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Ueber Land und Meer.
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Asta sitzt auf dem Taburett am Fenster und studiert das leichtbewegte Laub drüben, das seine neckischen Lichter bis auf unfern Stabeichenboden wirst. Von meiner Heldenthat erwähnt sie nichts; ich bin ihr dankbar dafür. Dagegen thut die Mutter den Kleinen mit einer unnachahmlichen Handbewegung ab: „Sehen Sie, Herr Gras, solche Leute muß man sich beizeiten abgewöhnen. Sie würden sonst zudringlich. Es bedarf doch keines besonderen Scharfblickes, um zu wissen, daß dieser junge Mensch nichts ist und wahrscheinlich auch nichts werden wird. Ich liebe so etwas selbst bei Badebekanntschaften nicht. Diese Leute sind dann wie die Kletten, und man thut gut, es ihnen klar zu machen. Es ist ja auch nur Anstandspflicht. Man erspart ihnen dadurch eine größere Enttäuschung — und ich glaube, dieser Herr von Jaromir hatte an sehr thörichten Gedanken keinen Mangel." Dabei warf sie einen halben Blick auf die Kornblumenfee, die den Kops zurückwarf und mit den Fußspitzen ärgerlich wippte.
„Er war doch nett! Und wenn ich ihn je Wiedersehen sollte, spreche ich ihn ganz gewiß an, bloß um ihm zu zeigen, daß es mir ganz gleichgültig ist, ob einer reich ist oder nicht. Aber ich werde ihn wohl kaum je wieder treffen . . ." Tragisch erschien das dem reizenden Blondkopse gar nicht.
Madame zuckte darauf leise die Achseln. Ich räusperte mich diskret. Ich hatte gar keine Lust, Jaromirs Hiersein zu erwähnen. Die Absage galt genau so gut auch dem Grafen Caren. Seine Liebe wird der kleine Mann schon verwinden, und je eher, je weniger er eine Ahnung von der Nähe der Geliebten hat. Im Augenblicke reizte mich aber diese kluge Weltdame doch etwas. Wir sind hier in Deutschland und nicht in den englischen Kolonien, wo nur die Millionen gelten — und ein Gras Caren ist noch jetzt unter Brüdern eine Thalermillion wert. Ich brauche nur zu wollen, und ich habe irgend eine fabelhaft reiche Fabrikantentochter ...
Dann belustigte mich die Geschichte wieder. Ich sprach sogar über meine eignen Verhältnisse mit der halben Offenheit, die Ernst ist, aber ebensogut Scherz sein kann. Die Gnädige lächelte dazu. Sie hat so ein hübsches, inhaltloses Lächeln, das einen sehr höflich ganz über Bord wirst. Nur die grünäugige Asta wurde aufmerksam und sah zu mir herüber. Sie lächelte auch — und so nett, wie ich's dem herben Munde gar nicht zugetraut, wenn sich's um meine Wenigkeit handelt. „Sie treiben Scherz mit uns, Herr Graf..."
„Und wenn es kein Scherz wäre, gnädiges Fräulein?"
„So würden Sie mir leid thun. Ohne Geld sind Sie verloren." Es war keine Eloge, es war die bittere Wahrheit, die ich sehr gut verstand.
Ich verteidigte mich aber. „Gnädiges Fräulein, ich habe mein erstes juristisches Examen gemacht; ich spreche zwei fremde Sprachen perfekt. Wenn alle Stränge reißen, könnte ich noch Rechtsanwalt werden oder auswärtiger Korrespondent."
„Als Graf Caren?" Sie sah mich ernst an . . . „In Amerika vielleicht — hier nicht."
Sie hatte wieder recht, aber die Mutter blinkte ihr zu. Und als ich über den ausgefangenen Blick mit einem ganz leisen Stirnrunzeln quittierte, lächelte sie wieder weltgewandt. „Die Herrschaften werden sich noch kabbeln. . . Der Herr Graf wird nie in diese Verlegenheit kommen!... Asta mit ihren neunzehn Jahren weiß noch gar nichts von der Welt und thut immer so."
Dabei kam mir der Kanarienvogel meiner Tante in den Sinn. Und da der Galgenhumor mein Freund ist, erzählte ich die ganze Erbschastsangelegenheit, mit einer grotesken Verzerrung natürlich. Madame sah mich eine Sekunde falkenscharf an: „Aber das ist ja kurios, Herr Gras... Ein Kanarienvogel steht zwischen Ihnen und einer Millionenerbschaft?"
„Ganz gewiß — sogar zwischen mir und einem eventuellen Botschafterposten."
Die Kornblumensee lachte: „Herr Gras — ein Kanarienvogel!"
Mir macht es Spaß, dieses lächelnde Aufdecken meiner Karten — ein diplomatischer Trick wie jeder andre, denn die Wahrheit glaubt man uns zuletzt. Ob mich freilich Madame nicht durchschaute?
Sie blieb sich ganz gleich in ihrer kühlen Liebenswürdigkeit. Amüsant war ihr die seltsame Geschichte
natürlich auch. „Wird der Kanarienvogel noch lange leben?" fragte sie leichthin. Sie sah dabei mit ihren blaßblauen Augen über mich hinweg.
„Wenn's nach mir geht: nein —"
„Aber..."
„Ja man mißtraut mir aufs äußerste. Lola wird bewacht wie ein gekröntes Haupt — und wenn ich einen Gewaltstreich wage, werde ich einfach enterbt."
Madame Le Fort schwieg lange. Darauf lachte sie plötzlich laut aus: „Es ist eine zu kuriose Geschichte! Sie mystifizieren uns gewiß, Herr Gras."
„Ganz gewiß nicht."
„Dann müssen Sie mich aber mit der alten Dame bekannt machen. Das ist ja ein Original! So was interessiert, und ich bilde mir ein, mich für Psychologie zu interessieren."
Darauf konnte ich nur lachen. Meine Tante, die sich in ihrer Villa freiwillig eingesargt hatte samt Betbruder und Kanarienvogel, mit dieser Ausländerin bekanntmachen! Madame hat seltsame Begriffe von der Schildkröte. — Ich erklärte ihr die Unmöglichkeit.
Die Gnädige blieb liebenswürdig standhaft: „Dann zeigen Sie sie uns wenigstens. Wie heißt sie? Wo wohnt sie?" So geschickt auch die Sache maskiert war, sie begann wirklich ein Interesse an meiner Tante und an ihrem Kanarienvogel zu empfinden. Warum
— das wissen die Götter. Meinetwegen? — Ihr könnte es doch sehr gleichgültig sein, ob ich reich oder nicht. Es ist eben wieder mal die unausrottbare Neugierde des Weibes und dann der Zweifel an meiner Wahrhaftigkeit. Sie will wissen, ob Graf Caren aus Absicht lügt oder aus Berus. Wenn ihr übrigens so nach der Wahrheit gelüstet, braucht sie bloß von elf bis zwölf Uhr vormittags in den Zoologischen Garten zu gehen. Da sitzt die Schildkröte in einem Art Krankenstuhl vor der Vogelabteilung. Warum sitzt sie eigentlich nicht am Löweu- käfig? Ich hätte da doch immer die stille Hoffnung, daß eines Tages ein König der Tiere ausbräche und sie zu meinen Gunsten verschlänge. — Madame habe ich lächelnd die Gelegenheit verraten. Aber wenn sie wirklich auf ihrem Scheine besteht, wird sie einen netten Echec erleben. Die Schildkröte wird entweder um Hilfe schreien oder sich wortlos hinter ihren Panzer verkriechen. Ich glaube nun, daß Madame überhaupt nicht an die Attacke denkt und alles nur liebenswürdige Phrase ist.
Nachdem die Vogelangelegenheit unter dem Hellen Lachen der Kornblumenfee und eisigem Schweigen der grünäugigen Asta beendet war, empfand ich die gesellschaftliche Kühle des Le Fortschen Hauses wieder besonders unangenehm. Ich erhob mich auch zur rechten Zeit. Denn eben hörte ich das Nilpferd im Nebenzimmer stampfen.
Dankbar bin ich dem Schicksal für die Auffrischung dieser Beziehungen nicht. Wenn sie wenigstens einen großen Gesellschaftskreis hätten mit millionenreichen Gänschen . .. Ach, lieber Louis, du bist fade! Du hast trotz unzähliger Liebeleien dein Herz noch nicht entdeckt, wirst es wahrscheinlich nie entdecken
— und doch graut dir vor dem Gedanken, des Geldes wegen zu heiraten.
Ich erlebe jetzt fortgesetzt Wunder. Jaromir war bei mir mit den dreihundert Mark, obgleich vierzehn Tage seit der Sendung vergangen sind. Zuerst war ich etwas verdutzt — er ließ sich nicht mal melden — und trug noch immer das Kammgarnjackett mit dem Atom Glanz an den Ellbogen. Aber ein kleiner mutiger Kerl ist er doch — anständig auch, und wenn er noch hundert Ehrenscheine hätte verfallen lassen! — Hat mein Geld ganz zur rechten Zeit bekommen, den Geber sofort erraten und nasse Augen gekriegt, wie er mir ganz freimütig gestand. Eine Stellung irgendwelcher Art hatte er noch nicht, dagegen noch gerade fünfzehn Pfennig zu seinem Teller Suppe. — Er will das Geld nicht anbrauchen, aber er fühlt sich ganz unwiderstehlich mit den dreihundert Mark in seiner Brusttasche. Und er thut darum etwas ungeheuer Freches, geht geradeswegs zum ersten Direktor einer Lebensversicherungsbank, ohne Empfehlung, ohne Einführung:
„Von Jaromir. Haben Sie eine Stellung in Ihrem Hause frei, die ein Offizier a. D. ohne Vorkenntniffe ausfüllen könnte?"
Der etwas steifleinene, stark englische Herr sieht ihn darauf sehr kühl an. „Haben Sie Referenzen?"
„Nein."
„Sind Sie früherer Offizier oder Offizier a. D.?"
Jaromir wird der Kops heiß. Man behandelt ihn ja an eanaille und hat ihm nicht einmal einen Stuhl angeboten. Aber er bezwingt sich und sagt mit markierter Gentlemanshaltung: „Selbstverständlich das letztere... Sie können meine Verabschiedung im Armeeverordnungsblatt Nr. 7 Nachlesen." Der Direktor, der sich damit vergnügt hat, seine langen Nägel zu polieren, legt das elfenbeinerne Instrument hin, fixiert Jaromir scharf und macht eine ganz leicht einladende Bewegung nach einem Stuhle. Jaromir versteht das absolut nicht, wird noch dienstlicher in der Haltung.
Darauf sagt der anglisierte Herr beinahe gesellschaftlich: „Wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr Lieutenant?" Sehr steife Verbeugung des Kleinen, leichtes Räuspern des Direktors. — „Ja, sehen Sie mal. . . eine Stellung hätte ich schon. . . Aber meine Erfahrungen mit früheren Offizieren sind sehr üble. Die Herren haben nur Ansprüche, leisten sehr wenig. Neulich ist mir einer mit dem Vorschüsse, den ich ihm aus Gutmütigkeit gab, einfach durchgegangen. Zwei Tage später traf ich den Herrn in der Frühstücksstube von Borchardt. . . Kannte mich natürlich nicht. Ich hätte ihn vom Fleck arretieren lassen können — aber wegen der paar Thaler, das ist zu umständlich."
Jaromir erträgt die herbe Wahrheit, auch den sehr geschäftlichen Ton und erwidert: „Ich verstehe vollkommen Ihr Mißtrauen. Aber wenn ein jeder so denken wollte, wie Sie, könnte ein verabschiedeter Lieutenant überhaupt gleich Verbrecher oder Steinklopfer werden."
Der Herr lächelt etwas ironisch. „Könnten Sie gegebenenfalls irgend eine kleine Kaution stellen?"
Jaromir zittert vor Freude, fragt aber ebenso geschäftsmäßig: „Und wie hoch sollte die sein?"
Der Direktor lächelt noch ironischer: „Hundert, zweihundert Mark... so etwa, was ungefähr einen: Monatsgehalte meiner jüngsten Angestellten entspräche."
„Ich kann Ihnen sogar eine von dreihundert Mark stellen." Und Jaromir zieht das Couvert mit meinen Scheinen aus der Tasche.
Ich erzähle das alles so wieder, wie's mir der Kleine sehr anschaulich mit Gesten und Ausfällen gegen die Haute ünanee erzählt hat.
Und der Direktor, der in dem Kleinen wohl den guten Fond erkannt hat, lächelt wieder — diesmal aber liebenswürdig. „Wir wollen uns keine Komödie vorspiegeln, Herr von Jaromir. Das mit der Kaution war bloß ein Trick, um Sie los zu werden. Jetzt aber bin ich bereit, Sie zu engagieren — probeweise natürlich — mit einem Gehalte von achtzig Mark. Das ist freilich sehr wenig. Auch an der Art des Arbeitens dürfen Sie sich nicht stoßen. Sie werden vorläufig mit sehr untergeordneten Schreibereien beschäftigt werden. Sind Sie einverstanden?"
Selbstverständlich ist Jaromir einverstanden. Achtzig Mark sind ihm zurzeit ein Vermögen, ein riesenhaft großes Kapital, und zum Schluß wagt er einen Hauptcoup. Er sagt: „Mit den dreihundert Mark, Herr Direktor, das ist auch Komödie! Ich würde sie Ihnen nie gegeben haben. Sie gehören nicht mir — ein sehr weitläufiger Bekannter hat sie mir aus Mitleid, und weil er selbst sehr reich ist, heute zugeschickt. Aber ich will kein Almosen."
Und da sieht man wieder, wie absolute Ehrlichkeit doch immer ihren Lohn findet. Denn der Direktor steht aus, schüttelt Jaromir die Hand und sagt: „Das ist offen, das srent mich! Sie haben die Absicht, ehrlich zu arbeiten, und für solche Leute soll man thun, was man kann. Sie sind ja noch jung, können sich vielleicht brillant in die Verhältnisse hineinlebeu. . . und in jeder Branche kann man mit Glück nnd eisernem Fleiß auch heute noch ein Vermögen verdienen."
Jaromir ist also engagiert, hat ganz ungebeten einen Vorschuß von hundert Mark bekommen, und der Himmel hängt ihm voller Geigen. An die kleine Ethel denkt er nun erst recht. „Warum soll sie mir unerreichbar sein? Ich kann Generalagent, Direktor werden — ich kann so viel verdienen, daß sie nichts zu haben braucht und doch aus Gummi- rüdern fahren kann, wenn sie Lust hat."
Ich lächle ob der Phantasie — aber es ist ein