mir klug werden. Bei der Vorstellung wurden die üblichen, absolut unverständlichen Namen gemurmelt. Trotzdem weiß ich durchs Fremdenbuch, daß er von Jaromir heißt. Ich selbst figuriere da als Gr. Caron. Kann alles mögliche heißen und ist mit seiner halben Wahrheit das beste Inkognito. Denn in diesem Gasthofe vielleicht den Rumäninnen mit hachadeligen Airs zu imponieren — deplaciert! Der Lieutenant hat den gewissen Kommißblick und mißtraut mir. Londoner Anzug, Hut von Habig und dabei die Reserve, die uns die Diplomatie immer auferlegt — das reimt sich schlecht mit Gr. Carön. Er kann weder Kavallerist noch in einer großen Garnison gewesen sein. Wahrscheinlich königliches Linienfußvolk von jenseits der Weichsel. Von Pferden keine Idee und von der Welt so viel, wie man aus Kasinogesprächen und endlosen Kommißpeccos ergattern kann. Der Gute war übrigens anfangs äußerst vorsichtig in Bezug auf seine Person. Als Nutzanwendung zieh' ich daraus: erst vor kurzem niedergebrochen — von Gläubigern zu Schanden geritten. Ich vermutete das auf den ersten Blick. Er trägt das Zivil eng, mit Kommißchic, und bläst sich jedes Stäubchen vom Rock — außer seinem Smoking also wahrscheinlich nur noch Räuberzivil. Wir spielen nach Tisch immer Ecarto auf der Bude, weil die Rumäninnen im Lesezimmer zu scheußlich husten und Nagaz von Nebel und Regen trieft. Man kann nicht die fünf Schritte bis zur Tamina hinübergucken. — Spielt übrigens das Ecarts gerissener als ich, der ich es immer als Jeu und sehr hoch gespielt habe. Es ist ein Zweifelhaftes Vergnügen, hier wegen fünf Mark Haben oder Nichthaben zwei Stunden auf einem Kattunfauteuil zu hocken. Den: Kleinen ist das Gewinnen ein Riesenscherz — nennt mich dann „lieber Herr Carön" und „einen famosen Kerl". Man erträgt's. Aber wenn er lange bleibt, gehe ich.
Was hat er nun eigentlich in Ragaz zu suchen? Gestern nach Mitternacht endlich auf den Leim meines konsequenten Schweigens gekrochen. Hält's nicht mehr aus ohne Beichte. War Grünrock früher, dann bei einem Kriegsschulkameraden vier Wochen in Berlin untergekrochen, der ihn vermutlich flott gemacht hat, jetzt auf der abenteuerlichen Streife nach einer wahnsinnig reichen Berliner Familie, von der er nichts kennt als die Veilchenaugen einer Tochter — und auch die nur auf Pistolenschußweite. Aber doch verdammter Kerl, der Kleine! Sieht das Mädel Unter den Linden, rast der Droschke mit den: köstlichen Inhalt nach, die zum Glück schon vor Hotel Bristol hält. Fünf Minuten später interviewt er den Portier. Die befriedigendsten Auskünfte: vornehme Ausländer — ein wahrer Berg köstlichster Lederkoffer — fabelhafte Trinkgelder — unter Noet 6t Obnnäon „Cremant Rose" kein Tropfen. Dem verflossenen Jäger, der's bis dato nur zu einer Segeltuchtasche gebracht hat und in seinem Posemuckel Moet nur par reoomme kannte, schwindelt es. Er kann nur noch den Namen in seinem Gedächtnis notieren und dazu die traurige Thatsache, daß die Herrschaften noch heute abend über Ragaz und das Engadin irgendwohin abreisen. Nagaz Station. Mit ganz verrückten Hoffnungen ist er ihnen nun vor- oder nachgereist — das weiß er selbst nicht. Toller Phantast, der Kleine — die letzten gepumpten Moneten so leichtsinnig ans Bein zu binden! Natürlich ist er stintmäßig verliebt — in zwei blaue Augen, die er nur einmal gesehen hat. Es giebt auf der Welt doch noch
Liebe auf den ersten Blick und Idealisten. Eigentlich sollte mir der kleine Mann imponieren. Das ist noch Jugend! ... Ich habe diese Art Jugend nie gekannt, war nie verliebt. Ein Graf Carsn kann eben überall anklopfen und ihn: wird aufgethan. Das macht blasiert. Auch das kleine Juwel, das mich so haarsträubend ruinierte und so schnell in