Heft 
(1889) 02
Seite
38
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Deutschland

.ä-Z 2.

Emile Zola. Was ich nicht leiden mag. Ins Deutsche übertragen von Paul Heichen. (Leipzig, Albert Unflad.)

Wenn wir der mächtigen Erscheinung Zolas einmal historisch gegen­überstehen und seine gewaltige Kraft von dem werden scheiden tonnen, was auch bei ihm durch Übertreibung angeblicher Wahrheit zur Unwahr­heit und zur Schablone geworden ist, dann werden wenigstens seine ne­gativen Thaten voll anerkannt werden, seine rücksichtslose Kritik alles dessen, was vor ihm Mode war und durch ihn eine alte Mode geworden ist. Seine kritischen Aufsätze haben vielleicht den Boden für die kam mende Dichtung besser gedüngt, als die allzu tierischen menschlichen Do­kumente, mit denen er gerade die besten seiner Romane zu überladen liebgewonnen hat. Eins seiner ruhigsten Bücher nun, welche er unter dem Titel «Tkes Haines» vor vielen Jahren heransgab, hat in dem vor­liegenden Büchlein zu einem unwürdigen Geschäfte dienen müssen. Mit keinem Worte wird ans dem Titelblatte verraten, daß es sich um tiefer gehende Kritiken handle; eine Pariser Zeichnung auf dem Einschlag soll wohl sogar vermuten lassen, der Leser werde aus den schlecht ge­druckten Blättern pikante und interessante Boulevard-Geschichten nach dem Geschmacke der schlechtesten Phantasie finden. Wir warnen also Leute, welche sich amüsieren wollen, ausdrücklich vor dem Ankauf. Überdies steckt die Übersetzung voll von Mißverständnissen. Geradezu unverzeihliche Unkenntnis und ebenso großen Leichtsinn verrät es, wenn der Übersetzer einen Aufsatz über einen Roman der Brüder Goneourt aus eigener Erfindung mit der Überschrift versieht:Einer von meinen Nachtretern!" Wie jedermann außer Herrn Heichen weiß, sind die Brüder Goneourt Zolas Lehrer und Vorgänger. r.

Prof. Di'. I. H. Schmick, Ist der Tod ein Ende oder nicht? (Leipzig, Max Spohr.)

Die alte FrageSein oder Nichtsein" ist wohl selten mit größerer Selbstgefälligkeit und geringerer Überzeugungskraft behandelt worden als im vorliegenden Buche. Herr Schinick kämpft gegen die materia­listische Weltanschauung für das Vorhandensein eines unkörperlichen, geistigen Prinzips im Menschen, und damit für die Unsterblichkeit der Individualität, und giebt sich den Anschein, einen streng Wissenschaft lichen Beweis zu führen, wie denn auch in der That viel von physi- kalischen und physiologischen Dingen die Rede ist. Allein er trifft überhaupt seinen Gegner, den Materialismus, nicht, indem er seine Hiebe gegen Behauptungen richtet, welche jener gar nicht aufstellt und aufstellen kann, und in: allgenreinen immer voraussetzt, was er be­weisen will. Er hat sich seine Ausgabe überdies dadurch besonders leicht gemacht, daß er seinen Abhandlungen die Form von Gesprächen zwischen Personen gegeben hat, um deren logischen Scharfblick es sehr schlecht bestellt ist und die nur von gegenseitiger Bewunderung ihrer eigenen Weisheit triefen. Der Materialismus hat alle Ursache, sich recht viele solche Angreifer zu wünschen, da sie durch derartige Lebens­äußerungen die Schwäche ihrer Sache für alle Welt deutlich genug offenbaren. ^ ^ I>.

Mit eigentümlicher Empfindlichkeit horchen die Berliner immer noch auf fremde Urteile; trotz mancher Spruen von Überhebnng ist ihr weltstädtisches Selbstvertrauen noch keinesfalls sehr gefestigt. Herr St. Mesmin läßt sich im PariserFigaro" über unsere Kunstznstände aus, und seine Anschauungen werden fleißig in deutschen Blättern wieder­gegeben und noch fleißiger erörtert. Herr St. Mesmin findet unseren diesjährigen Kunstsalon herzlich schlecht; da wird ihm jeder gern bei­pflichten. Er findet, daß die Künstlershmpvsien und die Champagner­flaschen mit gebrochenen Hälsen in der Berliner Künstlerschaft wenig gekannte Dinge seien. Die unbedingte Notwendigkeit dieser Dinge für die Künstlerschaft kann schon bestritten werden, und die wenig beachte­ten Maler von Paris werden auch nicht lukullische Mahlzeiten zu geben gewöhnt sein. Den Nagel auf den Kopf aber hat der Pariser Journalist getroffen, wenn er meint: man vergleiche den Eifer der Pariser Bevölkerung mit dem Phlegma der Berliner ihren Kunstaus­stellungen gegenüber. Die Eröffnung des Pariser Salons ist jedesmal ein Festtag; bei der Eröffnung unseres Salons wurden wir im Uhrsaale der Kunstakademie eingepfercht, und nach einer Viertel­stunde etwa sprach eine laut vernehmliche Stimme:Bitte, meine Herr­schaften, treten Sie näher!" und der Rnndgang begann. Gegen die

Gleichgültigkeit und das naive Unverständnis, denen die bildenden Künste in den weitesten Kreisen Berlins begegnen, haben eifrige Re­former schon allerhand Heilmittel in Vorschlag gebracht. Der eine hofft Besserung von der Errichtung einer würdigen Heimstätte für Kunstaus­stellungen, der andere meint, man erzähle doch dem Volke, was das Volk versteht, man komme ihm nicht mit gelehrter Malerei, sondern schildere ihm die Geschichte seiner Vergangenheit und Gegenwart. Man sehe nur, wie fleißig das Volk die Gemälde in der Ruhmeshalle im Zeughause studiere! Mit Bergunst, das wird ein Irrtum sein. Waffen besieht man im Zeughause und Fahnen und Kanonen, und die Hunderte von Besuchern beschauen natürlich auch die Malereien in der Rnhmes- halle; aber ein nüchterner Beobachter wird auch hier kein allzu warmes Interesse für die Kunst bemerken. Es würde wohl auch der schönste und zweckmäßigste Ansstellnngspalast an dieser Thatsache nichts ändern, und zwar aus dem einfachsten Grunde der Welt: uns fehlt die Erziehung zur Kunstbetrachtung. Das läßt sich durch äußere Umwälzungen nicht in ein paar Jahren nachholen, und zudem fehlt hier fast jeglicher An­reiz, der den Nachahmungstrieb im Volke weckt. In Pari« zollen die Tonangeber, gehören sie den Kreisen der Politik, der Litteratur oder des Besitzes an, der Kunstpflege auffällig ihren Tribut; ob sie es nun ge­heuchelt oder ungeheuchelt thun, die Wirkung bleibt dieselbe; für die Menge ist ein Ansporn gegeben. Das strenge Betonen des Utilitäts- prinzips in Preußens Hauptstadt rührt nicht von heute und gestern her, und so wird es in der neuen Reichshauptstadt auch nicht mor­gen oder übermorgen schwinden. Überdies ist jener Geist ein mäch­tiger Patron, welcher nach Heine eine Tochter ausrufen ließ:Mutter, wat jehn Ihnen die jrienen Beeme an!" als die Mutter während eines Frühliugsspaziergauges im Tiergarten ihrer Freude über das frische Grün Ausdruck gab. q, ^ tl'.

Zwei Beduinettjünglinge wurden von Berliner Damen entführt und nach zwei Tagen unversehrt dem Veranstalter der ethnologischen Schaustellung von Herren aus der besten Gesellschaft zurückgestellt. Seltsame Geschichte und Stoff zu den gruseligsten Sittenbildern aus der Großstadt. Die Tagespresse hat von der Seusatiousgeschichte erzählt, und das alte Thema von den seltsamen Irrungen des Geschmacks der Frauen im allgemeinen und der Berlinerinnen insbesondere ist angeschlagen. Das Ganze war eine hohle Repvrterphantasie, zu Reklamezwecken er­sonnen. Schließlich kommt auch das Publikum dahinter. Mau ist ent täuscht, man schimpft, und so wird von den geringsten Anfängen an ein Schädling unserer Entwickelung großgezogen, der Antijvurnalismus. Man sieht ihn nicht leibhaftig auf der Straße herumlanfen, man hört ihn nicht in Volksversammlungen das Wort ergreifen, und doch lebt er und ist da und tritt mitunter sogar in dem rüden Ruf:Berichterstatter raus!" in wirkliche Erscheinung. Wenn der Einzelne, der für die weite Öffentlichkeit lebt, sei er Künstler, sei er Litterat, sei er Parlamentarier, über Zeitung und Zeitungsschreiber in schlechter Laune schmält, so ist das nicht so schlimm, meist ein kleines Eitelkeitssieber. Wenn aber in ganzen, breiten Volksschichten das Mißtrauen sich festsetzt und in össent lichen Versammlungen, wie es in Berlin in letzter Zeit mehrfach geschah, in den Entrüstnngsruf ausbricht:Berichterstatter raus!" so ist die Sache bedenklicher. Einmal, weil sie die Tyrannis von unten anssteigend zeigt und darthut, wie die Achtung vor dein Werte der Presse sinkt, und dann, weil thatsächliche schwere Gebrechen vorliegen müssen, um solchen Mißmut zu erklären. Man achtet bei uns im Zeitnngsleben im allgemeinen den Tagesberichterstatter zu gering, und darum wird er in vielen: Fällen ver­ächtlich. Seine Wirksamkeit schneidet aber unmittelbar und tief in die Lebensverhältnisse der Menge ein, und gegen jedes Unrecht oder jede Unkenntnis, die ihn: zur Last fallen, kehrt sich die Erbitterung an: leb­haftesten. Wenn in den öffentlichen Kundgebungen der arbeitenden Welt der Berichterstatter Wesentliches falten läßt und Unwesentliches hervorhebt, weil er in die Verhältnisse einzudringen sich nicht bemüht j oder die intellektuelle Fähigkeit hierzu nicht besitzt, und wenn nach üblem Brauch solche Berichte auf den: Wege der vervielfältigten Korrespondenz in die Zeitungen übergehen, so kann man leicht ermessen, wie der Miß­mut wächst. Wenn z. B. in einer so gewichtigen Frage, wie die mo­derne Frauenbewegung ist, der spießbürgerlichste Berichterstatter sich an kleine, in der That komische Vorkommnisse von nebensächlicher Bedeutung klammert, um dem Redakteur einen sogenannten pikant-witzigen Bericht zu liefern, so lernt man verstehen, wie der Antijournalismns zu thnt- sächlicher Bedeutung gelangen kann. ck.