Heft 
(1898) 25
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Ueber Land und Meer.

M 25

Eönigin ^uise.

-^Z Jum 22. Wärrz 1 8 9 8.

(Siehe das Bildnis Seite 396 und 397.)

Königin, Lief muß bewegen Grinnrung uns, wenn dir sie gilt.

Lo rührend uns dein lieblich Vitd. Hernieder neigend dich vorn Throne Gewannst du dir ein jedes Herz,

So hoheitsvoll im Glanz der Krone And uns so menschlich nah im Schmerz.

Ach, Lchmerz und Leid bast du erfahren,

Eh dich erlöst davon der Tod:

Du hast erlebt in schweren Äahren Des Vaterlandes Schmach und Not.

Und eh das deutsche Schwert es wieder Erworben, was der Feind geraubt,

Da neigtest still-ergeben nieder Zum Sterben du dein schönes Haupt.

Du wärest heimgekehrt zum Frieden,

Da regt' es sich im deutschen Land,

Es war Vergeltung ihm beschieden,

Als es in blanken Waffen stand.

Der Uheinstrom sah die deutschen Heere Gen Frankreich ziehn in Sturmes schritt; Gs ward gekämpft für deutsche Ehre,

And deine Löhne fochten mit.

Wohl war der grimme Feind bezwungen 3n ungeheurem, blut'gem Streit,

Doch nicht erreicht war, was gesungen Die Länger deutscher Herrlichkeit;

Vicht, was verkündet einst die Klten:

Des Deutschen Veichs erneute Wacht;

Das blieb der Zukunft Vorbehalten,

And o wie schön ist es vollbracht.

Sie kamen uns, die goldnen Tage,

Da stieg herab von seinem Thron,

Daß er das deutsche Vanner trage Dem Heer voran, dein großer Lohn.

And als er heimwärts kehrte wieder,

Mit Sieg gekrönt, mit Vuhm und Glanz, Da legt' an deiner Gruft er nieder Demütig seinen Lorbeerkranz.

Kn ihn und seine Thaten denken Wir dankerfüllten Herzens heut.

Dir gab es Gott, ihn uns zu schenken,

Der uns des Weiches Wacht erneut.

And wenn sich Heut die Herzen regen 2n der Erinnrung, die ihm gilt,

Dann strahlt auch freundlich uns entgegen And segnend uns dein holdes Mld.

Linksrheinisch.

Novelle

Hermine Villinger.

Kapitän fuhr mit seinem Kopf aus dem Bett und warf einen ärgerlichen Blick auf die Rokoko-Uhr, die auf der Kommode stand, inmitten einer Anzahl Empiretassen.

Hm, noch nicht sechs," brummte der alte Herr, der soeben durch ein äußerst kräftiges Lachen aus dem Schlafe geweckt worden war. Wer konnte das fein da oben, fern von der kleinen Fabrikstadt, die sich drunten im Thal zwischen Wald- und Rebbergen ausbreitete? Das Häuschen, das der Kapitän be­wohnte, lag, ganz von Ranken umsponnen, dem an­sehnlichen Besitztum des reichen Fabrikanten Jean Merkle gegenüber, und es war noch nie jemand von dessen Leuten eingefallen, die Morgenstille durch ein lautes Gelächter zu stören.

Mit eins fuhr der Kapitän in die Höhe: Ligre mou bijou!" und war im nächsten Augenblick am Fenster. Welche Ueberraschung! Das kleine ein­stöckige Häuschen gegenüber, das der Fabrikherr für seine Schwester neben seinem Garten hatte bauen lassen, war bewohnt; zum erstenmal seit zehn Jahren standen die Läden offen, und im Gärtchen befand

sich ein Mensch in einem grauen Leinwandkittel, mit einer Hacke in der Hand, und der war's, der gelacht hatte; er lachte noch immer, und zwar über Bijou. Das Tier hatte, natürlich aus Neugier, den Kopf zwischen die Gitterstäbe des Gartens ge­zwängt und konnte sich nun augenscheinlich aus dieser Lage nicht mehr befreien. Es schrie und zappelte, und nicht weit von ihm, aus einem Steinpfeiler des Nebengartens, saß eine große, schöne Angorakatze und sah mit funkelnden Augen der Verzweiflung des Hundes zu. Der mit der Hacke kam heran, sprach dem winselnden Tier freundlich zu, nahm dessen Kops zwischen die Hände, drückte ihm ein wenig die Ohren zusammen und befreite so den Hund aus seiner Lage. Die Katze, die sich für diesen Vorgang zu interessieren schien, hatte unvor­sichtigerweise ihren Posten verlassen und war ins Gärtchen gesprungen. Kaum sah sich der Hund frei, als er auch wie von Sinnen durch die offene Thür raste und sich aus die Katze stürzte. Sie hatte gerade noch Zeit, an dem im Leinwandkittel empor­zuklettern und sich an seinen Schultern sestzuklauen.

Wer war dieser Fremde, wer konnte dieser neue Nachbar sein?

Tröndle," erschallte dessen Stimme in diesem Augenblick nach dem Hause hin,jagen Sie den Hund fort!"

Der Kapitän platzte mit einem Fluche heraus ein Osfiziersbursche, ein deutscher Osfiziersbursche, war aus dem Hause getreten und beförderte den rabiaten Bijou ohne weiteres zur Thür hinaus.

War das denkbar, aus dem Eigentum des Mon­sieur Henri Merkle ein deutscher Offizier! Gestern abend noch war er, der Kapitän, mit seinem Freunde Martelet drüben gewesen; sie hatten mit Monsieur Merkle soupiert und gespielt, und er hatte ihnen mit keinem Worte verraten, daß er sein Häuschen vermietet hatte.

Die Empörung ließ den alten Herrn nicht mehr schlafen; er läutete nach seinem Frühstück, hatte Lust, Bijou, der mit der Hausfrau kam, einen Fußtritt zu geben, brachte es aber nicht über sich, und da sein Aerger irgendwo hinaus mußte, führte er ihm die Hand zum Rasieren, so daß der alte Herr wie tätowiert aussah, als er das Haus verließ. Drüben der Offizier trat zu gleicher Zeit heraus; sein Säbel schlug klirrend gegen die Gartenthür, und Bijou sprang zutraulich an ihm empor; er grüßte den Nachbar, und der Kapitän riß mit einem wütenden Gesichtsausdruck den Hut vom Kopf und stürmte davon. Er war ein kleiner, untersetzter Mann mit einem dicken, rötlichen Gesicht und sah trotz seines wohlgepflegten Henriquatre ganz wie ein deutscher Biedermann aus; er hieß noch obendrein Maierhuber, und dieser nicht zum Umbringen deutsche Name war der Hauptkummer seines Lebens, denn es gab keine französische Zunge, die ihn ausznsprechen vermocht hätte.

Der Kapitän ging an dem schönen eisernen Gitterthor vorbei, von dem man durch eine breite Kastanienallee zum Wohnhaus des Fabrikanten ge­langte, und trat unterhalb des Gartens in den Hof.

Im ersten Stock eines länglichen Gebäudes, dessen untere Räume wirtschaftlichen Zwecken dienten, hatte der Freund, Monsieur Martelet, seine paar Zimmer.

Martelet war ebenfalls Kapitän; Monsieur Merkle hatte ihn im Jahre 1870 als schwerver­wundeten Offizier bei sich ausgenommen und verpflegt, und seither war er als Gast im Hause geblieben. Er liebte es zwar, bei jeder Gelegenheit von seiner Abreise zu sprechen, um die armen Elsässer, die so froh waren, ihn zu haben, ein wenig zu ängstigen. Im Grunde wußte er aber ganz genau, daß er drüben in Frankreich nicht halb so viel Effekt ge­macht haben würde als hier, wo man den liebens­würdigen Schwadroneur aus Händen trug.

Er lag noch im Bett, als der Kapitän bei ihm eintrat; der Franzose fuhr mit seinem völlig kahlen, ganz mit Runzeln übersäten Köpfchen aus dem Kiffen:

Unglücklicher, Sie wecken mich aus meinem besten Schlaf!"

Um Ihnen Zu sagen," fiel ihm der Kapitän ins Wort,daß Monsieur Merkle einen Mieter in sein Gartenhäuschen genommen hat, und daß dieser Mieter niemand anders ist als ein deutscher Offizier!"

Der kleine Franzose fuhr mit beiden Beinen

zum Bett heraus:Sie träumen Sie haben gestern abend wieder zu viel getrunken!"

Ich bitte Sie, Martelet, ich flehe Sie an, das ist nicht leicht Zu nehmen, das ist eine ernste Sache

in unsrer nächsten Nachbarschaft ein deutscher Offizier, den man täglich vor Augen haben muß, um immer wieder daran erinnert zu werden"

Er konnte nicht weiter sprechen; die Erregung schnürte ihm die Kehle zusammen.

Martelet klopfte ihm auf die Schulter:Mein armer Freund, Sie haben recht welch eine Beleidigung! Gestern abend saßen wir noch mit diesem Monsieur Merkle zusammen sagte er uns auch nur ein Wort von seinem Vorhaben? Das ist ihm nicht der Mühe wert wir haben uns zu fügen wir sind in seinen Augen niemand. Aber, Monsieur Merkle, das geht zu weit; einmal hat's ein Ende, und diesmal bleibt's dabei: ich reise ab! Jawohl, ich reise! Sagen Sie nichts, mein lieber Kapitän, bilden Sie sich nicht ein, mich von meinem Vorhaben Zurückhalten zw können o nein, ich bin nicht derjenige, der sich einen deutschen Offizier vor die Nase setzen läßt schon der Anblick einer preußischen Uniform treibt mir die Galle ins Blut

unter jeder Bedingung, ich reise kein Wort, Kapitän, ich beschwöre Sie, keine Silbe; ein Wider­spruch könnte mich in diesem Augenblick zum äußer­sten treiben."

Der Kapitän, der treuherzig genug war, immer wieder den Kops zu verlieren, so oft Martelet von seiner Abreise sprach, rief in Heller Verzweiflung aus:

Und Mademoiselle Jeanne?"

Das arme Kind," seufzte Martelet,mit ihrem schönen Patriotismus; ich sage nicht, daß mir die Trennung von ihr leicht wird"

Und ich sage," unterbrach ihn der Kapitän, daß es unsre Pflicht wäre, ihr beizustehen und Monsieur Merkle wegen seiner Handlungsweise zur Rede zu stellen"

Ah, mein Freund, das ist eine Idee!" ries, der Franzose aus,ich bitte, mir das Wort zu lassen, ich werde diesem Monsieur Merkle sagen Mon­sieur Merkle/ werde ich zu ihm sagen"

Martelet hielt seine Rede in den Spiegel hinein; er trug jetzt ein schwarzes Perückchen und probierte mit großer Sorgfalt nacheinander drei Krawatten an; er entschied sich für eine hellblaue, dabei immer­fort seine Rede an Monsieur Merkle haltend, an der er sich selbst berauschte. Der Kapitän hörte ihm geduldig zu; er war von Natur ein leicht auf­brausender Mensch, aber Martelet konnte ihn um den Finger wickeln, denn der Franzose war für ihn der Repräsentant seines Vaterlandes, das er verloren hatte und nicht verschmerzen konnte.

Auch Jeanne, die Tochter des Fabrikanten, hatte zu ihrem Erstaunen eine Uniform im Nebengärtchen entdeckt und begab sich in ihres Vaters Zimmer, um ihn zu fragen, was ein deutscher Offizier da drüben zu thun habe.

Monsieur Merkle lag auf dem Kanapee aus­gestreckt; unter den Füßen hatte er eine Zeitung, unter dem Kopf sein Taschentuch. Diese spießbürger­liche Art, seine Sachen zu schonen, war das Ent­setzen seiner Tochter, die als Erbin einiger Millionen in Paris erzogen worden war. Indes, trotzdem sie nach der letzten Pariser Mode gekleidet war, es hals ihr nichts; sie sah darum doch mit ihrer großen, schlanken Figur, ihrer leuchtenden Gesichts­farbe und dem reichen, aschblonden Haar zum Lachen deutsch aus, wie sich ihre Verwandten ausdrückten. Und dies war der Hauptkummer in Mademoiselle Jeannes Leben!

In den Räumen des unteren Stockwerkes, das Monsieur Merkle bewohnte, fehlte jeder Komfort, fehlten alle jene Dinge, die ein Gemach erst warm und wohnlich zu machen vermögen. Jeannes jugend­srische und höchst moderne Erscheinung stand im grellsten Gegensatz zu der altmodischen, steifen Pracht dieser vorzeitlichen Einrichtung.

Um so besser paßte Monsieur Merkle hinein mit seinem schmalen, nüchternen Gesicht und dem eckigen Gehaben seiner ganzen Persönlichkeit.

Der Fabrikherr war in diesem Augenblick in seine Börsenberichte vertieft und liebte es nicht, bei dieser Beschäftigung gestört zu werden. Jeanne, die nie laut sprach, nie heftig auftrat, hatte ihren Vater schon zweimal angeredet, ohne daß er aufgeschaut