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Deutschland.
Seite 49.
zGrmnenmgen aus Meinem ^-eöen.
Von
Friedrich Spieltagen.
(Fvrtsctzung.)
M
sir sahen, daß ich Alagdeburg, trotzdem ich dort geboren, nnd die Provinz Sachsen, obschon meine Familie väterlicherseits dorther zweifellos stammte, als meine Heimat im gemütlichen Sinne nicht betrachten kann. Wiederum darf ich Stralsund nnd Neuvvrpommern als solche, wenigstens im landläufigen Sinne, nicht beanspruchen. Schon um deshalb nicht, weil die Eingeborenen dagegen Protest erheben würden. Ihnen blieben wir Eingewanderte, oder wie der Frankfurter sagt: „Zngelvffene," denen man Neigung und Vertrauen nicht ohne weiteres entgegenzntragen brauchte, ja, die sich glücklich schützen mochten, wenn man ihnen so kostbare Dinge nicht ein für allemal völlig vorenthielt. Denn diese kamen — ebenso wie die öffentlichen Ämter im Gemeinwesen vom Bürgermeister nnd Syndikus bis znm Ratsdiener und Nachtwächter — selbstverständlich den Stadtgenossen zu, mit denen man durch Abstammung, Sitte, Gewohnheit, Verschwägerung und Blutsverwandtschaft, Geschehnisse und Tradition (letztere mindestens bis zur Belagerung der Stadt durch Walleusteiu hinab) sich verbunden wußte nnd fühlte. Ans diese Erbschaft hatten die Zn- gewanderten offenbar nicht den mindesten Anspruch, sie, die sich nach dem Verdikt der Eingeborenen schon dadurch als Fremdlinge answiesen, daß sie nicht einmal das heimische Platt regelrecht zu sprechen vermöchten.
Dem war leider in der That so. Von den Eltern konnte freilich nicht wohl verlangt werden, daß sie sich in so späten Jahren des nie zuvor gehörten Idioms nachträglich bemächtigten: aber auch meine älteren Geschwister lernten es nur eben verstehen: und wenn wir jüngeren es auch fließend sprachen - wir sprachen es als eine fremde, angelernte Sprache, ohne den Ton zu treffen, der die Musik und auch eine Sprache macht.
Die Eingeborenen haben also recht: ganz nnd in jedem Sinne ist Nenvorpommern mir zur Heimat nicht geworden nnd konnte es, wie die Dinge lagen, nicht werden. Indessen möchte ich hier einen zweiten Punkt, wenigstens in Form einer Frage, zur Erwägung geben: ob nämlich, wie jemand von einer Sprache, die er mühsam erlernt, oft besser Bescheid zu geben weiß, ja ihre Schönheiten tiefer empfindet, als der, welcher sie ans dem Munde der Mutter lind von Kindesbeinen wie Essen nnd Trinken frei behandelt hat, - ob, sage ich, nicht gerade meine, des Halbfremden, Situation eine zur eindringlichen Erfassung und objektiven Würdigung pommerscher Art und Weise besonders günstige nnd speeiell für meine späteren Zwecke geradezu geforderte war?
llnd hätten wirklich die zwölf Jngendjahre — voll meinem siebenten bis znm neunzehnten — und die drei Jahre, die ich nach meiner Universitätszeit in Stralsund nnd Umgegend verleben durfte, noch immer nicht ausgereicht, mir das Geheimnis pommerschen Menschentums zu erschließen, — die Natur, die Dinge überhaupt sind nicht so spröde wie die Menschen, lassen sich gerne finden von dem, der redlich nach ihnen sucht, erschließen ihr Wesen willig dem, der seinerseits ihnen seine Liebe warm entgegenbringt.
In dieser Bebe, die wahrhaftig uneigennützig genug ge
wesen ist, denn ich hatte auch nicht die leiseste Ahnung von den reichen Früchten, die sie mir einstmals zeitigen würde, — in dieser Liebe fühle ich mich jedem pommerschen Antochthonen ebenbürtig: in dieser Liebe bin ich Pommer durch und durch: ist Pommernland in des Wortes schönster Bedeutung mein Heimatland.
So steige denn vor dem gerührten Blick der Erinnerung auf, altehrwürdige Stadt am Ufer des Belt mit deinen ragenden Türinen, langgestreckten, schmallwüstigen, ziegelgedeckten Giebelhäusern und den Gassen, die man nicht breit nennen könnte, auch wenn die vor jeden: Hause von beiden Seiten vorragenden Kellerhälse weniger Raum beanspruchten. Die bösen Keller- Hälse! Nicht bloß, daß sie die Rinnsteine nach der Nickte der Gasse gedrängt haben, sic schließen auch die Möglichkeit der Anlage von modernen Trottoirs, ja nur altertümlichen Trittsteinen völlig ans. Und doch wären dergleichen Hilfsmittel für ein leichteres und schnelleres Fortkommen aufs innigste zu wünschen; denn das Pflaster besteht aus Steinen, die den Höllenweg, wäre er mit ihnen gepflastert, zu einem wenig betretenen machen würden.
Indessen, nirgends steht geschrieben, daß der Mensch leicht nnd schnell vorwärts kommen muß. Langsam führt auch zum Ziel. Überdies ist es keineswegs immer Sommer, und im Winter wandelt sich das Straßenbild. Freilich, unter den letzten Herbstgüssen haben die Rieselbäche in der Mitte noch ganz besonders ungebührlich gestrudelt, dann aber sich mit einer Eisrinde bedeckt, die, je länger der Winter dauert — und er dauert in Nenvorpommern manchmal recht lange -- immer dicker und immer breiter wird, bis sie zuletzt die Kellerhälse rechts und links erreicht. So ist denn auf die einfachste, natürlichste Weise eine ans dem Konglomerat von Schnee, Schmutz und Eis bestehende ebene Straße hergestellt, auf der sich die Jungen mit ihren „Pekschlitten" lustig tummeln, die mit vier Pferden bespannten Kornschlitten vom Lande glatte Bahn finden und sich auch Fußgänger mit verhältnismäßiger Sicherheit bewegen mögen, vorausgesetzt, daß sie nicht in eins der Schlaglöcher geraten, was ihnen leichtlich passieren kann. Besonders des Abends, wenn Tanwetter eingetreten ist, der Wind vom Meere heraufheult, und die an kreischenden, von einer Straßenseite zur andern gezogenen Ketten in respektvollen Distanzen baumelnden Ollaternen über den Grans da unten ein spärliches Licht verbreiten, das die entschiedenste Neigung hat, ganz nnd gar auszugehen. Dann fehlt bloß noch, daß man den: Tanwind zu Hilfe zu kommen, der sein Werk selbst für die geduldigen Eingeborenen zu langsam verrichtet - - tagüber an- gefnngen hat, die in der Nickte leicht ein Paar Fuß dicke Eisbahn aufzuhackeu und am Feierabend von der halbgethanen Arbeit gegangen ist, ohne Erbarmen mit dein Ärmsten, der nach eingebrvchener Nacht ahnungslos in diese von Sturzbüchen durchbrauste und berghohen Schmutzmoränen eingezwängte Gletscherwelt gerät!
Doch nur dem Stadtfremden oder dem Eingewanderten mögen dergleichen Zustände schwer leidlich erscheinen. Der Eingeborene stößt sich nicht daran. Er nimmt sie als etwas Gegebenes, Notwendiges hin. Ja, er hat nicht übel Lust, in ihnen eine berechtigte Eigentümlichkeit zu sehen, wie in den: Choral, der abends neun Uhr von: Turm der Nikolaikirche geblasen wird: dem „Mallen Heinrich," der den Musikanten mit der Laterne vorlenchtet: den: blinden „alten Hallier," der