Heft 
(1898) 26
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Ueber Land und Meer.

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daß ich auf Ihr Wohl trinke, Herr Graf), weil sich ein Freund meiner zur rechten Zeit erbarmte."

Kenne ich ihn?" fragt die Kornblumenfee.

O ja," erwidert Jaromir. Ein warmer Blick der warmen Mädchenaugen streift mich.

Auf eine Sekunde zuckt es auch in Madame Le Forts Augen aus hell, scharf.

Ich verstehe dies Weib mal wieder nicht! Aber das ist ja sehr interessant, Herr von Jaromir . . . schon diese Sterblichkeitstabellen der Menschheit, auf die Sie sich stützen müssen..."

Wie man's nimmt, gnädige Frau," repliziert launig Jaromir.

Sie haben natürlich große Ausfälle? Leute, die sich sehr hoch versichern, sehr bald sterben?"

Ja, auch Selbstmörder, gnädige Frau."

Madame hält sich die Augen zu.Sprechen wir nicht davon! So ein zerschmetterter Schädel. . . in einem blutüberströmten Bett.. . Nein, nein! Herr Graf, lächeln Sie, bitte, nicht! Männer, die noch dazu Offiziere sind, mögen das ja für komisch halten..."

Ich lächle weiter. Es ist mir auch ein an­genehmer Reiz, die Nerven der Dame mit der charakterlosen Linie so vibrieren zu sehen.Wenn's nur das Blut ist, das gnädige Frau chokiert. . . blutige Sachen sehen sich meist brutaler an, als sie sind. Meine Ansichten kennen gnädige Frau ja: ich ziehe das Gift vor."

Madame hat sich langsam wieder erholt und sieht mich mit eigentümlich scharfem Blick an.Ihnen macht's Wohl Spaß, von Mord und Selbstmord zu sprechen? . . . Und nicht wahr, Herr von Jaromir, wenn sich einer vergiftet, das merken doch die Aerzte ebensogut?"

Der Kleine, an dessen Geschäftskenntnis appelliert wird, fühlt seine Stellung und übertreibt toll:Gift ist natürlich der schlimmste Feind! Bei Selbstmord zahlen wir statutengemäß die Versicherungssumme nicht aus aber bald war der Mann geistig gestört, bald liegt es im Interesse der Gesellschaft, von der riesengroßen Kulanz sprechen zu machen. Kurz und gut, wir zahlen auch dann oft. Bei dem Teil, wo Vergiftung vorliegen könnte oder vor­liegt, müssen wir einfach. Wer's zum Beispiel mit Morphium geschickt anfängt, ist immer geborgen."

Also Morphium sei 's Panier!näselt Bomu- lunder, der sonst ungern von seinem Studentenleben spricht, weil das Corps bei seinem Austritt ihm das Band zu geben vergaß.

Madame ist jetzt wieder völlig hergestellt. Und als sie wiederholt:Also Morphin!", lächelt sie beinah' maliziös.Merken Sie sich's, Herr Gras, daß Sie dann fein heraus sind! Stimmt's auch wirklich, Herr von Jaromir?"

Unser Vertrauensarzt beschwört es."

Nun wollen wir-endlich von etwas anderm sprechen," schließt Madame.

Es ist wirklich sinnlos, daß ich die Unterhaltung wiederhole. Mich interessiert nur das seltsame Spiel der Natur. Bei Blut zittert die Gnädige wie ein Kind bei Gift lächelt sie. Für meine Moral ist es sehr gleichgültig, auf welche Art einer ins Jenseits befördert wird.

Und ich hätte nun so schöne Zeit, über das seltene Genre von bete llumaiae nachzudenken, das Madame nun einmal für mich repräsentiert. Da zirpt wieder die elektrische Glocke. Eine Minute später erscheint der Tadellose, um der Gnädigen mitzuteilen, daß Fräulein Asta soeben vom Reiten zurückgekehrt sei, jedoch nicht zu Tisch erscheinen werde. Sie sei zu müde.

Als ob mir an dem hochmütigen Ding etwas läge! Aber Madame sind darob im Augenblick schlechter Laune. Ein Versuch, mit Witzelei über den Refus hinwegzukommeu, macht sie erst recht scharf. Seien Sie froh, Herr Graf, daß Sie nicht ver­heiratet sind! Kinder sind undankbar."

Das ist hart von der Gnädigen. Und ich be­eile mich zu erwidern:Aber, ich verstehe gnädige Frau nicht ganz, Fräulein Asta wird tatsächlich ermüdet sein."

Meinen Sie, Herr Graf? Meiner Ansicht nach ist man nie so müde, um sich durch den Diener entschuldigen zu lassen," belehrt sie kühl.

Ich sollte jetzt auch Müdigkeit vorschützen, und die Grünäugige würde in fünf Minuten zur Dis­position der Herrschaften sein. Aber einem Frauen­

zimmer das Feld räumen? Nun bleibe ich grade! Es ist wieder der eigensinnige Schuljunge, der zwangsweise auf der Gnädigen Befehl das Haus be­treten hat es jetzt aber durchaus nicht verlassen will.

Es ist Mitternacht, als wir nach einer toll­langweiligen Konversation gehen. Jaromir bleibt bei mir. Der Kleine ist natürlich glücklich, da die Blonde den Bomulunder ev eaaailw behandelt hat. Und wie alle Glücklichen hat er den Wunsch sich mit­zuteilen, von der Zukunft zu phantasieren.Wollen wir nicht noch irgendwo ein Glas Bier trinken, Herr Gras?"

Ich bin etwas müde."

Ach, thun Sie mir doch den Gefallen! Sehen Sie mal..." er spricht den Satz nicht weiter. Der Glückliche hatte es vollkommen vergessen, daß er Agent, arm, für einen Grasen Euren sehr wenig dekorativ ist. Dessen erinnert er sich im Augenblick. Nein, ich bin auch etwas müde..."

Da thut er mir leid, der kleine Kerl, daß er mit seinem geträumten Glück allein in seiner Dach­kammer hocken soll.Ach was, Jaromir, so was muß überwunden werden. Zu einem Schoppen langt's noch. Ich habe bei den roten Sachsen lange mitgekneipt."

Nein, Herr Graf, es ist wirklich besser so. Ich nehme die Pferdebahn."

Und er sträubt sich mit der Empfindlichkeit aller heruntergekommenen anständigen Menschen, bis ich endlich einen Taxameter Heranwinke und ihn gewalt­sam hineinspediere.In Ihrer Gegend wird doch eine Kneipe sein. Sie brauchen sich nichts über­mäßig am Schlaf abzusparen, ich komme auch zu meinem gemütlichen Topf. Zwei Fliegen mit einer Klappe! Also, Kutscher, Oranienburger Thor!"

Die Droschke rattert ab. Jaromir spricht jetzt noch dagegen:Da ist wirklich nichts für Sie, Herr Gras, und in die Nachtcafes mag ich heut nicht... Aber wenn Sie mir nun durchaus eine Freundlich­keit erweisen wollen..."

Unsinn, Unsinn, Jaromir! Freundlichkeit ist's nicht, aber Egoismus."

So kommen Sie auf einen Grog zu mir in die Auguststraße!"

Topp!" Dann haben wir noch am Bestim­mungsort einen freundschaftlichen Streit, wer die Droschke bezahlen soll ich aber schwenke den Thaler bereits in der Hand und siege.

Ein Chateau bewohnt der verflossene Jäger nicht. Es ist der typische Berliner Mietsstall im Norden. Im Keller der Grünkramladen oder die blinden Kasemattenluken der Portierwohnung darüber die endlos aufsteigenden Stockwerke, Fenster an Fenster. Ich kenne eigentlich diese Kasernen nur von außen. Einmal allerdings bin ich in das Heiligtum getreten, das war als Student im trunkenen Wagemut. Eine schemenhafte Erinnerung habe ich noch: Es war auch da so herum erste Etage das Vis-a-vis eine Weißbierkneipe mit einer dicken Wirtin und zwei druselnden Droschkenkutschern. In diesen Destillen kann man denBomulunder" fast geschenkt bekommen. Damals chokierte mich auch nicht der fade Bier­geruch und die Blume der Pfalz, die man schon beim Ansehen genoß. Aber am Morgen das Er­wachen mit dem wüsten Schädel und dem Katzen­jammer äh! Drüben hantierten die Dicke und ein Hausknecht im Lokal; der Hausknecht wusch die Senstöpfe mit einem schmutzigen Schwamm ab. Seitdem esse ich keinen Senf mehr. Wenn mir doch derselbe Abscheu vor dem kommen extraär/ be- schieden gewesen wäre.

Jaromir schließt mit einem quiekenden Haus­schlüssel die Pforte. Der Fünfminutenbrenner flammt auf. Nein, die Lust ist man denn doch nicht mehr gewöhnt! Sie ist schwül, dick, wie gesättigt von heißem Staub. Und diese Gerüche! Fade, süßlich Scheuerlappen und Moschus llalk auä llalk. Es ist wahrlich äußerst höflich von mir, daß ich hier bis zum dritten Stock die teppichlosen, schmierigen Stufen emporsteigen will. Auf dem ersten Absatz giebt's noch ein Messingschild: Cohen, Wollexport. Dann nur noch gedruckte Visitenkarten mit zweifel­haften Studentenzirkeln .. . stuck, ellem. . . . iveck. äeut. . . . vet. ... Es muß unzählige Fakultäten auf den Berliner Hochschulen geben! Etage II ein abgegriffener rosa Karton: Fräulein Nini X. Ich höre wispern, ein Drücker wird vorsichtig von innen

ins Schlüsselloch gesteckt. Die Luft in der Höhe ist infernalisch, ein heißes, lautloses Bazillengewimmel. Jetzt atmet Jaromir auf bei der letzten Etage:Da wären wir, Herr Gras!" (Den Grasen könnte er sich hier oben schenken!)

Eine niedrige Korridorthür mit einem Guckloch ... Dann tappen wir uns durch den Gang an der Küchenthür vorbei, die mit gelben Gardinen ver­hangen ist. Ein Mann schnarcht, daneben schwere, gesunde Atemzüge, wohl Kinder von dem Hänge­boden fragt eine heisere Frauenstimme:Sind Sie's, Herr Jaromir?"

Jawohl!"

Soll ick Ihnen morjen früh wieder wecken?"

Nein, ich danke schön, Frau Schröder."

Ooch jut! Mein Mann ist ooch wiedergekommen. Wissen Sie et schon?"

Nein, aber ich gratuliere."

Na, ick weeß noch nich. Er will ja ooch wieder arbeeten. Vorläufig hat er gleich heute wieder eenen Kleenen jenommen..."

Gute Nacht, Frau Schröder!"

Jute Nacht ooch!" Eine Bettstelle knarrt.

Ich bin glücklich, infolge meiner lautlosen Lack­schuhe nicht bemerkt zu sein. Graf Carsn in der Lust, in dem Chambregarnie nicht übel! Das Wachsstreichholz ist im Erlöschen. Wir tasten uns bis zu Jaromirs Thür. Der Kleine zündet die Lampe an, auf der bestaubten Glocke sieht man die Finger. Er wischt sie mit dem weißen Taschentuch ärgerlich ab:Schrecklich unordentlich! Aber was kann man bei zehn Mark monatlich mehr verlangen?

Thun Sie dem Sofa die Ehre an, Herr Gras! Es ist besser als es aussieht." Er drückt mich auf das geblümte Ungetüm mit seiner scheußlichen Fett­stelle, wo der Kopf des jeweiligen Mieters zu ruhen pflegt.Sehen Sie, so steht's bei armen Leuten aus! Aber es giebt noch viel, viel Aermere, Herr Graf. .. Ueber mir wimmelt's von Schlafburschen. Wenn ich morgens früh um acht Uhr weggehe, kommen die beinah' schon wieder von der Arbeit heim. Schreckliche Menschen, nicht wahr?"

Ich antworte mit einem leichten Achselzucken. Werden's uns schon gemütlich machen, Herr von Jaromir."

Und der kleine Kerl wirtschaftet in der kleinen Bude herum, holt Gläser, dicke Ungetüme, die er in der Waschschüssel erst spülen muß. Eine alte Berzeliuslampe summt. Jaromir schüttelt eine bauchige Flasche freundlich lächelnd:Jamaika, halbwegs echt, hier steht's! Sie dürfen jetzt doch nicht mehr so haarsträubend mogeln mit den Etiketten." Nun beginnen angenehme Rumdüfte durch das Zimmer zu wallen, der Kessel brodelt. Ich erinnere mich noch zur rechten Zeit einer Bismarck" in meiner Tasche, um dem Inhalt der Zigarrenkiste zu entgehen, die der Wirt mir hinschiebt.Sie nehmen doch nicht übel, Jaromir?"

Ich nehme überhaupt nichts übel. Für mich thut's die Sumatra hier auch."

Dann schäme ich mich wieder der protzenhafteu Wallung, lasse mein Wappenetui stecken und greife zu dem süßlichen Zeug. Havannahauch paßt auch nicht hierher.

Zwei Stunden bleibe ich, drei Glas Grog trinke ich. Es ist nicht vergeudete Zeit. Eine Armut, die anständig getragen wird, ist keine Armut mehr, das hat mich der kleine Mann gelehrt. Und wenn's mir mal wieder ganz gut gehen sollte und ich zu derselben Höhe emporstiege, wo ich meine Millionen spielend, genußlos vergeudet habe da wird mir vielleicht die Erinnerung an diese Nacht wohl thun.

Es ist ein so kleines, elendes Zimmer mit schmutzigen, zerrissenen Tapeten, mit einem wind­schiefen bunten Rouleau, durch dessen verendenden Hirsch der Neumond scheint, als wenn's so sein müßte. Der Armeleutsgeruch liegt darüber, der Dunst von Kohl, Staub und mangelnder Reinlich­keit. Der Dunst gehört aber zu dem schmalen Bett, dem wackeligen Waschtisch mit der winzigen, zer­stoßenen Steingutschale. Er steigt aus dem stöhnen­den Kanapee des Althändlers, aus den abgeschabten gelben Rohrstühlen. Ueber den goldgerahmten Pseiler- spiegel zieht er er hat ihn blind gemacht; aber dem armseligen Oeldruck hat er statt der aufdring­lichen Leuchtkraft etwas wie Patina des Alters ver­liehen. Der Mann, der dieses Zimmer bewohnt,