Heft 
(1898) 23
Seite
375
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M 23

Weber Land und Meer.

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Sagen vonr Kaukasus.

chregor Aadian.

I.

Das Zanberhemd.

In lieblicher Schöne war Aßly, des armenischen Priesters Damit Mayha Töchterlein, zur Jungfrau erblüht. Schlank war ihr Wuchs wie der Stamm einer jungen Pinie. Ihre Augen wetteiferten an Glanz und seelenvoller Tiefe mit dem Wasser des Beckens, in welches der Bergstrom, schäumend und brausend und glitzernde Perlen emporsprühend, sich er­goß. Dem Blütenblatt einer halb erschlossenen Rose glichen ihre Wangen, und den Rubinenmund umspielte ein traum­verlorenes Lächeln des Glückes.

So sah sie Kyaram, der junge Tatarenfürst, und sein Herz entbrannte in heißer Liebesglut zu der schönen Aßly. Tagelang lag er im Hinterhalt, den Eingang des Hauses, in welchem sie weilte, zu bewachen, und folgte ihr, wenn sie leichten Ganges mit wehendein Schleier, gefolgt von ihrer Dienerin, den Weg in die Stadt nahm.

Und eines Tages, als Damit Mayha fern war, fand Kyaram den Weg in dessen Haus, das unweit des Flusses, in der Mitte eines herrlichen Gartens, lag. In der offenen, mit den kostbarsten Teppichen belegten Halle, die das Vorhans bildete, sah er Aßly und gestand ihr seine Liebe. Ihr Herz gehörte längst dem schönen Fürsten, und sein stürmisches Werben begegnete nur einem schwachen, bald besiegten Widerstand. Aßly gab Kyaram das Versprechen, ihn: als sein Weib zu folgen, wenn der Vater den Bund ihrer Herzen segne.

Damit Mayha aber konnte nur Unglück für sich und sein Kind daraus entstehen sehen, wenn dieses der Familie, dem Volke und der Religion entfremdet, vielleicht gar dem Islam anheimfallen würde. Wohl war er ein mächtiger Zauberer, dessen geheimnisvolle Kräfte der Liebe Aßlys und Kyarams sich verderblich Hütten erweisen mögen, aber zu fromm und gottesfürchtig, um sie in Anwendung zu bringen, die Liebenden zu trennen.

und von Gram und Sehnsucht verzehrt, beschloß er, als Aschig*) verkleidet, sie zu suchen. So zieht er über Berg und Thal, durch die wogenden Steppen und die verschwiegenen Wälder und singt zu seiner Balalaika.

Und den süßesten Leib schmückt das Sterbekteid?

Und der köstlichsten Augen funkelnde Nacht?

Ihr Sterne, habt Erbarmen mit dem Leid!

Jahrelang durchstreift Fürst Kyaram die Gebirge, bis hinauf in die Regionen des ewigen Schnees, zieht von Dorf 'zu Dorf, von Gehöft zu Gehöft. Sein Ruhm als Sänger eilt ihm voraus. Er findet gastliche Aufnahme an den Höfen der Fürsten und Chane, Scharen von Menschen ver­sammeln sich, seinen Gesängen zu lauschen. In seinen Liedern richtet er die Frage nach der Verlorenen an Tausende und Abertausende, aber niemand vermag sie zu beautworteu.

Endlich gelangt er auf seiner unsteten Wanderung in früher Morgenstunde nach dem Städtchen Chori (Berg). Von rosigem Morgenlicht umflutet, dehut sich die herrliche Gletscherkette des Kaukasus vor Kyarams Blicken aus. Hoch hervorragend der Elborus, zu keiner Zeit mit größerem Recht seineil Namen Jaldus Dagh (vergoldeter Berg) tragend, und der Kasbek. Lautlose Stille ringsum.

Doch plötzlich dringt es wie ein fernes, dumpfes Sausen und Heulen an des Sinnenden Ohr. Vom Hochgebirge des Akhalzick her breitet es sich aus über die Vorberge und hüllt die romantischen Burgruinen, welche sie bedecken, in einen nebelhaften Dunst. Näher und näher kommt es wie Sturmgebraus, obwohl die Luft nach allen andern Seiten

hin klar und sonnendurchglänzt ist, und wirbelnde Wolken verdichten sich über dem Haupte Kyarams zu einer trichter­förmigen Gestalt, die bis in den Himmel zu reichen scheint.

Kyaram, halte den Fuß rein, damit er nicht Unrechte Wege der Hoffart und Sinnlichkeit wandte!" tönte eine warnende Stimme zu ihm herab.

Ehe er von seiner Ueberraschung sich erholt und Worte zu einer Entgegnung gefunden hatte, brauste schon die Ge­stalt, sich zerteilend, wieder von dannen, verfolgt von Kyarams staunenden Blicken.

Und wieder ist die Luft auch über seinem Haupte von durchdringender Klarheit. So entgeht es dein jungen Fürsten nicht, daß dort, über den Ruinen des Schlosses von Chori, die von einem steil ans der Ebene anfsteigenden hohen Hügel herabblicken, die zerteilten Wolken sich wieder sammeln und, zu einem Ganzen vereint, sich rasch herabsenken. Kein Zweifel! Ein guter Dschin (Genius), der die Ruinen des Schlosses zu seinem Wohnsitz erkoren, hat ihn gewarnt.

Und noch einmal wird in Kyaram die Hoffnung lebendig. Mit beschleunigtem Schritt umgeht er die Stadt, welche sich amphitheatralisch an den Hügel lehnt. Er verfolgt den Lauf des wilden Gebirgsflusses, der am Fuß des Schloß­berges dahinströmt und die üppigste Vegetation hervor­zaubert.

In kurzer Zeit hat er den Aufstieg beendet, nnd auf dem mit Türmen nnd Zinnen bedeckten Weg gelangt er innerhalb der Mauern der alten Ruine. Am Eingang des verschütteten Hofranms sieht er in znsammengekauerter Stellung ein tatarisches Weib. Vor ihr steht ein mit Wasser angefülltes Gefäß, über welches sie sich, unverständ­liche Worte murmelnd, beugt.

Bei Kyarams Näherkommen richtet die Alte sich auf eine ungewöhnlich große, hagere Gestalt.

Du, eines mächtigen Fürsten Sohn, dem die Völker dienen sollten, was suchest du ein Weib?" wandte sie sich Kyaram zu.

Sage mir, wo sie ist, die ich suche, und ich will dir das Beste geben, was ich habe," lautete die Antwort.

Ich mag nicht deinen Ring, obwohl er einen wirksamen Talisman enthält. Dein Vater aber hat mir eines Tages einen großen Dienst geleistet, nnd darum will ich dir zu Willen sein. Gedulde dich!"

Sie hatte sich erhoben, und über Schutt nnd Geröll dahinschreitend, näherte sie sich einem bedeckten Gang, in welchem sie verschwand.

stürmisch klopfenden Herzens erwartete Kyaram der Alten Wiederkehr. Nur wenige Augenblicke waren ver­schwunden, als sie, an ihrer Hand ein verschleiertes Mädchen führend, abermals in seinen Gesichtskreis trat. Mit einer Handbewegung hieß sie das Mädchen vor dem Gefäß mit Wasser sich niederlassen, vor welchem der Fürst bei seinem Eintritt die Alte sitzend gefunden.

Dann hüllte sie das Mädchen mitsamt dem Gefäß in ein großes weißes Laken ein. Sie selbst aber nahm hinter demselben Rücken an Rücken Platz und begann Sprüche zu murmelu. Nach einer Weile fragte sie:

Was siehst du?"

Ich sehe einen Priester, den Wanderstab in der Hand. Er führt ein Mädchen, schön wie eine Houri."

Laß sie ziehen. Wohin lenken sie ihre Schritte?"

Als nicht gleich eine Antwort erfolgte, begann die Alte von neuem ihre Sprüche zu murmeln.

Sie gehen einen Weg an einem Flüßchen entlang. Er führt über eine Brücke in ein tief eingeschnittenes Felsenthal."

Laß sie ziehen. Wohin lenken sie ihre Schritte?"

Das steile Ufer hinan und weiter durch die grüne Steppe, den Bergen am Horizont zu."

Laß sie ziehen. Was siehst du?"

Ein andres Felsenthal. Der Priester liegt im Sterben. Das schöne Mädchen ist in ein graues, undurchdringliches Gewand gehüllt."

Und weiter?"

Es erfolgte keine Antwort, und wieder begann die Alte ihre Zaubersprüche zu murmeln. Da kam ein klagender Ton unter dein Laken hervor.

Ich sehe nichts mehr, der Spiegel des Wassers ist trübe geworden."

Erhebe dich es ist genug."

Das Mädchen that, wie die Alte ihr geboten, und diese folgte ihrem Beispiel.

Du hast gehört, Fürst Kyaram," wandte sie sich nun dem jungen Manne zu,zieh gegen Norden, dem Dorfe Stephan-Tyminda am Fuß des Kasbek zu. Laß es zur Linken liegen, rechts findest du das eingeschnittene Felsenthal, das der Fluß durchkreuzt. Jenseits desselben steige das steile Ufer hinan und verfolge den einzigen Weg, der Schatten dir bieten wird. Du kannst nicht fehlen."

Und noch einmal nahm Kyaram seinen Wanderstab zur Hand. Durch fruchtbare Thäler, an rebenumkränzten Höhen vorüber lenkte er seine Schritte dem Kasbek zu, dessen von ewigem Schnee bedeckte Höhe ihm Leitstern war. Maulbeeren und Mandeln dienten ihm zur Speise, und den Durst löschte er mit dem krystallenen Quellwasser, das er mit der hohlen Hand schöpfte.

Am Abend des vierten Tages sah er sich auf der Brücke, die über ein reißendes Flüßchen führte. Er durchschritt, seinem Lause folgend, das Felsenthal und erreichte noch vor

Einbruch der Dämmerung das steile Ufer und den banm- beschatteten Weg, der zwischen frisch-grünem Steppengras dahinführte.

Von der langen Wanderung erschöpft, legte er sich unter einein Maulbeerbaum nieder, dessen großblätteriges Laub ihm ein schützendes Dach gewährte, um den Schlaf zu suchen. Aber die erregten Sinne hielten den Schlummer fern. Die Nacht war so hell, daß nur wenige matte Sterne am licht­blauen Firmament sichtbar wurden. So faßte Kyaram den Entschluß, sein Suchen nach der Verlorenen auch während der Nacht fortzusetzen.

Noch eine Weile führte der Weg am Wasser entlang. Dem Geschwätz der Wellen lauschend, die anschlagend an

liehe Stimme zu vernehmen. Nach und nach wurde sie deutlicher. Einzelne Worte erreichten sein Ohr, dann sein Name, in Tönen leidenschaftlichster Sehnsucht ausgesprochen.

O, diese Stimme! Das Herz des nächtlichen Wanderers klopfte in stürmischer Gewalt. Atemlos lauschend, mit vor­gebeugtem Oberkörper stand er da.

War es Wirklichkeit oder ein Trugbild seiner Sinne? In einiger Entfernung sah er eine weibliche Gestalt schweben­den Schrittes nahen. Nun hatte sie ihn erreicht, und vor ihm stand Aßly, die lang Gesuchte.

Doch bleich war ihr Gesicht, der Augen Glanz erloschen. Sie war in ein graues, entstellendes Gewand gehüllt, das nichts mehr von der berückenden Schönheit ihres Leibes ahnen ließ, und als Kyaram seine Arme ausstreckte, sie zärtlich zu umfangen, wich sie mit abwehrender Gebärde von ihm zurück.

Die Liebenden haben sich gefunden, sind aber für immer getrennt. Mit eigner Hand hat der Vater ein Zauberhemd gewebt, in welches er die schönen Glieder seines Kindes ge­hüllt, um es vor den Anfechtungen einer unverminderten Liebe zu schützen. Und es giebt kein Mittel, dieses Zauber­hemd zu zerstören, keines, es unwirksam zu machen.

Da flammt in ungestillter Sehnsucht einer leidenschaft­lichen Liebe heiße Glut in den Herzen beider auf. Zwei Feuersäulen steigen empor, sich züngelnd zu vereinigen, und die Asche der Liebenden fällt zusammen. Zwei Rosenstöcke entsprießen ihr, und die Blüten leuchten in wunderbarer Pracht. Da schießt ein Dornenzweig empor mit starken, spitzen Stacheln, sie zu trennen. Es ist der Glaube. Die Tochter des armenischen Priesters und den jungen Tataren­fürsten soll auch der Tod nicht vereinen.

II.

Die stumme Fatima.

Niemand hatte Fatima reden hören, nicht einmal vor dem Priester, der ihren Bund mit Sahak Betzlarjan gesegnet. Ihre süßen Lippen waren fest geschlossen geblieben, und nur ein znstimmendes Neigen ihres schönen Hauptes war das Zeichen ihrer Einwilligung.

Sahak Betzlarjan führte sein junges Weib in das Haus seines Vaters, wo es nicht nur von diesem, sondern auch von seinen Brüdern, deren Frauen und Kindern ans das herzlichste bewillkommnet wurde. Eintracht und Friede hatten allezeit im Hause Betzlarjans ihren Wohnsitz anfgeschlagen, nnd Fatiinas Gemach, obgleich das kleinste auf dem Gehöft, war herrlich geschmückt mit mancherlei Zierat an den Wänden und mit kostbaren persischen Teppichen belegt. Sahak hatte ein hoch mit Sammet, Seide, Schmuck nnd Narden beladenes Kamel von Tiflis heimgebracht, die Geliebte zu erfreuen nnd ihre herrlichen Glieder in die köstlichsten Stoffe zu hüllen.

Fatiinas Schönheit erregte bald den Neid ihrer Schwäge­rinnen, noch mehr aber that dies Sahaks Liebe, die keine Grenzen zu kennen schien. Bewundernd folgten ihr seine Blicke, wenn sie, die verkörperte Anmut, schwebenden Ganges die Gartenpfade wandelte. Mit ängstlicher Sorge hielt er sie von jeder ihm unwürdig scheinenden Beschäftigung zurück. Während Sahaks Schwestern und die Gattinnen seiner Brüder bisweilen wenigstens an den Gartenarbeiten sich be­teiligten, blieb Fatima in den Frauengemächern, damit nicht die zarte Weiße ihrer Haut durch der Sonne Glut Schaden erleide.

Aber trotz der großen Liebe ihres Gatten, mit welcher er ihr jeden Wunsch zu erfüllen bemüht war, machte die junge Frau nicht den Eindruck einer Glücklichen. Gar bald zeigte sich in ihrem Gang etwas Müdes, nnd ihre Be­wegungen verrieten nichts inehr von Anniut und Elasticität, wie ihre Augen jenes strahlenden Feuers entbehrten, dessen verräterische Glut seinen Weg auch durch den Schleier orien­talischer Schönen findet. In der Einsamkeit verbrachte sie ihre Tage, nnd neugierige, argwöhnische Lauscherohren ver­nahmen nicht selten in Fatiinas Gemach ein Seufzen und Stöhnen, das von den Lippen einer Verzweifelnden zu kommen schien.

Keine Frage, Sahak Betzlarjan hatte nicht wohlgethan, die schöne Fatima als sein Weib in das Haus seines Vaters zu führen. Wer war sie? Unzweifelhaft eine aus dem Geschlecht der Dschinnen, und zwar der bösen. Sahak wollte sie, als er sie zum erstenmal gesehen, schlummernd unter einem blütenbedeckten Pschatbanm in dem Garten eines großen, prächtigen, von einem Säulengang umgebenen Hauses, unweit des Weges von Tiflis, gefunden haben. Niemand hatte das von ihm geschilderte Hans je zuvor gesehen,