Heft 
(1898) 22
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Weber Land und Meer.

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hier krank!" Und als der Kleine kein Lebenszeichen von sich gab, rüttelte sie ihn sacht bei der Schulter. Nachher half auch der Mann. Das Kind jedoch regte sich nicht und saß fürder da mit geschlossenen Augen.

Die Frau sagte zu ihrem Mann:Das ist ja wie ein hypnotischer Schlaf. Nein, das ist fürchter­lich. Ein Toter wäre wach geworden. Nein, wir können das Kind doch nicht verlassen. Was sind das bloß für Eltern, die sich nicht um ihr Kind bekümmern?"

Ein Dienstmädchen, das noch nicht lange in der Straße diente, kam vorüber, wurde befragt, konnte aber nicht angeben, wohin der Knabe gehöre. Und die Dame rüttelte aufs neue, ohne daß das graue Jungchen ein Lebenszeichen von sich gegeben hätte.

Aber doch! da! unter den geschlossenen Wimpern schossen Thränen hervor. Nichts regte sich an dem Kinde nur die Thränen flössen.

Der Mann sagte barsch:Junge, wirst du wohl wach werden! Was sind denn das für Streiche?!" und wendete sich an die paar Müßiggänger, die sich trotz der stillen Straße eben eingesunden hatten: Wohnt hier ein Arzt in der Nähe?"

In dem Augenblick stand der kleine Junge auf und trabte langsam von dannen, ohne irgend jemand auch nur anzublicken. Er bewegte sich in einem kleinen, bekümmerten Trab und sah aus wie ein Hündchen, das halb tot geschlagen worden ist oder das seinen Herrn verloren hat.

In dem gleichen müden Trab kam er vor der mütterlichen Wohnung an. Er stand auf der Souterraintreppe, kroch ganz in sich zusammen vor der Kellerluft und tappte die Stiege nieder. Aus die unterste Stufe setzte er sich hin und legte die Händchen hilflos und verloren auf seine Kniee.

Inzwischen hatte die Dame sich herumgewendet und fragte aufgeregt:Kennt denn keiner von Ihnen das Kind? Ja, wo ist es bloß geblieben?"

Eine Bonne mit zwei kleinen Mädchen hatte sich dazu gefunden.

Das älteste Mädchen trat jetzt vor, hob sich wie eine kleine Dame und antwortete respektvoll:Es war der Hansemann, meine Dame. Und er ist ein sehr wohl erzogenes Kind."

Die Fremde sah das altkluge kleine Fräulein einen Augenblick betroffen an. Dann aber sagte sie lebhaft:Das Kind war ja krank."

Um Elfis Mund trat ein Leidenszug, und sie antwortete still:Nein, meine Dame. Und er hat auch nicht geschlafen. Es war Scham weil sein Vater sitzt."

Die Sonne war in ihr Prachtbett gesunken. Die Sonnendiener zogen die purpurnen Gardinen zu. Und der Schein strahlte königlich weit über den Himmel. Bis dann die Dämmerung kam mit ihrer Gefolgschaft grauer Weiblein, die mit ihren düsteren Gewändern den jubelnden Farbenzauber zu­deckten.

Das moderne Weleuchtungswesen.

M. Iotticineano.

M^eit dem sagenhaften Lichtdiebstahl des Prometheus sind viele Jahrtausende vergangen, aber der Prozeß für die Erzeugung künstlichen Lichts ist bis auf unsre Tage derselbe geblieben. Wir haben im Laufe der letzten vierzig Jahre neue Lichtquellen aufgefunden, die vorhandenen ver­bessert, allein die Lichterzeugung besteht immer noch in der Hervorbringung eines Verbrennungsprozesses, bei dem eine ungeheure Menge von Wärme entwickelt wird. Wir unter­werfen unsre Lichtquellen einem chemischen Prozesse, dessen Hauptprodukt, die Wärme, für den beabsichtigten Zweck nicht bloß nutzlos, sondern geradezu schädlich ist, um uns eine Nebenerscheinung dieses Prozesses, das Licht, dienstbar zu machen. Das große Geheimnis, wie Licht ohne Wärme zu erzeugen sei, haben unsre Naturforscher noch nicht ergründet. Die Leuchtkäfer, Johanniswürmchen und Feuerfliegen ent­wickeln ein intensives Licht ohne Wärme; besonders letztere leuchten so stark, daß man beim Glanze von drei, vier Exemplaren dieses amerikanischen Käfers bequem lesen kann. Indessen dürfen wir trotzdem mit unsrer modernen Be­leuchtung zufrieden sein, und lebte Liebig noch, so würde er nicht mehr die Seife, sondern das künstliche Licht als den Gradmesser der Kultur bezeichnen.

In der That bildet die bessere Ausbeutung der vor­handenen und die Auffindung neuer Lichtquellen eine Haupt­beschäftigung der modernen Technik, und nichts nuanciert besser die Fortschritte zwischen den Kulturzentren und dem

flachen Lande, zwischen hochentwickelten und zurückgebliebenen Nationen, als das moderne Beleuchtungswesen. Elektricität, Leuchtgas, Petroleum, Acetylen, Spiritus sind in einen scharfen Wettbewerb eingetreten. Helligkeit kämpft gegen Wohlfeilheit, leichte Verwendbarkeit gegen die umständliche, an den Ort gebundene Einrichtung; der Kampf ist noch nicht entschieden, er wird auch ins zwanzigste Jahrhundert hitrein toben, denn er hat, im Grunde genommen, erst vor kurzem begonnen. Das Leuchtgas aus Steinkohlen ist als allgemeines Beleuchtungsmittel erst fünfzig Jahre alt, die Elektricität als Lichtquelle keine zwanzig, das Petroleum kaum fünfundzwanzig Jahre, während Spiritus und Ace­tylen sich erst im Zustande des Embryo befinden.

Der Verbrauch künstlichen Lichts ist ein ungeheurer; in den großen Städten wie Berlin, Paris, London, New Pork zählt er nach Milliarden Stundenkerzen. In Berlin dürfte er über 25 Milliarden Stunden, in Paris etwa 40 Milliarden Stunden betragen. Das heißt, eine als Lichtmaß angenommene Normal- oder Meterkerze müßte in Berlin über 25 Milliarden Stunden oder etwa 3 Millionen Jahre brennen, um dem Verbrauch an Licht gleichzukommen, der innerhalb eines Tages erfolgt. Die Normalkerze ist bekanntlich eine Paraffinkerze von zwei Centimeter Durch­messer, mit einer Flammenhöhe bis 5 Centimeter, oder die Hefnersche Amylacetatlampe mit einer Flammenhöhe von 4 Centimeter. Das Hefnerlicht ist etwas schwächer als die Normalkerze. Die Leuchtkraft einer Flamme, beispielsweise einer Petroleumlampe, wird nun bestimmt, indem man im Finstern einen Stab vor einer weißen Wand in geringer Entfernung aufstellt. Die Normalkerze wird einen Meter weit von der Wand angebracht; die Lampe dagegen wird so weit zurückgeschoben, bis der Schatten des Stabes, den sie auf der Wand abzeichnet, nicht dunkler ist als der durch die Kerze hervorgebrachte Schatten. Die Lichtstärken ver­halten sich nun wie die Quadrate ihrer Entfernungen. Stand die Lampe zwei Meter weit von der Wand, so hat sie eine Leuchtkraft von (2x2) vier Meterkerzen. Die Technik hat verschiedene Lichtmesser oder Photometer kon­struiert, die aber alle auf diesem Prinzip beruhen.

Das älteste unter den modernen Beleuchtungsmitteln ist das Leuchtgas. Es wurde in London bereits 1810 fabrikmäßig hergestellt, allein es dauerte ziemlich lange, ehe es sich einbürgerte. Man begegnete dem neuen Licht mit großem Mißtrauen, da es schlecht riecht und leicht explodier­bar ist. So darf man denn behaupten, daß es erst seit etwa fünfzig, sechzig Jahren allgemein im Gebrauch ist und es übrigens noch bleiben wird, trotzdem ihm die Elektricität heftig zusetzt. Vor etwa fünfzehn Jahren hatte es allerdings den Anschein, als hätte das letzte Ständlein des Gases geschlagen, indessen nahmen die Gas­ingenieure den ihnen von den Elektrotechnikern angebotenen

schlagen seien. Was dem Gas seine Stellung sichert, ist seine Billigkeit. Die Gaspreise sind zwar noch hoch, doch decken die Rückstände: Koke, Teer und die ammoniak­haltigen Wasser beinahe den Preis der Steinkohle. Für die Erzeugung einer Leuchtkraft von 100 Kerzen während einer Stunde muß man durchschnittlich zahlen: bei Glüh­licht 25 Pfennig, bei Auerlicht 14,4 Pfennig. Und das Gas kann noch erheblich verwohlseilert werden. Das be­weist unter andern: der große Preisunterschied für Gas zu Beleuchtnngszwecken und für solches zu gewerblicher Verwendung. Allerdings setzt auch ein andres Beleuchtungs­mittel dem Gas heftig zu: das Petroleum, das die Ver­halten wird. Die notwendige Luft wird durch enge Röhren geführt und oberhalb der Flamme bis auf 500 o Celsius erhitzt, wodurch eine vollkommenere Verbrennung der Leucht­stoffe im Leuchtgas erzielt wird. Der Siemenssche Brenner setzte den Preis für die Flamme herab und ist auch heute weit billiger als Auerlicht. Indessen tritt diese Ersparnis erst bei größerem Konsun: von etwa 1000 Liter pro Stunde ein. Im bürgerlichen Haushalt würde der Siemens­brenner keine Gasersparnis mit sich bringen. Nicht der Gasverbrauch wird geringer, sondern das Licht wird Heller. Dasselbe ist zum Teil auch bei dem Auerlicht der Fall. Auch das Glühlicht ist vorläufig in der Gasersparnis beschränkt. Das normale Glühlicht liefert vierzig bis sechzig Kerzen, doch wäre es nicht möglich, dieselbe Lichtmenge aus vier Flammen von je zehn bis fünfzehn Kerzen zu verteilen, weil eine bestimmte Menge Gas dazu gehört, den Strumpf zur Weißglut zu bringen. Die Ersparnis besteht demnach darin, daß der Gasverbrauch uuf ein normales Maß fest­gelegt ist, und daß das Licht einen größeren Glanz besitzt als das eines Argand- oder gar eines Schnittbrenners. Im Privatgebrauch stellt sich also das Glühlicht deshalb billiger, weil zur Erzielung des gewünschten Lichteffektes weniger Flammen nötig sind. Bei der Straßenbeleuchtung dagegen ist der Gewinn so groß, weil bisher Schnittbrenner ver­wendet werden, die einen Aufwand von 36 Pfennig pro 100 Kerzenstunden erfordern. Im übrigen wird der Auer- brenner, der mit dem einfachen Bunsenbrenner identisch ist, durch den Apparat von Denayrouse überflügelt, der der Flamme

eine größere Menge von Luft zusührt und die Heizkraft des Gases verdoppelt, so daß nicht mehr die vom Auerbrenner verzehrte Gasmenge notwendig ist, um den Strumpf zur Weißglut zu bringen.

Wie der Glühstrumpf hergestellt wird, dürfte allgemein bekannt sein. Ein Baumwollgewebe, das viermal so lang und so weit ist als der fertige Strumpf, wird rein ge­waschen, dann in eine Thoriumlösung getaucht und getrocknet. Das eine Ende wird zusammengebunden, der Strumpf er­hält die Form, die allen bekannt ist, und wird geglüht. Das Baumwollgewebe wird dadurch zerstört, der Strumpf ist aus einem vegetabilischen ein mineralischer geworden und schrumpft auf den vierten Teil seiner Größe zusammen. Thorium war früher ein unbenutztes Mineral, das in einer einzigen Grube in Oesterreich übgebaut wurde. Die deutsche Gasglühlichtgesellschaft hatte einen Vertrag auf 1000 Mark pro Kilogramm abgeschlossen. Infolge der großen Nach­frage stieg der Preis auf 800010 000 Mark, doch fand man den plötzlich kostbar gewordenen Sand auch an andern Stellen, so daß der Preis rasch sank. Hente kostet das Kilo etwa 200 Mark oder etwas darüber, und die fabrik­mäßige Herstellung eines Glühstrumpfes beträgt etwa 30 bis 35 Pfennig.

Das nächstälteste Beleuchtungsmittel ist das Petroleum, das weder die Elektricität noch das Leuchtgas verdrängen werden, weil es billig und seine Lichtstärke teilbar ist, was bei den andern Beleuchtungsmitteln nicht zutrifft, und keiner besonderen Vorrichtungen bedarf. Die Petroleumlampe kann man hinstellen, wohin man will, sie bedarf keiner besonderen Zuleitungen, und das Licht ist nicht unangenehm. Die Erdölflamme ist das Licht des kleinen Mannes und wird es noch auf lange hinaus bleiben. Aber auch hier zeigt es sich, daß die großen Rundbrenner und die Brenner von Schuster und Baar für Solaröl weit billiger sind als die Flachbrenner und kleineren Flammen. Ein großer Argand- brenner verzehrt in einer Stunde bei einer Lichtstärke von 100 Kerzen für 46 Pfennig Brennstoff, während 100 Stundenkerzen Gasglühlicht 14,4 Pfennig kosten. Aller­dings sind die 100 Stund'enkerzen nur eine gemeinsame

weder der normale Glühstrumpf noch die Petroleumflamme giebt 100 Kerzen. Wenn nun die Gasglühlichtgesellschaften berechnen, daß Auerlicht 0,5 Pfennig, Petroleum etwa 2 Pfennig pro Stunde koste, so ist das nur eine theo­retische Berechnung. Wie wir gesehen haben, ist das Glühlicht nicht teilbar; man muß wohl oder übel die 4060 Kerzen­stunden auf einmal verbrennen, wobei sich ergiebt, daß die schwächer glühenden Strümpfe mehr Gas brauchen, um die Reduktionszifser von 100 Stundenkerzen zu erreichen. Die kleinen Petroleumbrenner erhöhen den Verbrauch immer auf 100 Stundenkerzen reduziert auf 1214 Pfennig.

Es ist die Befürchtung ausgesprochen worden, daß das

brachte der Abgeordnete Bassermann sogar eine Interpellation über die Operationen der Standard-Öil-Company ein. Der nationalliberale Abgeordnete behauptete, der Leiter der Standard-Oil-Company, Rockenfeller, übrigens ein Würt- temberger von Geburt, drücke die Preise herab, um die

woraus er dann der Welt die Preise diktieren könnte. Diese Befürchtung ist indessen hinfällig. Mag sein, daß Rocken­feller die amerikanischen Outsiders zwingen werde, der

Konsumenten wird er niemals die Preise diktieren können. Galizien und Rumänien allein können Europas Konsum decken; außerdem sind Rußlands Quellen unerschöpflich. Ferner besitzt Turkestan auf einer Fläche von einer halben Million Quadratkilometer große Mengen von Erdöl. Ebenso findet es sich in Japan, in China, Australien, aus den Suuda- Jnseln, den Antillen, in Venezuela, Peru, Kanada, in Persien und Indien. Also nicht einmal den amerikanischen Markt könnte Rockenfeller souverän beherrschen, viel weniger noch den europäischen.

Der Petroleumkonsum ist in Deutschland im letzten Jahrzehnt bedeutend gestiegen. Im Jahre 1888 brachte der Petroleumzoll etwas über 37^/g Millionen Mark; 1894 dagegen schon mehr als 58 Millionen.

Vom Leuchtgas und von der Elektricität hat das Petroleum wenig zu befürchten, dagegen dürfte ihm ein chemisches Produkt den Rang streitig machen: das Acetylen. Vor etwa dreißig Jahren stellte es Berthelot auf dem Wege der Synthese aus Wasserstoff und Kohle dar und studierte seine chemischen und physikalischen Eigenschaften, auch die­jenige, sich in Alkohol zu verwandeln, weniger aber seine Leuchtkraft. Vor einigen Jahren gelang es, im elektrischen Ofen bei einer Temperatur von 3000 Grad durch die Reaktion von Kohle auf Kalk einen kokeühnlichen Körper zu erhalten, eine Verbindung von Kohlenstoff und Calcium. Taucht man diesen Körper in Wasser, so zersetzt er sich selber und das Wasser, und es bilden sich Kalk und Ace­tylen, eine Verbindung aus Kohlenstoff und Wasserstoff, die mit sehr Heller Flamme brennt und das Leuchtgas um das Fünfzehnfache übertrifft. Ein Kubikmeter Acetylengas giebt fünfhundert Stundenkerzen. Das neue Beleuchtungs­mittel befindet sich noch im Stadium der Experimente. Es wurden Versuche zur Beleuchtung der Eisenbahnwagen an­gestellt, und wir zweifeln nicht, daß es sich bewähren wird.