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Ueöer ^and und Weer.
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und Boden verderben. Das würde ich wieder nie zugeben. Sie sehen, ich empfinde Ihnen gegenüber mütterlich, freundschaftlich, wenn Sie wollen. Darum habe ich Ihre Tante ausgesucht, habe gethan, als wenn ich Sie nie gesehen hätte. Und wenn Sie nicht spätestens in einem Jahre Ihrer Carriere zurückgegeben sind, genau wissen, was Sie wollen — garantiere ich für nichts."
Das war deutlich. Aber ich bin viel zu gut erzogen, um auch dreiste Einmischungen in meine Angelegenheiten nicht mit Anstand zu tragen. Außerdem bemächtigte sich Madame Le Fort der nächsten vorübersahrenden Droschke, lud mich zu Sonntagmittag ein, und ein sehr freundliches Lächeln sollte mir jede Beschämung ersparen. Darauf bin ich noch 'ne halbe Stunde nachdenklich im Tiergarten 'rnin- gebummelt. Klüger bin ich nach der Unterredung auch nicht. Was interessiert die Dame an mir? Irgend etwas muß doch dabei im Spiele sein. Freundschaft? Du lieber Gott! — Ich werde doch nicht auf meine alten Tage aufaugen, an die Uneigennützigkeit der Menschen zu glauben. Das ist wieder die verfluchte charakterlose Linie, die auch im Gespräche durch kein Zucken etwas verrät! Wahrscheinlich gehört sie zu den Frauen, die ihre Hand in allem haben wollen. — Mag sie!
Und das hochmütige Ding, die Asta — mich nicht nehmen wollen! Habe ich ihr vielleicht schon Avancen gemacht? — Aber gerade das reizt mich. Asta Le Fort will nicht — Louis Caren will. Wir wollen doch sehen! Und zu heiraten brauchen wir uns deswegen noch lauge nicht.
Aber . . . Graf Caren will, und Graf Caren kann nicht!
*
Ich habe fünfzig Soubretten den Kopf verdreht, auch anständigen Mädchen. Es war nicht immer der Graft der Attache, der hübsche Kerl, der den Finish entschied — es war das undefinierbare Abc der Verführung, der eisig kalte Blick, der falsche Schimmer von Gemüt — je nach Bedarf. Ob die Zeit kurz, die Gelegenheit schwer — wir machten's. lind dabei war's frivole Laune, im seltenen Falle ein verliebtes Aufflackern. Jetzt aber, wo ich will, energisch will, mit ganz kaltem Herzen, da . . . O, Madame Le Fort weiß ganz genall, warum sie zwei junge, hübsche Menschen so strafbar leichtsinnig allein läßt. Die Gelegenheit ist da, das schöne Mädchen in meine Hand gegeben. Jawohl!
Gestern war ich wieder da. An der Bellevuestraße sah ich eine Droschke vorüberflitzen: das Nilpferd und sie. Niemand bemerkte mich. Also sind nur die beiden Mädels zu Hause, kalkuliere ich. Taxameter: „Händelstraße." Nicht einmal der Diener ist da. Fräulein Asta empfängt mich selbst. Wir beide sind ganz allein in der Etage.
Und sie führt mich nicht etwa in das kalte Rokokozimmer, sondern in ihr eignes kleines, reizendes Gemach. Das Nilpferd hat ihr's neulich eingerichtet. Ob sie's freut? Es scheint nicht. Sie kennt ja nur den Luxus. Daß es nun ein ausgesucht echter Türke ist, der den Laut ihres Fußes verschlingt, daß ein echter Eisbär sein weiches Riesenfell hat lassen müssen, um mit funkelnden Augen und dräuendem Gebiß ihre Chaiselongue zu zieren, erscheint ihr selbstverständlich. Und wie schön mag der schöne Körper sich auf dem schönen Pelze ausnehmen! Aber ihr Blick gleitet fast gelangweilt über alles, über die Amazone von Kiß, die mit geschwungenem Speer den kleinen, zierlichen Modeschreibtisch beschützt, über den Antinouskopf auf plüschverhülltem Postament. Auf dem Mitteltische liegen die bekannten Kunstwerke: Ebers' Aegypten, Scherrs Germania. Sie sind so ungebraucht, so unangenehm neu, wie die kleine goldschimmernde Bibliothek im Nußbaumschrank, in die sie vielleicht nie einen Blick thut, weil sie weiter nichts ist als Dekoration — und Asta Le Fort verachtet die Dekoration. Auch als ich sie bitte, die Herrlichkeiten näher besehen zu dürfen, alles nur, um zu schmeicheln, zu glänzen, um sagen zu können: „Solche Bronzen sah ich nicht mal bei Barbedienne in Paris. Gnädiges Fräulein sind Kennerin? Ich merk's all den beiden Blumenstücken über Ihrem Sofa," — läßt sie mich mit einem ironischen Lächeln gewähren. Nur als ich mit einem seltsam geschnitzten Elefantenzahn au der Wand liebäugle, wird sie lebhaft:
„Nehmen Sie ihn ans Fenster, Herr Graf. Es ist wundervolle Arbeit, die Scheide eines Jatagans — sehen Sie?" Und sie zieht mit der schlanken, kräftigen Hand das blinkende Eisen heraus.
Ich markiere natürlich die zärtliche Besorgnis: „Um Gottes willen, gnädiges Fräulein, seien Sie nicht unvorsichtig! So ein Ding ist scharf — vielleicht vergiftet."
Und sie läßt als Antwort den schlanken Finger über die haarscharfe Schneide gleiten: „Ich habe keine Angst, Herr Graf. Mich verletzt's nicht. Es ist ja ein Geschenk meines Onkels. Er hat's aus Hinterindien mitgebracht, und das Schnitzwerk, eine Löwenjagd mit Hunderten merkwürdiger Figuren, soll außerordentlich wertvoll sein. Aber wenn's eine Million wert ist, so gilt's mir zwei, weil's von meinen: Onkel ist."
Wieder dieser Onkel, der das Lächeln auf die schönen roten Lippen zaubert. Vielleicht beneide ich im Augenblick diesen Onkel um diese Macht zu zaubern. Wenn du so lächeln kannst, schöne Asta, als Botschafterin bei der Cour, beim Knicks vor den königlichen Herrschaften, so müßtest du meinen diplomatischen Erfolgen sehr bekömmlich sein. Und als ob sie irgend etwas von meinem Gedankengang erriete, wiegelt sie gleich ab: „Möchten Sie meinen Onkel kennen lernen? — Wünschen Sie's lieber nicht! Er würde gar nicht zu Ihnen passen; er ist so ganz anders wie andre Menschen."
„Ist er Ihnen ähnlich, gnädiges Fräulein?"
„Man sagt." Darauf stößt sie den Jatagan hart in die Scheide — knacks.
Ich lächle. „Sie werden sich doch noch schneiden!"
„Und wenn ich mich schneide! Meineil Sie, Herr Graf, daß ich kein Blut sehen kann? Ich kann sehr gut Blut sehen..."
Solcher Art sind nun unsre Unterhaltungen. Ich habe nie den richtigen Anschluß, weder in Schwer noch in Leicht. Auf eine elegante Phrase giebt sie nichts, und wenn ich von der Gemütsseite komme, sieht sie mich kühl an. Ihrer Ansicht nach habe ich kein Gefühl, nnr Berechnung. Sie glaubt mich zu durchschauen und sagt sich angesichts des ruinierten Attaches, der geisteslahm sich in ihren weichen Fauteuil lümmelt: „Sie wollen meine Millionen, Herr Graf — ich will Sie aber nicht." Vielleicht ist das von mir nnr übermäßiges Mißtrauen, vielleicht ist sie so herzenskalt, wie meine Tante, oder hat nnr die perverse Nervenzucknng für geschundene Ziehhunde.
Aber was du auch denken magst, grünäugige Statue, du denkst immer falsch. Die Millionen locken mich nicht — der königliche Nacken noch weniger. Und wenn ich dich haben will, so ist's ein Spiel der Eitelkeit, dessenungeachtet ein scharfes Spiel. Ich möchte dich in Grund und Boden verderben, dich elend, unglücklich machen aus Liebe zu mir. Und dann möchte ich sagen, schadenfroh, gemein: „Also so weit wären wir, gnädiges Fräulein? Das ist schlimm für Sie, denn ich habe bei Ihnen niemals weder an die Liebe noch an die Ehe gedacht."
Es ist ein häßlicher Wunsch — ich habe ihn noch nie einem Weibe gegenüber gefühlt. Und wenn j ich's erreichte? Wer weiß, ob ich glücklich wäre. ! Ich kenne mich selbst noch nicht: das wird mir ! täglich klarer. Vielleicht bin ich gar nicht hohl, so ! wenig wie sie. Vielleicht sind's nur die Verhältnisse, ; die mich nicht ausreifen ließen, vielleicht steckt in dem Modenarren, dem Verschwender noch ein ganz andrer Kerl. Vielleicht liegt der gefesselt, stumm im ewig finsteren Verließ seit meiner Geburt - - und eines Tages dringt zu ihn: doch das Licht. Er reckt sich, sprengt die Fesseln und ich — bin ich! Thörichter Traum!
Die Wirklichkeit ist, daß ich Asta Le Fort gegenübersitze und ineinen schmalen Fuß in: Lackschuh bewundere. Zu einer Konversation langt's nicht. Das ist der beginnende Marasmus, das eintrocknende Gehirn eines jungen Greises, der so ziemlich alles gekostet und alles fade gefunden hat. Junger ^ Greis . . . halt! Da stellt sich ja der Kontakt meiner Gehirnnerven von selbst wieder her. — Graf Sern er? Natürlich!
„Habei: gnädiges Fräulein gar keine Bekannten in Berlin?"
Asta Le Fort, die weder stickt noch Zigaretten raucht iiild eine Stunde lang bewegungslos auf der:
grünen Tiergarten starren kann, fragt höflich: „Wie meinen Sie?"
„Ob Sie Bekannte haben, gnädiges Fräulein? Sie wohnten doch lange in: ,Bristol'. Ein Graf Serner erzählte mir von Ihnen."
„Serner? . .. Serner?" — Sind wir eine so große Komödiantin wie die Mutter, oder müssen wir uns wirklich das Gehirn zermartern, ehe wir uns des Grafen Serner erinnern? — Endlich! Jetzt dämmert's. Eine leichte Nöte flammt über den klaren, gesunden Teint: „Er hat mich, wie sie hierzulande sagen, sogar .ausgezeichnet'. Mama findet ihn nett — ich finde ihn gar nicht."
Also sehr groß sind deine Chancen auch nicht, Karlchen. Wenn sich Serner an derselben Quelle über mich orientieren würde? Ich höre Fräulein Asta beinahe: „Graf Caren zeichnet mich aus — die Mutter findet ihn nett — ich finde ihn gar nicht." Es wäre ganz wunderbar, wenn sie etwas andres sagen würde, aber der Gedanke ärgert mich doch. Graf Serner — Graf Caren — der eine etwas dummer, der andre etwas leichtsinniger; beide im Grunde dasselbe Kaliber. Ich war auf den: Punkte, eine unmotivierte Ungezogenheit zu sagen. Da klingelt's. „Es wird Ethel sein. Sie verzeihen, nnr einen Augenblick, Herr Graf."
Gott sei Dank, nun kommt doch wieder Sonne in das Zimmer. Ich bin nicht mehr maulfaul, ich bin angenehm angeregt. Ethel hat einen Bummel in: Tiergarten gemacht, ein Abenteuer erlebt. „Denken Sie, Herr Graf, wie ich an den: Goldsischteich flehe und nnr die blanke Gesellschaft ansehe, kommt ein alter Herr auf mich zu und sagt leise: ,So allein, schönes Kind? Wir wollen eine Stunde spazieren fahren und dann in: Ausstellungspark essen.'"
Die grünen Augen flackern auf: „Ethel — was redest du für Unsinn."
Darauf verzieht sich der reizende Mund: „Warm:: nicht? Er wird mich für eine Konfektioneuse ohne Stellung gehalten haben und wollte mir ein Vergnügen machen. Du denkst auch gleich alles mögliche, Asta. Ich habe ihm ins Gesicht gelacht. Da zog er den Hut und sagte: ^Verzeihung, gnädiges Fräulein, ich habe mich geirrt.' Es war ein so uralter, steifbeiniger Herr mit einer braunen Perücke und gelben Lackstiefel:: — und alte Leute sollten keine gelben Lackstiefeln tragen!"
Und Asta bemerkt bestimmt: „Es war frech! Mama sollte dich nie mehr allein spazieren gehen lassen."
Wie verschieden doch die beiden Schwestern sind, auch in: Dialekt. Bei der Kornblumenfee der Anklang an alle möglichen Mundarten, die Erinnerung an die fünf oder sechs deutschen Hauptstädte, in denen die Familie gelebt. Sie hat von allem etwas mitbekommen, und das steht ihr reizend. Das kann man der Grünäugigen nicht nachsagen. Das ist korrektes, fast hartes Deutsch, nicht der Schatten eines Dialektes. Sie war immer der Diamant, an dem sich andre Kiesel schliffen.
Und dann kommt die blonde Ethel mit der Hauptnenigkeit. „Raten Sie mal, Herr Graf, wen ich gesehen habe?" Sie sieht mich schelmisch an, und die blauen Augen leuchten. Ich rate auf den Kaiser, einen exotischen Bonzen, der zurzeit in Berlin ist — auf den Grafen Serner, zuletzt auf meine Tante. Selbstverständlich immer das Geistreichste! Aber sie, mitleidig, erbarmt sich meiner Schwäche. „Falsch, falsch, wieder falsch — ganz falsch! Den Lieutenant habe ich gesehen, den Herrn von Jaro- mir, bei der Siegesallee; er fuhr die Charlottenburger Chaussee in der Pferdebahn herauf. Er sah mich nicht. Ich wollte tthm schon mit dem Sonnenschirm winken. Aber das wäre doch etwas dreist gewesen. Ich ging nur schneller und rief auch: .Herr von Jaromir!' Er hörte mich nicht. — Ersah lange nicht mehr so elegant aus wie in Ragaz. Sehen Sie ihn noch manchmal, Herr Graf? . . . Sie schämen sich seiner wohl etwas? Das wäre aber gar nicht nett! Sie gehören auch nicht zu einander. Glauben Sie, daß er auch immer zehn Mark Trinkgeld giebt, wie ein gewisser Jemand? Ich glaube, höchstens eine Mark oder fünfzig Pfennig..."
Darauf natürlich die Gouvernante: „Ethel, dir muß noch der Mund verboten werden. Was soll der Graf denken? Du bist ein solches Kind!"