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Ueßer Land und Meer.
Sie schüttelt sich in reizendem Ekel: „Der raspelt so schrecklich Süßholz! ,Gnädiges Fräulein haben so wundervolles Haar — gnädiges Fräulein haben... haben... haben? Ach Gott, was soll ich nicht alles für Reize haben! — Und wenn ich sie hätte, so will ich sie doch nicht für diesen Bomulunder haben. — Wollen wir uns verschwören, Herr Graf?"
Mir ist das etwas schleierhaft, und ich erwidere: „Wie das, gnädiges Fräulein?"
„Nu - ich verscheuch' Ihnen den Grafen Serner und Sie mir den Bomulunder."
Es war der Moment, wo das reizende Spiel in eine ernste Phase kam. Du kennst mein Inneres noch lange nicht, süßer Blondkopf! Ich bin verlebt, habe perverse Gelüste. — Deine Schwester als Geliebte? Sehr willkommen! Aber als Frau — nie! Und das sagte ich ihr denn auch, wenigstens das letztere: „Gnädiges Fräulein, ich habe aber gegen den Grafen Serner gar nichts. Findet Fräulein Afta Le Fort an ihm Geschmack, oder umgekehrt, so kann ich nur gratulieren. Serners sind uralter Adel, schwer reich — auch die gesellschaftliche Stellung ist beneidenswert."
„Ist das Ihr voller — voller Ernst, Herr Graf?"
Ich sehe die blonde Ethel an, sehr ruhig, und sage: „Ich scherze nicht, gnädiges Fräulein."
Da schüttelt sie das reizende Köpfchen, und ein Zug von süßer Schwermut stiegt über das Gesicht. „Sollte ich Sie so überschätzt haben, Herr Graf..." Sie wollte noch etwas sagen, aber ein Stärkerer störte unsre gegenseitige Beichte.
Madame Le Fort erscheint und wünscht dringend, daß Ethel dem Tanz und dem Schnapsbaron zurückgegeben werde. Die Kleine thut's schmollend. Und es sollte eine starke Spitze gegen die Mutter sein, als sie mir im Weggehen zurief: „Haben Sie den Herrn von Jaromir noch nicht gefunden?" — Ein strafendes Lächeln von Mama — ich befinde mich mit Madame allein. Nur einen Moment.
Sie ist liebenswürdig, schilt mich: „Wie kann man seine gesellschaftlichen Talente so vernachlässigen, Herr Graf!" Von Serner kein Sterbenswort. Auch von Afta nicht. Aber als sie auf Bomulunder kommt, denke ich an die Verschwörung mit der Kleinen und an die Thatsache, daß Le Forts mir doch nichts nützen können.
„Und wie finden Sie Herrn Bomulunder, Herr Graf?"
Die Gnädige möchte ein Kompliment haben — ich höre es am Tonfall. Aber der Teufel reitet mich.' Ich fetze das Monocle fester und sehe so dumm wie möglich drein: „Bomulunder? — ist denn das ein Mensch? Ich dachte, das wäre nur ein Schnaps."
Madame zuckt uicht zusammen, Madame bleibt Weltdame. Madame lächelt leer. „Sie waren schon witziger, Herr Graf." — Das muß ich zugeben, auch daß das Alleinsein in Astas Boudoir wohl reizend aus meine Nerven, nicht aber auch kräftigend auf nieinen Verstand wirkt. Madame eskortiert mich an ihrem Arm zurück durch das gotische Speisezimmer, den Tanzsaal, wo eben die veritable Gräfin schimmelt — bis zu dem Rauchzimmer gegenüber.
Ich soll durch Schnaps und Nikotin in eine gute Stimmung versetzt werden.
„Da wäre ja der Hauptaktionär!" Natürlich schreit mir das der Doppeldoktor entgegen. Ich muß irgend eine angeregte Börsenunterhaltung unterbrochen haben, denn die Augen glänzen allesamt sehr lebhaft, und ich werde stark beglotzt. Ich bin kühl, habe gar nicht den Wunsch, mich mit diesen Spekulanten zu verbrüdern. Der Doppeldoktor merkt's und läßt mich zufrieden. Ich hocke auf einen Lutherstuhl, den mir Herr Le Fort selbst herangeschoben hat.
Handelt der Millionär vielleicht noch mit Schnäpsen und Importen? — Edles Kraut, die kostbarsten Marken. . . aber wozu die Verschwendung? Wozu diese vollen Kisten mit den aufdringlichen goldenen Bauchbinden? Das ist zu viel, Herr Le Fort, das ist Parvenumanier, zumal du selbst inmitten dieses Ueberflusses dasitzst mit einer kurzen englischen Schifferpseife zwischen den Zähnen. Du verachtest die Feinschmeckerei der „Echten". Du hast ein Recht dazu, denn so mit der Pfeife im Munde, ohne Finessen, ja eigentlich ohne Geschmack, hast du deine Millionen zusammengerafft, und so schmeißt du
die Brosamen deines Reichtums deinen Gästen vor: hier nehmt's! Warum schiebst du uns nicht mit dem Fuße die Zigarrenkisten hin? — Die andern merken's nicht. Sie rauchen hastig ganz dicke Wolken, um so viel wie möglich von diesem edeln Gifte zu verschwenden, sie werden auch noch zwei Festrüben in Staniol auf ihren Heimweg nehmen. Aber du vergißt den Grafen Caren, der vielleicht um so empfindlicher ist, weil er nichts mehr besitzt. Er hütet sich vor den Riesenimperials, die er in aller Mund erblickt. Er raucht eine ganz kleine Capitana mit dunkelm, blankem Deckblatt; sie ist mäßig, aber er raucht die billigste, unscheinbarste, weil er die Mauer markieren will, die sich zwischen der geschmackvollen Tradition und den zusammengerafften, geschmacklosen Millionen aufbaut. Und wenn er so lange Zwischen den unzähligen Schnapsflaschen umhersucht, unhöflich langsam, wenn er den Kräuterduft der grünen Chartreuse verachtet, die Rubinfarbe des holländischen Sherry-Brandy nicht zu sehen scheint und über die bauchige Flasche eines uralten Cognac einfach hinwegsieht und sagt: „Haben Sie keinen Gilka oder ..." — Die andern erraten, was ich sagen will, und schreien „Bomulunder!" Ein tolles Gelächter entsteht. Sie halten's für einen Witz — es soll keiner sein — sondern nur eine Kritik für Le Forts und ihre Gesellschaft.
Vielleicht ist's Stimmung bei mir, der schmutzige Hundertmarkschein, der mich nervös macht — aber auch das Zimmer ist das Zimmer eines Parvenüs. Es paßt zu dir, das schwere, geschnitzte, nagelneue Eichen, dicker Koloß? Sieh mal, eine Renaissance- Einrichtung ist schön, sie hat etwas Herbes, Unnahbares, (wie deine Tochter) — Renaissance hat etwas von der Antike, und das ist natürlich; aber sie ist aus ihrer Zeit herausgewachsen, aus einer großen Zeit. Und du versetzst sie in die Händelstraße, in die Mietsvilla. An dem Riesenschreibtisch mit dem Riesenstnhl sollte Cesare Borgia sitzen mit der Riesensinnlichkeit und der dämonischen Herzenskälte. Und in dem hohen, eichengefaßten Spiegel sollte Lucretia ihr schönes Angesicht schauen — die Schwester, die Heilige von Ferrara! Ha! Und in den goldverzierten phantastischen Gläsern auf dem Paneel müßte das farblose Gift leuchten, das nach der Mär die Brut Alexanders VI. so gut zu brauen verstand. Und dafür sitzt hier Monsieur Le Fort mit dem englischen Kotelettebart, dem brutalen Gesicht ohne Güte, der Schifferpfeife, und um ihn die kleinen Schakale mit der Gier nach dem Golde, dem Fetzen des Reichtums, den sie dem Löwen entreißen möchten.
„Das ist ein Mann von mindestens fünftausend Mille."
„Ja, der ist kolossal reich."
„Und alles in zwei Jahren mit Grundstückspekulationen im Westen."
Herr Le Fort schweigt. Er verachtet dies Lallen.
Aber mich reizt es doch, immer wieder zuzuhören: es liegt ein merkwürdiger Kitzel in dieser Geldunterhaltung. Die Leute haben wahrscheinlich allesamt nichts, verstehen nichts von irgend einem Geschäft. Die Kohlenstaubverbrennung ist ihnen ein böhmisches Dorf — aber in Gedanken im Golde wühlen zu können, in hunderttausend Mille — je mehr, je besser, und ganz gleichgültig, wie sie erworben — das ist ihr Genuß, das regt mehr an, als Upmann und Chartreuse. Reich werden, maßlos reich — ohne Arbeit, ohne Talent, durch einen Trick, eine Gemeinheit: das ist die fixe Idee, die aus allen diesen Augen leuchtet. Darum kommen sie mir alle so uniform vor, diese Menschen, obgleich sie sehr verschieden sind. Darum vermag ich nicht die einzelnen Typen zu packen, weil sie alle nur wie Spielarten des einen großen Typus, der Geldgier, sind.
Und Le Fort sitzt mitten unter ihnen, die ihm widerwärtig schmeicheln, die ihn ausholen möchten — ganz ruhig, ein unbeweglicher Koloß, um den die Wellen branden. Ist er der glückliche Nabob, den eine Schicksalslaune ohne Schuld zu schwindelnder Höhe hob, und der nun stumpf, dumpf, brutal vor seinem Golde, seinem Götzen sitzt, einem richtigen Fetisch, weil er das sinnlose Walten nicht begreift? Oder ist er das amerikanische Millionenraubtier, das sich vom Schreibtische nicht rührt und mit einem Druck auf den elektrischen Knopf, einer Ordre durchs Telephon die kleinen Opfer erschlägt? — Jetzt gähnt er mit seinem großen Munde, und da kommt er mir
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wieder vor wie ein Walfisch, der den Rachen aufsperrt, bis ihm die Sprotten den Schlund haufenweise füllen.
In dieser anregenden Beschäftigung, dem Nächsten Gemeinheiten nachzusagen, werde ich wiederum gestört. Wieder ist's die kleine Ethel, die mit einer reizenden Nichtachtung der Milles und des heiligen Rauchzimmers zu uns eindringt. Alles springt galant, dienstbeflissen auf. Vor dem Zauber dieser Rosenknospe verliert auch der Zauber der Millionen seine Bannkraft. Ethel verzieht sehr komisch das Stumfnäschen angesichts des Qualms: „O, lassen Sie sich nicht stören, meine Herren! Ich höre schon wieder Mille .. . Mille. . . Mille ... Ich gehe auch gleich wieder. Herr Graf, Sie aber müssen mitkommen!"
Selbstverständlich bin ich sofort bereit. Zur Vorsicht nimmt sie mich noch unter dem Arm. „Und gnädiges Fräulein befehlen?"
Sie läßt sich aber auf keine Erörterungen ein, bis sie mich im Tanzsalon hat. Eine Polka tönt. Damen verbeugen sich vor Herren, die „Veritable" vor Bomulunder. Der Blondkopf macht mir einen ganz leichten, graziösen Knicks: „Damenwahl, Herr Gras! Sie müssen schon mit mir tanzen..."
Einem solchen Befehle gegenüber würden auch die Gebrechen eines Krüppels machtlos sein. Ich wirble sie ein halbdutzendmal im Zimmer herum; sie lehnt sich so allerliebst an mit der weißen weichen ' Schulter — sie denkt sich gar nichts dabei! So bin ich also als Tänzer entlarvt und denke an irgend eine Lüge für die „Veritable", die mich entgeistert ansieht. Aber der Blondkopf läßt meine Reuegedanken gar nicht ansreisen, bedeutet mir mit einer entzückenden Kopsbewegung, daß er von mir in das Eßzimmer nebenan geführt zu werden wünscht. Ich drücke ganz leicht den hübschen vollen Arm, an dem sie mich entführt. Wer wäre Asket angesichts solcher Jugend! Und Ethel verlangt das auch gar nicht von mir.
Im Eßzimmer, wo nur noch die Jardinieren mit den dunkeln Rosen den Tisch zieren, nimmt sie mich in eine Ecke. Ich glaube sogar, sie hat mich an einem Frackknopfe gefaßt. „Wissen Sie, warum ich Sie geholt habe?"
Ich bin wieder mal nicht sehr scharfsinnig.
„Um den Bomulunder zu ärgern und Asta eifersüchtig zu machen!"
„Sehr schmeichelhaft, gnädiges Fräulein."
„Ach, seien Sie nicht immer so spöttisch, Herr Graf! . .. Der Bomulunder hat den ganzen Abend mit mir getanzt und bei der Damenwahl hole ich Sie — Sie ganz allein, der mit niemand tanzt." Sie reibt sich lachend die Hände. „Den Kerl zu ärgern, ist mir ein Hochgenuß! Ich sage Ihnen, er ist zu sehr fade..." — fährt sie in reizender Verzweiflung fort — „immer von seinen dreiundzwanzigsten Husaren . . . und wie gut er reitet! . . . Das dritte Wort ist ,Herr Lieutenant', wenn er von sich was erzählt. — Und er ist doch nur Reserve!"
„Das bin ich auch nur, gnädiges Fräulein."
„Aber sechster Garde-Ulan und Graf!... O, Ihretwegen habe ich mir extra eine Rangliste gekauft. Seite 901 da wimmelt's ordentlich von Prinzen und Grasen! — Das ist so komisch bei Ihnen in Deutschland, wenn einer recht vornehm ist, so hat er ein halbes Dutzend Vornamen: Johann Friedrich August — und eigentlich keinen Familiennamen, genau so wie unser Diener auch. — Im übrigen, bürgerliche Reserve-Offiziere haben die sechsten Ulanen überhaupt nicht. Sie sind das einzige Regiment, das keine bürgerlichen Reserve-Offiziere hat."
Diese Wahrheit ist bitter, wenn man gerade noch einen schmutzigen blauen Lappen besitzt und die Tabatiere Friedrichs des Großen versilbert hat.
Ethel fährt geschäftig fort: „O, das habe ich ihm auch unter die Nase gerieben: ,Die vornehmen Regimenter haben doch überhaupt keine bürgerlichen Reserve- Offiziere — nicht wahr, Herr von Bomulunder?' Ich kann so falsch sein und so unschuldig aussehen, wenn ich will! Er dachte auch wirklich, ich hielte ihn für adelig, und wurde ganz rot. Der — und Edelmann! Da könnte ich ebensogut Ethel Freiin von Le Fort heißen, ich glaube sogar noch besser!. . . Aber zu guter Letzt mußte ich bei der Komödie doch lachen, und da kam zum Glück die Damenwahl."
Ich wollte die kleine Unbotmäßige dem Salon
