Seite 22. Deutschland. ^ 2.
mindesten, als durchschaute sie meiuc plumpe List, uud durchforschte die Autogramme ihres Ballkärtchens mit gründlicher Gewissenhaftigkeit.
Daun schüttelte sie das Haupt, nannte den Namen eines dritten Herrn und zeigte mir zum Überfluß seinen Namen auf der Karte.
Ich brachte eine faule Entschuldigung vor, daß ich meine Tanzkarte verloren hatte.
Sie hörte schweigend, vornehm, oberflächlich lächelnd zu. Auch der Hanptmann erster Klasse schwieg vornehm lächelnd. Alle beide schwiegen so, wie höfliche Leute schweigen, denen ihre gesellschaftlichen Gewohnheiten nicht gestatten, einen überlüstigen Dritten zu bedeuten, wie gern sie in diesem Augenblick seiner Unterhaltung entbehrten.
Ich fühlt' es, ich schämte mich und stand wie angewurzelt auf dem Fußboden, ohne mich hinwegbegeben zu können. Ich durfte mit dem höheren Kameraden, ich durste vor allem in meines Vaters Hans mit einem seiner Gäste keine Händel suchen. Ich Hütte in meiner damaligen Unerfahrenheit auch nicht gewußt, wie das schicklicherweise anznfangen wäre. Zum Glück brach der erste Geigenstrich, der den nächsten Tanz ankündigte, den Bann. Die Gesellschaft flutete durcheinander, und die beiden waren vor mir weg ins Gewühl verschwunden, ich wußte nicht wie.
Ich stürzte in den Strudel hinein. Ich langte, ohne cs zu wollen, sozusagen instinktiv, wieder bei der hübschen kleinen Parker an, bat um eine Extratour und dehnte diese so unbegreiflich lang ans, daß ich mich nachher bei dem geprellten Tänzer von Rechts wegen entschuldigen mußte, und hatte gleich darauf keine klare Vorstellung mehr, ob ich getanzt, mit wem ich getanzt, und noch viel weniger, ob und was ich dabei geredet Hütte.
Ich vergrub mich ins Büffett, ich aß ohne Hunger, ich trank ohne Durst und merkte endlich, daß die Leute anfbrachen und den scheidenden Gasten meines Vaters die üblichen Komplimente zu machen waren. Ich sprang ans, mit einer Angst, als sollte mir ein Vermögen entwendet werden, wenn ich die Räuber nicht festhielte. Ich turnte durch das dickste Gewühl nach dem Vorhanse. Ich erwischte Seraphinen gerade noch in dem bedenklichen Augenblick, als ihr der Hanptmann erster Klasse süßholzraspelnd den Mantel über die schlanken, Weißen Schultern legte. Es kam nur wohl so vor, als fänden einige, die ich hastig beiseite schob, solche Rücksichtslosigkeit bei dem Sohne des Hauses nicht ganz am Platz, oder lachten andere sogar über meinen vorwürtsstrebenden Eifer; mir war alles einerlei. Ich mußte Seraphine noch einmal sehen, sie sprechen, ans ihrem Munde hören, ob wirklich zwischen uns alles ans sei, mochte dabei anshorchen, wer immer, und daraus werden, was wollte.
Immerhin nahm ich, einmal vor ihr stehend und der Wichtigkeit des entscheidenden Augenblicks bewußt, ineine Geistesgegenwart zusammen und sprach mit tadelloser Höflichkeit die Hoffnung ans, daß der Abend in meines Vaters Hans ihr Vergnügen gemacht haben und ihr Wohl bekommen möge.
Sie antwortete mir in vollendeter Bosheit auf englisch, es wäre ganz reizend — chmt lovcüv — gewesen, sie Hütte sich königlich amüsiert — fast so gut wie ich.
„Ich?!" rief ich. „Mein Vergnügen war müßig und meine Freude karg!"
„Heuchler," antwortete sie, immer noch in der Zunge Al- bions. „Gehen Sie doch dort hinüber zu Ihrer reizenden Miß Parker und wiederholen Sie ihr, was Sie mir eben vorschwindeln möchten!"
„Seraphine!" rief ich leise zwischen den Zähnen. „Was sind mir alle Parkers beider Welten! Machen Sie mich nicht rasend! Der Augenblick entscheidet über uns beide!"
„Schweigen Sie, schweigen Sie!" rannte sie mir zu, während sic sich geschäftig nach der andern Seite wandte und überlaut, wie um mein gefährliches Flüstern mit ihrer Stimme zn decken, mit dem anbetenden Hanptmann sprach.
Ich hätte das nicht ertragen in der Siedhitze meines Gemüts, wenn ich nicht, Gott mag wissen wie, plötzlich ihre linke Hand zn fassen gekriegt hätte. Die kleine süße Teufelskralle hielt mich fest, ohne daß es jemand sehen konnte, und redete stumm eine so beredte Sprache, daß ich den emsigen, liebestollen Hanptmann rechter Hand auf einmal gar nicht inehr beneidete.
Also von zwei Verrückten eskortiert, gelangte Seraphine, die Treppe hinab. Hier hieß es noch einen Augenblick verziehen. Es war der richtige Wagen nicht gleich zur Stelle. Nach einigen! vergeblichen Rufen und Pfeifen des Dieners an der Pforte stürmte der Hanptmann erster Klasse in eigener hoher Person in die Nacht hinaus, nicht anders, als wollt' er mir den Rang ablanfen und diesen Freundschaftsdienst vor der Nase wcgnchmen.
Mir kam's zn paß.
„Liebst Du den Hanptmann?" fragte ich leise, aber mit dem Ton Othellos im letzten Akt.
Sie kicherte laut auf, daß der Korridor wiederhallte und die Leute glauben mochten, ich Hütte eben einen ausgezeichneten Witz gemacht.
„Liebst Du Miß Parker?"- fragte sie lächelnd dagegen, aber nun war's ein grünes, giftiges, zühneweisendes Lächeln.
„Ich liebe Dich und niemand sonst auf der weiten Welt, Seraphine!"
„Du liebst überhaupt niemand!" war ihre Antwort. „Auf der weiten Welt niemand als Dich selbst! Du bist ein Egoist ohne Treu und Glauben, Du kannst nicht lieben!"
„Ich?!" war alles, was ich auf eine solche Anklage Hervorbringen konnte; denn ich war starr vor Empörung und andererseits trat eben der Hanptmann erster Klasse mit hochgerötetem Angesicht und strahlenden Angen wieder ans der Nacht herein in unsere Helle und rief: „Baronesse, er ist da!" Der Wagen nämlich.
Da nun der Kapitän als kluger Freier es vor allem bei der Frau Mama seiner An geschwärmten nicht verderben wollte und überdies der ältere von uns beiden war, bot er der älteren Dame den Arm, und mir blieb nichts übrig, als der jüngeren das Gleiche zn thun.
Dabei sprach ich im Tone der schwergekrünkten Tugend: „Das geht zu weit. Du hast ein Recht, mich zn hassen, keines, mich zn verachten."
„Mag sein," antwortete sie. „Und doch veracht' ich Dich und bring' es leider nicht über mein dummes Herz, Dich zn hassen!"
„Na also!" rief ich — fast zu laut in meiner freudigen Überraschung.
„Sei still um Gottes willen! Wenn man Dich hörte, war' ich verloren," flüsterte sie.