Heft 
(1898) 20
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Die Kungerflteine.

Roman

Gertrud Iranke-Schievelöem.

^ (Fortsetzung.)

begann Charlotte während der Arbeit zu lauschen auf alle Geräusche im Hause. Sie hörte in ihrem dicht neben dem Korridor gelegenenAtelier", wenn jemand die Treppe herauf­kam. Und jedesmal dachte sie: ginge er doch vorüber! Und wenn die Klingel gezogen wurde, horchte sie voll Unruhe und war immer darauf gefaßt, abgerufen zu werdeu.

So kam sie zu keiner Sammlung. Ihr Bild, das sie so begeistert angesangen hatte, das zuerst so viel versprach, befriedigte sie immer weniger. Zuletzt stellte sie's gegen die Wand. ,Es muß erst mal trocknen/ redete sie sich vor. ,Dann geh' ich noch einmal darüber/ Aber sie dachte nicht gern daran. Es war ihr, als hätte sie eine Blamage erlitten.

Auch gab's jetzt, da Weihnachten nicht mehr fern war, allerlei Besonderes zu thun. Berghauer und Kläre hatten sich angemeldet, und sie freute sich un- beschreiblick auf die beiden Menschen.

Sie war doch recht allein hier. Ein paar Be­suche hatten sie Zwar gemacht, aber es war zu keinem Verkehr gekommen, da Hubert ein Feind der Ge­selligkeit war und alle Einladungen abgelehnt hatte.

Nun, sie hatte ja ihren Mann. Aber wenn er­arbeitete, war sie gar nicht auf der Welt für ihn. Sie that dann am besten, ihn nicht an sich zu erinnern.

Sie hatte sich wohl anfänglich mit einem Buch zu ihm gesetzt, um wenigstens in seiner Nähe zu sein. Aber das Umblättern, das leichte Rauschen ihres Kleides, ja das bloße Bewußtsein ihrer Gegen­wart, die Furcht, beobachtet zu werden, machten ihn nervös. Und so blieb sie zuletzt fort. Ja, sie em­pfand es schließlich als eine Wohlthat, sich müde zu laufen in ihrer unbequemen Wohnung und ihr Ge­dächtnis anzufüllen mit allerlei praktischem Kleinkram.

Nach der Arbeit, wenn er zufrieden war mit dem Geschehenen, war Hubert dann so gut und liebenswürdig, daß sie alles vergaß, was ihr den Tag über an ketzerischen Gedanken durch den Kops gegangen sein mochte.

Es entspann sich meist ein lebhaftes Gespräch zwischen ihnen, das anregend und wohlthuend war, wenn ihre Meinungen übereinstimmten.

Aber das war nicht immer der Fall. Sie hatte gelernt, sich ihre eigne Anschauung von den Dingen zu bilden. Ihr Vater hatte viel auf ein selbständiges Urteil gegeben. Und so wußte sie ihre Ansicht klar zu begründen und tapfer und standhaft zu verteidigen.

Das vertrug er nicht. Sie sollte denken, was er dachte. Sie sollte schön und häßlich finden, was er schön und häßlich fand. Wie eine bittere Kränkung berührte es ihn, daß sie ihren Geschmack für sich hatte, wie sie ihr eignes Gesicht hatte. Mit leiden­schaftlicher Beredsamkeit suchte er sie zu sich herüber­zuziehen, sie zu seinen Ansichten bekehren. Seine Jüngerin sollte sie werden ganz und gar, sein Werk, wie Johanna es gewesen war. Seine Herrschsucht, seine Kraft duldeten keinen Willen neben sich, ohne den Versuch zu machen, ihn sich unterznordnen. Und so kam's, daß die ganz harmlos und sachlich be­gonnenen Unterhaltungen nicht selten mit einer- beiderseitigen Verstimmung endeten.

Sie mußte dann wohl an Karl Wedekinds Aus­spruch denken:Er ist ein Seelenraubtier". Das hatte der gute Kerl gesagt, ehe noch die Möglichkeit vor­lag, daß sie Hubert je persönlich kennen lernte. Und nun war sie seine Frau!

Es war die Zeit der kürzesten und dunkelsten Tage. Alles schien grauer und blasser unter dem immer grauen Himmel, dein endlose Negenfluten ent­strömten. Kein Wunder, daß auch Lotte schmal und blaß aussah. Sie ging selten aus. Allein machte es ihr keinen Spaß, und Hubert gönnte sich nicht oft die Zeit, sie Zu begleiten.

Sie frühstückten gewöhnlich in Lottes wohldurch­wärmtem Zimmer, dessen kleiner Ofen die Nacht hindurch gebrannt hatte.

Weber Land und Weer.

Mitte November aber wurde es plötzlich kalt, ! und eines Morgens war alles weiß. Bis in die ^ Tiefe des Zimmers hinein drang das grelle Licht. ' Die Bilder an den Wänden leuchteten klar und ^ lebendig, als wären sie frisck gefirnißt. Alles Detail ! trat überraschend heraus. !

Lotte ließ die Augen darüber hingehn. Dann j blieben sie träumerisch an derVenetianerin" haften. ! Sie lächelte eigentümlich.Weißt du noch?" fragte sie. !

Der Vormittag in der Galerie war ihm noch lebhaft im Gedächtnis.Die Venus ist doch schöner," neckte er, ihren Widerspruch herausfordernd.

Aber merkwürdig sie nickte. Und wieder ging das seltsame Lächeln um ihren Mund.Sie würde auch besser hierher passen."

Siehst du, Lotte, du hast dich schon bekehrt."

Es scheint so. Damals dachte ich: bloß für die Liebe leben. . . nein, wenn ich nicht tüchtig meine Arbeit hätte!"

Ich dächte, die hast du."

Sie stützte das Kinn auf die gefalteten Hände und sah mit einem ernsten Blick hinauf in das klare, offene, energische Gesicht der Venetianerin. In diesem Blick lag die stumme, heimliche Resignation, die an ihr zehrte. Langsam schüttelte sie den Kopf.

Er wurde plötzlich aufmerksam. Zum erstenmal seit langer Zeit sah er ihr forschend ins Gesicht. Das grellweiße Schneelicht zeigte ihm deutlich, wie sie sich verändert hatte.

Das war nicht mehr seine lebensprühende, frische, thatkräftige Lotte. Etwas unendlich Rührendes war in ihre stillen Augen gekommen. Und nun fiel ihm ein, daß er sie lange nicht hatte lachen hören.

Sein Gewissen regte sich. War sie denn nicht glücklich, seine geliebte Frau? Was fehlte ihr? Hatte sein tiefer, schwerfälliger Lebensernst sie nieder­gedrückt, ihre schöne natürliche Heiterkeit vernichtet?

Er nahm ihre Hand und küßte sie, und sie sah ihn verwundert an. Solche Galanterien hatte er­langst verlernt.

Frauchen," sagte er,ist's denn gar so schwer, dem Mann Zuliebe etwas aufzugeben?"

Sie regte sich nicht, sah nur immer zu dem Bilde empor. Sie wollte nicht lügen und ihn doch auch nicht kränken.

Er wartete eine Weile, dann seufzte er tief auf und machte Miene, sich zu erheben.

Da schlang sie plötzlich die Arme um seineu Nacken und hielt ihn fest. Nein, bleibe noch! Laß mich nicht so allein!"

Und er sah: da war viel mehr, als er gedacht hatte. Eine solche Unruhe und Angst und Traurig­keit sprach aus ihrem Gesicht, ihrer Bewegung. Ihm dämmerte es auf einmal:Lotti," sagte er weich, ist es Johanna?"

Sie ließ ihn los und lehnte sich zurück. Ihre blassen Lippen formten ein lautlosesJa".

Er war sehr ernst, aber nicht zornig.Kind," sagte er,so laß doch das ruhen!"

Du bekommst Briefe von ihr, Hubert. Sehr oft. Ich weiß es. Und dann bist du den ganzen Tag verstimmt."

Das wohl, Kind. Aber Zur Eifersucht hast du wahrlich keinen Grund. Diese Briefe, meist ge­schäftlichen Inhalts und in einem Ton gehalten" das Blut schoß ihm in die StirnKurz und gut," schloß er,wenn ich jemals Sympathien hatte für Johanna . .. diese Briefe, diese Stellungnahme gegen dich"

Gegen mich?"

Es ist ja erklärlich. Man darf da nicht hart sein. . . Trotzdem ..." Er stand auf.Ich will mir uicht den Tag verderben. Na, ein andermal. Wir müssen das ja mal besprechen. Uebrigens" er deutete auf einen Kasten seines Schreibtisches dort liegt die ,Affaire Johanna' aktenmäßig bei­sammen. Es ist vielleicht besser, du liest dich lang­sam hindurch. Ich habe ja kein Geheimnis vor dir."

Er nestelte einen kleinen Schlüssel von seinem Schlüsselbunde und gab ihn ihr. Aber sie zögerte, ihn zu nehmen.

Allein sollte sie sich da hindurchfinden? Nein, um Gottes willen! Sie hielt seine Hand fest. Hubert, sag mir's lieber! Jetzt, jetzt gleich!"

Er warf einen Blick auf die Uhr.

Hilbert, ich bin nun mal entschlossen. Ich Hab' mich davor gefürchtet wie vor einer Operation

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auf Leben und Tod! Du weißt ja nicht, wie es mich gequält hat!"

Gut," sagte er und setzte sich zu ihr nieder. Er sah ein, es war die höchste Zeit, daß er ihre übertriebenen, unklaren Vorstellungen zerstreute. Und so erzählte er denn in großen Zügen, wie alles ge­kommen war. Er beschönigte nichts, sondern ließ die Thatsachen sprechen aber die Thatsachen, wie sie ihm erschienen.

Wie die Triebräder einer kunstvollen Maschine sah sie es ineinander greifen, Schicksal und Charakter. Eins unterstützte das andre, schob und stieß es vor­wärts alles surrte und summte durcheinander.

So schürzte sich vor ihren Augen das Gewebe eines Menschenlebens, in dem viel Dunkles, Trübes, Schuld und Härte, aber noch viel mehr Großes, Reiches und Edles nebeneinander lagen.

Sie liebte ihn. Darum vergab sie ihm. Sie hätte ihm noch viel mehr vergeben. Er erschien ihr wie ein Held in seinem unermüdlichen Kampf mit den Widrigkeiten seines Schicksals, in seinem alles besiegenden Glauben an sich selbst.

Auch von Johanna erhielt sie ein ganz neues Bild. Trotz seines augenblicklichen Zornes auf sie ließ Hubert ihr doch Gerechtigkeit widerfahren. Er lobte ihre Güte, ihre Opferwilligkeit, ihre sanfte, alles vergessende Hingebung, ihre häuslichen Tugenden. Die verachtete Nebenbuhlerin verwandelte sich vor Lottes Augen in eine Frau, die gefehlt hatte ja, die sie aber nicht mehr wegwerfend abzuthun wagte.

Sie ließ sich Johannas Aenßeres beschreiben. Ihr blieb kein Zweifel: es war die Frau in Schwarz. Nein, die sah wahrlich nicht nach einer Verlorenen aus. Und ihr Haß, ihre Eifersucht schmolzen hin in Mitleid.

Wie unbeschreiblich sie Hubert auch liebte, sie mußte ihn doch manchmal verwundert betrachten. So hart konnte er sein? Und zu gleicher Zeit so gütig, so zart und feinfühlig? Welche Widersprüche! Welche Dunkelheiten!

So willig sie ihn entschuldigte, die Frau regte sich doch leise in ihr und ließ sie heimlich Partei ergreifen für die verlassene Mitschwester.

Hubert hatte die Aussprache als eine Wohlthat empfunden. Unbefangen erwähnte er jetzt öfter der früheren Zeiten. Der Name Johanna wurde ihm wieder geläufig. Lotte merkte, wie fest er damit verwachse:: sei, und daß diese Frau so gut wie sie selber zu seinen: Leben gehöre.

Weihnachten rückte immer näher heran, und Lotte hatte den Kopf voll von Ueberraschungen für ihren Mann und die Dresdener. Keiner durfte vergessen werden. Am wenigsten die Anspruchsvollen und Empfindlichen, Tante Sophie und Tapperts. Die sahen jedemgeschenkten Gaul" nicht bloß ins Maul, sondern bis auf Herz und Nieren. In die harm­loseste Gabe geheimnisten sie allerlei Beziehungen, Anspielungen, Absichten hinein. Sie witterten immer Zurücksetzung, Verkennung und andre Dinge, die den Berghauers gänzlich fern lagen.

Daß ihr Vater und Kläre kommen sollten, war Lotte beinahe unglaublich. Wie sie diese Menschen vermißt, wie sie sich nach ihnen gesehnt hatte, kam ihr erst an der zitternden, bangen Freude zum Be­wußtsein, mit der sie sie erwartete.

Ein paar Tage vor dem Fest, als die Wohnung in Sauberkeit strahlte und alles zun: Aufbau bei­sammen war, fuhren Hubert und Lotte nach den: Bahnhof, um sie abzuholen.

Es war Abend. Die Halle strahlte im elektrischen Licht. Ein Hasten und Treiben um sie her, und von nah und fern kamen die Züge angebraust und donnerten an ihnen vorüber.

Lotte schmiegte sich, mit leichtem Schwindel kämpfend, fest an ihren Mann. Sie war den Trubel gar nicht mehr gewöhnt, und die Erwartung beklemmte ihr das Herz. Sie atmete kurz und schnell, und in ihren Augen, die sie hinausschickte in die Dunkelheit, lag ihre ganze sehnsüchtige Seele.

Endlich!

Wieder fauchte, toste und donnerte es, daß die Erde erbebte. Ein kurzer Aufenthalt der langen Wagenkette, Thüren sprangen auf, Menschenfluten ergossen sich über den Perron Lotte lag an der Brust ihres Vaters.

Und dann wieder hielt Kläre sie umschlungen,