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Weber Land und Meer.
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wiedergeben, um ihr eine Strafpredigt der Mutter zu ersparen; aber sie that's nicht.
„Nun kommt ja die Hauptsache, Herr Gras! — Fabriziert er wirklich Schnaps, wie der blonde Lieutenant gesagt hat?"
„ Sein Vater wenigstens that's, gnädiges Fräulein."
Daraus schüttelt sie sich in nicht enden wollendem Grauen. „O Gott, Schnaps — Schnaps!" Das häßliche Wort klang so komisch aus ihrem reizenden Mund. Dann aber lachte sie hell auf und sprang vergnügt wie ein Kind aus dem stöhnenden Parkett in die Höhe. „Wenn er mich nochmals ärgert mit seinen dreiundzwanzigsten Husaren, dann sag' ich ganz gleichmütig: ,Herr Lieutenant, mein allerliebstes Getränk ist Bomulunder. . .' Wie sieht er doch aus, Herr Graf?"
„Braun, achteckige Flasche — das Liter kostet eine Mark zwanzig."
„Das ist sehr billig." Sie scheint etwas enttäuscht. „Aber ich kann ja schrecklich geizig sein und sortfahren: ,Von Ihnen direkt kann ich ihn doch billiger bekommen, Herr Bomulunder?'"
„Aber, gnädiges Fräulein!" mahne ich bei dieser Backfischidee. „Nun führe ich Sie zu Ihren guten Göttern zurück. Ich bekomme heute abend nicht die Strafpredigt von Ihrer Frau Mutter — und der blonde Boxer wartet schon so sehnsüchtig!"
„Thut er das? Um so besser." Die blonde Ethel ist aus einmal sehr kühl. „Bei der Mazurka vorhin, der einzigen, die ich mit ihm tanzte, saß ich wie auf Kohlen — noch ein einziges freundliches Wort von mir — und er hätte gesagt: ,Angebetete Ethel, darf ich bei deiner Mutter noch heute um deine Hand bitten? . . .'"
Madame Le Fort gleitet lautlos ins Zimmer. Ich mache irgend eine Verlegenheitsbewegung, die sie ganz richtig deutet. Sie sagt mit unwiderstehlichem Lächeln: „Nur nicht stören lassen, meine Herrschaften! Mein Bruder ist eben gekommen . . . Wenn Sie nachher Zeit haben, Herr Graf... Erwirb sich gewiß sehr freuen, Sie kennen zu lernen." Sie entschwindet, ohne meine Antwort abzuwarten. Seltsam — wenn das Weib im Zimmer gewesen ist, ist's mir immer, als wenn niemand drin gewesen wäre!
„Ihre Frau Mama ist aber vortrefflicher Laune," tröste ich.
Fräulein Ethel ist andrer Meinung. „Wer weiß. Manchmal ist sie am liebenswürdigsten, wenn sie am bösesten ist. Aber bah! Ich halte mir die Ohren zu . . . Nun brauche ich wenigstens nicht gleich zu dem Lieutenant." Darauf wird sie ernst. Der Ernst giebt so reizenden Köpfen immer etwas Wehmütiges. — „Ich glaube, ich werde mich nie verheiraten, wenigstens nicht glücklich. Einer will mein Gesicht und mein Geld, der andre nur mein Geld. Aber was hier ist..." sie tippt mit dem schlanken Finger nach der Herzgegend — „das interessiert niemand."
„Zum Beispiel mich außerordentlich, gnädiges Fräulein!"
„Sie, Herr Gras? — Sie wollen eine Eloge hören, nicht wahr? Ich aber glaube, mir ginge es mit Ihnen, wie es mir mit dem Zeichenlehrer und dem Gardereiter gegangen wäre — ich wäre totunglücklich geworden mit ihnen. Nicht etwa deswegen, weil's eine Kinderei ist, oder weil ich Sie unter keinen Umständen gerne haben könnte, sondern weil Sie eben etwas suchen, etwas ganz andres, als ich besitze."
„Gnädiges Fräulein sprechen in Rätseln."
„Gewiß, Herr Graf, Sie könnten mich totschlagen, wenn ich Ihnen sagen sollte, was dieses Etwas ist. Aber Sie verdienen dieses Etwas. Seien Sie doch froh, daß Sie's verdienen! . . . Sagen Sie — ich bin wieder sehr zudringlich — haben Sie für meine Schwester Asta gar nichts übrig?"
„Etwas? Nein! Aber alles."
Bei der Ironie wird sie zornig, will fort, und ich versuche, sie meinerseits an ihrem Spitzenärmel zu halten: „Nicht so hastig, gnädiges Fräulein!"
„Lassen Sie mich los, oder ich schlage — ich schlage ganz gewiß!" Und sie hebt schon den Fächer. „Ich bin kein Kind. Und meine Schwester Asta verdient eher alles andre als Ironie."
Daraus verbeuge ich mich schuldbewußt. Mir thut's leid, den süßen Blondkopf geärgert zu haben.
Und sie ahnt das auch, ahnt, daß ich ihre Schwester Asta totquälen könnte, ihr aber kein einziges Haar krümmen — so jung und süß und unschuldig ist sie!
An der geöffneten Salonthür dreht sie sich noch einmal um und ruft mir durch die hohle Hand gedämpft zu: „Als was wünschen Sie mich wieder zu sehen, Herr Graf? Als Frau Schnapsfabrikant Bomulunder, Reserve des dreiundzwanzigsten Husarenregiments — oder als Frau Lieutenant von. . . o, ich weiß meinen eignen Namen nicht! ... auf sechs Monate zum Boxen kommandiert? — Sie haben nur zu wünschen!"
Dann entschwindet der neckische Sonnenstrahl. Das gotische Zimmer ist wieder sehr düster und feierlich.
Ich habe keinen Appetit mehr auf den Bruder von Frau Le Fort — überhaupt aus nichts.
Wieder sitze ich im Rauchzimmer, eingekeilt zwischen dem Koloß und dem Doppeldoktor. Die Unterhaltung ist angeregt. An den wortkargen Grafen hat mair sich gewöhnt. Die Leute thun recht daran, denn ob auf dem Eichenstuhle meine Wenigkeit oder eine Gliederpuppe sitzt, kann der Millionenhatz ziemlich gleichgültig sein. Ich höre nur „Mille", immer wieder „Mille" — und höre in Wahrheit nichts. Mich beschäftigt ein andres Problem. — Wie kommen diese Eltern zu diesen Kindern? Erzeuger und Erzeugte trennt eine Kluft; sie sind sich völlig unähnlich. Ist die ganze Vererbungstheorie ein Unsinn? Oder haben wir's mit einem seltenen Spiele der Natur zu thun, die mal frei schaffen wollte, ohne Tradition, ohne Prämissen — oder bin ich zu dumm?
Mir ist's recht, daß die Tanzsarce bald ein Ende hat, daß einige Frauen sich angelegentlich nach ihren Männern erkundigen. Der gewisse Blick — das gewisse Räuspern — man erhebt sich zögernd. Unten halten die Droschken. Madame hat für alles gesorgt. Die Kandelaber im Treppenflure flackern, das pom- pejanische Rot der Wände leuchtet wie Blut, und die Diener strecken diskret die Trinkgeldhand aus.
Ich verschmähe die Fahrgelegenheit. Ich habe Lust, allein zu sein, zu gehen, zu träumen. Der Tiergarten liegt so hübsch düster-einsam, nur die Blätter rascheln leise, und der Mond wirft fahle Schlaglichter auf die gelben Reitwege. Er soll unsicher sein, der Lustpark Berlins, um zwei Uhr nachts. Meinetwegen. Wenn euch lumpige hundert Mark reizen, meine Herren Verbrecher — kommt und holt sie! Ich hänge ja nicht am Gelde. Aber ohne weiteres gebe ich sie euch auch nicht — ich verlange dafür wenigstens einen Schlag auf die Schädeldecke, der mich für ewig stumm macht. Wär's schade um das schöne Haupt? Sei ehrlich, Louis! Wenn du den Bericht über deinen eignen gewaltsamen Tod zu verfassen hättest, es würde ein kühler Bericht sein mit dem Schlußsätze: Er starb zu rechter Zeit.
Mit solchen Gedanken wandle ich durch die Sommernacht. Sie ist schwül, schwer; unter dem grünen Walddache brütet die stumme Hitze. Und wenn ein Luftzug durch die Blätter geht, matt, ohne Frische, fast ohne Laut, erstickt von der Schwüle — dann bleibe ich stehen. Im Mondlichte spielen die seinen Blätterschatten auf dem Kies, und die schwarzen Stämme heben sich unheimlicher aus der verschwommenen Helle. Weiter hinten verfließt's in Grau und Grau, in Hitze und Dunst. Ich bange vor keinem Uebersall, ich horche nur. Es kommt mir vor wie ein Atemzug von weit, weit her, dem allmählich die Kraft erlahmt, der stirbt. Und endlich begreife ich's. Berlin atmet. Er ist so qualvollungesund, dieser Atemzug, er kommt von einem Kranken, den der lärmende Tag über die Not, das Elend, das Fieber weggetäuscht hat. Jetzt liegt er matt auf seinem Nachtlager, und jetzt fühlt er erst den verpesteten Hauch, das Miasma, den Fieberdunst, der mit der ungesunden Schwüle ekel, gierig durch die Mauern und die Fenster dringt, ihn umwogt, drückt, langsam tötet. Und er vermag nichts gegen ihn, er fühlt nur die unsagbare Angst, den Alp — dennoch ist er froh, daß ihm der Gisthauch noch gnädig den verstohlenen feigen Atemzug zurückläßt, von dem er nicht leben kann und nicht sterben. Ich weiß nicht, wie ich aus diesen blöden Vergleich komme. Aber auch ich fühle den Alp hier in der Natur, im Walde, in der Nachtsrische — ich fühle auch das Gift — ich fühle auch, daß ich selbst ein Kranker bin. Berlin in dem bangen Halbschlummer ist bedrückend. Oder
sind nur meine eignen Nerven krank? Was ich vernehme, ist vielleicht der Atem eines Gesunden, eines traumlos Schlummernden. Ja, traumlos muß der Schlaf sein — denn Berlin träumt nie.. .
Strich. Der schmierige Hundertmarkschein macht mich zum Phantasten. Ich wollte mich schadlos halten für die Abenteuer, die ich im Tiergarten nicht erlebte. Auch waren Le Forts Weine superb, und vielleicht habe ich ihnen zu stark zugesprochen. Jedenfalls je näher ich dem sterbenden Kranken komme, je mehr fühle ich, daß er recht geräuschvoll atmet. Am Brandenburger Thore erkenne ich, daß der Kranke gesund ist.
Ich trete aus den hübschen großen Platz, der die Königgrätzerstraße hier ebenso aristokratisch abschließt, wie auf der andern Seite das Hallesche Thor plebejisch. Einige Schutzleute turnen um den großen Kandelaber in der Mitte herum und haben wohl auch die Empfindung, daß man nur den feurigen Laternenlinien rechts oder links zu folgen braucht, um etwas Pläsierliches zu finden. Geradeaus, wo's wie ein Leuchtkäserschwarm durch die Säulengänge des Brandenburger Thores blitzt, bin ich sicher, daß ich etwas Pläsierliches finden muß. Ich habe auf einmal Appetit aus eine Schale „Nuß" bei Bauer, und der kühle Springbrunnen des Niesen- cases erweckt mir schon jetzt in der Erwartung angenehme Gefühle. Vielleicht langt's auch noch zu einein „Prince of Wales" im „Englischen Büffett", oder — oder... Die Nachtlokale liegen so hübsch zusammen. Warum soll ich nicht einmal wieder Patschuli einatmen und falsche Steine sehen und höchstes Berlinisch hören? — Die Moral gehört den Kranken, ich bin, Gott sei Dank, gesund.
Ich setze mich in schärferes Tempo und habe schon den Posten an der Thorwache passiert, als ich plötzlich eine Stimme höre: „Herr Gras! Herr Graf!" Es klingt bekannt und auch wieder nicht. Anstandshalber muß ich doch etwas nach rückwärts schielen. Und da bin ich aufgeschmissen. Ich sehe zwei Gestalten, von denen die eine der Doppeldoktor ist. Ich murmle einen ingrimmigen Fluch, den ich den Näherkommenden höflich in: „Ach Sie, meine Herren!" verdolmetsche. Im übrigen wäre der Doktor auch der Mann, sich um meine Verachtung oder meinen Aerger gar nicht zu kümmern.
„Wandeln Sie lust, oder wandeln Sie nacht, Herr Graf?"
„Lust."
„Dann sind Sie unser Mann!" Auch die andre Gestalt kommt zögernd etwas näher. Der Doppeldoktor winkt mit dem Stocke: „Immer 'ran, meine Herrschaften. — So, das ist jetzt Mensurabstand. Darf ich Sie bekanntmachen: Herr Dr. meä. Lister
— Herr Gras Caren."
Da bliebe dir also heute nichts erspart, Louis. Natürlich ist der andre der Bruder von Madame Le Fort, der fabelhafte Onkel der grünäugigen Asta. Wir drücken uns nach englischer Manier die Hand
— ich kühl, er kühler. Was Asta nur an diesem Manne hat! . . . Jedenfalls will ich versuchen, objektiv zu sein. Er ist gut gewachsen, groß; ich muß mein gräfliches Rückgrat sehr steifen, um ihm über zu sein
— er geht etwas gebückt; ginge er gerade, wäre er mir unbedingt über. Aber Leute mit schwarzen Schlapphüten, lotterigen Jacketts und grauen Beinkleidern ohne Plättfalte kokettieren natürlich mit einer genialen Bummligkeit. Das soll so Künstler, großer Geist sein. Dabei gehört Herr Lister zu den Menschen, denen man die peinlichste Sauberkeit ordentlich anriecht. Wäsche und Zeug altmodisch, aber tadellos, und der schwarze Bindeschlips von einer Faxon, deren Geburt ich aus Maliee gerne erfragen möchte. Ich habe nun einmal gegen diesen Onkel etwas. Ich habe es um so mehr, weil ihm die Grünäugige aus den Augen geschnitten ist. Es ist ein vornehmer, sogar schöner Kopf, so scharfe, kluge Linien, wie bei Asta; über der schmalen Lippe ein schneeweißer Schnurrbart, die Brauen buschig, auch schneeweiß, und unter der tiefen Wölbung das große grüne Auge, Astas Auge — aber gut. Ich gebe ihm das ungern zu. Sonst hat er das Gesicht eines Menschen, der sich viel und mit kaltem Wasser wäscht. Wär's einer aus unsrer Sippe, würde ich sagen: „Er trägt sich distinguiert salopp." So heißt er Lister, und ich werde ihm die Vornehmheit nie zugestehen, sondern nur sagen: „anmaßend salopp".
