318
Ueöer Land und Weer.
20
Und wenn ich um eine eigne Meinung gefragt werde — so brutale Sachen liebe ich gar nicht. Jemand erstechen, erschießen? — von! Aber jemand irgendwo 'rnnterstürzen, das ist mir eontrs eoeur. Jedenfalls mußte ich mich aus der Afsaire Ziehen, kühl, blasiert, um die diplomatische Eigenart zu markieren, und ich sagte lächelnd: „Da es nun einmal Menschen giebt, die einem kalt lieber sind, möchte ich ans die Tamina verzichten. Ich ziehe das aristokratische Gift vor. Reinliche Sache! Die Brinvilliers im Salon ist doch viel sympathischer, als Trouville am Stilfser Joch."
Die Hälfte der Worte verschlang ganz nach Verdienst das Donnern der Tamina. Alle schwiegen und starrten in das Wasserloch. Da auf einmal höre ich eine wohlklingende Stimme leise, fast im Selbstgespräche — ich weiß nicht, warum mir der tobende Fluß gerade diese fast geflüsterten Worte gönnte, während er die starken Laute zermalmte.
„Ja, Gift. . . Gift..."
Peau d'Espagne duftet.
Und während ich dies schreibe, sehe ich wieder die glatte, charakterlose Linie. (Fortsetzung folgt.)
„Johanne s".
Wchard Wordhausen.
^chon zwei oder drei Wochen vorher hatte es keine Ein- E> trittskarten mehr gegeben. Tausend Menschen etwa faßt das unfreundliche, enge Bühnenhaus in der Schumannstraße, und zehntausend waren von dem brennenden Wunsch erfüllt, der „Premiere" beiznwohnen. Der Berliner Kunstsinn ist, charakteristisch genug, der Sinn fürs Theater, und dieser Sinn bethätigt sich, noch charakteristischer, mit Vorliebe bei den Erstaufführungen. Leute, die gern eine Doppelkrone hinwerfen, wenn sie dafür eine dramatische Neuheit mit aus der Taufe heben dürfen, würden für die Wiederholung des ihnen noch unbekannten Stückes keine zwei Mark opfern, und das auf Grund derselben tiefsinnigen Erwägungen, die sie davon abhält, für eine Dichtung in Buchform auch nur fünfzig Pfennig auszugeben. Man muß sagen können, daß man „dabei gewesen" sei, man muß gesehen worden sein, sonst hat alles keinen Zweck. Erfreuen sich nun schon die Schöpfungen der Dramatiker des Mittelstandes reger Teilnahme und Aufmerksamkeit, so steigt das Interesse bis zum Siedepunkt, wenn ein hoher Aristokrat der Coulissenwelt zur Feuerprobe lädt. Im Falle „Johannes" aber war noch mehr geschehen. Seit Monaten, ja seit Jahren hatte das Gong-Gong der Reklame fast unaufhörlich gedröhnt, gewiß fehr wider Willen und Wunsch des vornehm gesinnten Dichters. Es scheint, daß „Johannes" eine ältere, vielleicht eine Jugendarbeit Sudermanns ist, die er jetzt nur sorglich verbessert und abgeschliffen hat. Wenigstens spukte die Meldung, daß er demnächst mit ihr hervortreten werde, schon geraume Zeit durch die Zeitungs- fpalten. Feste Gestalt nahm sie an, als die ersten Notizen über Hauptmanns „Florian Geyer" aufflogen, und nun kam das vorsorglich liebevolle Gerücht nicht mehr zur Ruhe. Am Ende erging gar in Berlin ein Zensurverbot. Das hatte noch gefehlt. Jetzt begannen die berüchtigt gewordenen Vorlesungen des Dramas in allen größeren Städten Deutschlands, deren durch die Einladung hochgeehrte Teilnehmer programmmäßig jedesmal vor Entzücken außer sich gerieten. Zuletzt ließ der Kaiser selbst das Manuskript einfordern, und das Verbot wurde rückgängig gemacht. Die Neugier und die Sensationslust hatten mittlerweile den Gipfel erklommen. Und als der große Abend hereingedämmert war, sah er ein überfülltes Parkett, dessen einzelne Plätze dreißig bis hundert Mark gekostet hatten, also mit 700 bis 2200 Prozent gehandelt worden waren, ein Erfolg, dessen sich kein Gasglühlicht- und kein Trebertrocknungsunternehmen rühmen darf. Auf den oberen Rängen drängte sich das litterarische Berlin, soweit es nicht Kritikerdienst that. Fieberhaft gespannte Erwartung überall, nervöse Erregung wie schwüle Gewitterluft — für den Unkundigen der Vorbote eines großen Erfolges, während es den Erfahrenen bedenklich machte. Selbst eine geniale Dichterkraft hätte dieser überreizten Menge gegenüber einen schweren Stand gehabt, und Sudermann darf es nicht nur seiner allerdings unleugbaren Begabung, dem feinen Takte, womit er gewisse Klippen umschiffte, sondern auch der Parteinahme des Publikums für seine von der Polizei verfolgte Muse verdanken, daß ihm eine zermalmende Niederlage erspart blieb.
Wer Sudermanns Können und Streben aufmerksam betrachtet und verfolgt hat, dem mußte es von vornherein als ausgeschlossen erscheinen, daß dieser Dichter dem Johannesstoff auch nur annähernd gerecht werden würde. Es liegt etwas Wahres in der Behauptung, daß der Verfasser der „Ehre", der „Heimat", der „Schmetterlingsschlacht" eigentlich nur Paul Lindau fortgesetzt und veredelt habe;
selbst in seiner besten und darum am wenigsten gepriesenen Arbeit, „Sodoms Ende", steht er unleugbar auf den Schultern des jüngeren Dumas, von dem ja Lindau sein Bestes gelernt hat. „Sodoms Ende" wird fortleben und klassisch genannt werden, wenn Sudermanns übrige Dramen längst keinen Leser mehr finden. In „Sodoms Ende" hat sich Sndermann rein und ohne störende Beigabe als das gezeigt, was er wirklich ist: als der kluge, die Bühne souverän beherrschende Theatraliker, der vor den bedenklichsten Mitteln nicht zurückscheut und nicht zurückzuscheuen braucht; als ein Meister des Wortes und ein unerbittlicher Sozialsatiriker. Niemals ist das Berliner Tiergartenviertel mit so grausamem Hohn an den Pranger gestellt, mit so ju- vennlischer Erbarmungslosigkeit gekennzeichnet worden. Und für solche Aufgabe reichte die Kraft des kalten, klaren Beobachters ans. Hier war die überlegene Skepsis des modernen Berliner Poeten, des in Kants Schule gegangenen Ostpreußen am Platze.
Aber die Johannesmär verlangt ein andres. Den Vorläufer und Herold des Heilandes umwittert schon dieselbe Himmelspoesie wie ihn selbst; der ewige Glanz, der ausgegossen liegt über dem Wunder des Jordanthales, bricht auch aus seinen Schwärmeraugen, und auch seine Augen haben die Pforten des Sternenreiches offen gesehen. Vieles ist, das uns die rührende Gestalt des Täufers unendlich lieb und teuer, geheimuisvoll und vertraut zugleich macht. Der siustere Prediger in der Wüste, der drohend eifert und Vernichtung verkündet, und dessen zornvolle Lehre dann spurlos versiukt vor den milden Worten des Welterlösers; der aber doch begnadet ist„ ihn zu taufen und als erster unter allen Sterblichen Christi göttliche Seudung zu erkennen. Der weltfremde Gesell, der ein Kleid von Kamelshaaren trägt und sich von Heuschrecken und wildein Honig nährt, den aber doch eine Königin uud eine Königstochter so brünstig hassen, wie es nur mit Füßen getretene Liebe vermag. Welche Rätsel! Welche Fülle großer, flammender, wundersamer Gedanken! Was ist natürlicher, als daß sie den Dichter locken? Doch es müßte ein heiliger Dichter sein, ein verträumter Phantast, der sich in den geheimsten Gängen der Menschenseele mit nachtwandlerischer Sicherheit zurecht und zum Ziele findet. Ihm müßte alle Innigkeit des frommen Gläubigen und aller Scharfsinn des Menschenschöpfers eignen. Uud dies besonders: er müßte ein Gestalter sein, ein Künstler, dem sich ungezwungen, wie von selbst, Reflexionen und Ideen in Bilder Umsetzern
Das alles vermag Sudermann nicht. Wenn trotzdem seine Arbeit nicht völlig verfehlt genannt werden darf, wenn es ihm trotzdem gelungen ist, Funken aus dem Stein zu schlagen, hier und da plastische Figuren aus dem Marmor heraus zu meißeln, fo verrät das die Inbrunst seiner Anstrengungen. Zähneknirschend, man spürt es aller Ecken und Enden, hat er mit dem gewaltigen Stoffe gerungen und sich übernngestrengt, ihn zu meistern. Daß er schließlich doch an ihm znsammengebrochen ist, mag litterarischen Rowdies Anlaß geben, den Mann zu verspotten, der seiner Kräfte Grenze noch nicht erkannt hat. Ernste Kunstfreunde werden mehr die Größe des Vorwurfs als die verzerrte, im Prokrustesbett ausgereckte Kleinheit der Durchführung beachten und dann immer noch ihre respektvolle Reverenz vor Sudermanns Können und künstlerischem Unterfangen machen müssen.
Es lag offenbar im Plane des Dichters, Johannes' allmähliche Entwicklung vom zornigen Zeloten zum jesu- gütigen Apostel der Liebe zu schildern, vom falschen Propheten zum echten Jünger Christi. Er wollte die Tra-
zu Grunde geht an der Gewalt der Gegensätze, der die alte uud die neue Zeit nicht zu versöhnen weiß, weil er. der alten zwar geistig entwachsen ist, in der neuen aber noch nicht Wurzel geschlagen hat. Johannes glaubt, daß es genügen werde, zu bessern, zu reformieren, während der Messias doch die Revolution bringt. Er will keine alten Tafeln zerbrechen, nur ihre Inschriften wieder lesbar machen; doch der da kommen soll, wird neue Gesetze geben. Als Johannes das fühlt, sinkt ihm das erhobene Schwert, sinkt ihm der Stein aus der Hand, der den Gotteslästerer und Ehebrecher Herodes zerschmettern sollte; die prophetische Kraft geht von ihm. Sterbend erst erkennt er den Heiland, den Gott der Liebe, dem er unter Donnern und Blitzen, ein Hassender, den Weg zu bereiten gedachte.
Aus den ersten Blick scheint die Johanneslegende ein für Sudermann ungemein geeigneter Stoff, und seine verlockenden Aeußerlichkeiten mögen den Dichter auch unwiderstehlich augezogen zu haben. Er, der so gern durch grelle Kontrastierung wirkt, weil er die Gesetze der dramatischen Effekte genau kennt, hatte hier Gelegenheit, zwei verschiedene Welten aufeinanderprallen zu lassen: die in funkelnde Sinnenlust versunkene, mählich vermodernde Antike und den neuen, asketischen Geist, der später das junge Christentum erfüllte. Welche gewaltigen Gegensätze ergab dieser in Lumpen gekleidete, bleiche, aller, irdischen Lust abgewandte Einsam aus der Wüste auf der einen Seite, dieser genußsüchtige, orientalische Despot, der blasierte römische Prasser Vitellins, vor allem aber die beiden kronentrageuden Teufelinnen, Herodias und ihre Tochter Salome, auf der andern Seite! Aber was sie entzückt und berauscht, was sie sinnen und zitternd vor Leidenschaft ersehnen, das weht trotz
während er ihnen wieder mit Recht entgegenhalten kann, sie verstünden ihn nicht. Die feindlichen Gewalten stoßen aufeinander, bekämpfen sich mit Wut, doch sie erschüttern einander nicht; keine erleidet durch die andre auch nur die leiseste innere Umwandlung. Das kann allenfalls theatralisch wirksam sein, und bei einem so geschickten Techniker wie Sudermann ist es theatralisch wirksam; aber dramatisch im eigentlichen Sinne ist es nun und nimmer. Alan hat Sudermann oft vorgeworfen, daß seine Helden jeder inneren Entwicklung entbehren, daß sie am Ende starr uud puppenhaft steif auf demselben Punkte stehen, von wo sie ausgegangen sind. Mit dem „Johannes" hat er diese Behauptung widerlegen wollen, hat sie jedoch statt dessen bekräftigt. Es ist nur nötig, den Kern der Handlung zu analysieren, um sofort die Leblosigkeit, die dramatische Üuergiebigkeit der Geschehnisse aufzuweisen. Man erkennt dann, woher es kam, daß die Zuhörer bei der Premiere unaufmerksam wurden, sobald die Couliffenkunst des Dichters abgelöst wurde von Versuchen, seelische Zustände in intimer Detailmalerei zu schildern. Man spürte im Parkett instinktiv, daß diese Anstrengungen vergeblich und deshalb überflüssig uud störend waren; sie hatten keine tragsähige Grundlage, uud jede Vorbedingung zu gesundem, organischem Wachstum fehlte.
Salome, die schillernde Giftschlange, die süße Hexe,
mit den Gottesaugen und begehrt ihn in verzehrender Leidenschaft. Er aber, der des Theaterkontrastes wegen immer ein Ausbund von Tugend bleiben muß, stößt sie mit harten Worten zurück, und nun heischt sie, von der Mutter noch aufgestachelt, seinen Kopf als Lohn für ihren Tanz. Und der Prophet wird gerichtet, ohne Schuld, als Opfer einer verrückten Laune — was sich in Tragödien immer unvorteilhaft ausnimmt, ja, was die Tragödie vernichtet. Schuld und Sühne werden sich auf den Brettern, die der ernsten Muse dienen, in Ewigkeit ergänzen müssen; eine ohne die andre empört unser sittliches Empfinden und läßt uns daran zweifeln, ob wir ein wahres Kunstwerk sehen. Man ist erstaunt, daß der Dichter den sich scheinbar von selbst bietenden Ausweg nicht benutzt, daß er seinen Johannes nicht der bestrickenden Schönheit dieses jungen Leibes, der sich ihm dürstend anbot, hat erliegen lassen. In Sünde mußte der Täufer fallen, um die Macht der Sünde zu verstehen, menschlich mit Menschen fühlen mußte er, um Menschen richten zu können. Die flammenden Worte der Herodias deuten fast gebieterisch auf eine solche Entwicklung hin. Die verbrecherische Liebe hätte dem Eiserer erst das Verständnis für Jesu Größe und lächelnde Hoheit erschlossen; erst wenn er selber der Verzeihung bedurfte, wäre ihm die welterlösende Schönheit des Christentums voll aufgegangen. Durch Nacht wäre er wieder zum Licht emporgedrungen, geläutert und wissend. Sudermann hat den Knoten nicht geschürzt und damit jeden wirklichen dramatischen Konflikt vermieden. An der äußeren Handlung, die sich im wesentlichen, in ihren interessanten Vorgängen um Salome, die geschmeidige Tigerkatze, dreht, nimmt sein Täufer wohl teil; aber nicht wie warmblütige Menschenkinder, wie Schachfiguren stehen sich
im Gegenteil, diese Geschehnisse lenken davon ab, und man vergißt darüber den Grundplan des Dramas. Nur eine ganz lockere, auf die Täuschung schwacher Augen berechnete
gebrechliches Zinnlot, das die unverschmolzen nebeneinander liegenden Erzbarren so obenhin vereint. Es ist eine mühselige Häufung von Sensationen und packenden Einzelheiten,
mehr verwirren, statt zu entschleiern. Uud man giebt endlich das Nachgrübeln darüber auf, hält sich dafür an die pomphaften Sardou-Effekte, an denen auch der neueste Sudermann reich ist, und die ihren Eindruck nie verfehlen können, weil sie unmittelbar auf die Nerven fallen.
Ein dämonischer Reiz geht von ihnen aus uud erobert selbst den widerstrebenden Zuschauer, der die raffinierte Mache durchschaut und sich von der blendenden Technik, dem unendlichen Fleiß des Theatralikers nicht über die Seelenlosigkeit des Ganzen hinwegtäuschen läßt. Die Kunst- stückchen werde)! fast zur Kunst. Schlechtweg meisterhaft ist in dieser Beziehung der zweite Aufzug zu nennen. Allen Haß seines redlichen Herzens, die Erbitterung eines zertretenen Volkes schleudert der Prophet der gefürsteten Buhlerin entgegen, und während Flammen aus seinem Munde gehen und die Getroffene sich unter den fürchterlichen Hieben windet, läßt ihre Tochter kein Auge von dem Entsetzlichen, Heißgeliebten. Die schimmernde Pracht des Palastes, die aphrodisische Schönheit seiner Bewohnerinnen bilden den Goldgrund, von dem die erhabene Bettlergestalt des Täufers bezwingend großartig losgeht. Und welch ein Bild ist es, wenn die jungen Rosen von Saron heimlich Rosen niederstrenen auf den düsteren Zeloten. Noch eindrucksvoller sind manche Scenen des Scblnßaktes, obgleich Sudermann sich hier zuweilen selbst karikiert und die Gestalt des Helden völlig in den Hintergrund schiebt, ohne daß er's selber recht gewahr wird. Salomes Tanz vor Herodes und den vornehmen Gesandten Roms ist ein