Heft 
(1898) 26
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Weber Land und Meer.

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trägt es ruhig, obwohl er auch etwas viel Besseres gekannt hat. Er ist eben ein Mann, ein ganzer Mann, der Kleine! Den Leuten gehört wahrschein­lich die Zukunft nicht uns, den Grafen Euren, die kaum zwei Stunden in dieser Luft zu dauern vermögen. Das hat achtzig Mark monatlich und ist tadellos gewaschen, tadellos frisiert, die Wäsche blitzblank nur das Dinerjackett glänzt noch matter am Ellbogen. Er kann allerdings nicht alle Monat sich ein neues leisten, wie es meine Grässlichkeit gewohnt ist.

Aber wir sitzen doch aus dem alten Sofa bald zusammen wie zwei alte Freunde. Jaromir ent­schuldigt sich auch nicht übermäßig:Ein Schelm thut mehr, als er kann! Und der Rum ist eigentlich schon weit über meine Verhältnisse. Leichtsinnig bin ich nämlich auch, Herr Graf. Oder denken Sie etwa, daß ich nicht leichtsinnig bind Wäre ich sonst mit der blonden Ethel gegangen?" Das kommt so unerwartet. Ethel ist eben der Gedanke, der ihn Tag und Nacht verfolgt, die Hoffnung, die ihn auf­recht erhält.

Wenn ich ihm darauf antworte:Aber warum eigentlich nicht, Herr von Jaromir d Fühlen Sie sich für das Mädchen zu schlecht?" so ist das keine Phrase. Sie würde tausendmal besser mit dem Kleinen fahren als mit dem Schnapsbaron. Da ist doch noch Leben, Rasse, Zukunft! Und das ist's, worum ich den kleinen Kerl immer wieder beneide. Er kommt mir vor, wie der Mann mit der Erbse, der, arm und elend, doch in dem Augenblick, wo er die kleine Hülsensrncht findet, hoffnungssreudig aus­rechnet, wie schwerreich sie ihn machen muß, wenn sie gepflanzt und immer wieder gepflanzt wird. Aber etwas unterscheidet sich Jaromir doch von dem Mann der Fabel, er bleibt Mensch in seinem Wahn, steht mit beiden Füßen fest auf der Erde.

Was er mir mit glühenden Augen beim Grog erklärt, das könnte ich mir auch zu Gemüte führen. Ich muß nämlich etwas haben, Herr Graf, woran ich glaube, wofür ich lebe und sterbe: Mein Fetisch ist die Blonde . . .! Ich bin ganz gewiß kein Heiliger. Im Bataillon hieß es immer: ,der Jaromir läßt keine Schürze zufrieden'. Jetzt lasse ich alle Schürzen zufrieden. Wenn ich eine hübsche Konfektioneuse sehe (wir haben sehr muntere Dinger im Haus, die man nicht übermäßig zu bitten brauchte), so sage ich mir: das darfst du ,ihr' und dir nicht anthun! Kopfhänger bin ich darum noch lange nicht. - Ich habe erst heute ein kleines Mädchen recht tüchtig in die Backen gekniffen. Aber weiter . nicht um die Welt! Ob ich das Mädel nun kriege oder nicht (ich kriege sie ganz sicher nicht!), sie bleibt nun einmal meine Heilige, mein Talis- mann, das Feuer, an dem ich mich wärme. Für die hungere ich, für die spare ich. Ihretwegen kommt meine Phantasie fast nie auf die Wahrheit, nämlich, daß man hier in einem Pfuhl wohnt. Sie glauben gar nicht, was es für ein Gefühl ist, sich jeden Abend mit dem Gedanken ins Bett zu legen: du bist mal wieder zwölf Stunden ein anständiger Mensch gewesen. Das macht alles die Kleine! Und die macht mich innerlich frei, mutig . .. Daß ich einem Phantom nachjage, daß ich höchst wahrschein­lich diesem Bomulunder bestenfalls seine Sache etwas erschwere, das weiß ich. Aber dennoch klammere ich mich an die Hoffnung, dennoch will ich mich selbst belügen. Ich will blind sein, will glauben!... Soll solchem Gesindel, wie dem Bomulunder die Zukunft gehören? Nein, uns gehört sie uns! . .. Nehmen Sie an, daß der Schnapsbaron schon so weit wäre . . . glauben Sie, ich ertrüge es, zu sehen, daß er sie küßt? Ich schösse ihn auf der Stelle nieder! . . . Wissen Sie jetzt, daß ich ein ganz desperater Kerl bin?"

Ich tippe ihm lächelnd auf den glänzenden Ell­bogen, weil der Jamaika bei ihm so komisch seine Wirkung zu thun beginnt.Unsinn, Jaromir, Sie sind nur ein anständiger Kerl. Das will ich Ihnen schwarz auf weiß geben."

Thun Sie's lieber nicht, Herr Graf!" Er wird ganz rabiat und läßt sich nicht auf feinem Sofa halten. ..

Ich erhebe mich auch:Höchste Zeit, Herr von Jaromir!"

Nein, nein, Herr Graf! ... Ich will Ihnen nur etwas zeigen," und dann vertieft er sich in seine

ölig riechende Kommode.Wissen Sie, was das hier ist?" Er hält mir ein gelbes Etui hin, um dessen Inhalt ich nicht Lust habe, mir den Kopf zu zer­brechen.Sehen Sie ..." aufgeklappt erweist es sich als Behältnis einer Luftpistole. Die lächerliche Spielerei!

Schießen Sie sich in Ermanglung andern Wildes Ihre Spatzen zur Mittagssuppe höchstselbst?" frage ich.

O nein! Das Ding habe ich mir vor sechs Wochen auf Abzahlung gekauft, ehe ich noch eine Ahnung von Bomulunder hatte."

Und?"

Ja, da können Sie sehen, Herr Graf, was ich für ein fanatischer Muselmann bin! Ich schieße täglich nach einer Pappscheibe. Eins .. . zwei. . . drei stramme Duellkommandos! Der Junge von meiner Wirtin ist Unparteiischer und wiehert vor Ver­gnügen, wenn ich ins Schwarze treffe. Er hält's für Spiel. Mir ist's eine verdammt ernsthafte Sache, die ausgesprochenste Mordabsicht, mit der ich mich im Schießen übe: den Kerl, der dir die Blonde weg­schnappt, knallst du nieder! Sehen Sie, damals hatte ich von dem Bomulunder überhaupt keine Idee, ich wußte nicht einmal, ob das Mädel in Berlin, oder ob sie noch überhaupt irgendwo wäre. Morgen wollen wir das Vergnügen fortsetzen, ich bin sicher, immer Strichspiegel zu schießen, wenn ich mir als Zentrum das Herz des Schnapsbarons vorstelle."

Also doch Meuchelmörder!"

Da fängt Jaromir herzlich an zu lachen.Wenn ich nun einer wäre!"

Wie ich Fritz von Jaromir kenne, schießt er im Ernstfall lieber die Kugel sich durch den Kopf, die er für den andern bestimmt hatte.

Und wie Verliebte, ob betrunken oder nicht, immer einen in der Krone haben, sagt er plötzlich: Wissen Sie was? ... Sie müssen mich auf fünf Minuten entschuldigen."

Wozu?" Ich ahne Unheil.

Kein Meuchelmord, lieber Herr Graf! Ich will nur mal zu dem Budiker 'rüberspringen, der hat noch auf, und sehen, ob nicht irgend eine Pulle Sekt wo aufzutreiben ist, die Sie mit mir auf Ethel Le Forts Wohl leeren müssen."

Aber ich kann nicht mehr, Jaromir, ist mir positiv unmöglich."

Natürlich, Euer Hochgeboren paßt das nicht. Sie haben ja auch recht..."

Reden Sie nur, Jaromir! . . . Ein Glas Grog trinke ich noch gern, unter der Bedingung, daß Sie das Fenster aufmachen. Zu der Flasche bitte ich Sie feierlichst morgen um ein Uhr in den Kaiserhof."

Aber als er das Fenster öffnet und ich mit hinuntersehe in diesen schmalen, tiefen, lichtlosen Spalt diesen Berliner Hof, aus dem es empor- fteigt, dick, heiß, der schwere Dunst der Tiefe! Nein, ich kann den Grog nicht mehr ansehen. Ich muß weg! Müßte ich auf diesen Hof nur eine Stunde hinunterseheu, er zöge mich rettungslos in seinen schmutzigen Schlund ... Es find Nerven. Was kann ich dafür? Noch während ich schreibe, empfinde ich die Angst vor dem Wesenlosen, Unfaß­baren, das gespenstisch diesem Hof entquillt. In dieser Luft atmen Menschen was für Menschen!

Jaromir wird mir den kurzen Abschied wohl etwas krumm genommen haben, denn er erschien zu der verabredeten Flasche Pommery nicht. Mag er! Ihm schadet ja auch der Dunst, das Gift nicht, in dem und von dem er lebt er hat seinen Talis­man. Hätte ich doch auch einen Talisman! Grün­äugige Asta, wie wär's? . .. Wer lacht da?

(Fortsetzung folgt.)

Sprüche.

A. stier.

Die heiligsten Momente auf Erden Wollen gesammelt genossen werden; Lasse dich nie von Außendingen Um ihren inneren Segen bringen!

Im Alter zeigt sich die Güte beim Wein Im Feuer und in der Klärung,

In des Edelgehalts Bewährung;

Und beim Menschen soll es ebenso sein!

Nus dem Sachsenwaröe.

infam und träumerisch liegt der Sachsenwald da. In dem knorrigen Astwerk uralter Eichen rauscht es und wogt es, die schweigsamen Buchen und zarten, weißstämmigen Birken flüstern sich geheimnisvoll zu, und in der düsteren Majestät des dunkeln Tannengehölzes regt und bewegt sich das vielgestaltige Leben des Waldes; aber nur selten be­gegnet man einem Wanderer auf den vielverschlungenen, schmalen Pfaden des Sachsenwaldes. Nur an schönen Sommertagen halten um das Schloß Friedrichsruh selbst viele Hunderte im glühenden Sonnenbrand stundenlang geduldig aus, um den greisen Altreichskanzler bei seiner Ausfahrt und bei der Rückkehr von der Spazierfahrt mit Jubel und Ehrfurcht zu begrüßen.

Vielleicht ist es ein Glück, daß die Hamburger, von denen der Sachsenwald kaum drei Meilen entfernt ist, eigentlich nur an weiten Wasserlandschaften Gefallen finden, und daß die Bewohner Mitteldeutschlands mehr die Ge- birgswälder bevorzugen; denn gerade dadurch hat sich der Sachsenwald in seinen von dem Eisenbahnnetz unberührten Partien seinen eigentümlichen, jungfräulich herben Charakter bewahrt. Und jeder, der ihn zur holden Frühlingszeit besucht oder ihn nufsucht, wenn die Herbststürme unwillig an den Riesenstämmen rütteln und schütteln, wird einen hohen, reinen Genuß haben.

Einen Ausflug nach Friedrichsruh und dem Sachsen­wald wird inan wohl stets am besten von Hamburg ans unternehmen und zunächst die kurze Strecke bis Reinbek mit der Eisenbahn fahren. Wer Freude an einem kleinen, uralten Städtchen mit mancherlei historischen Reminiscenzen hat, der verlasse den Zug schon einige Minuten vorher in Bergedorf. Vor Jahrhunderten eine ansehnliche Stadt, mit der Hamburg manche grimme Fehde auszufechten hatte, verschwindet es jetzt fast völlig neben dem Ungeheuern Häusermeer der nachbarlichen Hansestadt. Und in dem alten Schlosse, aus dem einst die verwegensten Raubritter zu kecken, rechtlosen Thaten auszogen, tagt jetzt das Amts­gericht, um Recht und Gesetz zu schützen gegen jeden Misse- thäter.

Auch das alte, feste Schloß in Reinbek, dem eigentlichen Beginn des Sachsenwaldes, hat seinen ursprünglichen Berns gewechselt. Wohl fanden auch früher Fremde dort gast­liche Aufnahme, aber jetzt ist dies sein Selbstzweck; denn aus dem Schlosse mit seinen Hunderten von Zimmern, seinem herrlichen Park und dein großen Teiche ist ein vor­nehmes Hotel geworden. Ueberhanpt ist Reinbek mit seinen vielen zierlichen Einzelhäuschen mehr und mehr ein richtiger Villenvorort für die Hamburger geworden, die hier, fern vom Getöse der Großstadt und doch nur wenige Minuten von ihr entfernt, die Sommermonate verleben. Wem es in den kleinen Häuschen zu einsam werden sollte, der findet ein mit großstädtischem Luxus und Komfort ausgestattetes Heim imSophienbad", dessen gewaltiger Park ein ab­gegrenzter Teil des Sachsenwaldes ist.

Während der gerade Weg von Reinbek nach Friedrichs­ruh charakteristischerweise mit der Bismarckstraße beginnt, führt der schöne Touristenfußweg immer an dem User der Bille entlang, in vielen Windungen und mit manchen Um­wegen. Die Bille ist nur ein kleines Flüßchen, das in gewöhnlichen Zeiten sanft und friedlich zwischen den leicht welligen Ufern dahinzieht; wenn aber die Frühlingsstürme durch das Land brausen, dann kann das kleine Flüßchen recht ungemütlich werden, und wenn es auch nicht mächtige Felsblöcke mit sich fortreißt, so erhält es doch ganz den Ausdruck eines reißenden Gebirgsbaches. Je weiter sich der Weg an der Bille hinzieht, um so mehr treten die Wälder bis dicht an das Ufer heran, und in der Nähe von Aumühle erinnern die Waldwege an der Bille durch­aus an die schönsten Wege in mitteldeutschen Gebirgswäldern. Aumühle selbst, wohin noch bis vor kurzer Zeit Fürst Bismarck seine Spaziergänge mit Vorliebe ausdehnte, ist ein reizend idyllisch gelegenes Dörfchen mit kleinen, gemüt­lichen Wirtshäusern und großen, schattigen Gärten. Der idyllische Gesamteindruck wird leider ein wenig durch die Mühle selbst beeinträchtigt, deren plumper Backsteinbau selt­sam mit dein zierlichen Villenstil der andern Häuser kon­trastiert.

Von Aumühle führt in einer knappen Viertelstunde der Weg, immer durch den dichtesten Wald, nach Friedrichsruh. Kurz vor dem Schlosse selbst liegt ein wenig versteckt die freundliche Oberförsterei, über deren Portal schon der mächtige Hirschkopf die Bestimmung des Hauses verrät. Vom Schlosse selbst, das dicht an der Eisenbahnstraße neben dem Bahnhof liegt, ist leider nicht viel zu sehen, da der Fürst eine lange, über mannshohe Mauer rings herum hat ziehen lassen. Bis vor wenigen Jahrzehnten war das Schloß, das in frühester Zeit schon einmal Jagdschloß eines Lippeschen Fürsten war, ein beliebtes Sommerrestaurant, das Ziel vieler Hamburger Sonntagstouristen. Jetzt ist es eine Art Wallfahrtsort geworden, zu dem an schönen Sommertagen aus allen Gauen Deutschlands die Verehrer des greisen Fürsten pilgern, um den größten Mann des Jahrhunderts mit eignen Augen zu schauen.