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Im Gegenteil — gerade Madame ist's, die mir diese Ausländervilla angenehm macht. Sie ist die Gleichmäßigkeit, die unentwegte Liebenswürdigkeit, deren Wert ich erst jetzt erkenne. Sie ist klug, sehr klug. Wir unterhalten uns brillant. Dennoch erkenne ich auch in der Konversation wieder die hübsche charakterlose Linie, die es mir so schwer macht, eine Unterhaltung von uns beiden zu fixieren. Von dem Kanarienvogel hat sie nichts wieder erwähnt.
Ich habe mich entschlossen, der Tante meinen Knicks zu machen. Die spindeldürre Mamsell empfängt mich fast feierlich. Item ist die Schildkröte nicht zu Hause oder krank, der Kanarienvogel aber gesund.
„Die gnädige Comtesse sind noch im Zoologischen Garten."
„Na, da müßte sie doch schon lange zurück sein. Meine Tante bleibt doch immer bis genau zwölf Uhr da."
„Herr Graf haben ganz recht, aber seit einigen Tagen verweilt die gnädige Comtesse regelmäßig etwas länger."
Ich habe immer gleich lasterhafte Ideen. Vielleicht hat sie sich in einen Wärter von der Vogelabteilung verliebt. Hysterischen älteren Jungfern trau' ich alles zu.
Da es aber bis zum Zoologischen Garten bloß drei Schritte sind und ich a tout prix den liebevollen Neffen spielen will, opfere ich die Mark Entree. Die Tante hockt wirklich noch Ul ihrem Krankenstuhl an der alten Stelle dicht am Ententümpel und freut sich über das widerwärtige Gekreisch der Wasservögel. Der Dicke steht in respektvoller Entfernung. Die Nase ist bedeutend blauer geworden. Ich will doch mal die Schnapsrechnnng bei der Schildkröte revidieren. Die Schildkröte selbst ist wieder sehr hoheitsvoll, bekrittelt mein Aussehen.
„O Louis, du hast gewiß nicht gut gethan in der ganzen Zeit! Du läßt vom Leichtsinne nicht."
„Aber, Tantchen! — Ich lebe ja völlig wie ein Klausner. Wenn es je einen reuigen Sünder gab, so bin ich's."
Aber sie winkt mit der dicken, gichtischen Pfote ab. „Ich traue dir nicht mehr, Louis, seit dem Augenblicke, wo du Lola so angesehen hast. Du weißt schon ... Ja, dein Vater war ein ausgezeichneter Mann — aber deine Mutter, deine Mutter! Louis, die hat mich nie verstanden, immer herzlos über meinen verstorbenen Mops gewitzelt. Wenn ich noch daran denke, wie sie sagte: ,Liebe
Jeannette, die Biche wird ja aber gräßlich dick! Nimm sie nur in acht vor den Hundefängern. Das wäre so ein willkommener Sonntagsbraten. . ? Natürlich, sie mußte russische Windhunde halten, ritt alle Hetzen mit. . . Jetzt ist sie tot — sie Wardeine Mutter und gewiß eine gute Frau — aber sie hatte kein Herz!"
Nun besitze ich allerdings berufsmäßig ein sehr geschmeidiges Rückgrat, aber wenn die scheinheilige Bestie meine Mutter schlecht machen will . . . dumme alte Jungfer! Als wenn nicht gerade sie ein gutes Herz gehabt hätte! Von meinem Vater habe ich die guten braunen Augen nicht. Freilich, meine Mutter war eine Lasis-Taetz aus dem böhmischen Hochadel mit dem riesigen Grundbesitz, wo sie schon von Jugend auf die Hetzen mitreiten. „Liebe Tante, du übertreibst sehr stark," antwortete ich endlich.
Da winkte sie wieder hoheitsvoll und gemessen wie eine Pagode. „Ich und übertreiben? — Louis, du hast nicht einmal Pietät für die alte, einzige Schwester deines Vaters. Du hast für nichts Pietät. Wie konntest du nur im bodenlosen Leichtsinne das wunderschöne Carensche Stammgut verkaufend"
Das war mir nun etwas zu scheinheilig. „Hab' ich's dir nicht vielleicht, Tante, zu einem sehr zivilen Preise zuerst angebotend Du danktest. Und was im übrigen meine Mutter anbelangt, so tadelst du etwas, was die ganze Welt an ihr bewunderte: Sie war eine Dame von Welt, eine ganz große Dame, und hatte nun einmal für Möpse kein Interesse."
Darauf bekam die Tante einen Hustenanfall. Der Dicke stob heran: „Die gnädige Comtesse haben sich gewiß aufgeregt." Das war nun allerdings der Fall, aber die Antwort wollte sie mir doch nicht schuldig bleiben: „Dame von Weltd — Nun, ich
Weber Land und Weer.
sage dir, Louis, es giebt auch Damen von Welt, die ein rührendes Herz für Tiere haben. Lola hat schon eine Freundin, die ihn liebt allein ans Grund meiner Erzählungen." — Wenn ich gemein gewesen wäre, hätte ich gesagt: .Jawohl, Tante, auch einen Freund, der ihn sobald wie möglich in den Vogelhimmel spedieren möchte? Dafür sagte ich wieder: „Das freut mich, Tante! — Wer ist die Damed ... Du kultiviertest doch sonst keine Bekanntschaften . . ."
In dem Augenblicke war ich stark in Versuchung, die Tante für geistig krank zu halten, da sie plötzlich mit beiden Armen wie eine gichtische Windmühle wehte und sich im Stichle Zu verneigen suchte. Ich war so perplex über diese Anzeichen beginnender Weichhirnigkeit, daß ich die Tante bloß anstieren konnte. Auf einmal beginnt die Schildkröte zu lächeln und mit den falschen Zähnen zu spielen, was ich schon als Kind an ihr bewanderte. Sie verbeugt sich wieder. „Lonis!"
„ Tante d"
„Gestatten Sie, gnädige Frau, daß ich Ihnen meinen Neffen, Grafen Euren, vorstelle."
Ich drehte mich um. Es war Madame Le Fort.
Ein Blick, fragend von mir, glasig von ihr — wir haben uns noch nie gesehen! O, Madame ist wirklich meine Freundin. Der träge Geist der Schildkröte ahnt natürlich nichts von der Komödie
— aber auch ein sehr scharfer würde die Dame mit der charakterlosen Linie nicht entlarvt haben.
Die Tante ist unausstehlich liebenswürdig, der Dicke springt sofort nach einem Stuhle für die gnädige Frau; bei mir würde er's nie gethan haben. „Sie kommen spät, gnädige Frau, ich hatte schon ganz die Hoffnung anfgegeben," flötet die Tante.
Madame lächelt. Sie ist so ganz Dame von Welt, daß sie gleichmütig über alles lächeln kann.
Darauf wendet sich die Schildkröte triumphierend an mich. „Sieh mal, Louis, das ist die Dame! — Verzeihen Sie, gnädige Frau, wenn ich ihm erzähle, wie wir zu unsrer merkwürdigen ersten Begegnung ^ gekommen sind. Lonis hat nämlich kein Herz für ! Tiere — ich fürchte, auch nicht für Menschen!"
! Ich senkte ergeben mein wohlfrisiertes Haupt. Was ! soll man auf solche Dummheit sagend — „Also denke dir, Louis: Ich sitze vorigen Sonnabend wie gewöhnlich hier, freue mich an dem Sonnenschein und der köstlichen Luft, und wie die kleinen Entchen sich amüsieren. Wenn nur nicht die Kinder von dem Spielplätze so 'rüberlärmten! Kinder sind schrecklich.
— Und da geht eine Dame langsam an dem Einfriedigungsgeländer entlang, dort, wo der kleine Teich ist. Sie waren mir, ehrlich gesagt, im Anfänge zu elegant, gnädige Frau, und ich traute Ihnen nur die gewöhnliche Neugierde der Gartenbesncher zu — aber gnädige Frau blieb sehr lange, konnte sich von einem jungen Pelikan nicht trennen, der so ganz hilflos 'rumwatschelte. Sie muß entschieden eine Tierfreundin sein, dachte ich. Aber der Pelikan — thöricht wie alle Jugend — versteht das nicht, watschelt immer weiter rechts von ihr weg. Gnädige Frau folgt ihm voll Interesse, ohne natürlich an die niedere Außenwelt Zu denken. Und dabei stößt sie ganz leicht an meinen Stuhl. Sie erschrickt — entschuldigt sich. Und ich nehme mit Freuden die Gelegenheit wahr, eine neue Bekanntschaft zu machen. Nicht wahr, gnädige Frau, Sie bedauern doch auch nicht?"
„Aber im Gegenteil, Frau Gräfin, ich bin entzückt." Die Schildkröte hat es nämlich trotz ihrer Jungfräulichkeit sehr gern, wenn man sie fälschlich des Verheiratetseins beschuldigt.
„Von Lola habe ich der gnädigen Frau erzählt," fuhr die Tante mit einen: Basiliskenblick auf mich fort. „Sie hat die gelben, treuen Geschöpfe auch lieb
— hat selbst eines" . . . O, Madame Le Fort, wie trefflich können Sie Komödie spielen! — „Nicht wahr, gnädige Frau, Sie werden Ihr Versprechen wahr machen und mich einmal in meinem Kloster besuchen? Lola wird gleich zu Ihnen Vertrauen haben. Lola ist so klug und kennt seine Freunde!..."
Ich sah die Tante harmlos an, wurde aber sogleich mit einen: „O nein, Louis, du gehörst nicht zu ihnen!" geduckt. Die Tante himmelte ordentlich und hätte am liebsten Madame Le Fort nie wieder losgelassen. Aber die Gnädige ist Gott sei Dank pressiert, muß unbedingt um halb zwei in der Händel
straße sein, und jetzt ist's gleich viertel. Madame knickst — ganz elegante Ehrfurcht, ganz Cour, es fehlt nur die Schleppe. Die Schildkröte umklammert mit den beiden Vorderflossen verliebt die schlanke weiße Hand. „Adieu — adieu, meine liebe, liebe Frau Le Fort."
Ich begleite Madame Le Fort — die Schildkröte hat das mit einem sehr entschiedenen Blick angedeutet. Bis zum Ausgange sind wir fremd, höflich — ich wie ein Lakai vom Dienst, den Madame für selbstverständlich hält. Aber im Augenblicke, als wir das Tourniqnet hinter uns haben und auf dem Kurfürstendamme stehen, platze ich los wie ein Quartaner, der mit Erfolg Aepfel gemaust hat. Sie lacht auf, leise, vorsichtig. -- „Gnädige Frau waren lange auf der Bühne?"
Sie straft mich mit einer eleganten Bewegung ihres Sonnenschirmes. „Was wollen Sie, Herl- Graf? Ihre Tante ist eine sehr nette Dame — etwas eigentümlich..."
„Und Sie haben ihre Bekanntschaft ganz gegen Ihren Willen gemacht? O, gnädige Frau, uns Diplomaten täuscht man so leicht doch nicht!"
„Und wenn ich ihre Bekanntschaft gesucht — etwas ganz andres gefunden hätte, als Ihr böser Mund zu charakterisieren für gut hielt?"
„Na, na, gnädige Frau. . . Aber doa! Sie sind also angenehm enttäuscht. Das klärt mich aber immer noch nicht über das rätselhafte Interesse für den Kanarienvogel meiner Tante auf."
Madame bleibt stehen und sieht mich liebenswürdig näher an: „Sie sind Diplomat, Herr Graf?"
„Wenigstens gewesen, gnädige Frau."
Unsre Blicke kreuzen sich. Zuweilen muß ich sehr stechende Augen haben können, denn Madame senkt die ihren, lacht auf; liebenswürdige Fältchen spielen um den schmalen Mund. Wir gehen weiter auf der breiten, vornehmen Straße, über deren blühenden Vorgärten und prunkenden Balkons das Millionenparfüm liegt. Endlich fängt Madame wieder an, diesmal einfach, fast herzlich: „Sie kennen eben Ihre wahren Freunde noch nicht, Herr- Graf Caren!. . . Passen Sie mal auf! Ich kenne Sie schon lange x>ar renoinrnee, Herr Graf — nicht gerade von der guten Seite, aber wie man einen Menschen kennt, dessen tolle Extravaganzen in aller Munde sind. Sonst wollen wir von Jhrer Vergangenheit lieber nicht sprechen! Man braucht nicht gerade prüde zu sein, um auch als Frau eine gewisse Aversion gegen gewisse Sachen zu empfinden. Aber dieser Graf Caren stand in dem Rufe, klug, reich zu sein und eine glänzende Carriere vor sich zu haben. — Und wenn man dem dann in der ,Krone' in Nagaz begegnet? Ich war doch etwas enttäuscht! — Nun, wir waren nicht lange zusammen, und ich hatte immer noch die Hoffnung, es handle sich um eine abenteuerliche Liebelei, wobei man den ,Grafen' besser zu Hause läßt — oder vorübergehende Schwierigkeiten. Jetzt weiß ich, daß sie nicht vorübergehend sind."
Ich räusperte mich etwas scharf. Madame sah mich sehr ruhig an. „Ich bin etwas direkt?"
„Das nicht, gnädige Frau! Aber meine Tante scheint unverantwortlich geschwatzt zu haben."
„Nehmen Sie das der alten Dame nicht so übel! Denken Sie lieber auf einen Ausweg. . . Der Kanarienvogel wird sterben, Ihre Tante wird sterben — und Sie werden wieder die Millionen besitzen."
„Woher wissen Sie diese Reihenfolge so genau, gnädige Frau?" erwiderte ich, doch merklich kühl.
„Genau? Bah! — Aber sie wird kommen. . ."
„Nun, dann fange ich eben das alte Leben von vorn an," antwortete ich trotzig.
„Das sollen Sie nicht!" bemerkte sie bestimmt. „Denken Sie weder an den Kanarienvogel noch an Ihre Tante — denken Sie an die Millionen und die Zukunft. Sie müssen verständig werden, Herr- Graf! Dazu gehört, daß Sie sich einen ganz bestimmten Lebensplan machen . . . Heiraten werden Sie natürlich nicht! Oder doch erst dann, wenn der unverheiratete Gesandte die Verpflichtung fühlt, ein sehr großes Haus zu machen. Fürchten Sie nicht deshalb, daß die liebende Mutter aus mir spricht. Bei meiner Tochter Asta würden Sie so wie so kein Glück haben: Asta giebt Ihnen einen Korb. Und die kleine Ethel würden Sie in Grund