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Ueöer Land und Meer.
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S ch cr m.
Martha Kenate Aischer.
^^ansemann wurde wach, schlüpfte aus dem großen Bette und lief über den Flur zur Thür der Nachbarin, wo er mit seinen Fäustchen so lange hämmerte, bis die Frau rief, ja, sie habe gehört. Darauf trottete er zurück und rumorte in der Stube.
Ein wenig später kam die Nachbarin, füllte den Waschnapf, griff den Jungen beim Arm und scheuerte ihn mit einem mächtigen Lappen ab. Dann wurde er in Höschen und Jacke gesteckt und gekämmt. Zuletzt kam das Frühstück, Kaffee und Schrippe.
Während der Junge aß, machte die Nachbarin das Bett und fegte ans.
Heut trat sie von der Arbeit fort, stellte sich neben ihn, streichelte seinen Kopf und sagte: „Armer Junge!"
Hansemann sah sie ohne Neugierde an und schmauste weiter.
Die junge, behäbige Frau mit der Maske von Sommersprossen, den Zahnlücken und dem mitleidigen, verschämt-pfiffigen Gesichtsausdrnck schüttelte und puffte ihn ein wenig, gutmütig und verlegen. Darüber wurde Hansemann mit Frühstücken fertig, rutschte vom Stuhl und trabte davon.
Die Wohnung lag im Souterrain.
Als Hansemann auf der Straße war, fing er an zu laufen.
Er hatte Eile, an die zweite Nummer seiner Tagesgeschäfte Zu kommen, die darin bestand, daß er mit Elfi und Käthchen unter der Obhut der Bonne auf der Trift spielte. Die dritte Nummer bildete das Mittagessen, die vierte abermaliges Spiel mit den beiden kleinen, vornehmen Freundinnen. Die fünfte war die abendliche Heimkehr mit Empfangnahme der Leckerbissen, welche die Mutter, eine begehrte Waschfrau, dem Kinde mitbrachte. Dabei kam auch der Vater nach Hause, und der kleine Junge wurde dann zu Bett gelegt.
In dem prachtvollen Einerlei verliefen ungefähr Hansemanns Tage.
Heute war schon eine Abwechslung eingetreten: die Nachbarin hatte ihn geliebkost und ihn „armer Junge" genannt. Und schon am Abend zuvor eine Abwechslung; denn der Vater war nicht heim gekommen.
Das Fernbleiben des Vaters, der ein jähzorniger und unzufriedener Mensch war, hatte Hansemann zu keiner Denkübung angeregt; aber daß die Nachbarin ihn „armer Junge" geheißen, das schwirrte in seinem Hirn wie ein eingesperrter Vogel, der überall den Kopf stößt.
So trabte er des Weges durch die breiten Straßen des Villengeviertes, hinaus ins brach liegende Feld, das noch der Käufer harrte, die hier ihre Häuser, Villen, Schlößchen aufführen würden.
Die Sonne brannte auf den kleinen Kerl herab, der emsig seine nackten Beinchen setzte.
Der Junge sah grau aus vom Kopf bis zu den Füßen. Höschen und Jacke, die prall anlagen bei dem kleinen, wohlgenährten Menschenkinde, waren von derbem, mausgrauem Baumwollenstoff, sein Haar hatte hellste Aschenfarbe mit sonnengelben, geringelten Spitzen, seine Haut war ebenfalls aschengrau, die Wangen ohne einen Hauch von Farbe. Aber das Fleisch des kleinen Kerls war fest wie Holz. Hansemann erschien wie ein gebleichter Mulatte oder wie ein Erdmännchen, das hervorgeschlüpft ist, nicht wieder zurückfindet und sich nun vergnügt auf der Oberfläche umhertreibt. Er war fünf Jahre alt.
Eine dör eingezäunten Feldflächen war seit dem Beginn des Frühjahrs in Besitz genommen. Hier hatten Elfi und Käthchen ihren Spielplatz etabliert, hackten, schippten, schaufelten, unterminierten und bauten. Die Bonne saß auf einem Feldstühlchen daneben und häkelte von grauem Garn Markttaschen für ihre Herrschaft und deren Verwandte. Sie war von der oftmaligen Wiederholung so in der Uebung, daß sie ihre Stäbchen und Luftmaschen beinahe mit geschlossenen Augen schlingen konnte. Sie maßte auch die Kinder beaufsichtigen, und dann hatte sie unter der Schürze gelegentlich ein Buch.
Zu dieser Gesellschaft gehörte auch Hansemann. Er bildete mit den kleinen Mädchen die „Familie".
Und im Interesse der Familie wurde die Schipperei und Bauerei stets unternommen.
Die Einteilung wechselte.
Mitunter war Hansemann der Papa, Elfi die Mama und die vierjährige Käthe das kleine Kind. Dann wurde für das Kind ein Garten angelegt und eine Kinderstube gebaut. Mitunter bildeten anch Elfi und Käthchen das Elternpaar, und Hansemann stellte das Kind vor, oder er war das Schweinchen, für das Elfi und Käthchen einen Stall bauten, oder die Tante aus Wien, bei welcher Gelegenheit dann Elfi, die sieben Jahre alt war, den Onkel spielte. Denn sie war ein langes, sprunghaftes und intelligentes Mädchen und verstand sich vorzüglich aufs Wortführen. Mitunter spielten die Kinder auch Bäcker und backten Sandkuchen, oder aber sie spielten „Der verkrachte Bau-Unternehmer", wobei aber die Bonne aufpaffen mußte, daß keine Prügelei entstand.
Als Hansemann heute herzu trabte und von den kleinen Freundinnen eifrig begrüßt wurde, besann sich plötzlich die Bonne, rollte ihre Handarbeit zusammen, nahm das Feldstühlchen und rief die Kinder.
„Kommt! Mama hat befohlen."
„Was sollen wir denn?"
„Ihr sollt neue Kleider anpassen. Elfi, du weißt —"
„Was denn?"
„Du sollst Disciplin haben. Kein Mal kannst du gleich gehorchen."
„Fräulein, ich bin doch kein Schweinchen, daß ich nicht fragen darf, was ich soll."
„Ich werde Mama sagen, daß du ungeschliffene Redensarten führst! Du willst wohl wieder Arrest kriegen?"
„Ja, wenn Sie immer klatschen. Ich werde Mama sagen, daß Sie mir meine Strafen vorwerfen."
Die Bonne trieb die Kinder vor sich her, die ihrem Freunde Aufträge zurück riefen.
Die kleine Gesellschaft verschwand in der nächsten Straße und trat dort, nachdem ein hübscher Garten durchschritten war, in eine Villa ein. Hier brachte das Fräulein die Kinder in die Spielstube und begab sich zu ihrer Herrin.
„Verzeihen gnädige Frau, aber ich möchte an- fragen, ob unsre Kinder noch mit dem Hansemann spielen dürfen. Der Vater sitzt."
„Was hat er denn gemacht?"
„Er hat gestohlen."
„Fräulein, was haben Sie nur wieder gehört? Ich habe den Mann noch gestern vormittag gesehen."
„Entschuldigen gnädige Frau — gestern nachmittag ist er abgefaßt worden. Sie haben ihn gleich mitgenommen."
Inzwischen schaufelte Hansemann, dem Aufträge seiner kleinen Freundinnen gemäß, an einem Wall. Denn Elfi hatte ihm gesagt, daß eine Wasserflut Hereinbrechen könne, und die Wohnung sei schlecht verwahrt.
Als die Kinder nicht wiederkamen, lief er endlich an den Villenzaun und drückte das Gesicht an die Eisenstäbe. Er hielt sich mit beiden Fäustchen an je einem Stab und scheuerte melancholisch mit der Fußsohle sein dickes Beinchen.
Dann rief er leise; aber es wurde nicht beachtet.
Er stand mit dem Gesicht an den Stäben, bis er das Klappern der Eßgeschirre hörte, stellte sich nun auf beide Füßchen, steckte die Hände in die Hosentaschen und pilgerte heim.
Wie er so ohne Sprung und Sang und Pfeiferei die Souterraintreppe hinunter trottete, kam gerade die Nachbarin über den Flur, die ihm auch immer das Mittagessen, das die Mutter abends zuvor mitzubringen Pflegte, verabfolgte. Beim Anblick des Kindes wurde ihr Herz so bewegt, daß sie zu stottern begann. Und sie stotterte sonst nur, wenn ihr einer auf die Lippen sah.
Sie faßte den Jungen, rieb ihm liebevoll den Kopf und nahm ihn mit in ihre Stube, wo sie ihm sein Mahl vorsetzte.
Während er aß, fragte sie ihn aus, was er getrieben habe, alsdann sagte sie und wurde dabei feuerrot vor Anstrengung und Gutmütigkeit: „W— w— weißt du, Hansemann? Jetzt h—- hältst du Mittagsruhe. Komm mal."
Und der kleine Kerl, der sonst nichts von Mittagsruhe wußte, ließ sich ohne Widerstand in das große
Bett packen, darin er nachts mit der Mutter zusammen schlief. Er war müde, lag nun auf seinen beiden Armen, wie wenn er ein Hündchen wäre, das mit dem Kopf auf den Vorderpfoten ausruht. Unversehens fielen ihm die Angen zu.
Als er wach wurde, rutschte er aus dem Bett und lief zum Spielplatz. Die kleinen Mädchen waren schon da.
Erst als sein Schatten der Bonne auf das Buch fiel, gewahrte sie ihn und fragte sogleich: „Hast du denn keine Jungen, mit denen du spielen kannst?"
Er blieb betreten stehen und antwortete nicht.
Das Fräulein lachte und meinte: „Junge, du siehst aus wie eine kleine dicke Leberwurst. So prall sitzest du im Zeug. Kommt, Kinder, Mama hat befohlen."
Die Kinder ärgerten sich, daß sie schon fort mußten. Käthchen steckte dem Spielkameraden die Zunge heraus. Elfi schlug auf den unartigen Mund und sagte altklug: „Hansemann ist viel wohlerzogener als du." Unter dem Geschrei des jüngsten Mädchens und dem Schelten der Bonne zog Hansemanns Spielfamilie davon.
Der Junge machte sich an die Arbeit und fing an, einen Brunnen zu graben.
In seinem Kopfe war ein sonderbares Schwirren. Er hatte gar keine Freude, und er spürte was im Körper, das ihn drückte.
Die Schippe legte er auf die platte Erde, wühlte einen Sandwall darüber und setzte sich auf den Feldrand. Da saß er mit hängenden Beinen und hielt die flachen Hände auf den Knieen.
Als er heimging, blieb er ein Weilchen am Villenzaun stehen, faßte wieder die beiden Stäbe und drückte sein Gesicht dagegen.
Hansemann erhielt seinen Leckerbissen und wurde zu Bett gebracht. Darauf ging die Mutter mit der Nachbarin in die Küche, wo beide Frauen eifrig miteinander redeten.
Als sie wieder ins Zimmer kamen, setzten sie voraus, daß das Kind schliefe, und führten ihre Unterhaltung halblaut weiter.
Ja, der Vater hatte gestohlen und saß.
Die Nachbarin tröstete die schwer bekümmerte Frau. Dabei führte sie Beispiele von der Zweckmäßigkeit einer Inhaftierung ins Feld. Die Maurerfrau, drei Treppen im Hinterhaus, hatte eine gute Zeit gehabt, während ihr Mann eingekerkert war; denn nun war keiner dagewesen, der sie prügeln durfte. So schlimm war es hier nun nicht. Hansemanns Vater ließ sich selten gegen seine Frau fortreißen. Aber es war doch auch schon vorgekommen.
Hansemann dachte mit bangem Gemüt: „Das ist aber schön, daß Vater sitzt," rappelte sich unruhig im Bett vor Hitze und Kopfschmerzen, und sein ganzer Körper war mit Schweiß bedeckt. Aber er wagte nicht/hervor zu rutschen.
Er schlief spät ein und wurde erst am hohen Vormittage wach.
Als er auf dem Spielplätze erschien und sein kleiner Schatten wieder der Bonne auf das Buch fiel, stand diese sogleich auf, packte ihren Kram zusammen und ergriff den kleinen Jungen beim Arm.
„Weshalb hast du Elfis Schippe fortgenommen?"
Hansemann blickte sie starr an.
„Elfi hatte ihre Schippe hier vergessen."
Er Zeigte mit dem Finger und stammelte: „Da — unter dem Wall — daß sie keiner fortnehmen sollte."
Elfi kam herzu, maß das Fräulein mit langem Blick und sagte: „Ach so — Sie meinten Wohl. . . Aber wissen Sie, Fräulein —"
„Bist du schon wieder naseweis?" — Zu Hansemann sagte das Fräulein: „Jungen und Mädchen müssen nicht zusammen spielen. Mach, daß du fortkommst," drehte ihn um und schob im Rücken nach.
Hansemann sah dumm und hilflos aus, während er langsam von dannen zog. Und dann fühlte er es auch, als habe ihn jemand innen fürchterlich geprügelt.
Als er so an der Umzäunung dahintastete, hörte er sich rufen und sah Elfi über den Spielplatz heran laufen.
Sie hielt ein grün lackiertes Spieleimerchen in der Hand und sagte zu ihm: „Du, Hansemann, das