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Weber Land und Weer.
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Erfahrung entnahm, bei den enragierten Frauenrechtlerinnen übel anlaufen werde, und so erscheint es gar nicht ausgeschlossen, daß die übermäßige Härte, mit der man ihr in Stuttgart den Stuhl vor die Thür setzte, sich aus diesem mutigen Geständnis herleitet und nicht nur auf Rechnung ihrer zustimmeuden Haltung zu den oben erwähnten Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches zu setzen ist. Jedenfalls hat sie hier im Prinzip recht, und es ist tief zu beklagen, daß eine so begabte und vielseitige Frau den Doppelkamps ums Dasein, den sie für ihre. Familie und fiir ihre Überzeugungen zu führen hatte, nicht mit Ehren fortsetzen darf. Ihr mutiges Ringen, das ihr in der letzten Zeit noch durch materielle Not erschwert wurde, wird in allen fühlenden Frauenherzen den Wunsch entstehen lassen,
dringend aus sie angewiesenen Familie wiedergeschenkt werde. Diesem echt menschlichen Wunsche müssen alle in der Vergangenheit liegenden Meinungsuuterschiede weichen. R. W.
Der schöne Äöe.
Mna Witter.
ch, das ewige Umsteigen und das Herumliegen auf kleinen, schmutzigen Bahnhöfen!
Frau Baumeister Käthe Menter legte übelgelaunt Reisetasche, Schirm und Decke zur. Hand, während der Zug mit der übertriebenen Vorsicht und Langsamkeit der Lokalbähnchen in D. . . einfuhr.
Aus der zweiten Klasse stieg niemand weiter, um so besetzter schien die vierte gewesen zu sein. Frau Käthe sah sich einen Augenblick von einem Schwarm schwatzender Bauernfrauen umringt, dann stand sie allein aus dem Bahnsteig. Es lag wie Frühling in der Luft. Noch nicht der Lenz mit Vogelfang und Blütenduft, aber jenes heimliche Werden und Wollen, das die Gründe erschließt, die Knospen schwellen läßt und das Blut in schnellen, heißen Wogen durcb die Adern treibt.
Ein Schritt knirschte im Kies, ein fester, sporenklirrender Schritt.
Frau Käthe blickte überrascht aus: ein Offizier in diesem weltentlegenen Nest! Und daun stutzte sie plötzlich, blinzelte und zog die Stirn in nachdenkliche Falten. Wo hatte sie das Gesicht doch schon gesehen?
Während er, die .Hände in den Paletottaschen, langsam auf und nieder ging, ließ sie die Schar der Marsjünger, die sie in ihrem Leben gekannt, au sich vorübergleiten. All die Herren, die zu Lebzeiten ihres Mannes in ihrem Hause verkehrt, die Tänzer aus der Mädcheuzeit, daun die Jugend. . .
Frau Käthes Herz setzte einen Augenblick aus — sie hatte es:
„Der schöne Ede."
Unglaublich, daß ihr das Wort so laut entfahren konnte! Sie wurde sehr rot, nestelte am Schleier und warf einen erschreckten Seitenblick nach dem Offizier hinüber.
Der war mit plötzlichem Ruck stehen geblieben, that ein paar zögernde Schritte, lachte laut und herzlich, machte knapp auf dem Absatz Kehrt und stand vor ihr, die Hand ehrerbietig au die Mütze legend.
„Gnädige Frau," — um die Mundwinkel zuckte ein mühsam unterdrücktes Lächeln —, ich.Hab' zwar von jeher den Namen zu Unrecht getragen, aber er ward mir nun einmal zugelegt, und da gnädige Frau..."
„Also wirklich!" Sie streckte ihm, mädchenhaft befangen, die Hand hin.
Wie er sie küßte und sich dann zu stattlicher Höhe aufrichtete, maßen sie sich mit dem scharf prüfenden Blick, der
sncht.
Frau Käthe nickte unwillkürlich: fast dasselbe Gesicht wie einst. Die energisch vorspriugeude Nase, die freie Stirn, die lustigen braunen Augen. Einen Schein dunkler, nachdenklicher sind sie geworden, und zwischen den Brauen ziehen sich zwei feine, haarscharfe Falten aufwärts, aber der hübsche, offene Ausdruck ist geblieben — alles in allem „der schöne Ede" von einst.
„Zufrieden?"
Wie er ihre Gedanken erraten hatte! Die dumme Schulmädchenröte flog ihr wieder um Wangen und Ohren, die
„Sie haben sich wenig verändert," gab sie zu, „ich erkannte Sie sofort, nur der Name wollte mir nicht gleich einfallen; es ist gar so lange her, seit ich ihn zuletzt gehört. Sie aber wären ruhig an mir vorbeigegangen."
„Ja, gnädige Frau, es ist auch schlechterdings unmöglich, das Kind von ehemals in Ihren Zügen wiederzufinden."
„Hoffentlich!" Sie lachte amüsiert. „Es wäre auch keine Schmeichelei für mich, wenn Sie das Gegenteil behaupteten. Die Mauserzeit ist niemals vorteilhaft, und ich mag damals nichts weniger als hübsch gewesen sein."
„Hübsch? Nein! Es war ganz etwas andres. Ich hatte
nie auf Sie geachtet... Sie waren mir noch zu klein . . . Und dann auf einmal... der Abend in der Ulmenecke ..."
Er verstummte verlegen — daran konnte er sie unmöglich erinnern!
Und daun jagte ihm eine heiße kleine Blutwelle durchs Gesicht, wie er die schlanke Frauengestalt da vor sich sah. Zu denken, daß diese weichen Arme sich einmal um seinen Hals gelegt, daß er den roten Mund dort geküßt, in lauer Sommernacht, im stillen, blühenden Garten . . .
Als er der Ulmeuecke erwähnte, hatte sie sich nach der Reisetasche gebückt, die noch neben ihr im Sande stand. Nun sah sie nach der Uhr — das kleine, blitzende Ding zitterte merklich in ihrer Hand.
„Noch fünf Minuten."
„Gnädige Frau fahren nach Berlin?"
„Ja."
Es lag wie Jubel in dem Wort, die konzentrierte Sehnsucht langer, öder Wochen.
Er überlegte blitzschnell. Mitsahren? Wenn das ginge! Allein mit ihr im Coupä — in diesen Bummelzügen fuhr ja kein Mensch — drei Stunden ihr gegenüber in engem Raum — alte Erinnerungen auskramen — zerrissene Fäden wieder anknüpfeu. Aber der Dienst, der Dienst! Unmöglich !
„Wer doch mitkönnte!"
Er hatte es laut gesagt, und es klang so viel ehrliches Verlangen, solch schwerer Verzicht hindurch, daß ihr Herz schneller schlug.
Dann besannen sie sich, daß sie die armen fünf Minuten ansnutzen müßten. Sie plauderten hastig von vergangener
Zeit^ n ddcl
Ziehungen, mit wenigen war man vertraut geblieben.
Wie's den Brüdern ginge?
Die wären seit Jahren drüben in Amerika, hätten Weib und Kind.
„Nicht möglich!"
Frau Käthe streifte mit blitzschnellem Seitenblick seine Hand — er trug keinen Ring.
Nach allem fragte er, und ihr wurden die Augen feucht, während sie berichtete, daß der Vater schon lange, lauge tot und das schöne Besitztum längst in andre Hände übergegangen wäre.
Noch einmal, nach Jahren, sei sie im Garten gewesen, voll Sehnsucht, die Stätte der Kindheit wiederzusehen. Es war aber eine bittere Enttäuschung gewesen. Alles verwahrlost und verwildert, die große Linde abgestorben, die Wege verwachsen...
Ach ja, der Garten! — Sie schwiegen beide beklommen still, die Ulmeuecke tauchte schwül, dämmernd vor ihnen auf.
Hastig fragte er nach ihrem Leben. Das Wesentliche wußte
damals, er auch. Ja, wahrhaftig, er auch! Es klang treuherzig, wie er es ihr versicherte.
Wie sie sich ihr Leben hinterher eingerichtet habe?
Du lieber Gott, da sei wenig zu erzählen!
Ein einförmiges Dasein in kleiner Stadt, zwei oder drei liebe Menschen, mit denen sie plaudern könne, ein- oder zweimal im Jahre nach Berlin — voilä tout.
In die Gesprächspause hinein pfiff der Zug, es war Zeit, einzusteigen. Sie lächelte dankbar, wie er sich bemühte, ihr im Coupe ein wenig Behaglichkeit zu schassen.
Daun beugte er sich abschieduehmeud aus ihre Hand, und sie ließ das Fenster herunter, ihm noch ein allerletztes freundliches Wort zu sagen.
Wie der Zug sich langsam in Bewegung setzte, hielt er mit leuchtendem Blick ihr Auge fest:
„Auf Wiedersehen!"
„Auf Wiedersehen," nickte sie und grüßte mit der Hand, solange sie die Gestalt des Jugendfreundes noch erkennen konnte.
Dann lehnte sie sich aufseufzend in die Kissen.
„Vorüber!"
Wie ihr die Kindheit lebendig geworden war im Geplauder mit ihm!
Das Elternhaus, weit draußen vor der Stadt", der große Garten, in dem man sich so gut verstecken konnte, das wüste, hügelige Terrain dahinter, auf dem sie all ihre tollen Streiche ausgeführt. Dort warteten in später Nachmittagsstunde die Freunde der Brüder, dort wurden „ge- striepste" Kartoffeln in der Asche gebraten und Pulverminen angelegt, dort spielten sich auch die grausamen Jndianer- kämpfe ab, in denen sie so oft als Squaw in den Wigwam irgend eines großen Häuptlings, des „Springenden Hirsches" oder der „Pantherklaue", eutführt worden war.
Frau Käthe blickte lächelnd an dein eleganten Reisekleide nieder. Wie verwildert sie damals war! Keine Mauer war ihr zu hoch, keine Hecke zu dicht, kein Wagnis zu groß — sie that's fast den Jungens zuvor. Und um des Ansehens willen, das sie bei ihnen genoß, weil sie so gar nicht „wie ein Mädchen" war, ließ sie sich geduldig peinigen.
Dann auf einmal kam eine Zeit, da sie jedes neue Kleid darauf prüfte, ob es ihr „stehe", sich jeden Riß sorgfältig
zustopfen ließ und an der Gartenthür heimlich die Zopfschleife in die Tasche steckte, damit es „Locken" würden.
Damals tauchte zuerst der schöne Ede an ihrem Horizonte auf. Er poussierte ihre drei Jahre ältere Schwester Mieze, die nicht wenig stolz auf die Eroberung war. Regelmäßig stellte er sich nun mit den andern im „Drachenfels" ein, kam wohl auch einmal mit in den Garten, nachdem ihn der Vater als netten Jungen hatte gelten lassen.
Wie hübsch er war! Und schon siebzehn und so groß, daß ihm die schlanke Mieze nur bis zum Ohr reichte. Sie hatten's einmal lachend und neckend nusgemessen, während Käthe daneben stand und rot ward über die zwei.
Ach, diese Abende, wenn die Rosen glühten und der Bach unterm Zaun in kleinen, schluchzenden Wellen vorüberschoß. Wenn über ihnen die Sterne aufblitzteu, die Jungens ihre Zukunftsplüue entwickelten — sie wollten alle Seefahrer, Forschungsreisende werden und die seltsamsten Abenteuer bestehen — und sie selbst, das Kind mit den unentwickelten Gliedern und den großen, begehrlichen Augen, hinausträumte in eine wunderbare, schimmernde, märchen- schöne Zeit.
Und daun, dann that sie den Schritt aus der Kindheit heraus. Früher als andre Kinder, wie sie immer im Denken und Fühlen ihren Jahren voraus war.
Die Ulmeuecke — da war's. Wie genau sie sich des Abends erinnerte! Sie könnte sich noch malen in dem roten Kattunkleidchen, das sie, wie alle Schulkinder, der älteren Schwester „nachtragen" mußte, mit dem Sammetband um den Hals und dem wirren Zopf.
Im Juli war's, so des Abends um neun.
Eben kam sie mit einein angebissenen „Knust" aus der Küche. Im Kiuderzimmer brannte schon die Lampe, und Mieze saß in ihrer Lieblingsstellung, beide Zeigefingerspitzen in den Ohren, am Tisch und „büffelte".
„Tu ssrais 6t6."
„ck'aurais ete G schrie Käthe von der Thür her. Miezes Kopf flog, hochrot vor Zorn, herum, und ihre Hand tastete nach irgend einem Gegenstand, ihn dem naseweisen Ding an den Kopf zu werfen.
Dann besann sie sich eines Besseren:
„Willst du mir einen Gefallen thun?"
Käthe schob muffig die Unterlippe vor:
„Was denn?"
„Ach, du weißt schon!" Mieze sah verheult aus. „Ede wartet in der Ulmeuecke, und ich darf nicht fort. . . das greuliche Französisch!" Das Buch bekam einen ingrimmigen Knuff. „Du könntest ihm das da bringen" — ein kunstvoll gefalteter Brief flog über den Tisch — „laß dich aber nicht erwischen."
Küthe schielte nach dem Briefe, rührte sich aber nicht. Erst als sich von draußen Schritte näherten, griff sie nach dem Blatt und ließ es in die Tasche gleiten.
„Ich thu's aber nicht wieder, brauchst mich gar nicht wieder drum zu bitten ... es ist das letzte Mal."
Damit war sie zur Thür hinaus.
„Dummes Ding!" brummte Mieze noch hinterher, dann
eintretenden alten Lehrerin vorüber die Treppe hinuntergehuscht, dann blieb sie plötzlich stehen und stieg Stufe um Stufe zögernd wieder hinaus, schlich am Kinderzimmer vorüber in ihr eignes Stübchen und schob den Riegel vor.
Was sie dort wollte? Klar war's ihr selber nicht. Sie machte Licht und beleuchtete ihr Gesicht im Spiegel. Der greuliche Zopf! Mit einem Ruck hatte sie die verblichene Schleife herausgerissen und faßte das Haar hoch oben am Scheitel mit dem Sonntagsband. Dann hielt sie Miezes heimliche Brennschere übers Licht. Wie ein paar Löckchen doch gleich verändern! Mieze betrachtete entzückt ihr Spiegelbild. Nur die Figur — schrecklich! Wie ein Bügelbrett! Aber da ließ sich nun einmal nichts dran ändern.
Noch ein paar Tropfen von Miezes ängstlich gehüteteip Heliotrop, dann legte sie den Weg über Vorsaal und Treppe noch einmal zurück, während ihr Herz klopfte, als wollte es zerspringen.
Mit durstigen Lippen sog sie draußen die Nachtluft ein.
Der Garten war schon tief dämmerig, nur die Lilien leuchteten wie Fackeln von den Beeten, und aus den Küchenfenstern fiel ein breiter Lichtstreif über den Weg.
Küthe umging ihn in großem Bogen, dann lief sie hastig die abfallenden Rasenflächen hinab, hie und da ihr Kattun- kteidchen mit heftigem Ruck von den Büschen losreißend.
Da war die Ulmeuecke.
Die Ulmeuecke war der äußerste Winkel des Gartens, ein öder, auch am Tage halbdunkler Ranm, auf der einen Seite vom Nachbarstaket, auf der andern von einer runden Weißdornhecke begrenzt, deren Eingang im Laufe der Jahre fast zugewachseu war. Von den „Großen" verirrte sich niemand hierher, der Platz war deshalb als letzte Zuflucht in der Not, als heimlicher Beratungs- und Aufbewahrungsort verbotener Schätze sehr beliebt.
Um die Ulme herum, die dem Winkel seinen Namen gegeben, lief eine verwitterte Holzbank, und darauf saß, ungeduldig den keimenden Schnurrbart zupfend, der schöne Ede.
„Du?"