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Ueber Land und Weer.
überlassen. Ja! ja! Das Zipperlein ist zuweilen eine recht bedenkliche Krankheit, o edler Fnrius Gallus! Pflege dich sein und rühre dich ja nicht von deinem Karren!"
Sprach's und trieb sein Noß an, dem Konsul und den Liktoren nach: und weiter ging's in die offene Ebene hinaus, und lustig posaunte Tuba, auf des Konsuls Befehl, den andern Posaunenbläsern die frische, fröhliche Kriegshymne Zu.
So zog man den Bergen zu, wo man den Feind wohl treffen und wo die Viktoria sich wieder einmal auf die römischen Adler niederlassen würde.
Recht bald und viel rascher, als man es geglaubt hatte, kam es zum Schlagen. Am dritten Tage schon konnte man des Feindes Lager auf den gegenüberliegenden Hügeln erblicken.
„Hm!" meinte Sempronins, „es sind recht viele Leute dort; wetze nur noch einmal dein Schwert, Tuba, mein Freund!"
Am andern Morgen schon ging's los; dem guten Tuba wäre es beinahe bange geworden, als er nun mitanhören mußte, wie der Konsul und Sempronins die Lage besprachen, und als er ihr recht bedenkliches Mienenspiel bemerkte. Von allen Seiten blinkten Waffen auf den Bergen, und das römische Heer schien wie eingeschlossen zwischen zwei mächtigen, nach rechts und links ausgreifenden Fangarmen.
Noch viel schlimmer aber, als er sich's gedacht hatte, gestalteten sich plötzlich die Dinge, denn mit einem Male sah Tuba, wie aus einer versteckten Thalspalte eine gewaltige Rotte feindlicher Reiter mit weithin schallendem Siegesgeschrei in die Flanke der Römer einbrach.
Und nun, was geschah? War dies überhaupt denkbar? Die braven Römer, die wackeren Helden, die hielten ja dem Angriff keinen Augenblick stand, sondern lösten sich in wilder Flucht auf und stürmten nun mit lautem Wehegeschrei den Hügel hinan, wo die Feldherren standen.
„Bein: Jupiter!" rief Sempronins, „die Memmen fliehen!"
Und vom Pferde springend, zog er sein Schwert und stürzte den Fliehenden mit dem Rufe entgegen:
„Zurück, ihr Memmen! Feiglinge! Gesindel! Zurück gegen den Feind!"
Dem armen Tuba schlotterten die Kniee bei diesem Anblick. Es schien ihm — nein, er täuschte sich nicht! — als widersetzten sie sich ihrem Feldherrn; ihn mit dem Schwert bedrohend, zerrten sie ihn zurück .. . Mit offenen; Munde und zitternden Händen schaute Tuba ans das schaurige Gewühl der fliehenden Römer und der gleich hinterdrein brausenden feindlichen Reiter.
Da ertönte zu ihm des Konsuls Befehl:
„Tuba! Die Posaune an! Rückzug und Sammlung geblasen, so stark du kannst!"
Rückzug? . . . Sammlung? . . . Zwei Schritte von ihm zerrten sie ja den edeln Sempronins Zurück! ... Ta war ja nur noch die Flucht und ein eiliges Davonlaufen das einzige Heil!
Mit einem Ruck lag die Posaune im Gras; mit einem Sprunge saß Tuba auf des Sempronins verlassenem Noß; mit beiden Knieen und Schenkeln bearbeitete der von panischem Schrecken erfaßte Korbflechter die Lenden des Pferdes.
„Flieht! flieht!" schrie es gellend aus seiner gewaltigen Lunge, und bäumend erhob sich das Noß; des edeln Sempronins Noß war aber ein ehrliches Nömerpferd, das vom Fliehen augenscheinlich weniger verstand als sein jetziger Reiter, denn als Tuba ihm den Kopf auf die Fluchtseite zu drehen versuchte, da wieherte es plötzlich hell aus, daß es wie ein verzweifeltes Lachen in Tubas Ohr gellte, und den Kopf zur Erde gebeugt, setzte es mit wildem Laufe gerade dem Feinde entgegen.
„Halt! halt!" schrie Tuba, der sich an der flatternden Mähne sesthielt; das Roß aber hörte und gehorchte nicht, und schon konnte er die feindlichen Reiter nur noch ein paar Schritte weit vor sich erblicken! Was blieb ihm übrig? Mit raschem Satze und ohne sich weiter zu bedenken, sprang der brave Tuba vom Pferde herunter.
„Laufe, so lange du laufen magst! Auf die andre Seite laufe ich!^
Den Gedanken konnte er aber nur zur Hälfte fertig denken, denn dem rasch zur Erde Hinabgleitenden versetzte das römische Roß noch zu guter
Letzt einen so wuchtigen Hufschlag auf den wackeren Nömerschädel, daß Cajus Calpurnicus Tuba blutüberströmt zusammenbrach und bewußtlos gerade da liegen blieb, wo er hingefallen war. . .
Die Schlacht war geschlagen. Der Konsul wurde mitsamt seinen Liktoren und der Leibwache, die sich tapfer wehrten, zusammengehauen. Die flüchtigen Römer liefen nach allen Seiten weg, und die Feinde zogen am selben Abend noch siegestrunken gegen die ewige Stadt.
Was war doch das für ein seltsames Summen und Singen und Klingen und Reden um ihn herum, so weit und doch so nah, und so sonderbar tief unter ihm, als der Posaunenbläser aus seinen; Todesschlummer erwachte? Es schien ihm, als liege er hoch oben wie auf einem Hügel, und drunten bewege sich eine Menge Volks herum, aus welcher halblaute Gesänge und auch Weihrauchwolken bis Zu ihn; heraufzogen. Was war aber das für ein Lager, auf den; er, auf den Rücken hingestreckt, ruhte? Hart wie hartes Holz war es, und wie seine Hände herumtasteten, da fuhren sie über schuppige Rinde, gerade als wären es frisch abgehauene Baumstämme, und auf diese;; Baumstämmen lag er, lang dahingestreckt wie ein Toter auf den; Scheiterhaufen! Tot war er ja auch gewesen, und bleischwer lag es ihm noch in allen Gliedern, aber jetzt — die allmächtigen Götter seien gelobt! —, jetzt lebte er wieder. Er wollte sich aufrichten, aber es ging noch nicht recht; da schielte er nach rechts, — und da lag seine Tuba; und da schielte er nach links, — und da lag sein Schwert; und nun schielte er nach oben, — und da hing von seiner Stirn etwas herunter, das aussah wie eine Ranke mit Blättern, — ja, beim Jupiter, wie ein Lorbeerkranz sah das Ding ans, aber wie kam er zu einem Lorbeerkranz?
Allmählich kehrte ihm das Bewußtsein und die Erinnerung an die Schlacht wieder zurück, — an die Schlacht und auch an seine . . . nun ja, was war daran zu ändern? — an seine Flucht, an seine schmähliche, feige, memmenhafte Flucht! Ja, ein Feigling war er gestern gewesen, er und alle, alle andern auch — alle, alle, nur nicht Sempronius und der Konsul und jene paar alten Krieger. . .
Wie seltsam aber war jetzt die Antwort, die von dort unten zu ihm herauftönte! Eine Stimme erhob sich salbungsvoll und langsam, als fei es ein alter Priester, der zun; Volke spreche:
„Ja, ihr wackeren Bürger! Dort oben liegt ein Held, ein römischer Krieger, der war brav bis in den Tod! Für ihn und für die andern, die mit ihm den Heldentod erlitten, ist dieser Holzstoß auf- gebant, daß ihre ruhmvolle Asche aufbewahrt werde zun; ewigen Beispiel für Kinder und Kindeskinder!"
Galten diese Worte ihm? Ihm, dem Calpurnicus Tuba? Nein, das war wohl ein Irrtum. Auf diesem Holzstoß mußte wohl, an einen; Ehrenplatz, der edle Sempronius liege;;, und ihn, den Tuba, deu Korbflechter, den Posaunenbläser hatte man nur so nebenhin dazu gelegt, weil er sich gerade unter den Toten befand! Aber der Irrtum war auf Tubas Seite, denn mit lauter Stimme rief nun der Priester über die andächtig lauschende Menge:
„Heil dir, Tuba! Du braver Held! Dein Pferd hast du gegen den anstürmenden Feind angetrieben! Den Rückzug zu blasen konntest du deiner Viktoriaposaune nicht zumuten! Mit Verachtung hast du sie ins Gras geworfen und stürmtest voran! Und ein Stein aus Feindeshand zerschmetterte dir deinen Römerschädel! Legt nun das Feuer unter dem Holzstoß an, ihr wackern Bürger, daß die himmlischen Götter die Seele des toten Helden aufnehmen neben den Helden und Halbgöttern der Vorzeit, neben Herkules, neben Nomulus, neben..."
Weiter konnte der Priester aber nicht sprechen, denn plötzlich regte sich's oben auf dem Holzstoß, und den toten Helden sah man sich mit einem Male wie unter Anstrengung aller seiner Kräfte in die Höhe richten, und mit den Armen fuchtelte der Wiedererstandene in der Luft herum, und herunter schrie er zu der vor Schrecken erstarrten Menge:
„Halt! halt! Nicht anzünden! Ich bin lebendig! Ich steige hinunter!"
Und richtig! Gerade als hätte er gestern keinen Hnfschlag ans seinen Nömerschädel erhalten, kletterte der flinke Tuba wie ein Eichhörnchen von Baum
stamm zu Baumstamm herunter bis zu der Stelle, wo inmitten einer vor freudigem Entsetzen sprachlosen Menge ein alter Priester mit aufgeriffenein Munde und ansgebreiteten Armen stand.
Auf der untersten Stufe versagten ihn; seine zitternden Hände deu Dienst, und er kollerte hinab bis zu des Priesters Füßen, und seine Zähne klapperten geradeso, als stünde er noch neben Sempronius. Wie er aber nun flehend des Priesters Kniee umfaßte, da geschah etwas unsagbar Unglaubliches.
Er sah, wie die vordersten Reihen der hinter dem Priester in; Halbkreis aufgestellten Menge sich plötzlich lösten und eine Anzahl von Menschen mit Hellem Jubelgeschrei auf ihn zueilten, — und diese Männer, mit dem blanken Helm auf dem Kopfe und dem Schwert an der Seite, er kannte sie ja! Er erkannte sie, einen nach dem andern! Das waren ja die Flüchtlinge, die gestern den Hügel heraufstürmten, die ein Wehegeschrei anstimmten, die den edeln Sempronius mit sich Zerrten! Der edle Sempronius aber hatte gerade diese da Feiglinge, Memmen und Gesindel gescholten, und gerade aus dieses Gesindels Kehlen drang ihm, dem andern Gesindelsflüchtling, jetzt der begeisterte Ruf entgegen: „Heil den; Helden Tuba! Den; von den Göttern beschützten Braven! Dein von den Toten auferweckten Braven! Heil! Dreimal Heil!"
Der arme Tuba wußte nicht, wie ihm geschah; einen nach dem andern sah er mit großen Augen an; sie schüttelten ihm die Hand; er schüttelte ihre Heldenhände wieder; sie begrüßten ihn als einen Braven, er begrüßte sie wieder als eben solche Brave, stotternd zwar und wie seiner selbst nicht bewußt; aber er fühlte sich ja noch so schwach, noch so geistesverloren, daß er all dies Heldentum über sich ergehen ließ, ohne auch nur den Versuch zu machen, sich dieser ungerechten Huldigung zu entziehen.
Nun hatten auch die andern alle die Sprache wieder gewonnen, und der Volkshaufe drängte sich, Männer, Weiber und Kinder, um ihn herum, und der alte Priester konnte auch wieder sprechen und stimmte einen Lobgesang auf die Götter an, die den toten Helden gerade in dem Augenblick wieder erweckt hatten, wo man die Fackel an den Holzstoß legen wollte. „Heil dir, römischer Held!" sang es aus hundert Kehlen dem sprachlos die Menge Anstarrenden zu.
Er mußte wohl wie ein vom Tode Erstehender aussehen, der arme Tuba, denn einer seiner Kameraden brachte ihm nun einen Becher mit frischem Wasser, und sich liebevoll über ihn beugend, sagte er: „Trinke, Tuba! Dn mußt dich erholen!"
Tuba schaute ihn au — es war einer von denjenigen, die er im letzten Augenblick gesehen hatte, gerade als Sempronius im Gewühle verschwand —, und eine Frage drängte sich unbezwingbar durch sein schweres Gewissen durch:
„Liegt der tote Sempronius auch auf dem Holzstoß?"
Finster runzelte aber der andre die Stirn:
„Wo die beiden Verräter, die uns zur Schlachtbank führten, der Konsul und Sempronius, hingekommen sind, das wissen die Götter! Uns hat jener Elende Feiglinge, Memmen und Gesindel gescholten, — der mag aus offenen; Felde verfaulen! Was kümmert's uns?"
Und ein andrer fügte ergänzend hinzu:
„Die wackeren Landsleute hier, in diesem hinter den Bergen versteckten Dorfe, haben uns, die unglücklichen Braven, gerettet und ausgenommen, nachdem die Feinde verschwunden waren; mit ihnen haben wir die heldenmütig Gefallenen aufgehoben, um die Verräter kümmern wir uns nicht!"
In des guten Tuba Kopfe dämmerte es allmählich Heller und Heller auf; so lagen also die Dinge! Die Feiglinge, die gestern vor dem Feinde nach allen Seiten ausstäubten, die waren die eigentlichen Braven! Und der Bravste von allen sollte er, Tuba, der Viktoriabläser sein, der die Posaune ins Gras geworfen haben sollte, nur um sich nicht mit Rückzugblasen zu beschimpfen, und der sich auf des Sempronius Roß geschwungen haben sollte, nur uni den; Feinde entgegenzusprengen, und der von eines Feindes Stein getroffen worden sein sollte, — nicht aber von des wackeren Römerpferdes Hufe! Und ihm wurde jetzt deswegen ein Lorbeerkranz auf die heldenhafte Stirn geheftet!