Heft 
(1898) 24
Seite
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Ueöer Land und Ueer.

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der die Spitzbogen des eichengeschnitzten Büffets feierlich ernst Hervorschauen, als wär's eine Kirche. Wenn nur die Menschen nicht wären! Neben mir sitzt Ethel mit dem Schnapsbaron, ihnen gegenüber Asta mit Serner. Ich sehe die Grünäugige nicht, ich kann sie gar nicht sehen, denn zwischen uns drängt sich eine silberne Blumenschale, deren dunkle Rosen sich rechts und links aus die hellgelben, durchsichtigen Lampenbassins neigen.

Ich könnte träumen die veritable Gräfin würde es mir vergeben. Ich träume nicht. Ich will heute gerade der elegante Schwätzer, der internationale Attache sein, ich will Madame Le Fort beweisen, daß der Pfeil vorbeigeflogen ist, daß Gras Garen sich glücklich fühlt, endlich einmal neben dieser ab­gekühlten Standesgenossin sitzen zu dürfen ich will vielleicht auch hören, was die beiden mir gegen­über reden. Ich bin der Gesellschastsautomat, der sich in hundert Galadiners bewährte, der konversiert, ohne zu denken, geistreich ist, ohne eine Spur von Geist zu haben der alles sagt, was er nicht denkt, der alles hört, was er nicht hören soll. Wozu umschwebt uns Diplomaten die Wolke von Vornehm­heit, Reichtum, bestem Drill und wir sollten diesen Vorteil nicht benutzen! Ich bin bankerott, ich habe einen lumpigen Hundertmarkschein als letztes in der Tasche, dennoch war ich anmaßendem Reichtum gegen­über nie anmaßender. Ihr gebt einen ganz unvergleich­lichen Bordeaux, die Flasche vielleicht zu sechzig Franken? Das ist gerade gut genug für mich. Eure sechs Diener laufen mich fast um, weil sie das glänzende Menü mit seinen Anhängseln kaum servieren können meine Diener sind viel besser dressiert! Haselhuhn? Ich esse überhaupt nichts andres. Indische Vogelnester? Ohne die müßte man ja verhungern. Ich bin blasiert, Narr, so un­vornehm wie möglich, aber dieser Gesellschaft imponiere ich. Bomulunder sängt schon nach dem vortrefflichen dHquem an, es mir nachzumachen, und Serner, das Schaf! wußte ja selbst nie, was echt oder Talmi bei der Aristokratie ist. Ich höre eine häßliche, ab­solut klanglose Stimme, ineine Stimme; ich sehe in dem Silber der Jardiniere vor .mir mein alles ver­achtendes Konterfei und finde, daß niemand mehr verdiente, geprügelt zu werden, ich höre meiner Unter­haltung zu wie einer fremden.

Und ich habe Erfolg. Ich stecke schon die veritable Gräfin mit meiner Parvenusverachtung an.

Major"Majorat"Ahnen", irgend so etwas habe ich noch im Ohr. Und dabei hebt die veritable Gräfin die spülichtfarbenen Augen plötz­lich voll beneidenswerten Stolzes nach den Le Fort- schen Töchtern mit ihren echten Spitzen und ihren echten Juwelen, um sie dann wieder mit Befriedigung auf die eignen bleichsüchtigen Sommersprossenhände zu senken. Nee Eindruck machst du nichtVeri­table" ! Ich habe dich beinah' eher vergessen, als ich dich gekannt habe. Das ist eigentlich unaristokratisch. Es giebt ja Standesgenoffen, die Prinzessinnen leiden­schaftlich gerne heiraten möchten, wenn sie auch arm, häßlich und hausbacken sind, wie ein großer Teil der Legitimität überhaupt. Aber ich fasele, konversiere, schneide die Cour ausgezogen ist der Automat Carsn ja!

Der Automat Carsn weiß das wenigstens, persifliert sich selbst. Jedoch ihm gegenüber sitzt ein richtiger Automat, wenn er auch etwas langsamer funktioniert aber ein echter, ganz echter. Graf Serner würde mich vollkommen blödsinnig ansehen, wenn ich ihm die simpel-einfache Konstruktion seiner Maschine auseinandersetzte. Und hinter der rosen- umrankten Mauer der Jardiniere höre ich die andre Konversation, wie das schlechte Echo meiner eignen.

Ja, gnädiges Fräulein, wie man ohne Berlin existieren kann mir schleierhaft! Mir kostet's direkt Ueberwindung, mal acht Tage im Sommer auf meine Güter zu gehen. Da ist alles so alt­modisch, träge, auch die Landluft ich bekomme melancholische Anwandlungen." Ich sehe dein Vogelgesicht nicht, frühreifes Karlchen, aber ich ahne, daß du die dummen, runden, braunen Vogelaugen verdrehst. Seit wann leiden Rhinozerosse an Schwer­mut? Oder hast du je einen gemütskranken Fisch gesehen du? Merke dir, ohne Geist kann man beim besten Willen nicht geisteskrank werden.

Ich verstehe das nicht ganz, Herr Graf. Ich liebe das Land leidenschaftlich; nur muß es sehr weit

von den großen Städten sein. Aber Sie haben wohl hier Ihre Interessen, Ihre Freunde?"

Serner fühlt die Wahrheit.Jawohl, gnädiges Fräulein, es ist die Anregung, die Weltstadtluft, die ich haben muß." Na, so 'n Lügner! Sag doch mal, was das für Interessen gewesen sind sein werden! Sein Lebenslauf ist seit einem kläg­lichen Durchfall durchs Fähnrichsexamen immer der­selbe. Um zehn Uhr der Thee im Bett, dann der Lindenbummel, dann das Frühstück bei Dressel Mittag imMonopol" oderSavoy" abends die Operette im Lindentheater und zum Nachtisch die kleinen Mädchen im Chambre separs. Das ist un­abänderlich, das ist die Unsolidität eines Philisters: derselbe Rotspon, dieselbe Sektmarke, dieselbe Importe! Niemals der Wunsch nach einer Tollheit, meinet­wegen einem Jeu, bei dem einem die Haare zu Berge stehen niemals der Ekel vor sich selbst. Und mit so etwas spricht die grünäugige Asta!

Sie spricht sogar sehr viel, sehr liebenswürdig, stach und immer liebenswürdiger, flacher; gerade als wenn meine wachsende Banalität ihr ein Sporn, ein Stachel wäre, endlich einmal aus sich heraus­zugehen, das wahre Gesicht zu zeigen: das Nichts. Ist das dein wahres Gesicht, das ureigenste, letzte, das ich bei diesem Parvenusdiner schaue? Du kannst diesem Serner folgen, der jedes Wort erst suchen muß ohne nervös zu werden? Du kannst diesen trägen Geist so mitfortreißen, daß er stottert vor Ueberanstrengung? Du kannst ganz hell lachen über den faden Witz, dessen Pointe er erst langsam von der Decke ablesen muß?

Gnädiges Fräulein, es ist doch ein wahrer Genuß, wenn man einmal bei allen seinen möglichen und unmöglichen Bekanntschaften endlich eine Dame findet, die man versteht, von der man verstanden wird."

Ich finde auch, Herr Gras, daß wir uns sehr gut unterhalten." Die Grünäugige sagt das laut, fast provozierend.

Herrgott des Himmels! Und da fühle ich einen unwiderstehlichen Kitzel, den Trumpf daraufzusetzen. Ich sage vielleicht die größte Geschmacklosigkeit meines Lebens zu meiner Nachbarin:Man fühlt sich doch nur wohl unter sich, Gräfin." Darauf senke ich schnell mein Haupt auf den Eisteller. Ich bin rot geworden, dunkelrot nicht aus Scham vor den andern, sondern aus Scham vor mir selbst. Und als ich wieder aussehe seh' ich durch das dunkle Rosengewirr der Jardiniere hindurch auf einmal zwei grüne Augen, zwei Augen, heiß, tief in der flimmernden Glut der Empörung. Es sind Astas Augen.

Verstehen wir uns beide falsch, spielen wir beide die Komödie mit verblutenden Herzen? Ich keinesfalls.

Gott sei Dank, daß auch gleich in dem Papagei­geschrei der Tafel die charakteristische Gesprächspause eintritt, in der sich Herr und Madame Le Fort ver­ständnisvoll ansehen und den Tisch aufheben. Bomu­lunder leckt pflichtschuldigst sämtlichen edeln Frauen die Hand, am innigsten aber seiner Tischdame, die von der Huldigung viel weniger erbaut ist, als ihre Schwester von dem gräflichen Kusse. Ich markiere den Engländer und thue nichts dergleichen.

Vielleicht tanzt die Jugend noch etwas?" fragt mit ihrem eleganten Lächeln die Dame des Hauses. Und Sie, meine Herren, daß Sie sich im Rauch­zimmer nicht gar zu heimisch fühlen!"

Aber gnädige Frau, wie könnten wir!"

Selbstverständlich tanze ich nicht, obgleich ich schon von einer Königin zur Mazurka befohlen wurde. Es paßt ja auch besser zu meinem Hyperblass, Terpsichore zu verachten. Aber ich folge doch ge­horsam der Gnädigen in den zum Ballsaal avancierten Salon. Die Brünette wird uns BürgersLenore" vorgruseln, und vorwinseln:Sind vom Stamme jener Asra, welche sterben, wenn sie lieben". Es ist sehr gut gemeint. Wenn man nun aber einmal zu dem Asrastamme nicht gehört und bei den packend­sten Stellen immer daran denken muß, daß die Deklamatrice häßlich, daß sie bezahlt ist, daß sie so gern ihre goldene Uhr wieder haben möchte, die sie nie verloren hat. . . Das ganze Leben ist wie eine solche Deklamation: wer etwas davon haben will, darf die Deklamatrice nicht ansehen.

Louis Carsn ist unter die Grübler gegangen.

Zu diesem Zwecke hat er sich Astas Boudoir aus­ersehen, das die glänzende Zimmerflucht schließt. Erinnerungen hänge ich nicht nach. Wenn die Grün- äugige den Serner ihrer für würdig hält, so ist sie auch seiner würdig. Aber ich bin müde. Und das Zimmer ist still, auch nicht sehr hell; die Töne des Walzers dringen nur ganz verschwommen herüber, vermischt mit Lachen und Geschwätz, von dem ich, Gott sei Dank, nichts verstehe. Hier will ich aus­ruhen von der Komödie, die die da drüben noch weiterspielen. Von Asta le Fort ist in dem Raume nichts höchstens der Elefantenyatagan, auf dem Weiche, behende Lichter spielen. Ich hüte mich, ihn anzusehen, weil er mich reizen, mich an dieses hohle Geschöpf erinnern würde. Und das andre ist alles so neu, so blank, die Parvenuherrlichkeit, über die man lächelt. . .

Morgen kommt der Wucherer. Uebermorgen werde ich vielleicht wieder Geld haben, zu zweihundert, dreihundert Prozent mir egal! Aber es ist das erste Mal, daß ich den schmutzigen Weg gehe. Wie hieß doch der Regimentskamerad, der Wechsel fälschte? . . . Wer weiß, wie man selbst endet? Warum kommt mir all mein Leichtsinn abhanden?! Der gelbe Schuft wird ewig leben, die Tante nie sterben . . . Und ich vergrabe mich tiefer in den Fauteuil. Der Tiergarten drüben rauscht, die Zweige nicken, ein Heller Mond wirst weißes Licht aus die weiße Straße. Eine Droschkezweiter" trottet vorüber trapp . .. trapp. Dann Stille. Wieder setzt die Musik zu einem scharfen Galopp ein: surrender Schnellschritt, schleifender Walzer... Ich bin ein guter Tänzer. Aber wie kann man eigentlich tanzen?

Und da muß mich auch jemand stören. Es ist ein seiner, elastischer Frauensuß ich fühle ihn mehr; eine Weiche, liebenswürdige Stimme sagt: Herr Graf Carsn?"

Es ist die kleine Ethel, die mich lange gesucht und endlich gefunden hat. Ich will aufspringen, sie aber beugt den reizenden Kops auf meine Schulter und flüstert:Bleiben Sie doch sitzen ich hole mir den Hocker hier heran ... so .. . Vielleicht ist's unpassend, Herr Graf? Sagen Sie's mir nur!"

Aber gnädiges Fräulein!"

Dann sieht sie mich prüfend an.Wissen Sie, daß Asta gräßlich ist heute? Es ist überhaupt gräßlich! Ich möchte viel lieber den Abend hier mit Ihnen ganz allein Zusammen sitzen, Herr Graf! Sie wollen einen doch nicht gleich heiraten!" Darauf muß ich lachen.Ja, lachen Sie nur!... Mama ist auch gräßlich. Warum mußte sie mich eigentlich partout neben diesen Bomulunder setzen? Ich wollte Sie als Tischnachbarn haben, ' denn Asta. . . Soll ich aus der Schule plaudern, Herr Graf? Mit Asta zanke ich mich jetzt täglich ich kann furchtbar ungezogen sein und zwar Ihretwegen! Was haben Sie eigentlich mit Asta vorgehabt?"

Soviel ich weiß, nichts."

Ich weiß auch nichts. Aber Asta mag Sie nicht, Asta hat sich gerade den Grafen Serner ge­wünscht. Wer hat nun recht: Mama, die behauptet, Sie würden Millionen erben und hätten eine ganz große Carriere vor sich oder Asta, die Sie mit einem einfachen Achselzucken abthut? Sehen Sie, ich glaube, daß Mama ganz gewiß recht hat."

Dagegen ich:Ich glaube nicht, gnädiges

Fräulein."

Das will sie aber absolut nicht gelten lassen und hält mir fast den Mund zu.Aber sie soll recht haben, ich will es, und Asta soll unrecht haben! Deswegen brauchen Sie noch lange nicht zu denken, daß ich meine Schwester nicht sehr lieb habe.. . Asta ist weder kühl noch altklug, sie könnte, glaub' ich, einmal eine rasende Dummheit begehen. Haben Sie keine Angst, Herr Graf, daß sie mit Ihnen diese Dummheit begehen wird. Sie sagt nun freilich, sie hätte noch niemals geliebt. Das ist ge­wiß nicht wahr. Ich habe mich zum Beispiel Zum Sterben in meinen deutschen Lehrer verliebt und dann in einen Dresdener Gardereiter auch zum Sterben, aber ich bin überzeugt, ich wäre sterbensunglücklich ge­worden, wenn ich sie gekriegt hätte. Aus die wahre Liebe warte ich noch."

Und glauben Sie, die bei Herrn Bomulunder nicht zu finden?"