Weber Land und Weer.
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gelangen wird. Sehr bezeichnend und nicht zu Gunsten Professor Marucchis sprechend ist es, daß die Inschriften, soweit sie eine einwandssreie Lesung gestatten, zu großem Teil derb-erotischen Inhalts sind. So verwünscht in einem Distichon, das mit den Worten „HumWS Eum" beginnt, der Schreiber in einer hier nicht gut wiederzugebenden Weise denjenigen, der ihm seine Geliebte abspenstig machen will, daß ihn in einer wilden Berggegend ein Bär zerfleischen möge. Ein andres Distichon lautet:
zu deutsch etwa: „Keine Ruhe, kein Schlaf schließt die Augen, Nacht für Nacht brenne nur die Liebe." Es folgt eine einzelne Zeile, die völlig nndeutbar ist; sie lautet:
Zu oberst an der Wand findet sich ein Name, den Professor Marucchi Ovestus, Professor Gatti dagegen Or6seen8 liest. Darunter stehen zwei Zeilen, wohl die bestrittensten von allen, die man bisher einem Deutungs- versnch unterworfen hat. Professor Marucchi will ihnen folgenden, durch keine Verseinteilung unterbrochenen Zusammenhang geben:
was er übersetzt: „Christus, mit Ruten gegeißelt, zum Tode verurteilt, ist lebend an einen Pfahl geheftet worden." Thatsächlich lauten indes die beiden Zeilen, soweit sie entzifferbar sind:
Ein Sinn ist denselben nicht zu entnehmen. Professor Gatti hat nicht unrecht, wenn er den Herstelluugsversuch Professor Marucchis gewagt und phantastisch nennt.
Das Gekritzel dehnt sich fast über die ganze Wand aus. Auch die Seitenwnnd ist zum großen Teile mit Inschriften bedeckt, und es kehrt unter denselben mehrfach der Name Erestus oder OrsseenZ wieder mit dem darunter gesetzten obscöuen, mit den Worten „tzuisgus ineam" beginnenden Distichon.
Alan sieht, die Sache ist nichts weniger als klar, und es scheint einstweilen gar manches gegen die Deutung zu sprechen, die Professor Marucchi sowohl der bildlichen Darstellung wie den Inschriften geben will. Der erwähnte italienische Gelehrte, der sich seit langer Zeit mit dem römischen Jnschristenwesen befaßt und auf diesem Gebiete mehr als einen Erfolg zu verzeichnen hat, bereitet ein ausführliches Werk über seine Entdeckung vor, und dieses ist jedenfalls abzuwarten, bevor sich ein Urteil über die Stichhaltigkeit der von ihm ins Tressen geführten Gründe abgeben läßt. Einstweilen haben wir geglaubt, unfern Lesern einen Dienst zu erweisen, indem wir sie mit dem tatsächlichen Material des hochinteressanten Streitfalles, soweit es sich einstweilen beschaffen ließ, bekannt machten. L. H.
Airs ilttttmrkW kullmWorW und MstMMMsenm um Mimcmii in Wz.
(Siehe die Abbildungen Seite 368.)
Hiltls sich im Laufe des letzten Jahrzehntes eine zeitgemäße -VD Um- und Ausgestaltung des Grazer Joanneums, dieser ehrwürdigen Schöpfung des unvergessenen Wohlthäters der Steiermark, Erzherzogs Johann, als notwendig erwies und zur Durchführung gelangte, war wohl die Errichtung eines neuen kulturhistorischen und Kunstgewerbemuseums das wichtigste Ergebnis dieser durchgreifenden Maßregel. In der Neuthorgasse, gegenüber dem alten Joanneumsgebäude, wurde ein stattlicher Neubau im Barockstile für die neugegründete Landesanstalt errichtet und, nachdem er die mittlerweile von Professor Karl Lacher, dem neu ernannten Direktor des Museums, mit ebensoviel Verständnis als Glück gesammelten Gegenstände in zweckentsprechender Anordnung ausgenommen hatte, im Juni 1895 in Gegenwart des Kaisers Franz Joseph feierlich der Oeffentlichkeit übergeben. Seither haben schon viele Tausende die hier allgehäuften Schätze bewundert und die Erkenntnis in weiteste Kreise getragen, daß das neue Museum für Graz und ganz Steiermark eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges bedeute. Zahlreiche hervorragende Fachleute des In- und Auslandes haben ebenfalls über das Museum die günstigsten Urteile gefällt und sowohl den zur Schau gestellteil Gegenständen als auch namentlich ihrer vorzüglichen Ausstellung uneingeschränkte Anerkennung gespendet.
Diese Aufstellung, die ein Verdienst Direktor Lachers ist, vereinigt in äußerst glücklicher, durchaus origineller Weise die ethnographische Seite mit der systematischen und ermöglicht , es, einerseits dem Beschauer ein ebenso anziehendes als lebensvolles Bild von dem Wohnen, dem häuslichen Leben und Schaffen der Bewohner von Steiermark in den verschiedenen Gesellschaftsschichten vom Ausgange des Mittelalters bis auf unsre Tage zn bieten und daneben andrerseits kunstgewerbliche Muster- und Vorbildersammlungen zur Anschauung zu bringen.
Eine Reihe vollständiger Wohnräume, von dem adligen Prunksaale, Wem bürgerlichen Zimmer, der Wirts- und Bauernstube des sechzehnten Jahrhunderts an bis herauf
zum Empirezimmer iin Aufange dieses Jahrhunderts, kann der Besucher durchwandern und sein Auge an ihrer vollständigeil Einrichtung erfreuen. Ofen, Tisch, Geschirr, kurz aller Hausrat ist darin so ausgestellt, wie es der Zeit und Herkunft entspricht. Mit Recht bilden diese altsteirischen Wohnräume den größten Anziehungspunkt des Museums — kann sich doch keine andre Schausammluug in deutschen Landen, weder im Reiche noch in Oesterreich rühmen, etwas Aehnliches zu besitzen. Wenn der Besucher diese trauten, stimmungsvollen Wohnräume durchwandelt, mag er sich im Geiste in die Jahrzehnte vor dem unseligen Dreißigjährigen Kriege versetzt fühlen, also in jene Zeit, in der das deutsche Bürgertunl und mit ihm das deutsche Kunstgewerbe ihre schönste Blüte entfaltet haben. Jene Einrichtungsgegenstände, die iil den Wohnräumen nicht untergebracht werden konnten oder ihrer Art nach nicht hineingehören, wurden, nach Her- stelluugsstoff und Gebrauchszweck geordnet, in eignen Gruppen vereinigt.
In den drei Stockwerken des Museumsgebäudes sind die vollständig eingerichteten Wohnräume und die Gruppen einzelner Gegenstände in der Art verteilt, daß im Erdgeschoß der vornehme, im ersten Stock der bürgerliche und im zweiten Stock der bäuerliche Besitz vorherrschen.
Im Erdgeschoß fesselt das Ange des Beschauers vor allem der große, aus dem Schlosse Radmannsdorf bei Weiz herrührende Prunksaal, eines der hervorragendsten Schaustücke des Museums. Es ist schwer, sich eiuen Raum zu vergegenwärtigen, der reiche, geschmackvolle Vornehmheit mit wohnlichem Behagen in so harmonischer Weise verbindet, als dieser prächtige Saal, dessen innere Ausstattung, ill den Jahren 1563 und 1564 gearbeitet, durchaus das Wesen der deutschen Renaissance zeigt. Eine reichgegliederte Kassettendecke, zwei bis zur Decke reichende, mit reichem Jntarsienschmucke gezierte Portale, denen sich ein Wasch- kasten und zwei Wandschränke anreihen, bilden den gesamten Holzschmuck des geräumigen, mit einem traulichen Erker versehenen Saales. Die Wand unterhalb des Frieses ist mit einem brokatartigen Stoffe behängt und oberhalb desselben mit Wandmalereien geziert, die genau nach der ursprünglichen Radmannsdorfer Bemalung ausgeführt sind und, von reichem Ornament umgeben, die Porträtköpfe der Kaiser Albrecht II., Friedrich III., Maximilian I. und Karl V. sowie das Radmannsdorfer Wappen zeigen.
An den Prunksaal reiht sich eine Halle mit größeren, kulturgeschichtlich bemerkenswerten Gegenständen, unter denen der erste Platz entschieden dem Wagen Kaiser Friedrichs III. gebührt, einem hervorragenden Werke der Wagenbaukunst des fünfzehnten Jahrhunderts, das, im gotischen Stile ausgeführt, mit architektonischen Motiven, dem Reichsadler und zahlreichen Wappen geschmückt ist. Auch des Kaisers Wahlspruch, ,L. L. I. 0. II." (^.uslriao 68t iinxwrarc) omni univerZo, Oesterreich geziemt es, dem Weltall zu gebieten), fehlt nicht.
Sonst enthält das Erdgeschoß noch die Grnppen für Rechtspflege, Jagd, geschichtliche Bildnisse und dergleichen inehr, die steirischen Thonöfen und eine Mustersammlung von Ofenkacheln.
Von den vier im ersten Stückwerke befindlichen vollständigen Wohnräumen, zwei Renaissancestuben, einem Rokoko- und einem Empirezimmer, gebührt den beiden zuerst erwähnten die Palme. Tie eine von ihnen, die sogenannte Bürgerstube, bildete ursprünglich die Zierde des bei Neumarkt gelegenen Wohnhauses der Eheleute Matthäus und Katharina Latacher, auf deren Veranlassung sie 1607 angefertigt wurde. Sie besitzt eine vollständige Holzvertäfelung und eine Balkendecke und enthält an zwei Seiten je zwei Fenster mit schmiedeeisernen Gittern und Butzenscheiben, mehrere Wandküstchen und Schränkchen, sowie eine umlausende Bank mit gedrechselten Füßen. Den Hauptschmuck bilden au den beiden fensterlosen Wänden zwei architektonisch gegliederte Portale, deren Friese mit Sprüchen und den Namen der Besitzer geziert sind.
Mit dem Latacherschen Zimmer durch eine Thür verbunden ist die altsteirische Wirtsstube vom Jahre 1577. Sie stammt aus den: Einkehrwirtshause zu Mösna im Großsälkthale und hat bis zu ihrer Erwerbung im Jahre 1885 durch Direktor Lacher ihrem ursprünglichen Zwecke als Wirtsstube gedient, zuletzt allerdings nur bei besonders festlichen Anlässen. So wurden namentlich Hochzeiten in ihr gefeiert, weshalb sie auch die Hochzeitsstube genannt wurde. Sie enthält eine vollständige Wandvertäfelung aus Zirbenholz mit Einlagen von Nuß-, Eichen- und Ahornholz, eine Balkendecke mit kräftigem Durchzug und zwei reichgegliederte Portale. Neben einem derselben befindet sich ein Waschkästchen mit Handtuchrolle und an der gegenüberliegenden Wand ein Schränkchen. Die Fenster sind sogenannte Schubfenster, mit schmiedeeisernen Gittern und Butzenscheiben versehen.
Zu diesen vollständigen Wohnräumen des bürgerlichen Besitzes gesellen sich im ersten Stockwerk einzelne Teile aus solchen Wohnräumen, Zunft- und Herbergszeichen, Maße und Gewichte, Bronze- und Zinnarbeiten, die Abteilung für kirchliche Kunst, die Mustersammlung für die Holzindustrie und die besonders prächtige Eisensammlung, die in ihrer Fülle und Mannigfaltigkeit ebenso eine Besonderheit des Museums bildet wie die altsteirischen Wohnstuben. Die zahlreichen kunstreichen, für die verschiedensten Zwecke bestimmten Werke, die in der Eisensammluug aufgespeichert
sind, lassen den Beschauer erkennen, daß die Steiermark nicht nur ihrem Erzreichtum, sondern auch der hohen Kunstfertigkeit ihrer Bewohner in der Bearbeitung des heimischen Erzes den stolzen Namen der eisernen Mark verdankt. Welche Mannigfaltigkeit der Verwendung, welche Fülle urwüchsiger Kraft, aber auch welcher Formenreichtum, welche zierliche Anmut sind hier zu finden! Alles ist mit einer solchen Liebe und Sorgfalt gearbeitet, als hätten die alten wackeren Meister in das tote Metall ein Stück ihres eignen Wesens legen wollen.
Ein architektonisch und künstlerisch schön ausgestatteter Kuppelsaal bildet gewissermaßen die Schatzkammer des Hauses und enthält eine Reihe wertvoller Gegenstände aus Bronze, Elfenbein und Edelmetall, darunter das Kleinod des Museums, den berühmten Landschadenbund-Becher, den schönsten Becher der deutschen Renaissance. Er ist aus Silber, schwer vergoldet, erreicht samt Teckel die Höhe von einem Meter und fünf Centimeter und besitzt ein Gewicht von zwölfeinhalb Kilogramm. In reicher getriebener Arbeit, umgeben von Karyatiden, zieren eine Reihe biblischer Darstellungen das herrliche Gefäß. Wie dasselbe — es ist in Augsburg geschaffen worden — in den Besitz des Landes Steiermark, wie es zu dem Namen „Landschadenbund-Becher" gekommen ist, wer weiß es? Mau vermutet, daß Erzherzog Ferdinand den Becher 1602 den Ständen zum Geschenk gemacht hat. In den letzten Jahrzehnten trat wiederholt die Versuchung an die Landes- verwaltuug heran, dieses Meisterwerk altdeutscher Gold- schmiedekuust gegen eiuen Kaufpreis von mehreren hunderttausend Gulden zu veräußern. Mit Recht sind jedoch alle derartigen Anerbietungen abgelehut worden.
Auch das zweite Stockwerk, das vorwiegend dem bäuerlichen Besitze gewidmet ist, birgt noch zwei vollständige Neuaissancestuben. Die eine, aus Schönberg bei Oberwölz stammend, enthält eine vollständige Vertäfelung aus Zirbenholz, mit Einlagen von Eichenholz. Das Portal ist reich gegliedert, die Thür mit eingelegter Arbeit und sehr reichen Eiseubeschlägeu geziert, die noch gotische Auklänge zeigen. Im Jahre 1568 entstanden, ist diese Stube die älteste im Besitze des Museums. Wie sie durch ihr Alter, so zeichnet sich die ihr benachbarte letzte durch besondere Originalität aus. Denn während alle übrigen — mit Ausnahme des Prunksaales — vollständig mit Holz verkleidet sind, zeigt diese, aus dem sogenannten Buchhause im Geisthal herrührende Stube nur zwei Wände teilweise bis zur Holzdecke getäfelt, während bei den übrigen Wänden der Holzschmuck sich auf die Bank, den Fries und die Fensterbekleidung beschränkt. Die nicht mit Holz verkleideten Flächen sind mit gemalten Festons und einem Kreuzigungsbild geziert, die genau nach der ursprünglichen Bemalung hergestellt sind. An das mit Doppelpilastern und der Jahreszahl 1596 gezierte Portal reihen sich eine Truhe mit Schränkchen und Waschkasten, sowie ein Kasten, der mit zahlreichen Fächern zur Aufbewahrung von Schriftstücken ausgestattet ist. Die Fenster sind mit Butzenscheiben versehen. Infolge dieser von der gewöhnlichen Schablone abweichenden originellen Anordnung gewährt diese Stube eiuen überaus malerischen Anblick.
Sonst findet man im zweiten Stocke noch Teile von Wohnräumen und zahlreiche Gegenstände aus bäuerlichem Besitze, Trachten, Bildnisse, ländliche Musikinstrumente, sowie die Mustersammlungen für Thon- und Glasindustrie, Bucheinbände, Webereien, Stickereien und andres mehr.
Während in der Abteilung der vollständigen Wohnräume ausschließlich steirische Arbeiten oder Gegenstände aus steirischem Besitze ausgenommen wurden, sind in den Fachabteilungen, die als Muster- und Vorbildersammlungen zu dienen haben, auch die hervorragendsten fremden Betriebsstätten des Kunstgewerbes vertreten. Doch sind anch hier die steirischen Arbeiten vorherrschend und fremde nur insoweit einverleibt, als sie zur Ergänzung notwendig waren.
Auf diese Art sind die reichen Bestünde des Museums ganz besonders geeignet, den heimischen Beschauer nicht nur zu eignen Leistungen auf dem Gebiete kunstgewerblichen Schaffens anzueifern, sondern auch ihm ein treues Bild von dem Thun und Treiben seiner deutschen Vorfahren zu bieten und ihn mit vaterländischem und nationalem Stolze zu erfüllen — ein Umstand, der gerade hier, in dem südöstlichsten Gebiete der deutschen Zunge, in unmittelbarer Nähe der magyarischen und slavischen Sprachgrenze, nicht hoch genug angeschlagen werden kann. Für den fremden Besucher aber sind namentlich der Pruuksaak, die altsteiri- schen Stuben und verschiedene einzelne Prachtstücke Sehenswürdigkeiten, die auch im Wettbewerbe mit andern großstädtischen Sammlungen in Ehren bestehen können, so daß das neue Museum in der kurzen Zeit seines Bestehens bereits mit Recht ein nicht unwesentlicher Anziehungspunkt der schönen steiermärkischen Landeshauptstadt geworden ist.
Karl W. Gawalowski.
Spruch.
Legt auf den Jugendübermut Das Leben auch den Thränenflor,
Klagt nicht, daß es ihm wehe thut!
Er bricht zu rechter Zeit hervor,
Gereift, als lächelnder Humor.
A. Stier.