M 20
Aeber Land und Meer.
323
und die junge Germaniagestalt erbebte in Lachen und Schluchzen.
„Lotte!" — „Kläre!"
Berghauer hatte Hubert kräftig die Hand geschüttelt. Jetzt sah er Lotten prüfend ins Gesicht. Seine lustigen Augen, seine vollen, strahlenden Züge wurden ans einmal ernst.
„Bist du krank gewesen, Mädel?"
„Nein, Papa!" Lotte lachte so selig, als wär' ihr das Christkind eben über den Weg gelaufen.
lind nun mußte sie auch Kläres forschende Blicke aushalten. Dabei lief ein leises Not über ihre schmal gewordenen Wangen.
„Nicht wiederznerkennen!" rief Kläre. „Hast dn eine andre Frisur? Oder was ist sonst?"
Lotte schüttelte den Kopf. „Es ist die lange Zeit. Denkt einmal! Ein halbes Jahr! Warum seid ihr nicht früher gekommen?" Es klang wie ein leiser, schmerzlicher Vorwurf.
„Papa meint, junge Leute müßten sich erst miteinander eingewöhnen."
„Ja, das Prinzip habe ich allerdings. Aber" - und Berghaner sah nachdenklich drein - - „es scheint nicht ans alle Fälle zu passen."
Seine klugen Augen richteten sich dabei durchdringend auf seinen Schwiegersohn, der, ruhig und heiter, das gute Gewissen in Person, sich mit seiner jungen, hübschen Schwägerin neckte.
Es schien ja äußerlich alles in bester Ordnung zwischen den beiden jungen Eheleuten. Aber er kannte seine Lotte zu genau. Es sitzt also tiefer, sagte er sich. Nun, es war ihm lieb, daß er da war, im Fall die Sache eines sanften Druckes bedurfte, um wieder ins rechte Geleise zu kommen.
Eine halbe Stunde später saßen sie vergnügt in Lottes sanft durchwärmtem Zimmer, wo das Abendbrot anfgetragen war. Von den Wänden sahen Lottes Bilder warmleuchtend herab; die wohlbekannten Möbel aus dem Erkerzimmer heimelten die Gäste behaglich an.
Jip, der erst sein Schälchen Milch geschlürft hatte, kuschelte sich gemütlich in der Sofa-Ecke ein, seufzte manchmal tief ans, klopfte, wenn man ihn ansah oder von ihm sprach, mit der Seidenpuschel seines Schwänzchens auf das Polster und dämmerte so sacht ein.
Es ist Lotten noch immer wie ein Traum, schön und unwahrscheinlich. Sie denkt jeden Augenblick: nun muß sie auswachen, und alles ist wie sonst.
Neben Hubert sitzt ihr Vater. Und da ist Kläres frisches, offenes Gesicht — noch hübscher geworden, seit sie sie nicht gesehen hat, und bei aller Lustigkeit doch reifer.
Aber immer wieder gehen ihre Augen zu ihrem Mann. Jede Situation scheint nur dazu zu dienen, ihn ihr liebenswerter zu zeigen. Jetzt, so heiter, so zuvorkommend, mit der Hellen Stirn und dem Lächeln, bei dem seine regelmäßigen Zähne zwischen den seingeschnittenen Lippen sichtbar werden, ist er ihr ein andrer. Die selbstbewußte Würde des Hausherrn, die er zur Schau trügt, imponiert ihr. Sie ist stolz auf ihren Mann.
Auf Kläre machte Lottes sichere Ruhe besonderen Eindruck. „Sie hat eine Majestät bekommen!" rief sie ein übers andre Mal. „Und wie alles klappt! Hubert, du bist ein beneidenswerter Mann!"
Hubert lächelte stolz, nahm galant die Hand seiner Frau und küßte ihre Fingerspitzen. „Sie ist in jeder Hinsicht das Muster einer Frau geworden."
Lotte errötete glücklich und sah mit dankbarer Hingebung zu ihm empor.
Berghauer siel ein Stein vom Herzen. Das sind ja die reinen Turteltauben, dachte er. Doch war's ihm nicht ganz recht, daß seiue Tochter sich zur Hausfrau xar exeelleneo entwickelt hatte. Es war ihm schon immer verdächtig gewesen, daß sie so wenig von ihrer Malerei geschrieben hatte, lieber den Punkt mußte er ihr noch aus den Zahn fühlen.
Weihnachten kam und verfloß allen in ungetrübter Heiterkeit. Berghauers hatten in einem Privathotel ganz in der Nähe ein Unterkommen gefunden. Man war so viel als möglich beisammen, machte gemeinsame Spazierfahrten und frischte alle Erinnerungei: des Vorjahres ans. Damals war's freilich Frühling gewesen, und alles hatte im ersten Grün und in vollem Blüteuflor gestanden. Und jetzt lag Schuee, uud die Bäume waren kahl. Aber es war klares
Wetter. Uud wem: die blasse Wintersouue über die Weißen Bodenflüchen des Charlottenburger Parks oder des Tiergartens schien und alles rosig überhauchte und die klarblauen Schatten so sauber gezeichnet daneben standen, so wußte man kaum, was schöner war, Frühling oder Winter.
Der Aufbau hatte sehr kostbare und gediegene Sachen gebracht. Berghauer that's einmal nicht anders.
„Aber was soll ich damit?" ries Lotte, die Perlenschnur von dem blauen Sammet des Etuis emporhebend. „Soll ich die Sonntag nachmittags umbinden, bloß für Huberts Augen?"
„Du wirst doch mal in Gesellschaft gehen."
Sie schüttelte den Kopf. „Ach nein, wir sind immer zu Hause."
Berghauer machte eii: unzufriedenes Gesicht. „Du bist doch sonst so gern ausgegaugen. Du, mit deinem Temperament, und als Künstlerin brauchst doch Anregung, mußt was sehn . . . Wirst mir doch nicht etwa eine Hausglucke werden wollen?"
Sie legte die Perlen ans ihren Platz zurück. Ein Seufzer stieg in ihrer Brust auf. Wahrhaftig, wenn sie dachte, wie sich ihr Leben verändert hatte!
Früher in Paris, in Madrid die großen Routs bei den Gesandten, in litterarischen und Künstlerkreisen, auf denen sie sich so leicht und sicher bewegt hatte und die interessantesten Menschen ihr vorgestellt waren .. . und jetzt! Wo schon der Besuch von Vater uud Schwester eine großartige Abwechslung, ein Ereignis war!
Ihre Augen streiften zufällig die ihres Vaters. Er hatte sie halb mitleidig, halb unzufrieden angesehen. Sie kan: sich plötzlich deplaciert vor, heruntergekommen. Was würde ihr Vater erst sagen, wenn er alles wüßte! Was war sie denn? Ein Nichts! Eine „Hausfrau" — eine von vielen; nicht mehr die stolze Charlotte Berghauer, die Künstlerin, die Persönlichkeit. Und so schnell als möglich lenkte sie das Gespräch aus ein harmloseres Gebiet.
Hubert hatte sich bis Neujahr den Gästen willig zur Verfügung gestellt. Dann aber erklärte er, nicht länger faulenzen zu dürfen. Lotte allein solle sich den Verwandten widmen und so viel als möglich dafür Sorge tragen, daß er bei der Arbeit nicht gestört werde.
Das war nun keine leichte Aufgabe. Berghauer in seiner lauten, lebhaften Weise dachte gar nicht daran, sich zu genieren, wenn er seine Tochter besuchte. Und Kläre lachte und trällerte; sie jagte sich mit Jip, und Jip kläffte mit seiner kleinen, blechernen Stimme. Oder sie setzte sich an den Flügel und spielte Chopin, so tief und zart, daß Lotte nur immer hätte zuhören mögen. Aber sie saß wie auf Kohlen, wenn sie dachte, daß alle diese harmlosen, frischen Lebensäußerungen ihrer beiden liebsten Menschen für Hubert eine grausame Tortur waren.
Und dabei fühlte sie, wie ihr Vater sie beobachtete, oft ganz verwundert, oft mit unterdrückten: Zorn. Lieber Gott, sie selber hatte sich ja daran gewöhnt, bloß für Huberts Bequemlichkeit da zu sein, zu flüstern, aus den Zehenspitzen zu gehen, wenn sie ihn bei der Arbeit wußte. Aber ihrem Vater mußte das sonderbar genug Vorkommen.
Er hatte ein paarmal gemerkt, wie sie bei einem lauten Wort zusammengezuckt war und ängstlich nach Huberts festverschlossener Thür gesehen hatte. Und wenn sie bei seinem Ruf hastig davongelaufen war, um zu fragen, was er wünsche, so hatte Berghauer ihr mit einem Blick nachgeschaut, vor dem ihr bange geworden war.
Doch hatte er noch immer geschwiegen und war gütig und schonungsvoll gewesen, wenn auch ernster, als sie ihn kannte.
Eines Tages aber fing er doch, scheinbar ganz harmlos, von ihren Bildern an. „Ich habe immer darauf gewartet, Lolo, daß du mich in dein Melier führen würdest. Es soll gewiß eine Ueberraschuug werden, nicht wahr?"
„Jawohl, Papa, eine Ueberraschung," nickte sie mit seltsamem Lächeln. Nun kam es also. Nun mußte sie beichten.
Sie führte ihn in die kleine Schrankstube, wo das verstaubte Malgerät stand, nahm das einzige Bild, das wie verloren gegen die Wand lehnte, empor und stellte es auf die Staffelei.
Sie hatte es nicht wieder ansehen mögen. Uud als sie jetzt einen Blick darauf warf, stieg ihr die
Schamröte ins Gesicht. Das hatte sie gemalt? Diese dilettantische Sudelei ohne Saft und Kraft, ohne Geist und Wahrheit?
Ihr war's, als müsse sie sich verkriechen vor den: strengen Blick ihres Vaters. Berghauer sagte kein Wort. Es war, als traue er seinen Augen nicht, als suche er immer noch nach verborgenen Vorzügen, die ihm bisher entgangen sein könnten. Und als er gar nichts fand, seufzte er schwer aus und wandte sich langsam zu seiner Tochter.
Er schüttelte den Kopf. „Lotte, das ist nichts. Hast du das wirklich gemacht?"
Sie nickte, unfähig, einen Laut über die Lippen zu bringen. Mit ihren beiden Hände:: umfaßte sie die Lehne des einzigen Stuhles in dem armselige:: Raum. Ihre Füße zitterten uuter ihr.
Berghauer maß das enge Stübchen wie ein Raubtier seinen Käfig. Er ging immer an ihr vorüber, so nahe, daß er ihre Kleider streifte. Aber er sah sie nicht an. Sein Blick blieb am Boden.
Endlich stand er vor ihr still und drängte seine Augen in die ihren. „Ich will dir ja keine Vorwürfe machen, Kind. Aber — sag mir nur, wie ist das möglich? Was ist mit dir geschehen?"
Sie hob leise die Schultern. Wie es gekommen war, allmählich und doch unaufhaltsam, wußte sie ja selbst nicht. Oder ja. Aber den tiefsten, innersten Grund konnte sie ihrem Vater doch nicht gestehe::.
„Liegt es an dir — oder — an deinem Mann?" fragte er plötzlich. Und sie sah, wie die Adern ihm aufschwollen bei dem Gedanken, daß seinem Kinde unrecht geschehen sein könne.
„Um Gottes willen, Vater!" ries sie erbleichend. „Wie kannst du denken. . . nein, Hubert hat es gerade immer gewünscht..." Sie ergriff seine Hand wie beschwörend. „An mir liegt's allein! An mir. Sage kein Wort gegen Hubert, Vater!"
„Na, na, nur ruhig," brummte er beschwichtigend. „Ist dir also über den Kopf gewachsen, das Hausfrauspielen. Und dabei ist die ganze Kunst zum Teufel gegangen. Schade! Schade! Und von dir . . . Kind..."
Sie sah, wie er an sich hielt, wie die Enttäuschung an ihm nagte. Sein frisches Gesicht war ganz gelb geworden. Er schien ihr wie plötzlich gealtert, so müde, so in seiner besten Hoffnung betrogen.
Und sie konnte ihm keinen Trost sagen. Sie hätte es ja selber nicht für möglich gehalten, daß sie jemals ihrer Kunst so völlig untreu werden, sich verlieren könne in kleinen Wirtschastssorgen.
Aber während Berghauer sortredete, wie er sie gutmütig zu entschuldigen suchte und doch immer wieder seine grenzenlose Verwunderung zun: Vorschein kam, wurde es ihr selber immer klarer, was ganz allein die Schuld trug. Und es drängte sie, sich zu rechtfertigen.
„Vater," sagte sie leise und zitternd, „begreifst du denn nicht, wie ich dazu gekommen bin? Wie ich so erbärmlich werden mußte?"
Er stutzte. Und aus einmal schien ihm eine Ahnung aufzugehen. Dinge, die er längst vergessen oder in seiner leichtlebigen Auffassung für unerheblich gehalten hatte, die wuchsen unerwartet, breiteten sich aus, wurden plötzlich zu einer unheimlichen Macht!
„Was meinst du, Kind?" fragte er unruhig. „Ich will doch nicht hoffen..."
Sie nickte mit einem tiefen Blick. „Die alte Geschichte lebt ja, Vater! Sie taucht ja alle Augenblicke auf. Die Frau sieht mir ja fortwährend über die Schulter."
„Kind!" rief Berghauer. Wie ein Schauder des Entsetzens lief es durch den mächtigen Mann — ein Verdacht, ein Durcheinander von Vorstellungen... eine immer verrückter als die andre. . .
„Siehst du, Papa," sagte Lotte jetzt ruhiger, „das kannst du dir gar nicht so vorstellen. Bei allem, was ich thue, denke ich immer: ob das die andre nicht besser gemacht hat? Sie war ja so ein Muster in all den Dingen, von denen ich nichts verstand, als ich heiratete. Und wenn er einmal unzufrieden ist und ich soll mir vorstellen, daß er sich sagt: Johauna war doch die Bessere —"
„Das ist ja dummes Zeug!" ries Berghauer. Aber als er das mißratene Bild sah und die blasse junge Frau, dachte er doch: Wer kennt denn die Weiber? Wer weiß denn, was alles hinter so einer