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Weber Land und Meer.
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suchte. Als wir an die kleine, wackelige Tamina- brücke kamen, war eigentlich die Trennung Anstandspflicht, wenigstens für mich, der ich von den Leuten wirklich nichts will. Aber es kam ganz anders.
Wir stoppen an dem rauschenden Gebirgsbach — die berühmte Verlegenheitspause: wie sich trennen? Der Lieutenant wagt einen verzweifelten Vorstoß. „Waren die Herrschaften schon in der Schlucht? Es ist jetzt halb vier Uhr, und wenn .. ."
Ich räuspere mich. Das 'Nandrängen war nie nach meinem Geschmack. Auch die Fremden sehen sich schweigend an. „Und was meinen Sie dazu, Herr Gras?" Die Dame ohne Kennzeichen sagt es sehr liebenswürdig. Ich war baff, die Mädels und der Lieutenant dito. Aber die hübsche Frau fährt lächelnd fort: „Sie können Ihr Inkognito nicht aufrecht erhalten, Gras Carsn. Ich habe Sie vor zwei Jahren in Ostende gesehen — zwar nur par äistaaes, aber sehr oft. Sie waren in Begleitung einer sehr schönen Dame."
Da leuchteten auch gleich die Kornblumenaugen der Kleinen auf, und sie sagte mit einem ganz reizenden Ausländeraccent: „Ach, Mama — die Dame mit den Saphiren, von denen alle Welt sprach. O, sie war so wunderhübsch!"
Wie klein ist doch die Welt, und wie teuer waren die Saphire! Ethel, wenn du wüßtest, wie teuer sie waren, und wie stark sie mein Schicksal entschieden. Die hübsche Mutter ahnt es vielleicht. Und sie weiß ganz gewiß, daß ich lüge, wenn ich nach kühler Weltmannsart erwidere: „Sehr gütig, gnädige Frau, sich meiner zu erinnern. Die Dame war meine Cousine, eine Gräfin Lagrange." — Woher diese Frau meine Personalien überhaupt kennt, ist mir vollkommen schleierhast. In Ostende hieß ich Graf Lagrange, war Franzose, verkehrte mit niemand, und das saphirgefaßte Juwel wurde von allen Kellnern Frau Gräfin genannt. Wie mögen Sie doch augenblicklich heißen, Frau Gräfin? . . .
Ich hatte mir die Entschleierung des Grafen Caren vor drei Tagen ganz anders vorgestellt. Jedenfalls war ich fortan der Mittelpunkt der Gesellschaft. Zweifelhaftes Vergnügen das, wenn man in der „Krone" wohnt und eben an ihr vorbeischleudert! Der Lieutenant machte mir leise Vorwürfe, daß ich so schnöde Versteckens gespielt. Die Hauptursache seiner Verstimmung war wohl, daß seine Kornblumenfee sich öfters, als unbedingt nötig, nach mir umsah. Ein Graf mit Cousine mit solchen Pretiosen ist etwas für die Jugend. Auch das Ungeheuer von Vater gönnte mir zwei freundliche Falten seines roten, breiten Gesichtes. Die hübsche Frau machte sich an mich heran. Wir wechseln ein paar höfliche Worte. „Ostende — der köstliche Strand — König der Belgier..." — „Wir wußten gar nicht, daß der ,Quellenhof' (das ist das erste Hotel) schon eröffnet ist," sagte sie dann.
Mir wurde es heiß und kalt bei der scheinbar harmlosen Inquisition, aber an der gemeinen Lüge habe ich nie recht Gefallen gehabt und ich erwiderte: „Nein, gnädige Frau, der ,Quellenhof' ist noch nicht eröffnet. Ich wohne seit acht Tagen in der ,Krone'." Bei dem letzten Worte konnte ich doch einen Moment so ein gewisses unsicheres Flimmern in den blaßblauen Augen erkennen. Gr. Caren — wir sind in unfern Vermögensverhältnissen erkannt!
Nicht etwa, daß der geringste Temperaturwechsel in ihrer Liebenswürdigkeit erfolgte -- dazu ist Madame Le Fort zu sehr Dame von Welt. Aber die Unterhaltung wurde zuletzt ein schrecklich öder Gemeinplatz, so daß ich erleichtert aufatmete, als ich bei dem Eingänge in das Taminathal die Tochter Asta erwischte, die mir vorhin meuchlings entflohen war. Da inachte ich natürlich die zweite Dummheit. „Haben Sie mich auch in Ostende gesehen, gnädiges Fräulein?"
„Nein, Herr Graf." Das klang sehr kühl, sehr von oben herab, und der königliche Nacken hob sich stolzer. Sie ist wahrhaftig nicht zu jung, und die Saphirfaffung täuschte sie über den wahren Wert meines verflossenen Juwels nicht. Also denn nicht, Fräulein Asta!
Im übrigen war's ein unvergeßlich schöner Tag im Taminathal.
Die Engländer waren milde heute und verekelten uns die schöne Natur nicht mit ihren Photographierkästen, ihren Kniehosen und ihrer gemeinen Sprache.
Es ist ein enges Thal, das sich der Alpenbach gleich hinter Ragaz durchs Gebirge gebrochen. Die Straße führt immer hart das Wasser entlang. Links hebt sich die Felswand schroff, grau, gleich über dem Fluß. Kein Kletterschuh, der hier tastend von Niß zu Riß bis zur Höhe gelangen könnte, auf der grüner Wald rauscht. Nur elendes Gestrüpp — der Same von Vögeln oder vom Winde hingetragen — hat sich in die Spalten gezwängt, auf den Absätzen festgeklammert, hier — dort — in weiten Zwischenräumen, durch glatten, senkrecht abfallenden Fels getrennt. Felsschwalben haben ihr Nest angeklebt, und einsame Küfer summen. Und die Sonne wirst ihre breiten Lichter darüber. Das junge Grün lacht, und der ewig nasse Fels glänzt. Unten aber rast die milchiggrüne Tamina über die Blöcke, die sie selbst mitgeschleppt, über die Kiesel, die sie verwaschen. Zur Rechten von der Straße, die sich baumbepflanzt durchs Thal windet, steigt der Berg empor, grün, mit Matten und Wald; der Wind raschelt in dürrem Eichenlaube. Dazwischen drängt sich brüchiger Schiefer hervor, Schneewaffer stiebt silberglänzend darüber und stürzt dann, in schmale Felsrinnen gezwängt, rauschend zu Thal. Und dies Bild von frischer Jugend, emsiger Zerstörung, wieder gekrönt von leuchtendem Schnee, in dem die schwarzen Fichten begraben sind. Wer will das Thal beschreiben, das oben der Fels schnürt, unten die Tamina höhlt — diesen jähen Wechsel von Fels und Wald und Matte und Berg und von der Höhe donnernden Gießbächen? Immer meint man, die Felsenriegel müßten sich schließen, und immer wieder thun sie sich auf. Der Schnee leuchtet, die Wand tropft. Die feuchte, würzige Schnee- und Wasserlust ist meinem verbrauchten Nervensystem heilkräftiger, als es die warmen Bäder von Pfüffers sein könnten.
Von Psäffers selbst, dem weltberühmten, ahnt man nichts, bis es direkt vor einem liegt, ganz in der felsigen Tiefe, lichtlos, verwittert, ein langgestreckter Klosterbau von erdrückender Schwermut, an dem die Tamina aus ihrer hier beginnenden Schlucht schäumend vorüberschießt. Zur Sommerresidenz würde ich es nicht wählen, obgleich's ein Hotel mit Hunderten von Zimmern ist. Noch herrscht trostlose Oede, und der Schritt hallt unheimlich in den breiten, niedrigen Riesenkorridoren, aus denen die Stickluft des ehemaligen Klosters nicht herauszubringen ist. Ich hatte immer das Gefühl, es müßte in dieser ewig fahlen Dämmerung urplötzlich eine Tonsur auftauchen, ein sinnendes Mönchsgesicht aus härener Kutte uns anschauen. Denn büßen läßt sich's hier, das enge graue Thal predigt Entsagung.
Gemeiniglich führt der Weg durch das Kloster zum Himmel — hier führt er Zur Hölle. Denn etwas von der Hölle, der Unterwelt hat die Schlucht, die man auf in Felsen eingekeilter Holzgalerie betritt. Ich hatte natürlich meine dritte Dummheit gemacht und auf das Schutzplaid verzichtet, das hier unser zwölfjähriger Guide energisch anbot. Auf glitschigem Holzboden tastet man sich zögernd in diese Gruftkühle. Wasserdunft steigt aus der Tiefe, feiner kalter Gischt sprüht von oben, zuweilen große Tropfen, die auf meinen Strohhut klatschen. Tief unten in diesem wie eingesprengten Felsenspalt, durch dessen schmale Lichtscharte hoch oben der blaue Himmel blickt, gurgelt, wirbelt die tobende Tamina. Man versteht kaum ein Wort, und doch hat man ein starkes Bedürfnis nach der menschlichen Stimme in dieser blauen, dämonischen Dämmerung, in diesem wütenden Tosen einer erbarmungslosen Naturgewalt. Ich glaube jetzt, daß die Hölle nicht heiß ist, sondern kalt — so kalt, so leblos sein muß, wie diese Schlucht, an der sich die schmutzige Holzgalerie entlang windet.
Die Kornblumenfee vor mir hielt sich die niedlichen Ohren zu und hätte es mit den Augen gern ebenso gemacht, wenn das auf dem schlüpfrigen Holzgrnnde angängig gewesen wäre. Der Lieutenant betrachtete mißtrauisch die großen, schwarzen Wasserflecke auf dem Hellen Sommerüberzieher. Unentwegt stampfte der Koloß vorwärts, daß die Planken wankten; und leichtfüßig, chic, ohne eine Spur von Grauen glitt neben ihm die Dame ohne Eigenart dahin. Sie hat gute Nerven. Fräulein Asta schloß den Zug. Sie hatte es so gewollt. Und als wir schon lange am Ende angelangt waren auf der Felsplatte, neben der die heißen Heilquellen von Psäffers dem toten, kalten Felsgestein entspringen,
stand sie noch immer an der gefährlichsten Stelle und starrte, über das Holzgeländer gebeugt, in die Taminatiefe.
Wir trinken, wie das so Brauch, das heiße, weißklare Wasser; Fräulein Ethel mit einem allerliebsten Abscheu gegen seine fade Geschmacklosigkeit — wir begutachten die viereckigen tiefen Löcher oben im Fels, wo schon im Mittelalter Querbalken eingestemmt waren, bis zu denen man von oben die Badelustigen in Körben herabließ. Ich habe zu der mittelalterlichen Beförderung so viel Fiduz, wie zu einem lenkbaren Luftballon. Dann sehen wir auch mit heimlichem Grauen den roten Strich weit über Galeriehöhe, bis Zu dein 1861 die wilden Bergwasser, alles mit sich fortreißend, gewütet haben. Der Koloß lachte verächtlich, Madame Le Fort schwieg. Ihr Gesicht hatte in der Unterwelt nichts von seiner charakterlosen glatten Linie, ihr Auge nichts von seiner blauen Leere eingebüßt.
Ich stand neben ihr. Da strömte mir ein feines Parfüm zu, der pikante Rosenwassergeruch von Peau d'Espagne. Ich liebe den Geruch. Er ist so weich, so anmutig, daß ich immer mattglänzende Brabanter Spitzen beim Einatmen zu sehen wähne und schöne Frauenschultern — und er ist wieder so schwer und vornehm, daß man ihn nie vergißt, weil er sich auch in der Erinnerung nie verliert. Gräfin Lagrange bevorzugte „Juchten"; es stand ihr, weil es immer etwas von eleganten Koffern, langweilig teuren Weltbädern und russischer Verschwendung hat. Es kommt für mich gleich hinter dem Patschuli, und die Frauen, die sich seiner bedienen, sind auch gewöhnlich danach. Ich liebe Juchten nicht — schon der Erinnerung wegen.
Ja, Peau d'Espagne — bei Madame Le Fort — das ist etwas andres!
Warum braucht sie eigentlich Peau d'Espagne? Es paßt so gar nicht zu ihr, zu der glatten Linie, die man so hübsch vergißt. Peau d'Espagne ist ein gefährliches Parfüm, das ewig dauert wie ein Fluch. Peau d'Espagne ist Eigenart, und die Spitzen, denen sein Duft entströmt, haben Vergangenheit; und die Menschen, die den Duft lieben, haben auch ihre Vergangenheit — oder wollen sie wenigstens haben. Was will Madame Le, Fort mit der Vergangenheit! Die charakterlos-hübsche Linie hat keine, so wenig wie eine Zukunft. Dabei komme ich aufs Grübeln. Was ist eigentlich Madame Le Fort? . . .
Fräulein Asta hatte unsre Gesellschaft verschmäht. Sie stand noch immer unbeweglich und sah in die Tamina. Als wir auf den: Rückwege wieder zu ihr kamen, guckten wir auch pflichtschuldigst in die Tiefe. Mir schoß ein Gedanke durch den Kopf. flWenn ich einen Todfeind hätte!' . . .
Und ich sagte auch laut: „Haben Sie Leute, die Sie absolut nicht leiden können, meine Herrschaften?"
Alle verstanden sofort. Des Lieutenants Phantasie erhitzte sich unmäßig. „Wenn ich meinen Hauptmann, die rothaarige Canaille hier hätte — oder — " (er gestikulierte lebhaft) „meinen Gerichtsvollzieher — hinab mit ihm! Es würde nur ein Hochgenuß sein und von Reue keine Spur."
Er meinte es im Augenblick ganz ehrlich mit seinen Mordgedanken; aber ich glaube, vor niemand ist man sicherer, als vor diesem verliebten guten Jungen.
Der Koloß lächelte breit und spuckte in den Fluß.
Die Kornblumeufee schüttelte sich vor Grauen. „O Gott, Herr Graf, einen Menschen morden! Ich möchte kein Geschöpf, nicht einmal einen Kanarienvogel sterben sehen!"
Darüber denke ich allerdings anders. . .
Auch die Frau ohue Kennzeichen verzog den schmalen Mund und hielt die Hand vor die Augen.
„Nicht wahr, der Körper würde erst an die Felsen prallen. Man würde rotes Blut, Zerschmetterte, zuckende Glieder und vielleicht noch dieses blutige Schrecknis pfeilschnell die Tamina entlang treiben sehen. Hören Sie auf, Herr 'Graf! — Nur kein Blut sehen!"
Merkwürdiges Weib! Auch so etwas hat den wunden Punkt, den Zuckenden, fast perversen Nervenreiz. Sie spielt nicht Komödie. Sie kann that- süchlich kein Blut sehen.
Fräulein Asta schwieg. Sie hatte uns wahrscheinlich gar nicht zugehört.