M 25
Metier Land und Weer.
395
Gefühlen gepeinigt, von denen das stärkere ist: warum stirbt eigentlich die Bestie nicht?
Lola wird endgültig bedeckt. Ich mache einen dummen Witz. Die Gnädige droht, die Schildkröte stöhnt.
„Aber, liebe Tante, du bist auch wegen des Vogels so furchtbar ängstlich."
„Sprechen wir nicht davon, Louis — sprechen wir nicht davon!" . . . Und sie schiebt sich wehmütig in eine Sofa-Ecke.
„Aber, meine gnädigste Gräfin, trösten Sie sich doch!" Madame übernahm so gründlich und überzeugend die Tröstung der Tante, daß diese bereits wieder meinen Leichtsinn diskutieren konnte: „ Töchter sind ein Segen, gnädige Frau — aber Neffen ..." Der zweite Teil des geistreichen Apercus wird mir bei jedem Besuche präsentiert. Warum die Schildkröte so besorgt um mich thut, weiß ich nicht. Sie hat ja eine geheime Freude daran, daß ich leichtsinnig bin, daß sie mich durch einen zitterigen Namenszug zum Millionär oder zum Bettler machen kann. An die kleinen Bosheiten dachte ich in dem Augenblicke nicht. Mich interessierte der seidenverhangene Käfig. — Schläft da der satte, verzogene Tyrann? Oder kämpft er einen stummen Todeskampf? Dieser Vogel bedeutet für mich Millionen, dennoch wünsche ich ihm in diesem Augenblicke nicht mehr den Tod. Es ist weder Mitleid noch Großmut — es ist eine Art Scham, der männliche Widerwillen gegen ein lächerliches Geschick. Von den Verdauungsstörungen eines Kanarienvogels gewissermaßen abzuhängen, das ist läppisch.
Dennoch sehe ich so gespannt aus das „verschleierte Bild", horche scharf. Unter dem gelben Tuche geht etwas vor, das vielleicht allein. . .
Nein, ich bin ungerecht. Madame denkt gar nicht an den Vogel, sieht über das gelbe Bauer hinweg ohne Interesse, als wenn alles für sie nie existiert hätte. Und seltsam. . . gerade diese Gleichgültigkeit, die nicht einmal mehr die Maske des Lächelns deckt, reizt mich, den Käfig anzustieren, zu lauschen auf jeden Laut, jede Bewegung. Aber es passiert nichts hinter jenem Vorhang... absolut nichts.
Diese Stille macht mich ganz nervös. Und aus einmal höre ich einen Laut, einen kaum hörbaren Fall... Ich würde es für ein Phantasiegeränsch gehalten haben, aber in Madames Augen zuckt es aus.
„Tante, die Lola hat sich eben gerührt..."
Die Schildkröte lächelt stolz, tastet sich mit ihren gichtischen Händen an der Tischplatte entlang zum Käfig. „Lola, mein Liebling," — sie nimmt das Tuch weg - „Lola..."
Dann stößt sie einen schrillen Schrei aus. In einer Käsigecke liegt der Gelbe mit eingezogenen Krallen und offenem Schnabel: Lola ist tot.
Und jetzt wieder das kreischende: „Karl! — Anna!"
Der Hofstaat, der jedenfalls gerade gehorcht hat, reißt die Thür auf, stürzt herein. „Gnädigste Com- tesse..." Die Schildkröte vermag nur noch mit den Händen zu zeigen: „Da — da!" mit der Pose einer Maria Stuart aus einem Kolportageband. Dann schwankt sie. Ehe ich zuspringen kann, hat sie der Hofstaat schon in seine Arme genommen.
„Gnädigste Comtesse müssen sich beruhigen!"
Ich fühle die feindlichen Blicke des Dicken und der Dünnen. Die Tante rollt die Augen wie eine Sterbende. Der tote Vogel thut mir leid, aber wenn die Schildkröte jetzt hinüberschwebte — das ist ein angenehmer Schauer.
Doch die Schildkröte schwebt nicht hinüber, sie wird nicht mal richtig ohnmächtig. Und ehe sie noch die halb gelähmte Zunge bewegen kann, tappt sie schon mit den Gichtfingern in die Lust — in meiner Richtung: „Er hat ihn gemordet... er!" Das kann die Tante doch endlich hinter dem falschen Gebiß hervormurmeln.
„Aber ich habe das Tier ja gar nicht berührt, kaum angesehen."
„Doch, doch — du bist es gewesen, Louis! Du hast ihn immer töten wollen." Argwohn und Abneigung sind allmächtig. Und wenn eine göttliche Vernunft ihr klar bewiese, daß ein Mord unmöglich war, so würde sie doch stiernackig behaupten, meine ruchlosen Gedanken hätten den Liebling getötet. Es ist so dumm!
Der Hofstaat fühlt instinktiv, daß er energisch Partei nehmen muß. Sie sind nicht Bedienstete,
sie sind ja Vertraute und hegen die Befürchtung, daß, wenn der Sohn der Lasis-Taetz sich doch noch in das Herz der Schildkröte einschleichen könnte, so würde er eines Tages ihre Rechnung revidieren, den ganz kolossalen Schwindel aufdecken, der natürlich mit dem Haushaltungsgelde getrieben wird. Wenigstens in eisigem Schweigen, in vorwurfsvollen Blicken muß dem Grafen Euren gezeigt werden, daß sein Leumund belastet ist, und daß ihre Legate unwiderruflich sind.
Doch auch gräfliche Geduld hat ein Ende. Ich habe eine Vision von einer früheren Rekruteninstruktion und fahre auf den Dicken los: „Sehen Sie mich nicht so frech an, Kerl!" Der Dicke ist ein brutales Subjekt — er ist aber auch eine Dienstbotennatur und kuscht.
Und als ihm die Tante mit tragischen Handbewegungen zu Hilfe kommen will, da sage ich sehr bestimmt: „Was du mit mir zu sprechen hast, Tante, das habe die Güte, nicht in der Gegenwart dieser Leute zu thun."
Auch sie ist eine Dienstbotennatur und kuscht.
Madame dagegen sieht mich lächelnd an, und die schmalen Lippen kräuseln sich spöttisch. Sie hätte mir bei der unsinnigen Scene beispringen können — sie that's nicht. Drum ist's eine sehr kühle Verbeugung, mit der ich mich sofort verab-
prosesior Alexander Liezen-Mayer.
schiede. Ich bin entschlossen, die Bude dieser blödsinnigen alten Jungfer nicht mehr zu betreten. Mag sie mit ihren Millionen zugleich verrecken!. . .
Und wie ich so durch den dröhnenden Korridor der Villa hinauswandle, liegt wieder der Geruch von Peau d'Espagne in der Lust. Ich beginne Peau d'Espagne zu hassen.
Dann werde ich nüchtern. Woher eigentlich dieser Wutexceß bei einem Menschen, der gar nicht zu Excessen neigt? Ich war nie tobsüchtig; ich bin von Jugend aus durch eine Schule gegangen, die kaltes Blut und lächelnde Selbstbeherrschung lehrt. Und trotzdem — was ich thne, Gutes oder Schlechtes, Dummes oder Kluges, es ist nie kalte Erwägung, die mich zum Handeln bringt — immer war's Impuls, innerliche Auflehnung gegen äußerlichen Zwang. Zum Diplomaten paßt diese Augenblickspolitik nicht. Und doch hat ein großer Meister unsrer Kunst mir einmal im Vertrauen gesagt: „Der Impuls gehört zu jedem Fach, nur muß man ihn zu zügeln wissen." Ich kann ihn auch zügeln — aber immer fünf Minuten zu spät.
Der weise Harün, der dieses schreibt, muß wohl ziemlich ziellos im Tiergartenviertel umhergeturnt sein, denn plötzlich hört er hinter sich eine liebenswürdige Frauenstimme: „Noch immer böse, Herr Gras?" Das ist die Dame mit der charakterlosen Linie. Die Liebenswürdigkeit in Person bin ich natürlich nicht. Madame übersieht das. „Wie kann man sich nur so unnötig aufregen, Herr Gras!"
„Ja wie kann man!" gebe ich spitz zurück.
„Sie sind mir böse, daß ich Ihnen nicht zu Hilfe gekommen bin. — Bedenken Sie doch! Was
heute falsch gewesen wäre, ist morgen richtig. Erklärte ich kategorisch: ,Comtesse, das geht zu weit — man mordet schlechterdings keinen Kanarienvogel mit den Blicken . . ? Ihre Tante würde ich schon ruhig gekriegt haben, aber die Leute, unter deren Pantoffel sie steht, hätten eine Stunde später gewonnenes Spiel. ,Die hat gewiß mitgeholfen/ hieße es dann. — Ich und morden! Ich werde ohnmächtig, wenn ich meinen eignen Finger bluten sehe. So habe ich nichts gesagt, lasse das Gewitter austoben. Morgen komme ich zur Kondolenzvisite, und wie viel harmloser klingt's dann: ,Frau Gräfin waren gestern doch ein klein wenig ungerecht! Ihr Herr Neffe that mir leid . . ? Dann komme ich aus den toten Vogel zu sprechen. — Es thut mir auch leid, das Tierchen! — Ich werde nicht Ihr schlechtester Anwalt sein, Herr Gras, wenn ich erst von weiser Fügung des Schicksals spreche und sehr viel später von verzeihlichem Leichtsinn."
Das ist wieder mal sehr diplomatisch gedacht. Aber heute ist diese Diplomatie nicht nach meinem Geschmack. „Und warum wollen Sie eigentlich mein Anwalt sein, gnädige Frau?" Das ist unhöflich, ein schlechter Dank für Madames Güte.
„Weil ich nicht möchte, Herr Gras, daß Sie zu Grunde gehen." Das ist wiederum sehr gütig von Madame, nur daß ich diese Güte heute nicht verstehen will. Sollte sie mich wirklich für Ethel ködern wollen? Ein schwacher und ein starker Wille reiben sich hier, das merke ich, aber darin liegt auch der Schlüssel für meine Abneigung — eben weil ich diese schwächere Natur- bin. (Forgetzung folgt.)
MeXanöer LLe^en-Alayer ff.
u München verschied am 19. Februar im Alter von 59 Jahren Alexander Liezen-Maper, der ausgezeichnete Historien-, Porträt- und Genremaler. Am 24. Januar 1839 zu Raab in Ungarn geboren, erhielt der Verewigte seine erste künstlerische Vorbildung in Wien, siedelte jedoch bald nach München über, wo Piloty ihn 1862 in sein Atelier aufnahm. Seine ersten größeren Werke waren die Heiligsprechung der Elisabeth von Thüringen und Maria Theresia im Garten zu Schönbrunn, das Kind einer Bettlerin stillend. Erst 1867 verließ er die Schule Pilotys, dem er jedoch in treuer Verehrung zugethan blieb. Im Beginn der siebziger Jahre wandte er sich jenem Stoffgebiet zu, aus dem er seine größten Erfolge erzielen sollte, der Illustrierung klassischer Dichtwerke, sei es durch Oelbilder, die einzelne Scenen darstellten, sei es durch ganze Cyklen, wie die fünfzig Blätter zu Goethes „Faust" und die zweiunddreißig Blätter zu Schillers „Glocke". Für die „Scheffel-Galerie" zeichnete er drei Darstellungen zu „Ekkehard". Im Jahre 1877 zum Mitglied der Wiener Akademie ernannt, wurde er 1880 mit der Leitung der Stuttgarter Kunstschule betraut, jedoch schon 1883 als Professor für Historienmalerei an die Münchener Akademie zurückberufen. Unter seinen neueren Werken sind „Die heilige Elisabeth von Ungarn", „Philippine Welser vor Ferdinand I.", sowie die „Thronerhebung des Matthias Corvinus" hervorzuheben, die dem Künstler auf der Bndapester Millenniumsausstellung die große goldene Medaille einbrachte. Im Aufträge Kaiser Wilhelms II. schuf er für die königliche Bühne in Hannover den neuen Theatervorhang, den wir in Nr. 52 unsers vorigen Jahrganges Wiedergaben.
Srühlmgsrunen.
Die Runen, die beim Thalwärtsgehen
Der Lenz in meine Seele schrieb? z. von Seybold.