Heft 
(1898) 24
Seite
378
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Ueber Land und Meer.

M. 24

Korbes vollends klar. Asta, wenn du wirklich Vollblut bist und diesen Schemen dir anschafftest...

Ich selbst beteilige mich an den Taxationen über Le Fortsches Vermögen nicht. Ich bin schlecht ge­launt ; ich zerknittere eben ineinen letzten Hundertmark­schein (einen von den schmutzigen) in der Hosentasche und habe morgen eine Unterredung mit einem ganz lichtscheuen Wucherer.

Le Forts geben heute ihre erste große Gesell­schaft. Ich war neugierig auf das Debüt. Die beste Gesellschaft Berlins ist's nicht. Daraus Schlüffe zu ziehen, wäre falsch. Die Le Forts haben noch keine Gelegenheit gehabt, bekannt zu werden, aus­zuwählen. Hof und Diplomatie find ihnen ja ab eo verschlossen. Sonst sind die Arrangements tadellos. Madame kennt sich aus. Auf dem engen Korridor sind sich sechs schwarze Lohndiener beständig im Wege. Trockene Gashitze entströmt dem Dutzend flackernder, überschraubter Flammen. Es ist eine grelle Helle, und wie eine schwere Woge zieht der Dunst von Menschen, neuen Kleidern, verfliegenden Wohlgerüchen durch den Raum.

Dann sammeln wir uns in dem Versailler Salon. Jetzt in dem strahlenden harten Lichte, das die Spiegel kalt zurückblitzen, zeigt er ein ganz andres Gesicht: ein scharfes, modernes. Das ist nicht mehr die Fratze des Königtums des Königtums, das in Marie Antoinette zum letztenmal königlich, groß vor der Revolution sich verbeugte, bis ihm das Haupt auf die Füße fiel, das ist das neue Königtum, der Wechselbalg, den der rote Schrecken gezeugt: der traditionslose Absolutismus der Millionen, den ein neuer roter Schrecken zu Recht richten wird. Der Glanz der neuen Millionen, der harte, höhnische Glanz liegt über den zierlichen Sövressiguren, zuckt über das matte Rosa des Atlas, den blendend weißen Lack mit seinen schimmernden Goldlinien; er grinst in dem Metall der Beschläge, dem Marmor des Kamins. Dieser Glanz ist erbarmungslos, wie die Sonne der Wüste, und die Gestalten, die sich an ihm laben, haben etwas Habsüchtiges, Mitleidsloses.

Die Vorstellungen sind erledigt. Ich langweile mich eine Sekunde. Aber ich habe kein Recht dazu. Wer, wie ich, im ewig gleichmäßigen Luxus der großen Salons, der großen Hotels an Herz und Geist ver­kümmerte, sollte diese neue Welt wie eine Erlösung aus dem Banne des Korrekten begrüßen. Die Gesellschaft ist bunt, seltsam bunt, trotz dem nivel­lierenden Schwarz des Fracks ohne Orden und der gleichmäßig Hellen Damenroben. Sie ist mir so neu, daß sie mich verwirrt. Und doch sage ich mir im Moment, daß ein ganz bestimmtes Ziel diese Gesell­schaft verbindet, gleichmäßig macht: es ist der Reich­tum oder die Sucht nach dem Reichtum. Und seltsam in ihr verschwindet völlig die schlanke Jugend­gestalt der blonden Ethel. Auch das schöne Profil der grünäugigen Asta verblaßt. Hier herrscht Ma­dame Le Fort, die charakterlose, glatte Linie, sie drängt sich hervor, dominiert. Die kluge Frau hat doch sonst nichts Dämonisches, dennoch ersaßt mich ein Grauen vor ihr. Sie kann kein Blut sehen; sie hat keine Laster, keine Tugenden die abgrundtiefe Leidenschaft fehlt ihr, die gewaltige Tragik des großen Verbrechens. Dennoch kann sie morden ohne Wimpernzucken, ohne Gewissensqual, selbst ohne schweren Traum. Sie wird's thun, wenn sie will, nicht wenn sie muß wohl überlegt, zur richtigen Sekunde, vielleicht mit einer Nadel, die sie dem Opfer ins Gehirn bohrt mit geschlossenen Augen, weil sie nicht einmal den Tropfen Blut sehen kann, der aus der Wunde sickert oder mit Gift, kühl, lächelnd, ohne Schuldgefühl, wie eine Idiotin, weil ihr der sechste Sinn fehlt, der den eigentlichen Ver­brecher macht. Sie steht weit von mir, geschieden durch eine Wolke von Wohlgerüchen, dennoch dringt Peau d'Espagne durch. Der heiße, schwere Duft betäubt mich fast, ich möchte fliehen... Ich fliehe nicht. Ich weiß, daß ich Unsinniges denke, daß mir die Charakterisierungswut, die sich an diesem Weibe erfolglos versucht, den Streich spielt. Ich werde ruhiger, vernünftig.

Es war gut, daß sich zur rechten Zeit ein sehr praktischer Mentor einstellte.Sie langweilen sich, Herr Graf?"

Ich sehe einen großen Herrn vor mir mit un­endlich weiten Hosen und einer Platte, der blonde Schnurrbart nach amerikanischer Art kurz geschnitten,

der Spitzbart nur wie ein Flaum. Es ist ein etwas aufgeschwemmtes, blasses Gesicht mit Schmissen, klug, nicht ungntmütig, aber ich mißtraue ihm trotz der sabelhasten Ungeniertheit, mit der er mich an­redet, wie er jeden König auch angeredet haben würde. Er heißt Leßmann, in seinen Kreisen zum UeberslußDoppeldoktor jur. et Ml.", obgleich seine Diplome in keinem europäischen Archive auf­gefunden werden können. Er klopft mir auf die Schulter und sagt in sonderbarem Altmärkisch mit rollenden Rs:Wo ein Aas ist, da sammelt sich das Geschmeiß. Sehen Sie den Knäuel dort, Herr Gras, um den dicken Le Fort? Das sind die Schakale, die sich um die Fetzen reißen." Ich stecke mein Monocle ein, um besser sehen zu können. Aus der schwarzen erregten Menge schauen ein paar habsüchtige Gesichter.Wissen Sie, warum Herr Le Fort in Berlin ist?" fragt der Doppel­doktor weiter.

Keine Ahnung."

Dann kann Ihnen geholfen werden, Herr Graf. Herr Le Fort hat einem schwedischen Ingenieur eine Riesenentdeckung abgekauft und will das Patent jetzt in allen Ländern verwerten, in Berlin ein riesen­großes Etablissement gründen. Verstehen Sie etwas von Heizungsanlagen?"

Ich kann daraus nur lächeln.

Ich auch nicht," bekennt Leßmann ironisch. Jedenfalls handelt es sich aber um eine vollkommene Revolution aus diesem Gebiete. Hunderte intelligente Leute haben versucht, den Kohlenstaub gewinnbringend zu verwerten, den Stein der Weisen hat aber nur Le Forts Schwede gefunden. Früher heizte man die Maschinen mit Kohlen, in Zukunft wird man sie nur noch mit Kohlenstaub Heizen. Aus eine sehr sinnreiche Weise wird nämlich der Kohlenstaub zur Explosion gebracht und entwickelt eine ganz unglaub­liche Heizkrast. Sie können sich denken, was das für eine Erfindung ist. Die Entdeckung des Rüben­zuckers, des Holzsaserpapiers sind die lallenden Laute eines Waisenknaben dagegen die ganze Maschinen­technik wird sich ändern. Mit dieser Erfindung ist vielleicht das größte Geschäft des ganzen Jahrhunderts zu machen. Herr Le Fort weiß das. Aber selbst seine Millionen, die er in Goldshares gemacht hat, reichen nicht dazu, das Unternehmen in ganz großem Stile zu inscenieren. Nun sucht er sich eine Gesell­schaft zusammen. Kapitalisten zu finden, wäre eine Kleinigkeit. Morgen den Prospekt aus den Markt gebracht und nachmittags sind zweihundert Millionen schon überzeichnet. Um das zu thun, ist aber Herr Le Fort ein zu kühler und selbständiger Geschäftsmann. Wenn die ganz großen Banken und ihre Millionen ihm überall die Nase 'reinstecken können, macht er nicht den Hauptrebbes. . . Herr Le Fort will sehr gern Kapitalisten viel verdienen lassen, aber es müssen stille Socii sein, die ihm nichts drein­reden. Wie denken Sie über solche Kapital­anlagen?"

Ich will mir den Mann abschütteln.Gar nicht, Herr Doktor," antworte ich kühl. Denn ich mißtraue dem Menschen. Ist er beauftragt, mich zu interviewen? Seit eine Biertischbemerkung von mir als höchst bedeutsame Auslassung eines hohen Petersburger Diplomaten durch alle Zeitungen ging, bin ich für Interviews nicht mehr zu haben. Aber interessant ist die Mitteilung von dem Doppeldoktor doch. Also Le Fort ist Spekulant, Großspekulant mit dem echt amerikanischen Goldfieber, das ihn zu keinem ruhigen Genüsse seiner Millionen kommen läßt. Asta könnte über Jahr und Tag die reichste Erbin Berlins sein. Reizt dich denn das gar nicht, Louis Carön? Nein.

Nun verstehe ich auch den ewig mißmutigen Koloß, den man nie sieht, nur in seinem Arbeits­zimmer schnaufen hört. Das ist die ganz echte Goldbestie, die die kleinen Vermögen allesamt ver­schlingen möchte. Das ist die famose freie Kon­kurrenz, die wieder einmal die in Jndustriepapieren angelegten Millionen entwerten, um ein Butterbrot ankausen und dann in der eignen Hand vollwertig machen will. Und das Pack, das sich um ihn drängt? Es sind ganz gute Namen darunter, Chargen, Titel aber sie alle wollen etwas haben, sind angesteckt von diesem Goldhunger, der ihr Mark verzehrt, ihr Herz, ihren Geist. Ich begreife sie nicht. Und vielleicht ist's gerade ein gütiges Schicksal,

das mich auch in diesen Abgrund schauen läßt. Vielleicht erweitert das Verständnis dieser wirtschaft­lichen Fragen auch mein diplomatisches. Das ist die praktische Nationalökonomie, die der geniale Roscher mir nur theoretisch beibringen konnte. Es scheint, daß ich mich zu vertiefen beginne. Es scheint. . .

Denn wie jetzt Madame Le Fort mit ihrer schlanken Gestalt im seegrünen Spitzenkleid aus mich zukommt, ist alles verflogen.

Wir sind etwas einsam, Herr Gras?"

Ich verschanze mich hinter meinem Monocle, bin blasiert.Ist man das nicht stets etwas, gnädige Frau?"

Sie sieht mich strafend an.Herr Graf?"

Das könnte ich jeden Tag zu mir mit noch größerem Nachdrucke sagen. Uebrigens verzeiht Madame schnell. Sie hat den Wunsch, mich zu guter Laune zu zwingen.Es ist etwas bunt, ich gebe zu die Herren wenigstens. Mein Mann ist eben zu solchem Verkehr aus Geschäftsrücksichten gezwungen. Aber nehmen Sie sich doch der Damen an." Sie mag Wohl meinen Blick verstanden haben, den kalten, gar nicht gutmütigen Blick, den ich auf unsre Flora werfe. Ich habe häßliche Arme dabei gesehen und falsche Perlen. Das reizt mich nicht gerade. Und dann sind die Damen sehr in der Minderzahl: drei semmelblonde Engländerinnen aus einer Pension, etwas nicht ganz blutreine Hochfinance mit stark dekolletierter Büste und sabelhasten Brillanten; ich habe Angst, von diesen Leuten eingeladen zu werden; einige anspruchslose Freundinnen von Ethel aus der Malstunde; (Fräulein Asta hat natürlich keine Freundinnen. Sie reitet und zwar nur allein und nur in der Bahn) zuletzt eine überreife Brünette rollende Augen gemeiner Mund, der nach meiner Ansicht über der Oberlippe rasiert ist; sie soll nachher deklamieren und hat mir bereits ver­sichert, daß sie ihre goldene Uhr verloren hätte und aus den Jet-Chronometer im Armband angewiesen sei. Soll ich vielleicht meine letzten hundert Mark dazu verwenden, um ihr eine Uhr und mir eine große Liebenswürdigkeit zu kaufen? Armes Mädchen!

Die Hauptperson habe ich natürlich übersehen. Madame muß mich extra auf die Perle aufmerksam machen. Sie tippt mir aus den Arm.Sehen Sie die Blondine da, Herr Graf, die eben mit Herrn Bomulunder spricht?" Ich erblicke eine blasse junge Dame, die ich zuerst für ein Stubenmädchen ge­halten hatte. Sie ist bescheiden abgetakelt un­gefähr so reizvoll, wie ihre zementplombierten Zähne. Ich bin im Begriffe, eine Malice zu ant­worten, ahne aber noch zur rechten Zeit irgend einen schleierhasten Zusammenhang zwischen der Dame und mir.Die ist für Sie bestimmt, Herr Graf, eine veritable Gräfin. Nun?"

Gnädige Frau sind die Güte selbst!" Madame kennt wenige Aussprüche ans meinem Diplomaten­munde, die größere Lügen sind. Sie schwebt auch gleich wieder davon. Und ich verspüre Lust, noch vor dem Souper zu gehen. Hat die Frau wirklich mephistophelische Anlagen, daß sie ausgerechnet einen bettelarmen Grafen mit einer bettelarmen Gräfin Zusammensetzt oder ist das nur die Quittung über meine Le Fortschen Besuche?

Mich interessiert dieses Gesellschaftsdebüt nicht mehr. Ich setze meine kühlste Maske auf, das Monocle liegt wie eine Eisscherbe auf dem ausdrucks­losen Auge. Ich bin mit mir zufrieden.

Die Paare ordnen sich zum Souper. Wir machen der veritablen Gräfin die ganz leichte Ver­beugung und zaubern dafür ein holdes Erröten aus die Wangen der stark Achtundzwanzigjährigen. Wir sind auf diesen Erfolg nicht stolz.

Herr Graf Serner, ich bitte Herr Graf Carön, hier bitte sehr, Herr Bomulunder." Warum gerade Madame diesen Bomulunder, den sie zuletzt nennt, so liebenswürdig anlächelt? Ich habe Madame niemals weniger verstanden als heute.

Aber seien wir gerecht. Madame hat Geschmack. Sie hat das gotische Eßzimmer nicht durch die grellen Lichteffekte des Reichtums entweiht. Hier herrscht Stimmung, Poesie. Hier Wersen die rotbeschirmten Lampen einen weichen Dämmerglanz, gerade stark genug, um die gediegene Pracht des breiten Riesen­tisches matt zu vergolden. Was dahinter, liegt im Halbdunkel, in träumerischer Verschwommenheit, aus