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Melier <Land und Meer.
als die Verkörperung des militärischen Dogmas erschien, als er mit der Faust ans die Barre ansschlng und ansrief: „Ans mein Soldatenwort, Dreysns ist schuldig!" Etwas von dem Wesen des Fanatikers hatte mit seinem Mönchsgesicht auch Oberst Pa ty du El am an sich, wenn es sich bei ihm auch anders äußerte, als er sich, das Monocle ins Auge geklemmt, in: Paradeschritt mit dnrch- gedrückten Knieen wie auf dem Exerzierplätze ans die Barre zu bewegte, darin die Hand in weitem Schwange durch die Luft warf, sie salutierend an den Kopf legte, dann militärisch linksnm machte, ebenso vor den Geschworenen salutierte, wieder rechtsum machte und dann in Bewegungslosigkeit verfiel, als sei in seinem Innern ein Uhrwerk znm Stillstand gekommen. General Henry, der Hanptgegner des Obersten Picquart, steht auch äußerlich in größtem Gegensätze zu demselben. Vierschrötig, mit derbem, rotem Gesicht, ans dem listige Bauernäuglein funkeln, macht ergänz den Eindruck des Soldaten, der von der Pike ans gedient, wozu auch das Brutale seines Wesens und der so bezeichnende Biedermannston seiner Rede stimmen. Die Persönlichkeit des gegenwärtigen Kriegsministers, des Generals Billot, griff in die Schwnrgerichtsverhandlnngen nur unsichtbar und gleichsam ans der Ferne ein. In dieser Hinsicht beeinflußte sie den Prozeß in ähnlicher Weise wie die des einsamen Mannes auf der Teufelsinsel. Nicht der Verurteilte, wohl aber der eigentlich Schnldiggesprochene war bei dem Schlüsse der Verhandlungen der Major Esterhazy.
Weltreisen junger Hanseaten.
er Direktor der Kunsthalle in Hamburg, Or. Alfred Lichtwark, schreibt in einer Studie über die Art und das Wesen des hambnrgischen Großkanfmanns: „Die Sitte, hinauszugehen, besteht nicht nur für die weniger bemittelte Klasse, die ihren Weg erst machen will, sondern sie ist ebenso verbindlich für die Söhne der wohlhabenden und reichen Familien. Und man geht nicht nur auf eine kurze Orientiernngs- fahrt über den Ozean, sondern meist auf Jahre. Das Lebensalter von 20—30 Jahren ist unter den Herren in einer Hamburger Gesellschaft selten zu treffen. In vielen großen Häusern pflegt feit Generationen einer der Söhne durch ein Jahrzehnt die Filiale an einem überseeischen Handelsplatz zu leiten. Der Hamburger Kanfmnnnsstand verdankt dieser Gewohnheit feine innige Vertrautheit mit den Bedürfnissen und Zuständen aller überseeischen Länder der Welt. Daß oft endlose Entbehrungen und sehr große Gefahren für Leib und Leben damit verknüpft sind, darf nicht übersehen werden. In allen Familien sind Opfer zu zahlen, die das mörderische Tropenklima gefordert hat, und wer zurückkehrt, hat oft jahrelang mit den Leiden zu kämpfen, denen unsre Konstitution in der heißen Zone ausgesetzt ist. Auf diesem Schlachtfelde sind im letzten Jahrhundert zahllose Pioniere Deutschlands aus Hamburger Fanlilien gefallen, und daß der kleine Freistaat an der Elbe den Handelsmächten des Auslandes gegenüber aus eigner Kraft sich hat behaupten können, das dankt er nicht in letzter Reihe dieser sang- und klanglos dahingesunkenen Schar."
vr. Lichtwark hat mit dieser Charakteristik durchaus recht. Ohne alles Aussehen kehren die jungen Pioniere früher oder später zurück; ihre Erlebnisse in überseeischen Weltteilen werden kaum weiter als in Freundeskreisen und in der nächsten Familie bekannt. Hin und wieder liest man in Tagesblättern die Anzeige vom Tode eines jungen Hanseaten, der an einem überseeischen Platze den klimatischen Verhältnissen erlegen ist, aber bisher war es nicht nur der weiten, sondern auch der engen Heimat vorenthalten, allgemeine Kenntnisse von dem Leben und Schaffen ihrer jungen kaufmännischen Vorarbeiter an transatlantischen Plätzen zu besitzen.
Um so anerkennenswerter ist es, wenn die beiden Brüder Oswald und Egon Knn Hardt durch die Herausgabe ihrer „Wanderjahre" (Berlin, Dietrich Reimer) recht umfassende Aufklärung nach allen Richtungen geben, welche Erfahrungen unfre Jugend draußen sammelt, und wie sie sich die neu erworbenen Kenntnisse vorteilhaft zu eigen zu machen weiß.
Selten dürfte zwei Brüdern in jungen Jahren Gelegenheit geboten sein, in der Weise auf unsrer Erde Umschau zu halten, wie den beiden Knnhardt. Des Vaters ausgedehnte kaufmännische Beziehungen nach allen Weltteilen gaben hierzu den Beweggrund. Während dem älteren Bruder vornehmlich die südliche Halbkugel für seine Reisen und Studien angewiesen wurde, waren dem um zwei Jahre jüngeren Egon Nordamerika und Asien Vorbehalten. Beide stattlichen Bände der „Wanderjahre", die übrigens unabhängig voneinander gelesen werden können, bieten nach allen Richtungen klare Einblicke in die nord-, mittel- und südamerikanischen Republiken, in die einzelnen Inselgruppen im Großen Ozean, in Australien, Neuseeland, Südafrika, Japan, China, Korea, Sibirien und in das ganze englische, französische, spanische, portugiesische, niederländische, sowie in das noch unabhängige Indien.
Und wie wissen beide Brüder zu erzählen! In beiden Bänden finden wir dieselbe — hinsichtlich der großen
Jugend der Verfasser erstaunliche — Reife der Anschauungen, die nämliche Klugheit im Hervorkehren des Wesentlichen, die gleiche jugendliche Frische, unter Ausschluß aller trockenen Gelehrsamkeit. Neide Brüder zeigen einen frischen Humor
Ruhe des Stils, di«/ eine außergewöhnliche schriftstellerische Fähigkeit bezeugt. Auch Egon Knnhardt hat, wie Oswald, alle überflüssigen Fremdwörter sorgsam zu vermeiden verstanden. Die ersten „Wanderjahre" waren kaum sechs Monate nach ihrem Erscheinen soweit vergriffen, daß mit einer zweiten Auflage begonnen werden mußte, obgleich die erste Ausgabe, der kostbaren Ausstattung halber, auf zweitausend Exemplare bemessen wurde. Das kürzlich erschienene zweite Buch dars sich eines gleichen ungewöhnlichen Erfolges rühmen.
Auch im Bilde bieten die beiden Werke Außerordentliches; jedes enthält ungefähr 250 klar und sauber ansgeführte Illustrationen. Die nach Photographien angefertigten Abbildungen verraten durch ihre Auswahl einen vornehmen Geschmack. Unter ungezählten Volkstypen, Ansichten von Landschaften und Städten bringen die „Wanderjahre" Abbildungen von Valparaiso, Wladiwostok, Kapstadt, Nagasaki, Benares, Shanghai, Johannesburg und andre mehr. Ferner Photographien von den Niagarasällen, der Geiser auf Neuseeland, der ältesten und stärksten Bäume der Welt in Mexiko und Kalifornien, der Diamantgruben in Kimberley, Australischer Farnenwälder und kochender Schlammkrater, des Posemilethals, von Himalajalandschaften, von den Pyramiden — kurz, einen großen Teil von dem, was für Gebildete in Deutschland in den vier fremden Welt-
Guba, der KelB.
Von
A. Schneegans.
(^^7n Friedenszeiten war Casus Calpnrnicns feines Zeichens ein gewöhnlicher Korbflechter in der Siebenhügelstadt, wie es fein seliger > Vater schon gewesen war; in Kriegszeiten erblühte ihm dagegen eitle ganz besondere Ehre, und als Erster feines plebejischen Stammes durste er sich in dieser Hinsicht stolz in die Brust Wersen; da er ^ nämlich über eine recht ansehnliche Lungengewalt gebot und in seiner Kindheit schon das Posaunen- blafen gründlich erlernt hatte, so wurde er, dank > der Gönnerschaft seines Vormundes und väterlichen > Freundes, des Volkstribunen Fnrius Gallus, zum ^ ständigen Leibtubabläser der in den Krieg ziehenden Konsuln ernannt. So kam es auch, daß Casus
Calpurmcus in ganz Rom nur noch unter dem Namen Casus Tuba bekannt war.
Kein andrer verstand aber auch das Tubablasen besser als er, und wenn er abends vor seinein Hause stand und seine Probefanfaren zu den Sieben Hügeln hinaufposaunte, da versammelte sich alt und jung, um ihm zuzuhören und ihn zu bewundern. Eine ganz besondere Fertigkeit besaß er im Viktoriablasen; : das schmetterte dann über alle Hügel und Berge, ^ daß eS wohl dem Feiude drüben angst und bang werden mochte. — „So blies ich damals gegen die Samnier!" Pflegte er selbstbewußt beizufügeu, indem er die Tuba umkehrte und säuberlich auspnstete, „so blies ich Viktoria gegen die Volsker!"
Seine alte Mutter, die sich des Abends im Hause zu schaffen machte, mußte wohl auch in das Lob einstimmen, das dem Viktoriabläser von allen Seiten zu teil wurde; sie schüttelte aber dabei ganz bedenklich mit dem Kopfe, als hätte sie ihre eignen Gedanken. Nur durste sie diese nicht mehr laut aussprechen; deun einmal hatte sie's gethan, und das war ihr recht übel bekommen. — „Nun ja!" hatte die Alte einmal über ihre zahnlosen Lippen hin- gebrnmmt, „Viktoria, Viktoria! wenn's nur nicht einmal schief geht!"
Da kam sie aber bei Fnrius Gallus, dem Volkstribun, schön an.
„Was? Schief gehen? Entartetes Nömerweib!" hatte der wilde Held ausgerufeu; „weißt du denn nicht, daß, wenn Rom in den Krieg zieht, Nom zum Siege zieht?"
Und diese Worte hatten einen so allgemeinen Beifall hervorgerufen, daß das entartete Nömerweib von da ab fein stille zu bleiben vorzog.
Als nun das römische Volk, auf des Tribuns Zureden, wieder einmal seine Grenzen ans Kosten eines Nachbars zu erweitern gedachte und vom Kapitol aus der Kriegsruf erschallte, da holte Tuba seine Posaune aus dem Schrank hervor, putzte sie,
daß sie wie eitel Gold glänzte, und trompete noch am Abend vor dem Ausmarsch seine lustigste Viktoriaweise über die Stadt.
„Die ewigen Götter mögen uns beistehen!" seufzte seine Mutter in ihrer Ecke; „heute morgen wollten sich die heiligen Hühner nicht schlachten lassen und sind sogar nach allen Windrichtungen weggeflogen.
! Das ist ein schlimmes Omen!"
, „Ist aber nicht wahr!" herrschte sie der kriegs- ^ mutige Gallus au, „und gesetzt den Fall, es wäre wahr," fügte er rasch hinzu, „so soll man's nicht ^ sagen."
. „So?" antwortete die Alte und verkroch sich
kopfschüttelnd iit ihren Winkel.
Deil Helm aus dem Haupt, das Schwert an der Seite, die lange Posaune in der Hand, so schritt am andern Morgen Casus Tuba, stolz wie ein Römer Roms, hinter dem hoch zu Roß sitzenden Konsul einher, und von weitem konnte man's ihm ansehen, wie sehr er die Ehre zu schätzen wußte, gleich hinter ^ dem Heerführer einhertvaudeln zu dürfen. In gleichein ! Schritt wie er ritt der zweite Feldherr, der edle und kluge Marcus Sempronius, ein eigenartig stiller Manu, vor dem alles, eben wegen seines eigentümlichen Wesens, eine hohe Achtung zwar, aber auch eine Art von scheuer Furcht empfand. Marcus Sempronius sprach nämlich recht wenig ! für einen Römer; wenn er aber sprach, so geschah es in einer so seltsamen Weise, daß man niemals wußte, ob seine Worte ernst gMein seien, oder ob sich hinter dieser ernsthaften Maske nicht der grimmigste Spott verberge.
„Deine Trompete ist hübsch blank," hatte er beim Ausmarsch zum Posaunenblüser gesagt; „hoffentlich hast du aber auch dein Schwert gewetzt?" und hatte dabei zum Korbflechter heruntergelächelt, als wolle er sagen: zum Dreinhanen scheinst du mir überhaupt weniger geeignet als znm Drein- blaseu.
An einer Straßenecke, wo der Weg zum Thore hinbog, mußte der Zug still halten. Da hatten sich einige gewichtige Plebejer unter Anführung des Fnrius Gallus aufgestellt, und da sollte zum letztenmal dem Feldherrn eingeschärft werden, daß, wie Gallus es haben wollte, Krieg gleichbedeutend sein müsse mit Sieg. Er hatte noch am Tage vorher auf dem Forum in dröhnenden Worten den Krieg gepredigt und alle waffenfähigen Römer aufgefordert, zum Schwert zu greifen und auszuziehen zum ewigen Ruhme Roms. Ihm selber, dem armen Wüterich, war es leider nicht befchieden, wie er es doch so sehnlich wünschte, an diesem Kriegs- und Siegeszuge teilzunehmen, denn gerade gestern abend, als alles mit Schwertwetzen beschäftigt war, hatte ihn wieder sein leidiges Zipperlein ergriffen, und nun mußte er mit verbundenem Fuße auf einem eselbespannten Karren angefahren kommen, um den streitbaren Helden noch Lebewohl zu sagen und dem befehligenden ersten Konsul, sowie dem edeln Sempronius und allen Herren Patriziern noch recht ernstlich zu Gemüte zu führen, daß sie und sie allein die Verantwortlichkeit für das Kommende trügen; alle diese römischen Männer und Jünglinge seien Helden, die nur eins wünschten, als lorbeerbekräuzte Sieger wiederzukehren; von dem Feldherrn allein aber hänge das Leben und das Siegen dieser Helden ab.
Der Konsul und Sempronius hörten, ohne eine Miene zu verziehen, die mutige Rede an, obgleich sie ihnen wohl recht unnütz dünken mochte.
„Brav gesprochen, o Fnrius Gallus!" sprach Sempronius, als der andre endlich schwieg; „da du nun fertig bist, so steige aus deinem Karren heraus und trete in das Heer ein! Für einen Alaun wie du ist immer noch ein Platz leer!"
Da gebürdete sich aller der arme Fnrius Gallus wie ein Wahnsinniger auf seinem Karren, und ein urplötzliches stechendes Zwicken in der großen Zehe ließ ihn hell aufschreien in erbärmlichem Wehe.
„Er kann ja nicht," flüsterte mitleidsvoll Tuba dem Feldherrn Zu, „du siehst ja, er hat das Zipperlein!"
Sempronius zog bei diesen Worten die Augenbrauen wie verwundert in die Höhe und antwortete dann in seinem seltsamen Ton:
„O wie schade, beim ewigen Jupiter! Du armer, kriegstrnnkener Helde du! Ja, bei allen unsterblichen Göttern, dann mußt du eben zu Hause bleiben und das Schädelspalten oder Gespaltetwerden den andern