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Deutschland
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qnenz und Rücksichtslosigkeit, läßt sich moralisch unmöglich rechtfertigen; begreiflich wird sie nur, wenn man sich die Motive klar zu machen sucht: weitaus stärker als der nationale Fanatismus, welcher die Unterdrückung und Assimilierung des schwächeren Brnderstamms als Selbstzweck anstrebte, wirkte die Tendenz, den unruhigen, der Botmäßigkeit entwöhnten, von den kriegerischen Traditionen der Befreiungskämpfe erfüllten Stamm deshalb seines Sonderlebens zu berauben, um ihn als gefügiges Glied der „stummen Herde" der übrigen Unter- thanen einreihen zu können. Es war wenigstens zunächst eine sozial-politische, nicht eine nationale Agitation, und sie wurde denn auch mit den Waffen der Staatsgewalt, nicht mit denen des Geistes, begonnen und bis zu einem gewissen Punkte dnrch- geführt. Wie es damals überhaupt um die „geistigen" Waffen Moskaus stand, soll später angedeutet werden, hier sei eine knappe Übersicht der Politischen Ereignisse gegeben, nicht nur, weil sie an sich lehrreich und als Illustration zu den Phrasen des Panslavismns interessant ist, sondern auch, weil ohne sie die geistige Geschichte der Nation im l<8. und teilweise auch im laufenden Jahrhundert ganz unverständlich wäre.
Schon der Beginn, unmittelbar nach der Annexion, siel drastisch genug ans. Den Kosaken war das Wahlrecht ihres Hetmans gewährleistet worden, sie durften es auch üben, aber nur nach des Zaren Befehl; der erste in dieser Weise „frei lind ohne Zwang" Erwählte war ein Anhänger Rußlands, Iwan Samailowicz. Damit war die weltliche Selbstverwaltung der Kleinrnssen im Wesen beseitigt, ein zweiter Schlag zertrümmerte die kirchliche Unabhängigkeit. Der Metropolit von Kiew war in der Polnischen Zeit von den Äbten der klein- russischen Klöster ans ihrer Mitte gewühlt, vom Patriarcheil voll Konstantinopel geweiht worden; das Erneunungsrecht des letzteren war nur ein nominelles. Nun wurde der Patriarch Dionysius durch russisches Geld bewogen, ans dieses Recht zu Gunsten des Moskauer Patriarchats zu verzichten, welches sofort, ohne das Wahlkapitel zu befragen, einen Großrnssen, den Fürsten Tschetwertinski zum Metropoliten von Kiew ernannte. Der dritte Schritt war die Ansiedelung mehrerer
tausend großrussischer Kolonisten ans denn neu errungenen Boden. Dies der Beginn, dem die Fortsetzung entsprach. Die kleineren Details der Centralisntion zu schildern, liegt außerhalb des Rahmens dieser Darstellung; genügen mag, daß kein Nüttel der List lind Gewalt nnbenützt blieb. Das meiste vollzog sich in der Stille, ohne offizielle Motivierung; war eine solche unumgänglich, so wurde die „Bändigung unruhiger Elemente" oder gar die dreiste Unwahrheit vorgeschützt, daß Polen die im Süden lebenden Russen „znm Abfall von der Recht gläubigkeit" verleiten wolle, wovon diese mit Strenge abgehal ten werden müßten. Daß es sich daneben auch um einen
Entnationalisiernngsprozeß handle, räumte die russische Regierung nie ein, im Gegenteil begegnen wir von Beginn an der mit aller Schärfe festgehaltenen Fiktion, daß der Süden gleichfalls von Russen bewohnt sei, deren Sprache nur eben im Laufe der Jahrhunderte durch einzelne Polonismen entstellt worden wäre.
Es ist begreiflich, daß die Kleinrnssen an einer anderen Ansicht über ihre Sprache festhielten, und daß ihr Gemüt, durch die oben erwähnten und hundert andere Willkürakte tief erbittert, sich nicht durch die Bersichernng beruhigt fühlen
konnte: dies alles sei als Strafe für den beabsichtigten Abfall von ihrem, mit so grenzenlosem Opfermut bewahrten Glauben über sie gekommen. Schon am Ansgang des 17. Jahrhunderts begann es zwischen Don und Wolga zu gären; im
Jahre 1701 spielte sich der erste Hochverratsprozeß ab. Einige Hanptlente der Kosaken wurden verurteilt, weil sie die Meinung geäußert: Worthalten müsse gegenseitig sein, kümmere sich Moskau nicht um seine Zusagen, so seien sie auch der ihren quitt und wollten lieber dem Sultan als dem Zaren dienen. Gleichwohl griffen die Kosaken selbst dann noch nicht zu den Waffen, als es 1705 in ihrer Nähe, in Astrachan, zu einen: Aufstand kam und sich die Führer desselben um Hilfe an sie wandten; es war ein Ausbruch des altruistischen Fanatismus gegen dir
von Peter dem Großen dekretierte Kleiderordnnng; dieser Kampf um die Bartformen stand den Interessen der Kleinrnssen zu fern. Noch mehr, sie thaten freiwillig ihre Pflichten gegen die rebellischen „Raskolniks" (altgläubigen Sektierer), über welchen Beweis loyaler Gesinnung niemand erstaunter war als Peter selbst. Die Belohnung sollte nicht ansbleiben; waren die Kosaken so gefügig, dann ließen sich auch die Zügel, statt allmählich, mit einen: Ruck anziehen; schon 1706 erschien ein Ukas, welcher den Kosaken geänderte Wohnsitze anwies, gleichzeitig rückte Fürst Dolgoruki mit moskowitischen Truppen in ihr Gebiet ein, den Ukas zwangsweise dnrchznführen. Da erst brach der Aufstand los, ein alter Feldhauptmann, Kondrat Bnlnwin, trat an die Spitze, die Truppe Dolgornkis wurde niedergeinacht, ein gleiches Los traf einige von Asow her anrückende Regimenter; die Flamme griff immer weiter; der ganze Südosten des Reichs war in Gefahr, da bald die Sektierer, Tausende von Deserteuren der regulären Armee, dazu gewaltige Banernscharen ans dem Norden mit den Kosakei: gemeinsame Sache machten. Das nationale Oiepräge des Aufruhrs verwischte sich immer mehr; er war znm Kamps aller unzufriedenen und desperaten Elemente gegen: die Staatsgewalt geworden:. Peter erkannte die ungeheure Oiesahr, die um so größer war, als fa gleichzeitig der Krieg mit Schiveden tobte, und sandte, so schwer er sie auch entbehren konnte, immer neue - Truppen gegen die Rebellen, doch fochten feine Feldherren mit wechselndem Glück. Es ist ein überaus bezeichnendes Detail, daß den Kosaken selbst vor ihren Bundesgenossen zu grauen begann; sie schälten ihre Sache blank heraus, indem sie die Botschaft an den Zaren sandten: sie wünschten nur Wahrung ihres eigenen: Gemeinwesens und seien daher für ihr Teil bereit, Frieden: zu schließen und weiter ostwärts andere Wohn sitze zu suchen. Peter, durch das Heranrücken Karls XII. in äußerste Bedrängnis gebracht, schien: geneigt, darauf einzugehen: er befahl seinen Truppen, nicht weiter vorznrücken. Da half ihn: der Sieg eines Feldherrn, den die Ordre nicht erreicht, ans der Klemme. Den Anführern sank der Mut: Bnlawin gab sich selbst den Tod (Juli 1708); zwei Monate später war die Ruhe gänzlich hergestellt. Durch welche Greuel der Strafe und Rache die Staatsgewalt ihrcn: Sieg feierte, sträubt sich die Feder anzudeuten; die ungeheuerliche Grausamkeit findet wohl auch darin ihre Erklärung, daß Karl XII. sich gleichzeitig (September 1708) den Grenzen Kleinrnßlands näherte; die gebändigte Provinz sollte vor dem Bund mit den: auswärtigen Feinde abgeschreckt werden. Die Rechnung erwies sich als teilweise trügerisch: gerade jener Mann, den die Re giernng selbst an die Spitze Kleinrnßlands gestellt, entrollte neuerdings die Fahne der nationalen Erhebung.
Es war Jan Mazeppa, sicherlich die merkwürdigste und, nächst Ehmelnicki, die gewaltigste Gestalt der kleinrnssischen Ge schichte. Es ist kein Zufall, daß dieser Mann bis heute die Poeten viel nachhaltiger beschäftigt als die (Geschichtsschreiber: mit derlei rätselvollen Naturen wird die Phantasie, welche idealisieren und znspitzen darf, leichter fertig als der Drang nach der Wahrheit. Aber kein Zufall ist es wohl auch, daß sein Name, dessen Ruhm geniale Dichter über den Erdball getragen, uns ans den Liedern seines Volkes nur spärlich ent gegenklingt. Daß sein persönlicher Ehrgeiz riesengroß, sein Nationalgefühl winzig klein gewesen, darin liegt, glaube ich, nicht allein in: idealen Sinne seine tragische Schuld, sondern auch ganz real der wirkliche Grund seines Unterganges. Freilich wird diese Anklage durch seinen Bildungsgang halb ent waffnet: dem Podolischen Landadel entsprossen, an: Hofe König Kasimirs erzogen, mußte er sich damals, trotz seiner kleinrnssischen Abstammung, nur als Pole fühlen, und als ihn die Folgen seines Liebes-Abenteuers, welches die Dichter so gern schildern, in die Ukraine trieben, da konnte ihn: zunächst nicht sein Gemüt, sondern nur die Klugheit gebieten, sich hier durch den Anschluß an die Nationalität, welcher seine Ahnen angehört, eine mächtige Stellung zu begründen. Kühn, liebenswürdig und gebildet, war er auch schlau genug, um sich das Verwnnei: der herrschenden, wie der beherrschten Nation znzu-