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glatten Stirn vorgeht? Warum soll sie nicht recht haben? Sie mich es ja doch am besten wissen.
„Lotti," sagte er nach einen: nachdenklichen Schweigen, „es ist die allerhöchste Zeit, daß du mit der Geschichte aufräumst, aber gründlich. Du bist ans einem bedenklichen Wege. Der führt geradezu — ins Narrenhans oder zu sonst einem Unglück. Also — komm mit! Nach Hanse! Oder hinaus in die Welt! Du bist mir verschimmelt in deinen vier Wänden, mußt frische Luft haben!"
Und so redete er herzlich und eindringlich, während sie mit einem süßträumerischen Lächeln Zuhörte. Aber als er sagte: „Ich mach's gleich mit dem Hubert ab," hielt sie ihn fest. „Papa," sagte sie, „es giebt noch ein andres Mittel. Und das —"
„Keine Ausreden! Du mußt mit!"
Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Es wird schon alles gut werden, auch wenn ich hier bleibe," flüsterte sie mit leichtem Erröten.
Jetzt wollte eine ernste Freude, eine halbe Hoffnung in ihm aufwachen. „Lotte," fragte er, „versteh' ich dich recht?"
„Ja, Papa," sagte sie mit holder Würde. „Ich hoffe. Und dann — siehst du, Papa — dann werde ich's aufnehmen mit allem Spuk und allem Tod und Teufel seiner Vergangenheit!"
Nach dieser Unterredung war Berghauer beruhigt und fortgesetzt guter Laune. Einmal, als er Hubert allein im Zimmer traf, beglückwünschte er ihn fast gerührt.
„Ich muß dir sagen, Hubert, Zuerst hatt' ich doch meine Sorgen um sie. Du merkst das ja nicht so. Aber ich — von ihrer Geburt an —"
„Aber sie hat nie geklagt —"
„Klagen? — Die? — Aber, wie gesagt, bei ihresgleichen, da hängt Glück und Unglück an einem Haar. Uo keu saerch weißt du, das ist ihr Lebenslicht. Wenn ihr das ausgeblasen wird, da geht das übrige bißchen Plunder mit zum Teufel."
Hubert wollte ihn unterbrechen.
„Es hat gehörig geflackert," fuhr Berghauer fort, „aber Gott sei Dank, es ist alles in gutem Wege."
„Die Kunst, sürchll ich, führt dabei schlecht, Papa. Kindergeschrei und Bildermalen..."
„Verträgt sich allerdings nicht. Aber laß ruhig ein paar Jahre ins Land gehen. Laß sie Mutter sein, so voll, so mit ganzer Seele, wie nur ein so ganzes, ernstes, pflichtbewußtes Weib es sein kann. Und wenn sie endlich ihren Kram wieder vorsucht, so hat sie doch gelernt, ohne einen Pinselstrich. Denn der Künstler, das weißt du ja selber, der sitzt nicht in der Hand. Der sitzt im Herzen, in der Seele. Und was uns als Menschen reifer macht, das kommt auch dem Künstler zugute."
Bis Mitte Februar dehnten die Berghauers ihren Besuch in der Neichshauptstadt aus. Es war für Lotte eine schöne, Helle Zeit.
Ihres Vaters gesunde Lebensfreude gewann wieder die alte Macht über sie. Wie heiter war
das Dasein, wenn es nicht nur aus schweren, erdrückenden Pflichten, sondern auch aus frohen Genüssen bestand.
Die eiserne Pünktlichkeit der Haushaltsmaschine, die strenge Ordnung, das ging wohl manchmal etwas in die Brüche. Dafür aber that sie alles so viel
leichter und freudiger. Es erschien ihr wie ein
Spiel, weil es nicht mehr die Hauptsache sein
sollte.
Sie speisten öfters auswärts, was eine große Vereinfachung der Tagesarbeit war. Selbst Hubert ließ sich ein wenig von Berghauers Leichtlebigkeit anstecken und nahm nicht selten teil an den Partien, dem Theater, dem Besuch der Sehenswürdigkeiten.
Charlotte war's, als wenn das unsichtbare Netz, das sie umspannt hatte, lockerer geworden wäre. Sie reckte -manchmal die Arme, wie ein Vogel, der lange im Nest gesessen hat, die Flügel probiert. Je vollere Freiheit Hubert ihr ließ, desto inniger, desto besser liebte sie ihn.
(Schluß folgt.)
Ueöer Land und Meer.
In der Großstadt.
Adelheid Mer.
Gin Dpfer der Arauenöewegung.
Zeitungen brachten die Nachricht, daß Frau I)r. .für.
Emilie Kempin in Berlin in schwere geistige Umnachtung gefallen ist, und daß die Möglichkeit einer Wiederherstellung leider ernstlich in Frage gestellt erscheint. Frau Kempin, die Gattin des Advokaten Walther Kempin, steht im 45. Lebensjahre und ist eine geborene Schweizerin. Die Eheleute gingen nach Amerika, um dort als Rechtsbeistände thätig zu sein; als aber der Gemahl dort schwer erkrankte, kehrte Frau Kempin in die Heimat zurück und habilitierte sich in Zürich als Privatdozentin. Ihrer Absicht, zur Erhaltung ihrer Familie nebenbei die Nechts- anwaltspraxis ansznüben, standen aber die schweizerischen Gesetze entgegen, und daher entschloß sich die tapfere Frau, nach Berlin zu gehen, wo sie ein englisch-amerikanisches Rechtsbnrean begründete. Daneben war sie schriftstellerisch vielseitig thätig, redigierte selbst eine Zeitschrift „Frauenrecht" und stellte sich bald durch ihre Energie und Begabung in die vorderste Reihe der Frauenrechtlerinnen. Bezüglich der Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches über die vermögensrechtliche Stellung der Frau geriet sie aber mit ihren Mitstreiterinnen in eine ernstliche Fehde, die einen bitteren und unversöhnlichen Charakter annahm und gewiß den Hanptanstoß zu ihrer schweren Erkrankung gegeben hat.
Bekanntlich wollen die vorgeschrittenen Frauenrechtlerinnen ganz so wie der Mann eine volle Rechtspersönlichkeit sein. Das aber hat das neue Gesetzbuch, das das kommende Jahrhundert beherrschen soll, den Frauen versagt, denn es verschließt ihnen nach dein gesetzlichen Güterrecht die Verwaltung und Nutznießung ihres eingebrachten Vermögens und stellt sie dadurch eigentlich als unmündig hin. Es verweigert ferner der Mutter den vollen Anteil an der elterlichen Gewalt und versagt ihr damit die Stellung in der Familie, ans die sie in der Gegenwart einen schwer bestreitbaren Anspruch hat. Dem: der Einfluß, den sie naturgemäß auf das Geschick ihrer Kinder ausüben soll, wird damit in wesentlichen Punkten gelähmt.
Die deutschen Frauenvereine gingen nun kräftig gegen diese Bestimmungen vor, aber trotz aller Proteste und Bemühungen wurde der Entwurf durch das Parlament fast unverändert zum Gesetz erhoben, und wenn auch der „Bund deutscher Franenvereine" eine Petition in Umlauf gesetzt hat, die auf eine Revision des Familienrechts des bürgerlichen Gesetzbuchs in den erwähnten Punkten abzielt, so ist der Erfolg doch sehr fraglich. Der Reichstag hat sich ja neuerdings bezüglich des Studiums der Frauen, dank der Anregung des Prinzen von Schönaich-Carolath, einigermaßen entgegenkommend gezeigt, daraus aber ist noch keineswegs aus eine Geneigtheit zu schließen, der Frau in vermögensrechtlicher Beziehung ganz dieselbe Stellung zuzuerkennen als dem Manne.
Frau vr. Kempiu stellte sich nun im Gegensatz zu ihren Genossinnen auf den Standpunkt des bürgerlichen Gesetzbuchs und sprach sich billigend über die bezüglichen Bestimmungen aus. Das geschah besonders tu einem Artikel der „Nation" (Nr. 52 vom 25. September 1897), in
dein es hieß: „Das bürgerliche Gesetzbuch erklärt auch die Ehefrau als völlig geschäftsfähig, mit andern Worten: ihre sämtlichen Verträge sind prinzipiell gültig, als ob sie unverheiratet wäre; keine Zustimmung ihres Mannes, keine richterliche Genehmigung, kein vormundschaftlicher Zwang hemmt sie, zu thun und zu lassen, was ihr beliebt, zu kaufen und zu verkaufen, zu mieten und zu vermieten, Pfänder zu nehmen und zu geben, Bestellungen zu empfangen und zu machen, Bürgschaften einzugehen, Wechsel zu unterschreiben und so weiter. Alle diese Verträge sind gültig..."
Im Leser entsteht hiernach die Illusion, als sei das der Zustand, den das Gesetz als Regel schaffe , wonach daun also die Frauen nach dieser Richtung hin gar nichts mehr zu wünschen hätten. Nun aber heißt es weiter: „Wenn sie aber mit ihrem Manne unter dem gesetzlichen Güterrecht lebt, also keinen Ehevertrag mit ihm gemacht hat, der dieses Güterrecht ausschließt, so kann sie über ihr Vermögen nicht ohne seine Zustimmung verfügen."
Das ist nun freilich etwas stark — „juristisch" ausgedrückt. Denn es wird uns mit schönen Worten der Ausnahmezustand, nicht die Regel geschildert, und diese ist, daß man keinen Soudervertrag vor der Ehe zu schließen pflegt, der allein gegen die Konsequenzen des Gesetzes schützen würde. Beim Abschluß der Verlobung werden Verabredungen Über die Rechte am Vermögen des andern Teils nur dann getroffen, wenn ein ganz besonderer Anlaß dazu vorliegt; man vermeidet alles, was Schwierigkeiten Hervorrufen könnte, und so wird das sogenannte gesetzliche Güterrecht stillschweigend fast in jeder Ehe angenommen. Damit verzichtet man aber auf alle die Rechte, die Frau I)r. Kempin hervorhebt, um die Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches plausibel zu machein Liest man unbefangen ihre Darstellung, so fragt man sich unwillkürlich, was denn eigentlich die Frauen gegen die ihnen im bürgerlichen Gesetzbuchs zugewiesene vermögensrechtliche Stellung einzuwenden haben, und erst bei ruhige»: Nachdenken kommt man allmählich dahinter, wie vieles die Frauen hier einzuwenden und was sie zu verlangen haben. Das aber ist die Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht. Aus welchen: Grunde Frau !)r. K. dies verschwiegen hat, ist schwer abzusehen; man müßte denn einfach erklären, daß mit dein Bekenntnisse der schweren Einwendungen gegen die Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches der Artikel nicht Hütte geschrieben werden können. Jedenfalls trifft sie hier mindestens der Vorwurf der Unklarheit, wenn nicht der schlimmere der Verschleierung der Thatsacheu.
Mag dem aber sein, wie ihn: wolle — die angemessene Bitterkeit, mit der Frau Kempin auf der vorjährigen Oktoberversammluug des Allgemeinen Deutschen Fraueu- vereins wegen ihres Verhaltens gegenüber den erwähnten Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches boykottiert und „als nicht mehr aus dem Boden der Frauenbewegung stehend" grausam abgeschoben wurde — sie ist durch nichts zu rechtfertigen. Eine Hauptzierde der Frauen ist Milde und Versöhnlichkeit; Gehässigkeit und Bitterkeit entstellt sie und nimmt überdies den damit durchträukten Ausführungen die überzeugende Kraft. Wir können es wohl verstehen, wenn Fräulein Helene Lange eine besondere „Erwiderung" auf jenen Artikel der „Nation" drucke,: ließ und dieselbe auf ein Gutachten eines Juristen stützte, um Klarheit in die Sache zu bringen und die irrige Auffassung der Frau Kempin darzulegen, aber die Schärfe und Härte, die Frau Or. Biber-Böhm gegen die bisherige Mitstreiterin aufwandte, muß als maßlos und unweiblich bezeichnet werden. Das bedauernswerte Schicksal der in schwere Krankheit Gefallenen wird nicht verfehlen, auch auf die Gegnerinnen der Beklagenswerten tiefen Eindruck zu »rachen und den Wunsch aufkeimen zu lassen, jene bittere Scene in Stuttgart wäre ungeschehen.
Uebrigens kann man sich nicht des Gedankens erwehren, daß Frau vr. Kempin sich den Zorn der Frauenführerinnen noch durch andre Meinungsverschiedenheiten zugezogen hat. Sie hatte nämlich vor einiger Zeit in einem öffentlichen Vortrage behauptet, daß die Ausübung eines bestimmten Berufes für die verheiratete Frau nicht wohl angehe, da entweder der geschäftliche oder der häusliche Beruf leiden müsse. Beides zu vereinen, sei unmöglich. Neuerdings hat sie diese Ansicht in einer angesehenen Zeitschrift vor ein großes Publikum gebracht, und ihre Beweisführung erschien um so wirksamer, als sie selbst, wie oben bemerkt, Frau und Mutter und ausübende Rechtsverstündige ist. Sie sagt dort, daß eine Frau die Unverträglichkeit des häuslichen Berufes mit den: geschäftlichen in ihren: eignen Leben erfahren haben muß, um darüber sachkundig urteilen zu können. Dann fährt sie fort: „Je mehr wir anerkennen müssen, daß der Frau im Kampf ums Dasein alle Wege zu öffnen sind, daß es einfach ein Gebot der Menschlichkeit ist, ihr Können auf keinem Gebiete der Thätigkeit abzusperren, desto größer wird die Notwendigkeit, daß wir uns gegenseitig keinen blauen Dunst vormachen und den Tatsachen ganz frei ins Auge sehen." Sie versteht unter dem „blauen Dunst" die immer wiederholte Behauptung der fortgeschrittenen Fahrerinnen, daß sich der häusliche Beruf als Gattin und Mutter sehr wohl mit dem geschäftlichen vertrage, und daß der eine unter dein andern nicht zu leiden habe. Man konnte nun leicht voraussehen, daß Frau