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Ueber Land und Meer.
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unvergeßliches Bühnenbild, an dem Sudermann allerdings kein geistiges Eigentumsrecht hat. Kaum minder lebendig wirkt der Moment, da Johannes in Schmutz und Lumpen vor der strahlenden Versammlung sein Todesurteil hört, der Sieger, der lächelnd den Besiegten verzeiht. Und dann das letzte Bild, das heilige Schauer im Herzen erweckt, trotzdem man sich gegen die Profanierung an dieser Stelle, in diesem Werke sträubt: unter dem Hosiannageschrei der entzückt jauchzenden Menge, unter dem Gewoge unzähliger Palmenzweige zieht, unsern Augen nicht sichtbar, Christus ein in die Stadt, deren Richtplatz eben das Blut seines Wegbereiters trinkt. Und schweigend, in bleicher Betroffenheit starren die tafelnden Großen in das rasende Gewühl. Bezeichnend für Sudermanns Art und Vermögen, ein Beweis für die innere Schwäche seiner Darstellung aber ist es, daß der am feinsten ausgeklügelte Schlager müde verpuffte : als Johannes dem Herodes vorm Tempel entgegentritt und den erhobenen Stein nicht schleudern kann, weil ihm Christi Geist in den Arm fällt, da blieb's still im Parkett, die Symbolik des Dichters ergriff nicht, und der dramatische Höhepunkt des Stückes ward zum Nullpunkte. Alles Brillantgefunkel der Sprache, die an Zarathustra gebildet ist, all der überschwengliche Blumenschmuck, der das scenische Gerüst umrankt, verhüllt nicht seine Gebrechlichkeit.
Sudermann ist ehrenvoll an einer Aufgabe gescheitert, deren Schwierigkeiten ihm seiner ganzen Anlage nach nicht klar genug zum Bewußtsein kommen konnten; sie hat ihn nun die Grenzen seiner Kraft kennen gelehrt. Und unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, darf der „Johannes" vielleicht ein Gewinn für unsre Litteratur genannt werden.
Und legen neue Scheiter auf. Ernst Mneilenbach.
Chinesische Beamte.
A. Oskar Klanßmann.
-Ein chinesischer Mandarin, ein Richter, gab einem Gold- W schmied den Auftrag, ihm zwei Barren Goldes zu besorgen. Der Juwelier führte den Auftrag aus, kam mit den Goldbarren zu dem Richter, und dieser fragte ihn nach dem Preise.
„Es giebt einen festgesetzten Preis für Gold," erwiderte der Verkäufer, „und jedermann kennt ihn. Von Euch, hoher Herr, aber will ich nur die Hälfte des gewöhnlichen,
,,Gut," sagte der Mandarin, indem er dem Goldschmied einen der Barren zurückgab, „ich behalte nur den einen und gebe dir den andern zurück, wir sind also quitt."
„Aber..." entgegnete der Verkäufer, bevor er jedoch weiter sprechen konnte, unterbrach ihn wütend der Mandarin: „Du hast deinen eignen Preis ohne Knickern von nur bekommen, und du klagst noch? Scher dich hinaus, oder ich lasse dich ins Gefängnis werfen!"
Diese Anekdote,'die einem chinesischen Zeitungsblatte entstammt, ist bezeichnend für den Typus des Mandarins, das heißt für den des Beamten in China. So sieht der Mandarin in der Praxis aus, habgierig, betrügerisch und erpresserisch.
In der Theorie nimmt sich der Mandarin allerdings ganz anders aus. Die chinesischen Gesetzgeber gedachten wirklich nur die hervorragendsten Geister der Nation in die Beamtenlaufbahn hineingelangen zu lassen, aber mehr als sonst in der ganzen Welt stehen gerade bei den Mandarinen Theorie und Praxis im Widerspruch. Sehen wir, wie dieser Widerspruch entsteht, indem wir gleichzeitig die Entstehungsgeschichte eines chinesischen Mandarins von den ersten Anfängen seiner Laufbahn an verfolgen.
Wer Mandarin werden will, muß zunächst die beiden ersten Staatsprüfungen bestanden haben, sonst kann er nicht für den kleinsten Posten ausgewählt werden. Doch sei gleich im Anfang bemerkt, daß der Name Mandarin in China keineswegs den Beamten bezeichnet. Der Name ist von den Portugiesen, die zuerst mit den Chinesen in Verbindung kamen, erfunden worden. Der Rang eines Beamten in China wird mit bezeichnet. Wenn
wir trotzdem den Namen Mandarin weiter beibehalten, so geschieht es, weil das Wort nun einmal in Europa geläufiger ist.
Wer sich den Staatsprüfungen unterziehen will, muß natürlich vorher sich gewisse Kenntnisse aneignen. Es giebt aber in ganz China keine öffentlichen Schulen in unserm Sinne. An ihre Stelle treten Privatschulen. Dort lernen die Kinder der Gebildeten ein paar tausend chinesische Schriftlichen lesen und auf Papier malen; außerdem erhalten sie religiösen Unterricht. Von irgend welchen exakten
Wissenschaften, wie sie in unsern Schulen gelehrt werden, ist nicht die Rede. Man kennt in diesen Schulen weder Geographie noch Geschichte oder fremde Sprachen. Von dem, was in der ganzen Welt vorgeht, von neuen Entdeckungen und Erfindungen wird kein Wort erwähnt. Haben die Schüler diese Privatschulen absolviert, so kommen diejenigen, die sich den Staatsprüfungen unterziehen wollen, in eine andre Privatschule, in der nunmehr die eigentliche Vorbereitung beginnt. Es sind aber nicht immer etwa Kinder, die diese höheren Vorbereitungsschulen besuchen, man findet vielmehr auch Leute in gereistem Alter, die sich erst durch ein arbeitsreiches Leben das Geld verdienten, um nun Unterricht zu nehmen und die Kosten für die Prüfungen nnd den Lebensunterhalt zu bestreiten. So sind vom Knaben bis zum Greise alle Altersstufen in dieser zweiten Schule vertreten. Hier wird in nichts unterrichtet als in Literaturgeschichte. Die Chinesen, die auf eine vieltausendjährige Geschicht.e zurückblicken, haben eine große Anzahl berühmter Dichter und Philosophen, die zu den „Klassikern" des Landes zählen. Die Schriften dieser Klassiker muß der Schüler vollständig auswendig lernen und über jedes Wort, über jede Wendung, über jedes Gleichnis, jedes sprachliche Bild Auskunft geben können. Der ganze Unterricht erstreckt sich also aus ein ununterbrochenes Auswendiglernen von Werken uralter Schriftsteller, die in gar keiner Beziehung zu den Dingen der Neuzeit stehen. Nichts andres als das, was diese Klassiker betrifft, wird in den Schulen gelehrt, und nichts andres wird auch für die Staatsprüfungen verlangt. Daher die schreckliche Unbildung selbst der höchsten Beamten, der vornehmsten Männer in allen Dingen, die nicht chinesisch sind. Wenn nun schon die gebildeten, die höchststehenden Chinesen so bar alles Wissens sind über das, was außerhalb Chinas geschieht, wie sieht es erst bei den vielen Millionen der untersten Volksschichten aus! So nur ist es Zu erklären, daß das Volk gläubig die Versicherungen der Mandarinen hinnimmt, das Christentum schreibe seinen Anhängern vor, kleine Kinder zu kochen und Oel aus ihnen zu pressen, weil es des letzteren zu religiösen Handlungen bedürfe. Wahrscheinlich glauben die Mandarinen, die solchen Unsinn durch Plakate und Flugschriften veröffentlichen, selbst an das, was sie mitteilen. Die Folgen einer solchen Veröffentlichung sind aber immer eine Niedermetzelung der Missionare oder der für das Christentum gewonnenen Eingeborenen.
Glaubt der Schüler, daß er die Klassiker geuügend kennt, um sich der Staatsprüfung zu unterwerfen, so meldet er sich für die nächste Prüfung, die immer in der Distriktshauptstadt abgehalten wird. Diese Prüfung findet zweimal innerhalb dreier Jahre statt, und viele Tausende von Kandidaten melden sich dazu. Die Prüfung ist verhältnismäßig leicht und besteht nur in einer schriftlichen Arbeit. Die Examinatoren, die selbst den höchsten Grad der Wissenschaft erlangt haben müssen, prüfen die vielen tausend Arbeiten, die ihnen eingereicht worden sind, und wählen endlich ungefähr den zehnten Teil als beste Leistungen aus. Die Verfertiger dieser Arbeiten erhalten den Titel 8 in-t 2 g,i, das heißt knospendes Genie, und damit das Recht, sich zur zweiten Prüfung vorzubereiten, beziehungsweise zu melden. Es kann also immer nur ein Zehntel der Schüler in der Prüfung bestehen. Die andern neun Zehntel lassen sich aber nicht äbschrecken. Sie besuchen noch einmal die Vorbereitungsschule, und manche thun dies zwanzig-, dreißigmal hintereinander, so daß es Vorkommen soll, daß Sohn, Vater und Großvater gleichzeitig in diese erste Prüfung hineingehen. Die zweite Prüfung wird in der Provinzhauptstadt abgehalten und findet nur alle drei Jahre statt. Die Examinatoren werden vom Kaiser extra ernannt. Außerdem wohuen alle höchsten Beamten der Provinz der Prüfung bei. In jeder Provinzialhauptstadt giebt es gewöhnlich außerhalb der Stadt einen großen Platz, der von einer hohen Blauer umgeben ist. Nur zwei Thore, die einander gegenüberliegen, befinden sich in den Mauern, und durch die Thore führt eine Straße, die den Platz in zwei gleichmäßige Hälften teilt. Zur Rechten und zur Linken der Straße stehen, bis an die Mauer reichend, lange, niedrige, stallartige Gebäude, und zwar so dicht nebeneinander, daß immer nur eine Gasse von ungefähr zwei Schritten zwischen zwei solch langen Schuppen bleibt. Jeder Schuppen ist wieder in eine große Zahl schmaler Zellen eingeteilt, so daß im ganzen auf dem Prüfungsplatz 12—14000 derartiger Zellen entstehen. Jeder Kandidat wird in eine solche Zelle gesteckt, die nur eine Thür und in dieser einen Ausschnitt hat, durch den Licht und Luft hineindringen können. Die Zellen haben außerdem zwei Bretter, eines, um darauf zu sitzen, ein andres, um darauf zu schreiben, und der Kandidat bringt in diese Zelle Kleidungsstücke, Lebensmittel und Betten hinein, denn die ersten drei Tage darf er die Zelle nicht einen Augenblick verlassen. Jeder Insasse bekommt schriftlich seine Aufgaben zugestellt, und gewöhnlich enthalten die kleinen roten Zettel, die man dem Kandidaten in seine Zelle hineinreicht, vier Themata, drei für prosaische Arbeiten und eines für ein Gedicht. Keine Arbeit darf mehr als vierhundert und weniger als dreihundert Schrift- Zeichen enthalten. Korrekturen dürfen nur in sehr bescheidenem Maße angebracht werden. Nach drei Tagen werden die Arbeiten aus den Zellen herausgeholt, und die Kandidaten dürfen nun eine Nacht außerhalb des Prüfungs
eingesperrt und haben während dieser Zeit fünf Arbeiten anzufertigen. Diese sechs Tage sind körperlich und geistig so anstrengend, daß sehr oft Kandidaten, besonders Greise, die sich der Prüfung unterziehen, an Erschöpfung und Ueberanstrengung sterben.
Theoretisch find alle Vorkehrungen getroffen, nur das Abschreiben zu verhüten, um zu verhindern, daß die Kandidaten untereinander in Verbindung treten und sich gegenseitig bei den Arbeiten aushelfen. Die Wächter indes, die in den Gassen auf- und abschreiten und die Kandidaten überwachen, sind, wie jedermann in China, der Bestechung zugänglich. Das Reglement für die Prüfung der Arbeiten ist außerordentlich umfangreich und streng. Es ist so abgefaßt, daß bei seiner wirklichen Handhabung weder ein Unterschleif noch eine Bevorzugung eines Kandidaten Vorkommen kann. Das Gegenteil aber trifft ein. Durch Bestechung kommt ein Kandidat, der eine schlechte Arbeit liefert, weiter als ein Kandidat, der eine gute Arbeit liefert, ohne den Examinatoren etwas anzubieten, und ist der Prüfling der Sohn eines hochstehenden Mannes, so wird man natürlich ihm sehr durch die Finger sehen und seine Arbeit für reif erklären, selbst wenn sie nichts taugt. Die Arbeiten werden sehr sorgfältig gesichtet, das heißt angeblich. Es kann nämlich nur ein verhältnismäßig geringer Prozentsatz der Kandidaten die Prüfung bestehen, weil jeder Provinz nur eine bestimmte Zahl von höheren Graden zugeteilt ist. Während in der ersten Prüfung von tausend Kandidaten hundert durchkommen konnten, können hier bei der zweiten Prüfung nur noch siebzig von tausend die Prüfung bestehen, weil nur für so viele Diplome vorhanden sind. Die Glücklichen, die das Examen zu Recht oder Unrecht bestanden haben, erhalten den Titel Oliüä-seliivv, „beförderter Mann". Wer die Prüfung nicht bestanden hat, meldet sich sofort für die nächste. Er muß dann, je nach der Qualität seiner Arbeit, noch ein oder zwei Jahre warten, bis er sich der nächsten Prüfung unterziehen kann. Diejenigen, denen die Prüfung geglückt ist, haben nun das Recht, sich um einen Beamtenposten zu bewerben, das heißt, wenn eine Vakanz vorhanden ist. Es kann jahrelang, ja jahrzehntelang dauern, ehe der Kandidat ein solches Amt erhält. Er wird rascher befördert, wenn er noch die dritte Prüfung ablegt, durch die er ein Vsen-tse, das heißt „fertiger Gelehrter" wird. Diese Prüfung findet nur alle drei Jahre, und zwar im Frühjahr nach den Provinzprüfungen, in Peking selbst statt. Die Kandidaten haben insofern eine Vergünstigung, als sie für den Aufenthalt in Peking nichts zu bezahlen brauchen, denn die Kosten trägt der Staat; sie müssen aber aus der Provinz die oft sehr weite und kostspielige Reise unternehmen, und die meisten Kandidaten würden gar nicht im stände sein, die Reisekosten zu bezahlen, wenn sie nicht vorher zu Wucherzinsen Gelder aufnähmen. Sie hoffen, dieses Geld bald wieder zu bezahlen, sobald sie erst im Amte sind und sich durch Erpressungen, Betrügereien und Unterschlagungen bereichern können.
Natürlich werden diejenigen Kandidaten, welche die dritte Prüfung bestanden haben, rascher befördert als die-
alle aber müssen mit der neunten Rangstufe beginnen. Die neun Rangstufen giebt es sowohl bei der Zivilverwaltung als bei der Armee und der Flotte. Da wir nur die Beamten schildern wollen, halten wir uns hier an die Zivilverwaltung und führen im nachfolgenden die Tiere an, die jeder Klaffe als Abzeichen verliehen sind. Die neunte Klaffe hat eine Elster, und die Tiere für die andern Klassen aufwärts bis zur ersten sind: Wachtel, Ente, Reiher, Silbersasan, Wildgans, Pfau, Goldfasan und Kranich. Das Bild des entsprechenden Tieres trägt der Beamte an feiner Kleidung auf der Brust und auf dem Rücken, und zwar ist es in bunter Seide aus ein besonderes, ungefähr einen Quadratfuß großes Stück Seide gestickt. Bei Armee und Marine sind die Rangtiere von der nennten hinauf zur ersten Klaffe folgende: Rhinozeros, Seehund, Waschbär, Tigerkatze, Bür, Tiger, Leopard, Löwe und Nashorn.
Nach der Theorie geben die chinesischen Gesetze für die Anstellung der Mandarinen sehr strenge Bestimmungen. Beamter kann nur derjenige von den Geprüften werden, der einer ehrenhaften Kaste angehört. Die Söhne, Enkel und Urenkel von Barbieren, Schauspielern und Schiffsknechten sind zum Beispiel unehrlich und sollen niemals Mandarine werden. Kein Mandarin soll in seinem Heimatsbezirk nngestellt werden, damit er nicht seine Verwandten und Freunde begünstigt, er soll auch nie unter seinen Untergebenen einen Verwandten haben, damit dieser nicht bevorzugt wird. Er soll keine Frau heiraten, die unter seinem Stande ist, und Ehen mit Tänzerinnen, Schauspielerinnen und Sängerinnen sind nicht nur den Mandarinen, sondern auch ihren Kindern und Enkeln streng untersagt. Der Mandarin soll fleißig sein, soll mit Unparteilichkeit verfahren und nicht einmal in einem Falle Richter sein, wo ein entfernter Verwandter eines Verwandten feiner Frau beteiligt ist. Er soll einen untadeligen Wandel führen, in und außer Dienst sich als Ehrenmann verhalten, unbestechlich sein, das Wohl seiner Untergebenen wahrnehmen, auf das pünktlichste nnd strengste die Befehle