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Aeber Land und Meer.
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wehmütiges Lächeln. Er wird nie Generalagent oder Direktor werden; er wird die nächsten zehn Jahre wahrscheinlich nicht so viel verdienen, wie seine Kornblumenfee für ihre langen Marseiller Handschuhe braucht. Soll ich nun heute sein Glück voll machen, indem ich ihm sage, daß die Geliebte hier ist, ihn Wiedersehen möchte? Das wäre grausam. Die Kleine liebt ihn nicht, wird ihn gewiß nicht heiraten. Sie ist wahrscheinlich ein kleiner leerer Puppenkopf, der die Arbeit und die Armut gar nicht versteht. Ich verstehe ja auch weder das eine noch das andre. Ich sitze in Lackschuh und grünseidenen Strümpfen vor dem Kleinen auf meinem Fauteuil und lächle freundlich. Das Lächeln ist Lüge. Ich dürste viel eher heulen. — Wem gehört nun von uns beiden die Zukunft? Dem kleinen Mann, der mutig in den Strom springt und zu dem andern User sich durchkämpft — oder dem, der wie ich thatenlos am Ufer stehen bleibt, obgleich er genau weiß, daß auch ihn der Strom fassen, hinabziehen wird, langsam — langsam — aber bis aus den
Grund? (Fortsetzung folgt.)
Die NindekunsL.
Gustav Keick.
<?<Mer denkt wohl, wenn Freudentage, Verlobung, Hoch- DM zeit, oder auch traurige Tage duftige Blumenspenden in reicher Zahl ins Haus bringen, wer denkt dann wohl daran, sich weiter mit dem Wesen der Bindekunst zu befassen? Wohl werden die künstlerischen Blumenarbeiten mehr oder weniger bewundert, aber wie viel Arbeit und Mühe, Kenntnis und Kunstsinn es erfordert, eines dieser leider so schnell vergänglichen Kunstwerke zu schaffen, und welch wichtiges Glied in dem heutigen Kulturleben die Bindekunst überhaupt ist, davon haben wohl die wenigsten eine Ahnung.
Zu einer wirklichen Kunst ist die Bindekunst heute emporgestiegen, zu einer schönen, anmutigen Kunst. Der Bindekünstler braucht sich nicht mit kaltem, sprödem Stein oder mit Farben, Oel und Terpentin abzumühen, die bunten, duftenden Blumen, farbensatte Blätter und Zweige sind sein Werkstoff. Und der echte Künstler weiß sein duftiges Werk so zu gestalten, daß es eine gar köstliche Sprache zum Herzen redet und Freude und Liebe, Trauer und Trost ergreifend auszudrücken vermag.
Die Blumen, die Blumen- und Laubgewinde stehen mit dem Leben der Völker aller Zeiten in engster Verbindung ; dem römischen und griechischen Sieger winkte der Lorbeerkranz, der Aegypter bekränzte die Götterbilder mit der dem Osiris und der Isis geheiligten Lotusblume, und die ersten Christen schmückten die Grabstätten der Märtyrer mit Blumenkränzen und Palmzweigen. Bei den Bacchanalien der Römer, bei den festlichen Umzügen der Griechen, bei den Frühlingsfeiern der Germanen und den kirchlichen Festen des Mittelalters, überall wurden Blumen- und Laubgewinde zur Erhöhung der Freude und der Feier in reicher Menge verwendet. Besonders bei den Bacchanalien der Römer wurde der Blumenschmuck bis zur größten Verschwendung verwendet. Die Bacchanten und die bedienenden Knaben und Sklaven schmückten sich mit Wein- und Epheuranken, oftmals ruhten die Tafelnden auf einem Ruhebett aus lauter Rosenblättern, oder ein Rosenregen ergoß sich über die Festtafel und die darum Ruhenden. Es ist bekannt, daß bei einem Gastmahl des Nero für 600000 Mark Rosen verwendet wurden.
Wenn nun auch heute eine solche Verschwendung nicht mehr getrieben wird, so werden dennoch ungeheure Summen, die sich aber mehr unter die verschiedenen Klaffen der Bevölkerung verteilen, für Blumenschmuck ausgegeben, dabei wird aber auch ein viel ästhetischerer und künstlerischerer Schmuck geschaffen.
Wenn heute eine Neuzüchtung in Blumen erscheint, so wird zuerst ihr Wert als Schnittblume geprüft, wie denn ein großer Teil der Handelsgärtner sich vorwiegend mit der Kultur von Schnittblumen und Bindegrün befaßt. In den Wintermonaten gelangen eine Unmenge von Blumen aus Italien und dem südlichen Frankreich zu uns herüber, so daß ganz ansehnliche Summen durch die Bindekunst in Umlauf gesetzt werden und Tausende und Abertausende ihr Brot dabei verdienen.
Natürlich wird auch die Bindekunst von der Mode beherrscht, und wenn auch fast alle Blumen, die sich in Farbe und Form zu dieser Verwendung eignen, zur Verarbeitung gelangen, so werden doch immer einige Arten mehr oder weniger von der Mode begünstigt. Keine Blume ist zu kostbar, um als Werkstoff für eine Blumenzusammenstellung zu dienen, und wenn früher die Blüte einer tropischen Orchidee als ein kleines Blumenwunder angestaunt wurde, so sehen wir jetzt ganze Sträuße dieser seltsamen Blüten in den Blumenarbeiten. Die Nachfrage nach Orchideen ist sehr groß, und es giebt Züchter, die besondere Häuser zur Schnittgewinnung derselben anlegen. Früher hielt
man die Kultur der tropischen Orchideen für überaus schwierig, und ist dies bei einigen Sorten auch wirklich der Fall, bei vielen aber bereitet dieselbe doch nicht so sehr große Schwierigkeiten, obgleich eine genaue Kenntnis der Kultur der verschiedenen Arten durchaus erforderlich ist.
Wunderbar schön sind auch die tropischen und subtropischen Seerosen, in Form unsrer herrlichen weißen Seerose (i^mpliaea. allda.) gleich, aber in den zartesten bunten Farbentönen, vom blaffen bis zum tiefsten Rot, in duftigem Gelb und zartem Himmelblau — duftende Märchenblumen, geheimnisvolle Blüten, geeignet wie keine andern, zu einem Vlumengedicht gewunden zu werden. Woher aber soll der Bindekünstler diese zarten Kinder nehmen, die doch ihre glänzenden Tellerblätter und keuschen Blüten nur in stets warmem Wasser entfalten? Nun, der Gärtner schreckt auch vor solchen Ansprüchen nicht zurück, und so werden Warmhäuser gebaut, deren Inneres statt der Pflanzenbeete einen mit warmem Wasser gefüllten Teich hat, in dem diese Wasserpflanzen lustig blühen. Hier werden die Blüten geschnitten, um wohlverpackt ihre Reise nach den Bindegeschäften anzutreten, aber, o weh! die Blumen schließen ihre Kelche und sind auf diese Weise kaum mehr zu verwenden. Aber auch hier wieder ein Triumph. Einige Tropfen eines hierfür besonders zusammengestellten chemischen Präparates, auf das schwammige Gewebe des Blütenbodens geträufelt, verhindern das Schließen der Blüten.
Und so finden wir die japanischen Lilien in ihren wundervollen Formen, Farben und Zeichnungen, das japanische Chrysanthemum mit seinen eigenartigen Blumen, die durch die Kunst des Züchters in immer wieder neuen Formen und Farben hervorgebracht werden, wie die keusche Blüte der Calla in ihrer fleckenlosen Weiße, ja sogar die schwarzpurpurne Blüte der sogenannten Trauercalla (^.runi snnetum), einer Verwandten der bekannten Calla, und viele andre seltene und seltsame, buntgefärbte und duftende Blumen in den Arbeitsräumen der Bindekünstler sorgfältig aufbewahrt, um durch kunstgeübte Hand zu allerlei Formen zusammengestellt zu werden und hinauszufliegen, hier duftende Grüße, dort Trost zu bringen, dort die Sprache der Liebe zu reden.
Manchmal ist es auch eine Sorte einer artenreichen Blumengattung, die die Mode oder die Laune des Publikums begünstigt, eine Blüte, vielbegehrt, um dann wieder zur alltäglichen Verwendung zu gelangen oder ganz wieder vom Blumenmarkte zu verschwinden. So zum Beispiel die großblumige, weiße Federnelke „Mrs. Sinkins", eine Blume von großer Schönheit, die, als Neuzüchtung noch wenig angeboten, in den allerfeinsten Blumenarbeiten verwendet und gut bezahlt wurde, jetzt aber, infolge des Massenangebotes, wohl noch sehr viel gebraucht wird, aber nur ganz geringe Preise erzielt.
Wird heute die Gardenie, morgen die Orchidee begünstigt, so bleibt doch die Rose unbestritten die Königin in dem Blumenreiche, und Sorten wie die wunderbar geformte rosa La France, die vollendet schöne, goldgelbe Marschall Niel oder die neuere, rahmweiße Kaiserin Augusta Viktoria, eine deutsche Züchtung, Sorten von wunderbarem Bau und herrlichen Farben, erhalten sich lange als bevorzugte Lieblinge.
Auch das Pflanzengrün findet jetzt viel mehr Verwendung in der Bindekunft als früher, und in feinsinniger Anwendung wirkt es nicht minder wie die herrlichsten Blumen. Die zartgefärbten Zweigspitzen in der Frühlingszeit, die satten Farben der buntblättrigen Gehölze im Sommer oder das in wunderbaren Farben leuchtende Herbstlaub, das Koniferengrün in allen Farbentönen, vom lichten Gelb bis zum tiefen Braun und matten Blaugrau, alles das wird zum Erzielen auffälliger oder zarter Farbenwirkungen benutzt. Auch hierin kommt immer wieder Neues in den Handel, so daß darin eine ebenso reiche Auswahl zur Verfügung steht wie bei den Blumen, so die kräftigen Wedel unsrer heimischen Farne und die zarten der tropischen, die bunten Blätter der verschiedensten Warmhauspflanzen und das duftige Gerank des Zierspargels. Dieser Zierspargel in seinen verschiedenen Arten ist in der That ein Werkstoff, wie er anmutiger nicht gedacht werden kann; hier liegt er wie zarte, grüne Schleier über dem Blumengebinde, dort windet er anmutig seine Ranken über die festlich gedeckte Tafel oder durchzieht wie duftige Wolken den strahlenden Kronleuchter. Kaum hat diese liebliche Pflanze sich eingebürgert, so ist auch schon wieder eine andre da, die sich zu gewissen Zwecken noch besser eignet: I^goäium jaxouieum, das in anmutigen Bogen gefälligerer Form sich duftig verwenden läßt.
Ein eigentümliches Spiel des Zufalls ist es, daß das Hauptgeschäft in der Blumenbinderei und den damit verwandten Zweigen, Blumen- und Pflanzendekorationen, in eine Zeit fällt, wo bei uns draußen kein Blatt mehr grünt, kein Blümlein mehr blüht. Gerade zur Winterszeit, wenn Eisblumen ihre seltsamen Blattformen auf den Fensterscheiben ausbreiten, dann geht es in den Bindegeschäften am lebhaftesten zu. Es sind die Winterfestlichkeiten, die Weihnachts- und Neujahrstage, vielfach die auf diese Tage fallenden Verlobungen, die erhöhte Anforderungen an diese Geschäfte stellen. Wo aber um diese Zeit die Blumenmenge hernehmen? Zwar werden in den Gewächshäusern der deutschen Handelsgärtner in großer Menge die Blumen
getrieben, aber diese reichen doch bei weitem nicht aus, den großen Bedarf zu decken, und so müssen das südliche Frankreich und Italien ihre Blumenschätze liefern. Zwar dürste die heimische Blumentreiberei immer mehr und mehr zunehmen, zumal die deutschen Schnittblumen viel gesuchter sind als die eingeführten, sie sind, obwohl teurer, auch viel vollkommener, aber ganz wird wohl die Zufuhr aus dem Süden nicht entbehrt werden können. Nelken, Veilchen, Rosen, Reseda, Levkojen, Narzissen, Anemonen, Marguerits, Goldlack, Orangenblüten, das ist der duftende Inhalt der aus dem Süden kommenden Sendungen, die an den Haupttagen, wie Weihnachten und Neujahr, massenweise an den Hauptplätzen des Blumenhandels eintreffen.
Während hier die Winterstürme tosen und im Freien die weiche Schneedecke alles Pflanzenleben leise deckt, blüht und duftet es an den Blumengestaden, an der Riviera, in Nizza, Bordighera und wie diese Blumenstädte und -Plätze alle heißen, aber von der Witterung und Temperatur sind auch sie nicht unabhängig. Wenn dort die Tage gar zu milde und warm sind, dann schreitet die Entwicklung der Blumen zu rasch vorwärts, so daß zur Hauptbedarfszeit die meisten Blumen, die zu dieser Zeit verschickt werden sollen, verblüht sind, und so wird alles geschnitten und verschickt und kommt in zu großen Massen zur Unzeit auf den Markt. Wenn nun auch bei uns, wie in diesem Jahre, ein so milder Winter herrscht, so kommen die Blumen vielfach in welkem, unbrauchbarem Zustande an, und es kann geschehen, daß trotz der Ueberfülle von Blumen ein Mangel an brauchbarer Ware eintritt und die Blumenzüchter drüben über schlechte Zeiten zu klagen haben. Wie bei allem, was zur Jetztzeit in Massen hergestellt wird, eine Überproduktion hervortritt, so auch bei der Schnittblumenkultur, und wie hier schon der feldmäßige Anbau von Bindegrün betrieben wird, so befaßt sich im Süden bereits der kleine Bauer mit der Heranzucht von Schnittblumen. Dies hat denn auch den Erfolg gezeitigt, daß die Preise so sehr gedrückt sind, daß niemand bei diesen Kulturen die erhofften Reichtümer finden wird.
Daß die Liebe zu den Blumen und die Verwendung derselben bei Festlichkeiten noch heute recht große Summen in Umlauf bringen, das sehen wir an dem Blumenverbrauch in den großen Städten. Berlin verausgabt während der Ball- und Festzeit im Winter in einer einzigen Woche für Ballsträuße und -Sträußchen, für Ausschmückungen der Fest- rüume mit Blumen, Topf- und Kübelpflanzen über 70 000 Mark.
Wie bereits angedeutet, ist die Ausführung von Pflanzendekorationen und Ausschmückung von Festräumen ein wichtiger Teil der Blumengeschäfte und erfordert emen feinen Kunstsinn und immer wieder Ausführung neuer Ideen. Daß dabei auch häufig Geschmacklosigkeiten, die trotzdem nachgeahmt werden, unterlaufen, ist bei der Sucht nach Neuem und Originellem nur natürlich. So werden in Amerika auf der Festtafel Blumenläuser hergestellt, die in bunten Arabesken und Figuren sich über die ganze Länge des Tafeltuchs breiten. Hierzu werden die Blumenblätter fein zerschnitten, nach Farben gesondert, und aus diesem zerrissenen, des Duftigen und Anmutigen beraubten Material die Tafelverzierung zusammengestellt. Von einem „rosen- farbenen" Diner einer berühmten Schauspielerin in Paris erzählte die „Bindekunst", ein seit Jahresfrist erscheinendes Fachblatt, das sich nur den Interessen der Bindekunst zuwendet: die Damen waren gebeten, in rosa Kleidern zu erscheinen, die Salons waren mit rofenfarbenen Blumen, Rosen und Nelken geschmückt, die Lampen hatten rosa Schirme. Die Tafel war geschmückt mit kleinen rosa Chrysanthemum, die von den Stielen gepflückt und in Mustern auf den Damast des Tischtuches gelegt waren. Daß das Tafelgerät, die Gläser, die Tafelaufsätze, kurz alles, was sich auf dem Tisch befand, wie auch die Süßigkeiten, das Eis und die Cremes dieselbe Farbe hatten, daß auf jedem Teller ein mit rosa Band gebundenes rosa Sträußchen lag, braucht nicht erst erwähnt zu werden. Ob die Laune dem rosafarbenen Aufputz entsprochen hatte, wurde nicht erwähnt, hoffentlich war es der Fall. In London ist die Blumenliebhaberei ebenfalls eine sehr große, und man findet dort eine sehr hübsche Verwendung für die bei Festlichkeiten, zum Beispiel bei Trauungen in den Kirchen verwendeten abgeschnittenen und nach der Feier noch frischen Blumen. Diese werden in die Krankenhäuser oder zu Geistlichen zur Verteilung an arme Kranke gebracht, auch viele Besitzer von Treibhäusern verwenden ihren Ueberfluß an Blumen auf diese hübsche Weise. Wie viel Trost und Lebenshoffnung mögen diese Blumenspenden in die Herzen der Freudlosen und Leidenden bringen!
Wie ist doch die Technik des Bindens — wie der Fachmann diese Kunst benennt — eine andre geworden! Früher die abgezirkelten Tellersträuße, jede Blume an Draht gebunden oder mit Draht durchstochen oder gar, wie es nach der Einführung des biegsamen Blumendrahtes geschah, die Blumen an dünne Stäbchen gebunden, und heute die lockeren, duftigen Sträuße, aus denen an langen Stielen die Blüten unbeengt, frei wie die Vöglein hervorschweben. Langstielige Blumen, das ist das Losungswort der Binder für die Schnittblumenzüchter, und darum sind auch unsre herrlichen Freilandstauden wieder zu Ehren gekommen; sie sind mit ihren schönen, farbenprächtigen Blüten auf langen, bei