Heft 
(1898) 25
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Frau hatte Jeanne über deren Schicksal beruhigt: Marie Toussaint hatte sich nicht nur nicht verändert, sie war im Gegenteil womöglich noch ausgelassener als zur Klosterzeit, und Jeanne, die zu Hause ganz verlernte, jung zu sein, kannte kein größeres Glück auf Erden als ihre jährliche Reise nach Paris, wo sie mit Marie Toussaint und den guten Nonnen, die sie erzogen, nach Herzenslust plaudern konnte.

Dies alles stand ihr in nächster Zeit wieder bevor, und der Gedanke daran beruhigte ihr Inneres so völlig, daß sie ihr Vorhaben, mit der Gärtners­tochter zu reden, nicht länger verschob; sie läutete ihrer Jungfer, und ein paar Minuten später stand die nette, kleine, dunkeläugige Bäuerin vor dem Fräulein des Hauses. Dieses hielt dem Mädchen eine wohlverdiente kleine Strafpredigt wegen ihres Verkehrs mit dem deutschen Offiziersbnrschen, forderte ihr Ehrgefühl heraus und bemühte sich redlich, in dem sehr gleichmütig dreinschauenden Geschöpf ein Gefühl des Patriotismus zu erwecken. Theres sagte nach jedem Satz, den das Fräulein sprach:Ja, Mamsell," und blieb dabei, obgleich sie wiederholt aufgefordert wurde, französisch zu sprechen. In Wahrheit verstand sie kein Wort.

Die Gärtnersleute bewohnten erst seit kurzem das Portierhäuschen am Eingang von Monsieur Merkles Garten. Der Mann hatte als französischer Husar den siebziger Krieg mitgemacht und war dann als Invalide in sein Heimatstädtchen zurückgekehrt. Der Fabrikherr nahm sich des ehemaligen Arbeiters an und schickte ihn als Verwalter auf sein kleines Jagd­schlößchen in den Vogesen.

Die Bauern auf dem Lande sind unabhängiger als die Fabrikstädter; sie haben keine Vorgesetzten, nach deren Gesinnung sie sich richten müssen; dem ehemaligen Husaren war in dem friedfertigen Dörf- lein, das das kleine Schloß umgab, allgemach aller Haß und Groll gegen die Ueberwältiger abhanden gekommen. Dazu trug viel der Umgang mit dem Lehrer bei, dessen treuherziges Schwarzwälder Deutsch den Elsässern verwandt klang. Die Kinder hingen ihrem Schullehrer an, und ehe man sich's versah, wuchs da unter seinen Händen ein junges deutsches Völklein heran, das aus voller Kehle die alten deutschen Weisen sang, ohne sich weiter etwas dabei zu denken. Einzig allein dem Takt, der Volks­kenntnis dieses Mannes war die friedliche Wendung der Dinge zu danken. Er saß im Wirtshaus mitten unter den alten französischen Veteranen und den jungen deutschen Rekruten und hatte es mit der Zeit dahin gebracht, daß sie ihre entgegengesetzten Meinungen ohne alle Händel austanschten und ihre militärischen Ansichten mit einem gewissen Humor gegeneinander ins Treffen führten.

Jean, der Sohn Gilberts, des Verwalters, war bis zu seinem zwölften Jahre in diese Schule ge­gangen; dann kam er nach Straßburg auf ein Gymnasium; sein Vater gab vor, einen Freiplatz von dort erhalten zu haben.

Mit achtzehn Jahren kehrte der junge Mensch vom Gymnasium zurück und fand seine Familie statt in den Vogesen im Portierhäuschen des Mon­sieur Merkle. Der ließ den jungen Mann auf sein Bureau kommen; er sah verschlossen aus, hatte eine nachlässige Haltung und kluge, tiefliegende Augen.

Der Fabrikherr stellte allerlei Fragen an ihn; was er zu thun gedenke, für welchen Beruf er sich interessiere?

Jean erklärte, er habe nur den einen Wunsch, so bald wie möglich selbständig zu werden und Geld zu verdienen.

Warum?" fragte Monsieur Merkle.

Die Eltern sollen's jetzt schön haben," gab der junge Mann zur Antwort.

Der Fabrikherr, der den jungen Menschen die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen, senkte plötzlich den Blick, indem er drei-, viermal:Hm so! hm so!" hervorstieß. Er that das immer, wenn irgend eine Rechnung, die er in seinem Innern gemacht hatte, nicht ganz stimmte.

Hören Sie meinen Vorschlag," redete er den jungen Gilbert an,treten Sie in meine Fabrik ein; Sie können keinen vorteilhafteren Weg zur Selb­ständigkeit einschlagen. Bedingung: daß Sie als Arbeiter anfangen, mit den Leuten verkehren und sie kennen lernen. Dies wird Sie in Zukunft sowohl vor Grausamkeit als vor Sentimentalität bewahren." 1

Ueber ^Land und Meer.

Schon nach einem Jahre wurde Jean Spinnerei­meister ; er war ein so außerordentlich tüchtiger und streng thätiger Mensch, daß sein rasches Vorwärts­kommen niemand wundernehmen konnte. Allein trotzdem er jetzt ein wohlbezahlter junger Mann war, rauchte er nicht eine Zigarre mehr als sonst, und nie sah man ihn im Wirtshaus oder mit andern Burschen zusammen. Er saß immer zu Hause, las nach dem Abendessen in einem Band Weltgeschichte und ließ die Seinen reden. Nur manchmal, wenn seine Mutter, eine rasche, lebhafte Frau, die ihm so unähnliche Schwester tadelte oder ohrfeigte, ergriff er lebhaft deren Partei mit den Worten:

Laß sie doch, sie soll lachen und schwatzen so viel sie mag und sich keinen Zwang anthun."

Das brauchte man der leichtblütigen Theres nicht auch noch anzuempfehlen. Kaum erblickte sie am Abend desselben Tages, an dem sie von Made­moiselle Jeanne ausgezankt worden war, ein paar rote Achselklappen hinter dem Gitter des Nachbargartens, als sie auch schon ihre Gießkanne beiseite stellte und mit einemPst! Pst!" sich dem Gitter näherte. Der Bursche folgte dem Appell, und als er vor dem Mädchen stand, das ihn lustig anlachte, fragte er mit einem gewissen Mißtrauen:

Sin Ihr nit au so e verfluchte Französe am End'?"

Eh nei," verwahrte sich Theres,mine Mam­sell hat mir eba e Längs und e Breits ns Fran­zösisch g'sagt, und i Hab' sie kei Wörtle verstanda; i ka nur dütsch; wo sen denn Ihr d'heim?"

E Wälder bin i," sagte er,ns em Hauen- fteinische drübe, im Schwarzwald, aber 's g'sallt mir nüt bi euch."

Eh, warum nit," fragte sie,parliere mer nit die nemlich Sproch als ihr? Und singe kanne mer oi:

Hub sie an, der Bursche fiel mit seiner ungeschlachten Stimme ein, und indem sie sangen, sahen sie sich voller Vergnügen in die Augen, als plötzlich ein heftiges Geklingel aus dem Boudoir von Mademoiselle Jeanne die Ahnungslosen verstummen machte.

Am andern Morgen schickte Jeanne zu Monsieur Martelet und ließ ihm sagen, sie erwarte ihn mit dem Kapitän und zwar so bald als möglich.

Die beiden alten Hausfreunde traten zu gleicher Zeit bei Mademoiselle Jeanne ein; sie kam ihnen mit vor Erregung lebhaft geröteten Wangen ent­gegen, siel jedoch nicht mit der Thür ins Haus, sondern bat die Herren, Platz zu nehmen, lächelte über ein Kompliment, das Martelet nicht umhin konnte, ihr zu Füßen zu legen, und dann erst kam sie auf die schwere Beleidigung zu sprechen, die ihr durch die Nachbarschaft zugefügt worden war. Deutsche Lieder, herausfordernde deutsche Vaterlandslieder hatte man aus Bosheit unmittelbar am Gartengitter gesungen.Und Papa," setzte Jeanne mit einem leisen Zittern der Stimme hinzu,Papa sieht leider nicht ein ist nicht zu überzeugen er will diesen Fremden nicht gehen heißen, und so bleibt mir nichts übrig, als Sie, meine Herren, um Ihren Beistand zu bitten."

Martelet war schon auf den Füßen; er wolle augenblicklich hinüber, und wenn dieser Barbar nicht sofort bereit sei, das Feld zu räumen, so fordere er ihn auf Tod und Leben.

Nein, nein," unterbrach ihn Jeanne,bitte, Herr Kapitän, helfen Sie mir es darf nichts Auffälliges geschehen, vielleicht wenn Sie an die Ehre dieses Deutschen appellierten, vielleicht wenn Sie ihm sagten schieben Sie alles auf mich sagen Sie einfach, ich sei untröstlich, in so naher Nachbarschaft mit einem Fremden wohnen zu müssen, oder besser, bitten Sie ihn, mir den Gefallen zu erweisen"

Mademoiselle Jeanne," unterbrach sie der Kapi­tän, aber Martelet zog ihn schon am Arm zur Thür hinaus.

Keine Reden, keine Reden, handeln wir, mein Freund."

Sie gingen hinüber, Martelet voraus, mit einem so unternehmenden Gesichtsausdruck, daß der Kapitän eben bei sich selbst überlegte: unter keiner Bedingung gebe ich zu, daß sich Martelet schlägt als dieser auch schon mit dem liebenswürdigsten Lächeln vor dem deutschen Offizier stand, der ihnen die Thür öffnete.

Hauptmann von Dumont empfing seine Gäste ohne eine Spur von Erstaunen oder Befangenheit und geleitete sie in sein Zimmer.

Sie sehen, meine Herren, ich habe es mir schon behaglich gemacht."

Und wie vergnügt er das behauptete; Martelet hätte fast hell aufgelacht, denn seine kleinen leb­haften Augen hatten im Nu den ganzen Raum über­schaut, der allerdings einen höchst merkwürdigen Be­griff von Behaglichkeit erweckte. Von den drei Tischen, die herum standen, schien jeder seine be­sondere Bestimmung zu haben; der eine war gedeckt wie zum Speisen, der andre ganz überladen mit Büchern, Zeitungen und Briefmappen, auf dem dritten stand ein kleiner Petroleumherd und allerlei Kochgeschirr. An den Wänden hingen in schöner Eintracht mit Pfeifen und alten und neuen Offiziers­mützen Küchenschürzen, Kochlöffel und Zimmergerät­schaften. In der Ecke über dem Klavier thronte die Venns von Milo.

Monsieur Martelet wendete sich von der Be­trachtung der Einrichtung an den Menschen, der vor ihm saß, und dem es nicht im Traum einzufallen schien, daß der Besuch eine andre als angenehme Ursache haben könne. Er freute sich, seine Nach­barn kennen zu lernen, erzählte, daß er die Be­kanntschaft von des Kapitäns Hündchen gemacht habe und sich auch des täglichen Besuches einer sehr schönen Katze aus des Fabrikanten Hause erfreue.

Ich habe eine große Liebe für Tiere," setzte er hinzu;wenn es die Herren interessiert, kann ich Ihnen zwei hübsche Schildkröten zeigen, die äußerst zuthunlich sind. Ich werde mir Bienen halten und Tauben und überhaupt das Leben eines Landwirts führen, solange ich Bezirksoffizier bin. Eine kleine Quetschung des Schienbeins bei einem Sturz mit dem Pferde ist die Ursache meines Hierseins."

Martelet, der seinem Freunde ansah, daß er darauf brannte, mit der wahren Ursache seines Be­suches herauszurücken, kam ihm schnell zuvor, indem er die Frage an den deutschen Offizier richtete:

Pardon, Monsieur, aber was thut denn dieser kleine Herd in Ihrem Zimmer?"

Dumont lächelte:Das ist ja gerade das Schöne, kein Wirtshausessen mehr, kein Kasino Haus­mannskost; ich habe die Davidis."

Eine Köchin?" erkundigte sich Martelet.

Eine ausgezeichnete, die man in seinem Koffer mit sich führen kann."

Er hielt den: Franzosen ein Buch hin.

Das ist meine Köchin; jeden Mittag und jeden Abend wird ein Gericht gekocht nach irgend einem Rezept aus diesem Buch; mehr braucht der Mensch nicht, und meistens ist unser Machwerk ausgezeichnet."

Scharmant! Scharmant!" rief Martelet aus, Sie scheinen kein so strammer Herr zu sein wie Ihr Vorgänger."

Wie meinen Sie das?" fragte Dumont.

Nun nahm der Kapitän, der schon lange darauf brannte, das Wort:Der Herr gab einem kleinen Knaben eine Ohrfeige, weil er französisch sprach."

Hm, das thut mir leid," sagte der Hanptmann.

Dem Kapitän bebten die Nasenflügel:Und die Ursache, weshalb wir hier sind es sind deutsche Lieder am Gartengitter gesungen worden mit Absicht natürlich!"

Glauben Sie das nicht," unterbrach ihn der Hauptmann,mein Bursche, der hat gesungen wie jener Knabe französisch sprach aus Gewohnheit; ich kann beides nicht schlimm finden."

Ich auch nicht," rief Monsieur Martelet aus, wozu sich das Leben unnötig verbittern?"

Ich gedenke es hier im Gegenteil sehr zu ge­nießen," sagte der Hauptmann.Ein Häuschen allein zu bewohnen mit einem Garten, in dieser wunder­baren Stille, die Berge vor der Thür, was kann der Mensch sich Besseres wünschen? Aber ich ver­spreche, meine Herren, der Bursche soll, wenn er fingen will, auf seine Bude gehen oder in den Wald; nur freilich, die deutschen Lieder kann ich ihm nicht verbieten, da er in keiner andern Sprache zu fingen vermag. Uebrigens werde ich selbst zu Herrn Merkle hinübergehen und seine Damen um Entschuldigung Litten."

Ich möchte denn doch" wollte der Kapitän auffahren, allein der Freund kam ihm zuvor:Mon­sieur Merkle und seine Tochter werden den Herrn

1898 (Bd. 79j.

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