'g. Band, vierzigster Jahrgang. Oktober )§g7—
Preis vierteljährlich 3 M. 30. Mit Postausschlag 3 M. 7s.
Won zerrler: Kcrnd.
Roman
Johannes Richard zur Megede.
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anarienvögel ausgenommen, besitze ich eine liebenswürdige Schwäche für alles warm- blütige Getier: wie's meiner Gräßlichkeit zukommt, hauptsächlich für Pferde und Hunde.
Run hatte mich eines Tages der Weltekel gefaßt, und ich bummelte über die ewig schwankende Weidendammer Brücke. Unser Berlin hört da auf, trotz Renz und der verräucherten Garde-Infanteriekaserne. Die Häuser sind hoch, und die Friedrichstraße ist noch breit — aber es sind im besten Falle Boxer in Zivil und Studenten ohne Couleur, die ihn wandeln.
Aber nach eleganter Welt gelüstet mich auch nicht. Ich will Trübsal blasen! Das kann ich ausgezeichnet zwischen diesen himmelhohen Mietskasernen, aus dem schmutzigen Asphalt mit den geschäftigen Menschen, die mich gar nicht interessieren. Nicht nach dem Revers der glänzenden Medaille Berlin zieht's mich, sondern nach der nivellierenden Alltäglichkeit der Häuser und Menschen. Hier bin ich wirklich allein. An der Augnststraße verschwindet das Monocle in der Westentasche — was ich sehen will, sehe ich jetzt besser ohne Einglas. Am Rosenthaler Thor geniert mich der Lackschuh — er paßt so wenig in diese häßlichen Straßen und Zu dieser hastenden Menschheit wie der nachlässige Flaneurschritt und mein Hut von Habig.
Ich gehe schneller. Doch das entspringt mehr wohlanständiger Feigheit. Denn seit fünf Minuten keucht hart neben mir auf dem übelriechenden Straßendamm ein magerer Ziehhund. Er zieht aus quietschendem Wagen die übliche Briqnettladung; die Zunge hängt ihn: aus dem Halse, und in den matten Augen liegt ein grausiger Stumpfsinn. Ich sehe, wie die eingefallenen Flanken schlagen und die Nippen sich schärfer unter dem dicken, zottigen Felle abzeichnen
— ich sehe auch, wie der rußige Kerl an der Deichsel dem elenden Tiere mit dem plumpen Absätze in die Weichen tritt, weil's nicht schnell genug geht — ich höre, wie das Tier aufhenlt in der feigen Empörung des Sklaven. Es ist eine einsame schmale Gasse, aber die wenigen Menschen, die uns begegnen, bleiben kopfschüttelnd stehen, ärgern sich. „Nimm dir in acht, du Hundeschinder!" — Und als Antwort lacht der halbbetrnnkene Schuft gemein auf. „Ick kann doch mit meenen Hund anfangen, Wat ick Lust habe.
— Los du!" Und wieder hebt sich der gemeine breite Fuß, und der Hund keucht schärfer mit gebogenem Rücken und gesenktem Kopse. Ich bin auch empört, und ich stelle mir mit wollüstiger Grausamkeit vor, wie ich den rohen Fuhrmann totpeitschen lassen würde,
Movgenritt. Nach einem Gemälde I. R. kj. der Prinzessin pauline von Württemberg.
1898 (Bd. 79).
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