346
M 22
wenn's im vorigen Jahrhundert wäre und er mein Leibeigner. Aber ich ihn' nichts! Ich sehe auch nur verstohlen nach der Seite, aus Angst, der Kerl könne an meinem Lackstiesel und an meinem Hut Anstoß nehmen. Die Witterung ist ganz richtig: der Flaneur ist hier wie in Feindesland. Endlich wird mir's zu ekelhaft. Ich bleibe an einem Laden stehen, einem häßlichen, verstaubten Laden, wo sich die Arbeiter ihre bunten Hemden und die Fleischergesellen ihre Sonntagsschlipse holen. Zehn Schritte davon ist die große Verkehrsader, lind der Hund soll sich erst im Gedränge verloren haben, bis ich weitergehe. Ja, du bist ein ganzer Aristokrat, Graf Caren!
Ich stehe noch keine Minute, da höre ich Stimmen. An der Straßenecke ist ein Auflauf. Ich denke an meinen Lackschuh und will schleunigst wieder umkehren. Ich thn's nicht, ich springe ohne Besinnen auf den Knäuel los — ich habe eine Stimme gehört, eine Damenstimme: „Mein Herr, Sie verdienten getreten zu werden, wie Sie diesen Hund treten." — Es ist tadelloses Deutsch, doch fremder Accent.
Aber im Augenblicke ist der Graf Caren geweckt; er weiß ans einmal, was er sich schuldig ist, thun muß. Er denkt nicht mehr an seinen Lackschuh, seinen Hut — nicht einmal an den Groll, den ihm die schmierige, gaffende Menschheit gönnt, während er sich rücksichtslos durch sie dnrchdrängt bis zu dem Hundegefährt. Da steht Asta Le Fort mit ihren tiefgrünen Augen, hoch aufgerichtet, vornehm — und keine Spur von Pose! Durch den Dunst von Fusel und Tabak und abgetragenen Röcken bin ich zu ihr dnrchgedrungen.
„Gnädiges Fräulein..."
„Herr Graf!"
Und da höre ich schon das höhnische Lachen, das drohende Knurren, das dem Lackschuh gilt und dem Edelmann. Die Menge drängt heran. Ich fühle instinktiv den Haß der Armut, der Arbeit, des gemeinen Müßigganges. Ein paar aschfahle, widerwärtige Nachtgesichter sehen mich frech an — ich wäre verloren, wenn mich diese Gentlemeu um Mitternacht so anstarrten. Aber ich habe keine Spur von Furcht, nicht einmal für meine Zähne, die ich mir so ungern zertrümmern ließe.
„Wat will der denn? — 'n ehrlichen Arbeeter anjreifen? — Schlagt doch det Aas dot!"
Aber dagegen erheben sich beruhigende Stimmen, die wirklich mitleidigen Menschen, die man in Berlin überall findet. „Verhaut lieber dem Fuhrmann — der hat det arme Luder von Hund janz jemeen kujoniert!"
Das rohe, beschmutzte Gesicht des Mannes verzieht sich zu einem gemeinen Lachen, der brutale Kiefer schiebt sich vor. „Kommt man 'ran — ick verhau euch noch alle!" Dann packt er wieder die Deichsel: „Weg frei!" — pfeift dem Hund — das keuchende Tier legt sich wieder in die Sielen mit dem feigen Wedeln des Verprügelten. Sie Weichen von dem schnapsduftenden Kerl zurück — ich auch. Asta Le Fort nicht.
„Mein Herr, Sie werden bleiben, bis ein Polizist gekommen ist!" Sie hat den hellseidenen Sonnenschirm fest gefaßt — eine komische Pose, die aber hier nicht komisch war. Sie hätte ganz gewiß zugeschlagen.
Da brüllt der rußige Kerl auf: „Wat wollen Sie, Sie olle . . .!" Er schleuderte der stolzen Asta das erniedrigendste Schimpfwort ins Gesicht. Sie verstand's Wohl kaum, aber erriet vielleicht den Sinn und wurde totenblaß. Ein Pseudo-Elegant mit einem Cylinder und'schmutzigen, verbrochenen Nägeln johlte Beifall. Aber Graf Caren hat plötzlich seine Diplomatie, seine feine Wäsche, die eigne elegante Kraftlosigkeit vergessen. — Ich habe den Führer blitzschnell gepackt an der Gurgel, mit einem Griffe mir unverständlicher Kraft, und schleudere ihn über seinen Hund hinweg auf den Straßendamm. Er erhebt sich torkelnd mit einem Fluch und greift nach seiner Kohlenschippe... Ich wäre hinüber gewesen. . . Für den Aristokraten regte sich hier keine Hand. Da stiebt die Menge auseinander. Eine Faust packt mich am Kragen, der ich mich zu entwinden suche.
Einmal war die heilige Hermandad zur rechten Zeit erschienen, wenn sie auch den Falschen gefaßt hatte. Anfangs hielt der Schutzmann mich für den Strolch. Es ist die alte Geschichte von dem winzigen
Ueber ^and und Weer.
äußerlichen Unterschiede zwischen Monde und Demi- nwnde. Der Gentleman neben mir zum Beispiel war trotz des Cylinders und des falschen Diamanten in der roten Krawatte so ein verworfenes Subjekt und mir in der Leichenblüsse noch über.
„Wer sind Sie?"
Darüber gab nun meine Visitenkarte sehr befriedigende Aufschlüsse. Die uniformierte Gerechtigkeit maß mich noch mit kurzem Jnquisitorenblick, wechselte darauf die Taktik und versicherte sich des Fuhrmanns. Die Hunde-Angelegenheit wurde notiert, der gänzlich unbeschädigte Graf bedauert. Die Sache wäre eigentlich erledigt gewesen. Aber die eigentliche Heldin des Straßenkampfes war nicht Zufrieden. Sie verlangte, daß dem Hundebesitzer die Disposition über das mißhandelte Tier entzogen würde. Darin ist aber der Staat andrer Meinung. Wer seinen Hund unter vier Augen langsam zu Tode quält oder ihn gemütvoll erschlägt, thut es direkt unter dem Schutze der Gesetze. Darauf verhandelte sie mit dem Briquettfuhrmann. Sie wollte das Tier kaufen, bot fünfzig, hundert, hundertundfünfzig Mark
— schließlich, was er wollte. Aber der Kerl schielte nur heimtückisch aus einer blutunterlaufenen Augen-Ecke und erwiderte nichts. Der Hund war keine zwanzig Mark wert, auch nicht dem Manne — aber der tückische, brutale Trotz hätte selbst einer großen Summe gegenüber standgehalten. Das Tier erst mal im Stalle haben und dann mit zugebundener Schnauze so lange zu hauen, bis es zusammenbricht — das war sein löblicher Vorsatz, woran wir ihn nicht hindern konnten. Der Schutzmann zuckte die Achseln und salutierte dem Grafen. Der Hund keuchte mit seinem Wagen weiter. Asta Le Fort sah dem schmutzigen Gefährte nach, ernst, säst finster. Auch ich hatte meine Gedanken, als ich das hochbeinige Tier in der Menge verschwinden sah und sich der Führer noch einmal argwöhnisch umdrehte. „Armes Tier!" sagte sie leise. „Was Hab' ich dir nun genutzt? — Ach, die Welt ist so albern."
Ja, die Welt ist albern, schöne Asta! — Und albern ist auch Graf Caren, der in dieser Situation nicht mal den selbstverständlichen Gedanken denkt: wie schön wäre es doch, dein uraltes blaues Blut durch dies junge reine aufzufrischen und die zerrütteten Finanzen durch die guten neuen Millionen! Nein, Graf Caren denkt das nicht. Er ärgert sich über sich selbst, seine Schlappheit — und daß die schöne Asta wieder in Berlin ist. Das sind so Stimmungen, über die er sich nicht klar werden kann. Ich glaube: Graf Caren ist ein Simpel. Denn Asta Le Fort ist wirklich schön, zwar etwas zu herb, etwas zu sicher. Aber wie er jetzt mit ihr wieder in menschenwürdigen Straßen wandelt, empfindet er doch den Zauber dieser vornehmen Gestalt und dieses königlichen Nackens. Niemand würde bei Gräfin Asta Caren nach dem Stammbaum zu fragen wagen!
— Aber er mag sie nicht, er denkt weder an eine Vernunft- noch eine Liebesheirat mit ihr; er hat vielleicht Angst vor dem königlichen Nacken, vor dem er sich doch nnterthänig beugen würde — und die Millionen reizen ihn bei jeder Frau, bei Asta Le Fort nicht.
Die Herrschaften gehen schweigend. Graf Caren sehr elegant, sehr blasiert: wir sind ja ein kaum glaublich vornehmer Graf — und Asta träumt. Von einer Fürstenkrone? Von dem mißhandelten Hunde? Ich glaube, von dem Hunde, denn die Lippe ist so herbe geschlossen. Endlich fühlt Graf Caren die Verpflichtung, etwas Geistreiches Zu sagen. „Sind gnädiges Fräulein nur vorübergehend in Berlin?"
Gnädiges Fräulein erwachen. „O nein, Herr Graf. Wir werden vermutlich lange hier bleiben."
Pause. „Und wie kommen gnädiges Fräulein gerade in diese Gegend?"
„Ich war bei meinem Onkel." Sie kann auch lächeln, reizend lächeln, Asta Le Fort. Und auf einmal wird sie gesprächig. Es ist ein Bruder ihrer Mutter, nicht alt, nicht jung, aber kränklich, mitgenommen vom Tropenfieber und einer sehr ernst genommenen ärztlichen Thätigkeit in englisch Indien. „O, er hat niemals an sich gedacht, wie er auch heute noch nicht an sich denkt!" Sie sagte das so vornehm-einfach, als wenn sich das bei einem Arzte von selbst verstünde. Der Menschenfreund ist übrigens nicht verheiratet, besitzt eine reizende Villa an der Oberspree, und da bekanntlich auch Millionäre nie
genug bekommen, ist er in der Familie als Erbonkel hoch angesehen. Neugierig auf den Onkel bin ich nicht, aber ich bin ihm gewissermaßen dankbar, weil er den einzigen Schlüssel zu dem Herzen und dem Lächeln Asta Le Forts Zu besitzen scheint. — Die Le Forts sind schon seit vierzehn Tagen hier, bewohnen einen Palazzo hoch im Westen und sehen Berlin aus vornehmer Perspektive durch die goldene Brille ihrer Millionen und ihrer englischen Unfehlbarkeit an. Gleichzeitig erlebe ich an dem Zenghause, wo wir eben sind, ein Wunder: ich werde mit einer ganz leichten Neigung des königlichen Nackens Zu einem Besuche aufgefordert — sogar heute, sofort. Fräulein Asta fügt mit halbem Lächeln hinzu, daß sie ihrer Mutter ihren Netter präsentieren möchte. Und im Augenblick bedauert sie auch alles wieder. Ich seh's an dem matt werdenden Grün der rätselhaften Augen, einem hochmütigen Zucken um den Mund. Sie sind wirklich rätselhaft, diese grünen Augen. Einer Nixe gehören sie nicht — sie sind kühler, ernster — doch muß ich immer an die smaragdgrüne See denken. Was bergen diese Augen? Flaches Watt — oder bodenlose Meerestiefe? Ich weiß es nicht. Zurzeit reizen sie mich nur. Und gerade weil Asta Le Fort im Grunde ihres Herzens meinen Besuch nicht wünscht, gehe ich mit. Sonst hätte ich es sicher nicht gethan.
Natürlich bewohnen diese Ausländer einen ausgesuchten Modekäfig. Sie ist mir so neu, so elegant, so traditionslos, diese weiße Häuserfront der Händelstraße, und Le Forts Hans ist das traditionsloseste. Des Tiergartens junges Laub nickt ihm fast in die Fenster. Aber ist's Abneigung gegen diese Emporkömmlinge, blasser Neid gegenüber dem Reichtum — auch die rauschenden Wipfel haben für mich etwas Dressiertes, Gemachtes. Der freie Wald mit seinen verschwiegenen Laubgängen, seinen gelben Reitwegen, den ich schon als Student auf meiner kitzlichen Halb- blntstute so poetisch fand, ist es nicht. Aber en avaat, Graf Caren! Es ist ja die Welt der Vornehmheit, des Reichtums, die sich vor dir aufthnt! Und allmählich beginne ich mich auch daran zu gewöhnen.
In dem gruftkühlen Vestibül mit dem harten Zementboden und der Renaissance-Laterne ausSchmiede- eisen hallt auch der leichte Lackschuh feierlich — dann auf dickem Läufer lautlos die breite Treppe in die Höhe, an dem bunten Riesenfenster vorüber, durch das gedämpftes Licht in breiter Woge das smm- pejanische Not der Wand überflutet, aber kalt auf den blanken Messingknöpfen des Geländers glänzt. In der ersten Etage Halt. Das leise Schrillen der elektrischen Klingel — ein schwarzer Diener öffnet geräuschlos. In dem ewig dämmerigen Berlin?. Entree das gelbe, flackernde Gaslicht, die schwere Lu; eines fensterlosen Raumes. Im Hintergrund öffne sich eine Flügelthür. Madame Le Fort, Fräulein Ethel sind zu Hause, nur das Nilpferd von Vater auswärts, Gott sei Dank.
Liebenswürdig überraschter Empfang im Salon, natürlich Rokoko, die spielend leichte Anmut einer längst versunkenen Epoche voll grenzenlosen Leichtsinns und geistreicher Tändelei — hier aber neu, in falschem Goldglanze schimmernd, eine Laune der Mode in dieser Mietsvilla mit schlechtem Stuck, imitiertem Marmorkamin. Und die Königin des Schlosses, Madame Le Fort, die Dame mit der charakterlosen glatten Linie! — Wie lächerlich die Tradition des Versailler Schlosses, des ahnenstolzesten Königtums bei diesen Fremden, die keinen Namen, keine Geschichte haben und nur auf ihrem Geldsacke thronen, der auch keine Geschichte oder eine schmutzige hat. Aber Peau d'Espagne schwebt als weicher Dunst über den hellgelben Atlasbezügen. Dieses Parfüm beruhigt mein empörtes Standesgefühl etwas. Peau d'Espagne hat Vergangenheit, hat Geschichte . . .
Erst war's langweilig — ein vorsichtiges Aus- sragen zwischen mir und Madame.
„Werden Sie wieder nach Ostende gehen, Herr- Graf?"
„Nein, gnädige Frau, ich glaube kaum." Ich werde mit etwas kühler Höflichkeit behandelt, ungefähr so, wie Jaromir — natürlich mit der gewissen Reserve, die der Graf und der Attache auch dieser Weltdame auferlegen. Die kleine Ethel ist herzlich, sie fragt sogar nach dem kleinen Lieutenant und erntet dafür einen blaßblauen Blick der Mutter.
„O Mama, er war so natürlich," verteidigt sie ihn.