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Weber Land und Meer.
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andern Besitz überging, war mir im Grunde des Herzens gleichgültig.
Die Familie, die vorläufig nicht vorhanden ist und wohl auch so bleiben wird, soll aus vier Personen bestehen: Vater, Mutter, zwei Töchter. Der kleine Lieutenant will mich scharf ans die andre Tochter machen. Ich — dein Kamel? Auch nicht übel! Aber der gute Junge, der es mit mir vielleicht ganz ehrlich meint, könnte sich irren. Ich sehe mir die Sache an. Die ältere Schwester ist selbstverständlich eine Vogelscheuche, und die Eltern sind im besten Fall englische Schneider außer Dienst. Vielleicht ist's gar mein Londoner Hoflieferant, der mir eine furchtbare Wiedersehensscene wegen mangelhaft beglichener Rechnungen bereiten würde. Nichts desto trotz: Ist deine Angebetete eine Sünde wert und sind die Millionen wirklich vorhanden — so pfeif' ich aus die Gefühle dieses Verliebten und den Kanarienvogel meiner Tante, entschleiere mich graziös als Graf Caren, kaiserlich deutscher Botschaftsattache a 1a. suite. Lieber Jaromir, wenn deine Schöne mit den Veilchenaugen den Gothaischen Kalender nur halbwegs kennt — meine Sünden aber nicht —, so verzichtet sie auf deine heiße, junge Liebe und nimmt mit meiner kühleren gräflichen vorlieb. Ja, Teuerster, — das ist Realpolitik!
Eigentlich thut mir der Kleine doch leid. Es klingt so nett, wenn er nach der zweiten Flasche unsers schweren Veltliners aus sich herausgeht und, die Hand auf meiner Schulter, sagt: „Sehen Sie, Caren, ich habe ja nur ihre Augen, und auch die nur einmal gesehen —, dennoch könnt' ich dem Mädel nachlaufen bis ans Ende der Welt." — Ich schäme mich, es zu sagen, aber ich möchte auch so fühlen können. Es liegt doch was drin! Dafür habe ich alles genossen, und eigentlich nichts, was ja immer zusammenfällt. Selbst wenn die Kanariendame sterben sollte und die Schildkröte hinterher, würden die neuen Millionen mir wahrscheinlich so wertlos sein, wie die alten vergeudeten. Ich bin eben passe.
„Hurra — wir haben sie!"
Der Siegesruf stammt natürlich nicht von mir, sondern von dem verliebten Lieutenant. Ich muß ihm indessen lassen, daß er noch viel von der Findigkeit seines grünen Elitecorps besitzt. Aufklärung — Umgehung: alle Achtung! — Vom Portier des „Ragazer Hofes" hatte er die Ankunft der Familie ausgekundschaftet. Ich sah auch die imponierenden Kofferberge — tadelloses hellgraues Elefantenleder, nur alles zu neu. Sofort wurden Posten ausgestellt. Ich war Numero zwei und markierte Vedette, an meinem Fenster sitzend, was für einen Gardekavalleristen der Reserve auch paffender ist. Der detachierte Oberjägerposten vor dem Hotel wurde durch zwei Bauernjungen mit Kröpfen dargestellt. Der Feldwachkommandant rast unaufhörlich die Sicherungslinie ab. Endlich nachmittags um halb drei entschließt sich der Feind Zum Vorgehen aus seiner befestigten Position. Der Kleine winkt mir ganz wild. Wir rennen die Landstraße nach Landquart entlang — weshalb, begriff ich nicht. Aber es war sehr hübsch, der erste schöne Tag im Rheinthal, das in einem Blütenmeer von Kirschen und Kastanien wogte. Dann birschen wir uns über einen Lawn Tennis-Platz zum Vater Rhein und patrouillieren das Ufer ab — ein furchtbarer Weg mit Sand und Steinen, eigentlich alles andre als ein Weg. Wozu der Unsinn? Der Lieutenant gestikuliert heftig; darauf schreit er wieder Hurra! Rhein- abwärts, wo die Tamina einfließt, taucht etwas Weißes auf: Sommerhüte oder ein wild gewordener Kirschbaum — was weiß ich. Ich setze mein Monocle fester, durch das ich, entrs nous, nicht eine Spur besser sehen kann. Der Lieutenant beordert mich ins Ufergebüsch — holt mich nach zehn Minuten wieder 'raus. Wir sehen jetzt wirklich Helle Hüte, zwei Matrosen, einer gesetztere Fa^on, auch ein grauer Herrencylinder dabei — für die Schweiz nach meiner Ansicht eine Geschmacklosigkeit. Wir pendeln ans dem scheußlichen Wege der Karawane entgegen — ich weiß noch immer nicht, worauf er hinauswill — und treffen sie gerade an der Stelle, wo ihr zivilisierter Pfad zu unsrer Sandwüste wird. Die Fremdenkarawane zögert etwas, nur der melierte
Kotelettebart mit dem Cylinder stampft weiter. — Der Lieutenant macht in der Aufregung Honneur und sagt in einem Englisch, dessen sich kein Pescheräh zu schämen brauchte: „Ich glaube, meine Herrschaften, daß Sie den Weg unpassierbar finden werden — und der links abbiegt, ist völlig durchweicht vom letzten Regen. Das letztere war eine ganz gemeine Lüge. Aber ich wußte jetzt, woraus er hinauswollte, und fügte in einem menschenwürdigen Englisch eine kühle Bestätigung hinzu. Darauf machte der graue Cylindermann ein wütendes Gesicht und brummte.
Eine klangvolle Frauenstimme erwiderte jedoch deutsch: „Danke sehr, meine Herren, Dann müssen wir wohl wieder zurückgehen."
Jetzt gab sich die selbstverständliche Verlegenheitskonstellation. Wir wanderten gemeinschaftlich heimwärts. Der Userdamm ist schmal, wie der Weg zum Paradies. Voran die Mutter mit der klangvollen Stimme nebst Ekel von Gemahl, es folgen in Abständen der Lieutenant mit der Geliebten; zuletzt ich mit der älteren Schwester. Das Schicksal scheint mich denn doch für sie bestimmt zu haben. Der Kleine hat sich nach der überflüssigen deutschen Manier vorgestellt — ich thue das unter solchen Umständen nie. Badebekanntschaften sind doch nicht für die Ewigkeit. Die Partie vor uns amüsiert sich indes königlich aus französisch — für einen feurigen Romeo radebrecht er's abscheulich. Ich weiß eigentlich nicht warum, da nach dem sremlündisch klingenden, aber doch korrekten Deutsch der Mutter auch den Töchtern wahrscheinlich mit unsrer Landessprache beizukommen ist. Aber ehe wir zu dem verständigen englischen Hochmute kommen, der sich im Anslande den Teufel um die Sprachgefühle andrer schert, wird wohl noch viel Wasser den Rhein 'runterlaufen. Meine Dame und ich schweigen uns in allen drei Sprachen aus: französisch, englisch, deutsch — wahrscheinlich weil wir sie alle drei beherrschen., Bei mir gehört's ja direkt zum Berus — und sie sieht mir ganz so aus, als wenn sie ihre Heimat auf der ganzen Welt hätte.
Ich gerate wieder in meine Manie, die ein unglaublicher Mangel an Physiognomiengedächtnis gezeitigt hat: nämlich die Rückseite der Menschen aus irgend ein Merkmal hin zu studieren. Man findet da immer etwas — eine Bewegung, eine Linie, die ganz Eigenart, ganz Person ist. Vorläufig beäuge ich den Cylindermann. Kurz geschorenes graues Haar, roter Stiernacken, der über den Kragen quillt — der ganze hellgrau karierte Koloß in der Landschaft eigentlich nur als Hintergrund zu verwenden. Die großen brutalen Ohren stehen ungleich am Kopfe; es ist ein Millimeter, vielleicht noch weniger, fast unbemerkbar, dennoch würde ich den Mann herausfinden aus Tausenden. Bei der Frau ist's umgekehrt. Schlanke, hohe Figur, graziös, aber mit einem Atom von Mütterlichkeit, das merkwürdigerweise auf mich außerordentlich pikant wirkt. Alles glatt, gefällige Linien, auch in der Farbe des blonden Haares, der weißen Haut das Matte, ich möchte sagen, Indifferente der Weltdame. Ich taxiere sie auf siebennnddreißig. Doch das ist ein Kalkül mit dem Umwege über die Töchter. Sie könnte ebensogut zehn Jahre weniger oder mehr haben. — Ich habe ihr Gesicht gesehen, aber das wäre gar nicht nötig gewesen. Sie kann ja gar nicht anders aussehen, als — da fehlt mir wieder der Begriff — als hübsch, blaß, ohne Runzeln und Fältchen, mit blauen, etwas leeren Augen: halb Modekupfer, halb inonäe. Von der einen die hübsche, charakterlose Linie, von der andern die gleichmäßige Liebenswürdigkeit, der Verstand. Das Weib — obgleich diese Bezeichnung absolut nicht paßt — macht mich ganz wild. Wenn man trotz seiner achtundzwanzig Jahre doch schon ein sehr langes Leben hinter sich hat, dabei die Manie der Charakterisierung besitzt — und nichts Markantes findet, absolut nichts, immer nur die ewig hübsche Linie, über die das Auge hinweggleitet. Und gerade darum würde ich sie wiedererkennen nach Jahrzehnten, in jeder Toilette, in jedem Licht! Den Scherz macht sich die Natur nur einmal.
Dabei kommen die Töchter schlecht weg, und sie Verdieners wahrhaftig nicht.
Von der Mutter haben sie die Figur, die bei der Jungen schlanker, reizender ist, bei der Aelteren vornehmer, rassiger.
Du bist ein Schlemmer, mein lieber Lieutenant. Denn wenn's je eine Blüte im blühenden Rheinthale gab, so ist das deine Ethel. Giebt's denn überhaupt so viel sonnige Jugend, wie dieses Geschöpf besitzt, an dem alles lacht: die Kornblnmenaugen, die entzückende Stupsnase, die weißen Zähne, der süße rote Mund? Auch das lockige Goldhaar lacht, und der Frühlingswind, der es so anmutig verwirrt, ist ein Gourmet. Dennoch hast du für mich auch deine Signatur, mein Schatz — ein Leberfleck dicht hinter dem linken Ohr. Wenn du eitel wärst und kokett, könntest du so leicht jeden Morgen eine winzige Haarlocke mit der graziösen Hand darüber decken. Aber vielleicht bist du noch eitler, noch koketter, und weißt ganz genau, daß, wer hinter dir geht, immer die sündige Neigung haben wird, diesen kleinen Fleck zu küssen. Darin bin ich also besser daran als der Lieutenant, der von der Rückansicht nichts hat und sich sehr recken muß, um genau so groß zu sein, wie die Angebetete. Ich habe sehr lasterhafte Neigungen mein Lebtag gehabt, wenn duftende Frauennacken in meiner Nähe waren. Dennoch laß ich sie dir, die Blonde, Jaromir! Für mich ist sie zu jung. . .
Mit der Resignation sollte ich eigentlich schließen, denn zwischen der Schwester Asta und mir bestehen vorläufig sehr geringe Sympathien. — Du bist ganz ans der Art geschlagen, du hochgezogenes Vollblut. Ich brauche dein Gesicht eigentlich nicht hier abzukonterfeien — ich vergesse es doch nie. Tiefgrüne große Augen und ein herber, schöner Mund. Der braune Kopf sitzt auf einem königlichen Nacken. Das ist deine Signatur. — Nein, zu jung bist du für mich nicht, obgleich du wenig älter bist, als deine siebzehnjährige Schwester. Aber wir passen nicht füreinander. Du bist mir zu sehr xur sang, wie ich ahne. Da kann ich nicht mit. . .
- Klug werde ich übrigens aus der Familie nicht. Das ist eine Jnternationalität, die sogar mir über dick Hutschnur geht. Die Leute heißen Le Fort, sind in England naturalisierte Franzosen, und tauften die eine Tochter Ethel und die andre Asta.
Ganz so viel werde ich mich an dem Nachmittag aber wohl mit euch nicht beschäftigt haben, wie jetzt, wenn neben mir der blaue Rhein rauscht, glücklicherweise noch nicht der träge Niese, wie bei Köln, aber ein kecker, frischer Bursch, der's sehr eilig hat nach dem Bodensee! Heute glitzert er nur und strudelt; zur Schneeschmelze mag er jedoch den roten, regellosen Blöcken an beiden Ufern ganz energisch aufs Haupt steigen. Raum hat er ja dazu in seinem Thale, durch dessen blühenden Frühlingsgarten er sich jetzt so bescheiden breit ergießt, lieber den zackigen Schneehäuptern des Gonzen und des Alviers Zur Rechten blitzt die Sonne; die keck an allen Klüften und Schrunden emporgeklommenen Tannen sitzen wie schwarze Punkte in dem Weißen. Aus der Ferne grüßen die „Sieben Churfirsten", auch ehrwürdige Herren mit beständiger Nachtmütze. Zur Linken aber über Nagaz, aus dessen Blütenschnee die neue Kirche und die noch öden Niesenhotels sich recken, steigt in tiefem Waldgrün steil der Wartenstein empor, oben eine berstende Ruine — und neben ihm die weiße Loggia des Hotels, das heute seinen Einweihungststag mit wehenden Schweizer Flaggen feiert. Ich begreife den Lieutenant nicht, der bei dem Anblick minderwertiges Süßholz raspelt. Mir wurde es ganz warm ums blasierte Herz. An so einem Frühlingstage — in den Alpen — am Rhein! Die Sentimentalität liegt uns Deutschen doch immer im Blute. Es ist unser heiliger Strom auch hier schon in der Fremde! Ich bin kühl, fast international geworden in meinem Berufe und sollte schwächliche Heimatsgefühle eigentlich nur jenseits der Weichsel empfinden, — dennoch treibt's mich, in dem Augenblick irgend eine gefühlvolle Dummheit zu sagen.
„Das ist unser Rhein, gnädiges Fräulein."
Geistreich war das Apercu nicht, aber sie verstand mich.
„So? Ich habe keine Heimat, mein Herr!" antwortete sie. Das grüne Auge leuchtete beinahe schwarz und der herbe Zug sprang um den Mund...
Dann schwiegen wir wieder.
Es ist kein langer Weg nach Ragaz zurück. Er wurde auch nicht länger dadurch, daß der Lieutenant ihn krampfhaft durch Stehenbleiben zu verlängern