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Weber Land und Meer.
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ist nun mal so — Papa und Mama haben verboten, daß wir noch mit dir spielen. Aber ich schenke dir mein Eimerchen zum Andenken." Ehe sie die Gabe überreichte, rief sie schmetternd: „Fräulein — bitte schön — ich schenke dem Hansemann mein Spieleimerchen, damit Sie es wissen."
Das Fräulein kam heran und erwiderte: „Du darfst nichts verschenken." -
„Doch! Ich habe auch neulich meine Badepuppe verschenkt."
„Ja, Elfi, sie hatte nur noch ein Bein."
Das Kind besann sich, reckte sich empor und sprach: „Sie verlangen doch nicht, daß ich das Eimerchen erst verstümmeln soll?! Ich werde es vor Mama verantworten."
„Du kriegst Arrest!"
„Meinetwegen."
Die Bonne sagte gehässig: „Du bekommst Schläge — du weißt doch — wie neulich!"
Das Kind rief außer sich: „Papa hatte es nicht gebilligt! Und wenn auch! Aber ich werd' fragen, damit der Hansemann keine Ungelegenheiten hat! — Und, Fräulein," sie kam ganz dicht heran, „Sie sind ein Schaf."
Das Kind flog davon, stürmte zur Mutter ins Gemach und sagte atemlos: „Mama, du gestattest, daß ich dem Hansemann mein Eimerchen zum Andenken schenke."
„Ja — ja, Elfi," sagte die Frau, ein wenig gerührt.
„Und — Mama — Fräulein hatte den Hansemann verdächtigt mit meiner Schippe — aber sie ist gefunden. Und nachher — hat Fräulein mir meine Strafen vorgeworfen — auch — daß — du mich neulich — geschlagen hast. — Ich habe Fräulein geschimpft — Schaf —"
Die Frau fuhr zornig herum und schlug ihrem Töchterchen in das Gesicht. Elfi stand mit entsetzten Augen, ohne eine Thräne unter den Schlägen ihrer Mutter. Aber ihr Herzchen raste in wildem Pochen.
Plötzlich gurgelte es heraus: „Mama — ich habe doch Scham —"
Die Frau erschrak und brach in Thränen aus.
„Ihr wißt, ihr sollt nicht ungezogen sein, und ihr dürft nicht schimpfen. Geh mir aus den Augen!"
Elfi schlich ins Kinderzimmer und wusch ihr Gesicht, danach ging sie aus die Straße und suchte ihren Spielkameraden.
Er stand an der Ecke.
Sie reichte ihm das Eimerchen und sagte: „Hier, zum Andenken. Und weißt du, Hansemann, es wäre schon am besten, wenn du jetzt stürbest."
Sie gab ihm ernsthaft die Hand, mit einem seltsamen Dämmern in ihrem kleinen Gesicht. Dann ging sie auf den Spielplatz, legte da ihr Taschentuch auf die Erde und warf sich mit dem Gesicht darauf. Und nun fühlte sie die Züchtigung der Mutter wie ein Brandmal, innen und außen, und brach in Thränen aus.
.Hansemann schlich am Zaun dahin, blieb weiter im Feld bei einer Anzahl spielender Kinder stehen — lauter Barfüßchen, wie er selber eins war.
Das eine Mädchen sagte Zu ihm: „Du — wir wollen dich nicht! Geh doch zu deiner Elfi. Dein Vater sitzt ja."
Hansemann antwortete mit ruckender Stimme: „Das ist auch ganz schön."
Er riß eine Butterblume aus, setzte sie in seinen Eimer und ging zurück.
Es war mittlerweile Mittag geworden, und die Bonne hatte mit ihren Zöglingen den Spielplatz schon verlassen. Hansemann ging hinauf und setzte die Butterblume ein. Dann tappte er heimwärts durch die Villenstraßen in die Souterrainwohnung.
Als er fein Mittagbrot verzehrte, faßte die Nachbarin seine Stirn und stotterte in Mitgefühl: „I—I—Junge, du bist doch nicht krank? N—n— nachher schläfst du ein bißchen. Hast du den Eimer etwa geschenkt gekriegt?"
„Ja," sagte der Kleine still.
Er kroch ohne weitere Aufforderung ins Bett, spielte mit seinen Fingern und schlief darüber ein. Als er wach geworden, nahm er sein Eimerchen und ging aus der Stube.
Auf dem Flur blieb er stehen und besann sich, lief dann nach hinten, wo der lange Gang einmündete, daran die Keller lagen. An dem Keller
seiner Mutter schob er eine Latte, die sich gelöst hatte, und kroch hinein.
Er spielte im Sandhaufen in der dunkeln Ecke, hatte dazu seine kindischen Schätze unter dem Kehricht im Winkel, wo sie wohl versteckt lagen, hervorgeholt; es waren drei bunte Topfhenkel, ein Nagel und ein zerbrochener Schraubenzieher. Er pflanzte und baute, verbarg zuletzt wieder alles auf dem alten Platz und behielt nur das Eimerchen da, das er abwechselnd füllte und leerte.
Plötzlich fror ihn, und er legte die Aermchen vor sein Gesicht und duckte sich in sich selber. Lautlos, wie er gekommen war, tappte er zurück, stieg die Treppe empor und stand auf der Straße.
Es war schon spät, um die Zeit von Sonnenuntergang.
Als das Kind in die Nähe seines Spielplatzes kam, sah es, daß die kleinen Freundinnen nicht mehr dort waren. Nun stürzte es hinauf und rumorte da, buddelte und schippte; denn Elfi hatte ihre Schippe zurückgelassen. Um die Butterblume war ein Zäunchen von kleinen Nuten gesteckt.
Hansemann arbeitete so toll, daß seine kleine Brust auf und nieder flog, und sah mehr denn je aus wie ein Erdmännchen. Aber er war gar nicht vergnügt, man konnte vielmehr glauben, das kleine graue Kerlchen suche verzweifelt und angestrengt den Eingang zu seiner unterirdischen Wohnung wieder zu finden.
Plötzlich hörte er aus, verpackte die Schippe, nahm sein Eimerchen und lief nach Hause.
Die Mutter war schon da.
Als sie den Knaben zu ungewohnt später Stunde eintreten sah, mit einer bangen Unbeholfenheit im Blick, erschrak sie, sah das Eimerchen in seiner Hand, packte ihn bei der Schulter und schrie mit einer Stimme voll Furcht und Herzeleid: „Wo hast du das her? Das ist gestohlen! Du hast gestohlen, du schlechtes Kind — wo hast du das sortgenommen?" Sie schlug das Kind nicht; denn sie dachte: „Es ist ja noch so dumm und muß erst lernen, daß es nichts fortnehmen darf." Aber der Ausdruck ihres Gesichts war fürchterlich, voll Entsetzen und Schmerz.
Die Nachbarin kam herein und sagte zungengeläufig: „Was schreien Sie denn so? Die Elfi Halls ihm geschenkt. Und wenn auch nicht — da machen Sie doch nicht erst Skandal."
„Ich soll ihn Wohl noch zum Stehlen anhalten?" rief die Mutter und sah im Zorn der Frau so scharf auf die Lippe, daß diese zu stottern begann:
„W—w—wegen solcher P—p—p—Plunderei."
Aber die Mutter nahm das Eimerchen, lief zur Villa und klingelte.
Inzwischen stand Hansemannx am Thürpfosten und rieb sich. Er rutschte an der Holzkante mit dem Rücken herum wie ein kleines Tier. Denn ein Ungetüm hatte das arme, kleine Erdmännchen in seinen Krallen.
Hansemann dachte: „Der Vater hat gestohlen," sah nun wieder der Mutter Gesicht voll Schmerz und Entsetzen, als sie glaubte, er habe das Eimerchen fortgenommen: so grauenhaft war das Stehlen. Daß es nicht recht war, wußte er schon lange. Und der Vater saß, weil er gestohlen hatte.
Hansemann sah zum Fenster hin, das sich nur zur Hälfte über das Trottoir erhob. Der Blick zum Himmel war abgeschnitten. Und er fühlte die Erlebnisse der letzten beiden Tage wieder.
Sie stellten sich so: Armer Junge! — und: Jungen und Mädchen müssen nicht zusammen spielen. Mache, daß du fortkommst! — und: Weißt du, Hansemann, es wäre am besten, wenn du jetzt stürbest! — und: Geh doch zu deiner Elfi. Dein Vater sitzt ja! — und: der Mutter Aussehen, als sei da plötzlich ein Gespenst vor sie hingetreten.
Wie ein Wandelbild in gleitender Folge Zogen die Erlebnisse an ihm vorüber. Es war ihm, als klimme er eine Leiter empor, die in die Luft ragte, und er hinge schwindelnd auf der höchsten Sprosse.
Dabei stand er, schob den Rücken am Thürpfosten, sah verstört mit dämmerndem Geiste zum Fenster empor.
Und es erwachte etwas Grausam-Fürchterliches in dem Kinde.
Hausemanns Spielplatz war jetzt der Winkel im Keller.
Seine Spielkostbarkeiten hatten einen Zuwachs erfahren in einer Blechschachtel und einem ganz kleinen Blumentöpfchen. Damit hantierte er überemsig. Auf die Straße ging er nicht; höchstens stellte er sich ein Weilchen in den Thürwinkel. Er war ein unbesorgtes Kind gewesen, nicht eigentlich ein zutrauliches. Jetzt war er scheu und ängstlich und lebte zurückgezogen und schrullig wie ein kleiner Einsiedler.
Es war kalt und luftfeucht. Das Kind fror im Keller. Und plötzlich erwachte eine Sehnsucht in ihm nach Luft, Wärme, Sonne.
Er ließ alles im Stich, schlüpfte durch seine Diebespforte und lies ins Freie. Hier deckte er den Arm über die Augen, blieb im Thürwinkel und gewöhnte sich an das Licht des Nachmittags.
Als er dann die Straße entlang eilte, sah er mit seiner grauen Haut und dem grauen Gewände wieder aus wie ein verscheuchtes Erdmännchen.
Die Sonne hatte ihn am goldenen Faden und zog ihn in den Bannkreis ihrer Strahlen.
Hansemann bog in die nächste Straße und strich beklommen im Tappschritt dicht an den Vorgärten dahin.
Da war die Sonne — da bei den paar letzten Villen, die noch kein Gegenüber hatten.
Hansemann musterte das Terrain.
Die letzte Villa hatte einen steilen Holzzaun und bot keinerlei Sitzgelegenheit dar. Dann kam Elfis Elternhaus mit dem schönen Eisengitter über der Grundmauer, die wie eine lange Bank für kleine müde Jungen aussah. Schließlich das dritte Haus, das nur noch zur Hälfte von der Sonne bestrichen wurde, aber ebenfalls das gemauerte Bänkchen unter dem Eisenzaun hatte.
Da setzte sich Hansemann hin, legte die Händchen aus die Kniee, drückte den Rücken gegen die Eiseu- lehne und ließ sich von der lieben Sonne das bekümmerte Gesichtchen streicheln und das Köpfchen mit den Aschenhaaren und den gelben Löckchen, die aussahen wie aufgelegte goldene Zieraten.
Das Gewölk hatte sich zum Teil verstreut, die Klumpen, Wände und Abgründe waren fortgezogen; blieben noch einzelne segelnde Ballen, die immerwährend ihre Form veränderten. Strichen die Segler der Sonne vorüber und fingen ihre Strahlen auf, dann zog sich das fitzende Kind ängstlich und unmutig im Jäckchen; aber gleich kam ein Ausdruck stiller Ruhe in das kleine Gesicht, wenn die Sonne wieder zur Freiheit gelangte.
Eine Dame ging durch die Straße, promenierte eine Strecke ins Feld und kam Zurück. Sie machte den Weg mehrmals; ihr Mann sollte kommen.
Jedesmal, wenn sie an dem Kinde vorüberging, sah sie es mitleidig an. Aber Hansemann, sowie er die Dame nahen sah, machte die Augen zu. Nun bemerkte die fremde Frau immer ein schlafendes Kind, das in der Sonne faß — und im Schlaf mit der Sonne wandelte; denn es rückte mit den schmäler werdenden Sonnenstreifen.
Der Gatte kam, als die Dame gerade am Feldweg stand, und sie berieten ihren Ausgang miteinander.
Ehe sie sich entfernten, sagte die Frau: „Du, Liebster, komm ein Stück zurück — ich habe ein Wichtelmännchen entdeckt. Ein kleiner grauer Junge sitzt auf dem Zaunmäuerchen, mit den nackten Füßen auf den bloßen Steinen. Und es ist so kalt. Wir wollen erst das Kind wecken — es schläft schon seit einer Stunde."
Der Mann war gefällig und ging mit seiner Frau Zurück.
Hansemann saß am äußersten Zaunstab im Schatten. Die Sonne hatte ihn schon verlassen. Und auf das Zaunmäuerchen von Elfis Elternhaus wagte das Wichtelmännchen den Strahlenfäden nicht zu folgen.
Als Hansemann die Fremden nahen sah, die feine Dame, die ihn schon so furchtbar gequält hatte, weil sie immerwährend vorüberging und nach ihm hinsah, als ob sie was zu sagen wünschte, machte er wieder die Augen zu. Er grämte sich unsäglich, daß er keine Ruhe hatte, und sein kleines Gesicht wurde hellbleich und sah jämmerlich aus.
Das Ehepaar blieb vor dem Knaben stehen, und der Mann sagte: „Ja, das Kind ist krank."
Dann rief die Frau: „Werde doch wach — du — Kind! Du mußt nach Hause! Du wirst