Heft 
(1898) 22
Seite
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Ueber Land und Weer.

Giftig ist es nicht; wenigstens macht es sich, bevor es in dieses Stadium gelangt, durch den unangenehmen Knob- lauchgernch rechtzeitig bemerkbar. Ob es indessen nicht explodierbarer ist als das Leuchtgas, müssen weitere Ver­suche ergeben.

Ob sich das Petroleum- und das Spiritusglühlicht ein­bürgern werden, läßt sich nicht Voraussagen. Das Prinzip, das dabei in die Praxis übersetzt wird, ist dasselbe wie bei dem Gasglühlicht. Ein unverbrennbarer Körper, der Glühstrumpf, wird durch die Hitze-Entwicklung des an­gewendeten Brennmaterials in Weißglut versetzt. Das Spiritusglühlicht ist nicht ungefährlich und hat außerdem den Nachteil, daß der Glühkörper an Leuchtkraft verliert, je mehr sich der Spiritus im Behälter vermindert. Der Glanz sinkt allmählich von fünfzig Normalkerzen auf zehn herab.

Das reinlichste, vornehmste und gesündeste, aber auch das teuerste ist das elektrische Licht. Es hat seit seiner Einführung nur die eine wesentliche Veränderung erfahren, daß es durch das Glühlicht auch für kleine Räume ver­wendbar gemacht worden ist. Was sollte man mit dem Bogenlicht von mindestens 330 Normalkerzen in kleinen Räumen, das zudem noch den Nachteil hatte, daß es jede Unebenheit des Teints, jedes Pnderstäubchen mit einer un­verschämten Deutlichkeit zeigte? Erst das diskrete.Licht des goldig strahlenden Fadens in der Glasbirne, die sich deko­rativ verwerten läßt, verschaffte dem elektrischen Licht Ein­tritt in die Salons und Zimmer, deren Eigentümer auf den Kostenpunkt nicht zu sehen brauchen.

Das elektrische Licht ist nicht deshalb so teuer, weil die Hervorbringung des elektrischen Stromes so große Kosten verursacht, sondern weil nur der hundertste Teil der auf­gewendeten gesamten Kraft in die Glasbirne oder in die Bogenlampe gelangt. Sollten es die Elektrotechniker so weit bringen, daß mindestens fünfzig Prozent der verbrauchten mechanischen Energie verwertet werden könnten, so hätte in den großen Städten das letzte Stündlein des Gases bald geschlagen. Die Dampfmaschine vergeudet neunzig Prozent der in der Steinkohle enthaltenen mechanischen Kraft. Bleiben noch zehn Hundertstel. Ein Hundertstel geht bei der Um­wandlung der mechanischen Kraft in Elektricität verloren; ein Hundertstel verflüchtigt sich in der Leitung, und von den übrigen acht Hundertstel gehen sieben als Wärme verloren, da die Glut des Leuchtfadens 2500 Grad erfordert, während das letzte Hundertstel erst als Licht zur Erscheinung kommt. Zur Erzeugung von 100 Stundenkerzen sind 0,85 Pferde­kräfte erforderlich, und die entwickelten Wärme-Einheiten betragen bloß 300500. Im Vergleich zum Gas, das im Argandbrenner sowohl wie als Auerlicht 4860 Wärme- Einheiten entwickelt, ist das immerhin wenig, doch muß der Lichtkonsument die verminderte Wärme sehr teuer bezahlen. Eine sparsamere Einrichtung der Dampfmaschinen mit einer Einschränkung der Kraftvergeudung auf die Hälfte müßte das Ziel der Elektrotechniker wie überhaupt der Maschinentechniker sein und ist es auch. Den Vor­zug, weder Wasserdampf noch Kohlensäure zu erzeugen, also die Luft nicht zu verschlechtern, teilt das elektrische Licht mit Siemens' Regenerativlampe. Das Auerlicht dagegen liefert stündlich immer bei hundert Normal­kerzen ungefähr einen halben Kubikmeter Kohlensäure.

Die Unmöglichkeit, die elektrische Energie in hinreichen­dem Maße aufzuspeichern, trägt ebenfalls zur Verteuerung des elektrischen Lichtes bei. Die Accumulatoren, die jetzt im. Gebrauch sind, erfüllen ihre Aufgabe nur in un­vollkommener Weise; ein Drittel der ihnen anvertrauten Energie verflüchtigt sich. Durch die Verwendung der Energie zu gewerblichen Zwecken und zum Betriebe der Straßenbahnen wird erst die Anlage rentabler. Die Ver­wendung der Elektricität als Beleuchtungsmittel und als mechanische Kraft steht indessen erst im Beginn ihrer Ent­wicklung, und jeder Tag kann neue epochemachende Er­findungen bringen, so daß es sich absolut nicht bestimmen läßt, welchen Weg die Elektricität als Beleuchtungsmittel einschlagen wird.

Neben den modernen Belenchtungsmitteln hat sich nur noch die Kerze aus der Vergangenheit in die Gegenwart herübergerettet. Ihre Verwendbarkeit ist jedoch sehr be­schränkt. Die Oellampe ist so gut wie gänzlich verdrängt; sie hat nur noch ein kulturhistorisches Interesse. Der Entwicklungsgang der Beleuchtung während der letzten fünfzig Jahre zeigt uns, welche Fortschritte wir gemacht haben. Wir blicken heute niit Ueberlegenheit auf die Licht­quellen unsrer Väter zurück. Doch nach abermals fünfzig Jahren werden unsre Kinder mit einem gewissen mitleidigen Achselzucken auf die Zeit zurückschauen, wo wir selber zwar nicht in der Finsternis, wohl aber im Halblicht ge­wandelt sind.

Spruch.

Die Mitwelt ist im Urteil stets befangen Und auch ihr Einfluß trägt nicht weit;

Allein von ihr hat keiner noch empfangen Den Lorbeer der Unsterblichkeit,

So lang der letzte Schiedsspruch nicht ergangen Der strengsten Richterin, der Zeit.

Neuestes vom Büchermarkt.

<M^er viel liest, wird mit Schrecken die Fülle derkranken" äKs Talente konstatieren, die wie Blumen auf einer allzu feuchten Wiese in der deutschen Litteratur aufsprießen, erst frisch und kräftig, dann mit plötzlich vergilbenden Blättern und sonderbar verzogenen und verzerrten Blüten. Auch MarieJanits check zeigt neuerdings solche Zeichen einer beginnenden Entartung. IhrIns Leben verirrt" (S. Fischers Verlag, Berlin) wenigstens ist eine reichlich eigen­artige Geschichte, in jenem knappen, klaren, man könnte sagen, zornig-kurzen Ton vorgetragen, der ein Merkmal dieser be­gabten Autorin bildet, mit scharf charakterisierten Per­sönlichkeiten und zum Teil der Wirklichkeit entlehnt. Ich sage ausdrücklichzum Teil", denn in das Porträt des urmodernen Helden hat Marie Janitscheck etwas viel hinein- retouchiert. Wahrscheinlich soll es die ideale Note in dieser echten cku sieals-Gestalt sein, daß er, trotz seiner Lebens­anschauungen, trotz desGreifzu", das ihm die Mutter als Geleitwort auf den Weg mitgiebt, keinen Finger rührt, um die Jugend, die Schönheit und die Reichtümer der wunderlichen Jdealistin Jllona zu genießen, zu ge­winnen, obwohl ihm alle Schätze ans dem Präsentierteller entgegengetragen werden. Aber der Herr der Schöpfung von heutzutage, mag er auch noch so wohl dressierte Ge­fühle und Wünsche haben, das Geld, das auf der Straße liegt, wird er sich nicht genieren aufzuheben, und das Weib ist ihm vogelfrei, eine Jagdbeute, eine Blume am Weg­rand, zum Zertreten oder Wegwerfen noch gerade gut genug. Der Held vonIns Leben verirrt" schöpft seine Begeisterung aus andern Quellen als die Gefühlsleute alten Stiles. Ihn interessieren nicht Blumen, sondern Menschen, nicht stolze oder rührende Erinnerungen, sondern Errungen-

Thaten und nicht diejenigen ruhmreicher Ahnen. Man sollte also meinen, daß er trotz alledem doch eine sympathische Persönlichkeit sein könnte, und doch wirkt er geradezu abstoßend.

erfüllt, daß man nur wünschen und hoffen muß, die Ideale dieser beiden möchten niemals zu den Idealen der gesamten Menschheit werden. Sie braucht ja deshalb noch nicht in der Luft zu schweben, wie die Baronin Jllona, die trotz der beschriebenen wunderschönen Körperlichkeit sehr viel von einem Gespenst an sich hat und den Leser mit einer ge­wissen Scheu erfüllt, auch dann noch, als sie,erlöst", sich ins Leben verirrt, für das die Natur ihren unirdisch-zarten Organismus nicht geschaffen hat, und aus dem sie, verkannt, verlacht, verachtet, den jähen Abgang der Verzweiflung nimmt.

Nicht gerade krankhaft, aber doch allzu herbe in seiner Auffassung und Darstellung ist der NovellenbandEin­same Frauen" von Frida von Bülow (F. Fontane & Co., Berlin). Von der überquellenden Bitterkeit wird das Mitgefühl zurückgestoßen, das man den Frauen der verschiedenen Erzählungen gern entgegenbringen möchte.

wie mit einem elektrischen Apparat beleuchtet , und doch hätte ein einziger Sonnenstrahl, ein leichter Blitz des Humors ihre Umrisse nicht weniger scharf hervorgehoben und sie dem Herzen des Lesers sicher um vieles näher gebracht. Wenn also dieEinsamen Frauen" noch kein vollgültiger Beweis für das Talent Frida von Bülows waren, so ist es ihr neuester RomanK a r a" (Cottascher Verlag, Stutt­gart) um so mehr. Ich habe ihn mit aufrichtiger Be­wunderung Seite für Seite gelesen. Ein Frauenschicksal, nicht seltsam, aber selten, mitten aus dem Leben der Gegen­wart herausgegriffen und doch nicht alltäglich, die Haupt­personen, das Milieu, alles wunderbar scharf Umrissen, interessant und durchaus sympathisch. Freilich wird der prüde Abonnent der Leihbibliothek, der an jedwedes Ge­schriebene den Maßstab der Bekömmlichkeit für Backfische legt, sich über dieMoral von der Geschicht'" ohne Zweifel aufregen. Ich rate, ihn daher dem minder anspruchsvollen Leser zu überlassen und bin überzeugt, daßKaras" Ent­wicklung und Geschick, daß die Menschen, die sie umgeben, die sie liebt, um die sie leidet, kämpft, um endlich doch zum Siege zu gelangen, ihm einen tiefen und dauernden Eindruck hinterlassen werden. Nur der Sieg scheint mir für diese knapp, klar, geistvoll und warmherzig geschriebene Geschichte etwas blaß und nüchtern. Er klingt ja sehr natürlich, aber er bereitet zugleich eine Enttäuschung. Um sich so kühl zu finden, so schmerzlos zu entsagen, ist Kara bis zum Ende als eine allzu große, unheilbare Verschwenderin ihrer Gefühle geschildert.

Auch bei Baron Karl von Torresanis Roman Steirische Schlösser" (F. Fontane L Co., Ber­lin) stört der etwas äußerliche Schluß. Sonst besitzt er alle Vorzüge, die des Autors ältere Werke aus­zeichnen: glückliche Beobachtung, gelungene Verkörperung und einen kräftigen, liebenswürdigen Humor. Die Schil­derung der Gesellschaft, die auf den steirischen Schlössern lebt, und des Volkes, das sich in ihrem Schatten aus­breitet, ist geradezu glänzend gelungen und die Gestalt des verbummelten Spezialitätengenies Hamilton ein kleines Meisterwerk. Das Liebespaar im Mittelpunkte, ein reifer Mann und ein kaum dem Kindesalter entwachsenes Mädchen, die sich lange über ihre Gefühle täuschen, fällt dagegen

ein wenig ab, und auch die Figur des Strebers und alten Lüstlings Kolbe, so prächtig sie Torresani im Anfänge ge­raten ist, wird dem Leser am Ende etwasüber".

Eine reine Seele" von Jda Boy-Ed (Karl Reißner, Dresden) ist, wie alle Romane der bekannten Ver­fasserin, sehr fließend, anschaulich und glaubwürdig vor­getragen. Es treten uns darin sehr viel gute, angenehme, interessante, ungewöhnliche und doch durchaus menschliche Menschen entgegen. Nur die Heldin, diereine Seele", stößt trotz aller Vorzüge eher ab, als daß sie anzieht. Ihre Tugenden sind so kalt, so glatt, so aufreizend, daß man sicher ist, sie würde einem, zu Fleisch und Blut ge­worden, alles andre eher als angenehm sein. Auch nach Kämpfen und inneren Wandlungen will man ihr den prächtiger: Gatten nicht gönnen und kann es nur mit der Blindheit Amors entschuldigen, daß er gerade in dieser kleinen, selbstbewußten Heiligen die große Liebe seines Lebens findet.

Hübsch geschrieben, geschickt komponiert, plastisch und realistisch, ohne allzu tiefe Schatten und allzu grelle Lichter istGottbegnadet" von Konrad Tel- mann (Karl Reißner, Dresden). Seinen Titel ver­dankt es einem jungen Manne, einemSalonkünstler", der mit seiner schönen Stimme sich in alle Herzen hineinsingt. Eitel, von der Affenliebe seiner Mutter bis zur Lächerlichkeit verzogen, entbehrt er jeden Triebes zu ernster Arbeit. Seine bessere Natur erwacht zwar, als er die Liebe eines reizenden, edeln, reichen Mädchens gewinnt, aber schon nach kurzer Zeit langweilen ihn Gut, Weib und Kind. Er flattert nach alter Art von Blume zu Blume, hintergeht seine Frau und trennt sich schließlich ganz von ihr, um auf einer Künstlerfahrt durch Amerika echte Ruhmes­lorbeeren zu pflücken. Für die Seinen ist er verschollen, Thea wirtschaftet musterhaft und ist durch kein Zureden zu einer Scheidung von ihrem Gatten zu bewegen. In Nizza findet sie den Totgeglaubten zufällig wieder. Die Lorbeeren sind verwelkt, ehe er seine Hand nach ihnen ausstrecken

einen Sohn liebt. Das Kind bringt den durch Leid und Sehnsucht geläuterten Mann und die edelmütig verzeihende Frau zusammen, und alles löst sich in Glück und Wonne aus.Gottbegnadet" spielt wieEine reine Seele" in der guten Gesellschaft. Nach dem Ende zu wird es ein bißchen starkromanhaft", aber das ist sicherlich ein Mangel, der dem verewigten Autor unter seinen Verehrern auch nicht einen einzigen kosten wird.

Ganz allerliebst, witzig, liebenswürdig und natür­lich versteht der Freiherr von Schlichtaus der Schule zu plaudern". Auch die neue Folge seiner mili­tärischen Humoresken (Freund <L Jeckel, Berlin) wird ihn: viele lachende und amüsierte Freunde gewinnen. Manch fröhliches:Ja, ja!",Natürlich!" undSo war's auch

spitzen Feder schildert, ist zweifellos schon einmal, vielleicht sogar mehr als einmal dagewesen.Aus der Schule geplaudert" mag allen lachlustigen Leuten mit und ohne Uniform bestens empfohlen sein.

Ein andres Werk, in dem auch ein Soldat das Wort führt, istTapfer und treu", historischer Roman von Joseph Spill mann. Nur daß es sich hier um ein sehr ernstes und düsteres Kapitel aus der Geschichte der Völker handelt, um die Memoiren eines Offiziers der Schweizergarde Ludwigs XVI. Es beginnt in einer Zeit, wo die furchtbare Wetterwolke der Revolution wie ein schwarzer Streifen am äußersten Horizonte des politischen Himmels aufzusteigen anfängt und endet mit jenem Kampf in den Tuilerien, der den gefallenen Schweizern das Löwendenkmal in Luzern und die Inschrift: Uslvetioruin lläsi ae virtuts eintrug.Tapfer und treu" (Herdersche Buchhandlung, Freiburg i. B.) ist ein historischer Roman, der entschiedene Beachtung verdient. Begeisterung und Hingabe wehen wie ein warmer Hauch darüber, die dicht aneinander gereihten Bilder sind mit breitem Pinsel von einer Hand ausgeführt, die den Forscher und Dichter wohl zu vereinigen wußte. Der Leser erhält eine vollkommene Darstellung von allen politischen und sozialen Zuständen der damaligen Zeit. Besonders nahe tritt ihm die Königs- samilie, über deren Häuptern die Sonne des Glückes von den ersten schweren Wolken verhüllt wird. Es ist möglich, daß der Großvater in seinemDenkbuche" durch das etwas gefärbte Glas der Liebe und der Anhänglichkeit sieht, aber gerade das giebt seinen Mitteilungen etwas so ungemein Warmes, Persönliches. Da ist keine kalte Kritik, kein ängstliches Abwiegen von Recht und Unrecht, sondern leiden­schaftliche Begeisterung, Opfermut und Kampfesfreudigkeit bis zur letzten Stunde und zum letzten Manne. Außerdem ist das zweibändige Werk durchaus spannend geschrieben. Man kann mit der Geschichte der Revolution noch so vertraut sein, man wird doch bis zum letzten Moment auf die unmögliche, gute Wendung hoffen,vor der unabwendbaren, schrecklichen erzittern.

Das.Buch meines Sohnes" vonNeera (Ver­lag von Karl Reißner, Dresden) giebt kurzgefaßt, klug, gut und in vornehmem Ton die guten Lehren einer Mutter. Aber wie es bei solchen Predigten zu sein pflegt: sie tasten und fühlen, aber verstehen nicht zuzugreifen und sestzuhalten.

A. Stier.